Kontakt zu Gott (1 Tim 2 1-4)

Der komplette Gottesdienst zum Nachhören ist für vierzehn Tage hier zu finden.

Kurt Marti:
Auch ich kann nicht beten.
Ich glaube,
man sieht uns allen an,
dass wir nicht beten können.

Man sieht es auch denen an,
die weiterhin beten
oder zu beten meinen.

Dennoch kann ich mir
die Sprache einer besseren Zukunft
nicht vorstellen
ohne etwas
wie Gebete.

Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft
noch seine Güte von mir wendet!
Ps 66 20
***
Wann beten Menschen?
Für mich gehörte das Beten schon immer einfach zum Leben dazu. So lange ich denken kann: VOR einer Mahlzeit kam das Tischgebet. Ohne dieses Gebet gab es auch nichts zu Essen oder zu Trinken.

Als ich darüber begann nachzudenken, erschien mir das auch logisch: Ich war darauf angewiesen, dass es Menschen gab, die sich um mich sorgten und mir zu Essen gaben. Und diese Menschen waren Gottes Geschenk an mich, letztlich also auch das Essen auf dem Tisch. Dafür dankte ich gern. Wie man sehen kann…

Dass es allerdings in meinem Umfeld Menschen gab, die nicht nur vor, sondern auch nach dem Essen beteten und Gott dankten, hielt ich für wirklich übertrieben. Ich hatte doch schon vor dem Essen gedankt. Und bei nicht wenigen Gerichten auf dem Tisch hielt ich den Dank danach für pure Heuchelei.

Dass Gebete vor Klassenarbeiten nicht verhindern konnten, dass Faulheit betraft wurde, habe ich auch schon sehr früh mitbekommen und das dann auch nicht weiter verfolgt.

Auch das habe ich verstanden – Gott lässt sich eben nicht hinters Licht führen, er stand außerdem in meiner Rangfolge deutlich höher als meine Eltern und wusste also noch eher als sie, wenn ich zu schummeln versuchte.

Meine Eltern beteten nun mit mir vor den Mahlzeiten, vor dem Einschlafen, im Gottesdienst. Und da war ich sehr oft, schließlich war mein Vater auch Pfarrer. Also: Für mich gehörte das Gebet schon immer zum Alltag.

Inzwischen habe ich gelernt, dass ich da eher eine Ausnahme darstelle als die Regel.

Zwar werden alle Menschen in ihrem Leben irgendwann einmal gebetet haben. Schließlich heißt es ja nicht umsonst im Volksmund, wenn nichts mehr zu machen ist: „Da hilft nur noch beten“. Aber vorher MACHEN sie eben lieber, und so lange noch etwas zu machen ist, muss das Beten eben warten.

Ach ja, oder bis die Not kommt, es heißt ja auch: „Not lehrt beten“. Doch man kann schließlich niemandem Not an den Hals wünschen. Und machen kann man ja meist irgendwas. Und Gebete gehen doch an Gott, und gibt es den überhaupt?

Selbst bei vielen Christen ist das Gebet aus dem Alltag verschwunden und auf den gelegentlichen Gottesdienstbesuch verschoben. Nicht nur, weil sie lieber „machen“ oder die Not gerade nicht groß ist.

Sondern sicher auch, weil sie mit dem Gebet keine guten Erfahrungen gemacht haben.
Sie haben mit Gott geredet, konnten aber seine Antworten nicht hören.
Sie haben sich etwas von der Seele gebetet, aber keine Stärkung erfahren.
Sie haben Gott um etwas für sie ganz Wichtiges gebeten, aber nichts oder gar das Gegenteil bekommen.
Kurz: Sie haben erfahren, dass Gebet „falsch“ laufen kann und nicht „funktioniert“.

Wie war das vorhin vom Schweizer Pfarrer Kurt Marti: „Auch ich kann nicht beten. Ich glaube, man sieht uns allen an, dass wir nicht beten können.“

Wozu also öfter beten als gelegentlich in Andacht oder Gottesdienst? Welchen Zweck soll es haben? Wozu soll es gut sein?

Der Predigttext für heute kann vielleicht Antworten geben. Ich lese aus dem 1. Timotheusbrief aus Kapitel 2 die Verse 1-4:

1 So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen,
2 für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.
3 Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland,
4 welcher will, dass alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.

Das Timotheus, der einer der engsten Mitarbeiter des Paulus gewesen ist, sich von Paulus ermahnen lassen muss, das Gebet nicht zu kurz kommen zu lassen, hält bei mir zuerst die Zweifel daran lebendig, ob dieser Brief wirklich ein echter Brief vom echten Paulus an den echten Timotheus ist.

Aber für das Thema ist das unwichtig. Wichtiger ist die Feststellung, dass an das Gebet in der Gemeinde des Timotheus offenbar ERINNERT werden muss.
Und zwar nicht irgendwann später, also wenn nichts anderes mehr „gemacht“ werden kann, sondern VOR ALLEN DINGEN. Also BEVOR irgendetwas gemacht werden kann

Wer dazu ermahnen muss, hat doch Menschen vor Augen, für die das eben NICHT selbstverständlich ist. Offenbar war das schon damals ähnlich wie heute.

Und genau das macht mich neugierig: Wie will Paulus (oder wer immer diese Schrift verfasst hat) nun erreichen, dass das „anders“, dass das „besser“ wird? Lasst uns zunächst genauer auf den Text sehen.

„Bitte, Gebet, Fürbitte“ (V1) – wir haben beim „Bibeln“ am Freitag gemerkt, dass diese Begriffe sich nur schwer voneinander unterscheiden lassen. Auch im griechischen Original ist das nicht anders.

Also SOLLEN sie wohl auch nichts unterscheiden. Sie sind hier offenbar als Synonyme zusammengestellt. Als sinnverwandte Wörtern, als eine Begriffsreihe, ergänzt durch die eindeutige „Danksagung“.

In dieser Wort-Reihe kann so jede und jeder für sich ein Wort finden, mit dem sie oder er am Besten etwas anfangen kann. Denn es geht hier um JEDE FORM des Gebetes, die man sich vorstellen kann.

Bemerkenswert finde ich, dass auch die DANKsagung für ALLE Menschen genannt wird. Für die antiken Städte zur Zeit des Timotheus bedeutet das: Dank für das multikulturelle Gemisch von Menschen, die in all ihrer Verschiedenheit zusammen leben, die leiden oder sich freuen, reich oder arm sind, verschiedene Religionen leben.

Dass Christen Gott dafür Dank sagen, liegt unausgesprochen in ihrem Glauben an den Schöpfer begründet, in dem jeder Mensch als Ebenbild des Schöpfers gesehen wird. In diesem Dank liegt die Erkenntnis: Diese Vielfalt von Menschen und Menschlichem ist gut so, kein Grund zu Angst, Neid oder Streit. Angst, Neid oder Streit haben keinen Raum da, wo gedankt wird.

Dass im zweiten Vers die „Könige“ und „alle Obrigkeit“ besonders herausgehoben werden, ist auch zu erklären:

Es war schlichtweg keine Selbstverständlichkeit. Im Original steht zuerst das Wort „Basileus“, hier übersetzt mit „Könige“. Damals aber wurde mit diesem Wort der römische Kaiser bezeichnet. Es geht hier also um DIE römischen Kaiser – den jetzigen sowie alle kommenden. Die an zweiter Stelle „alle Obrigkeit“ genannten waren alle maßgeblichen, mächtigen Leute.

Für „Könige und für alle Obrigkeit“ zu beten war mit Sicherheit nicht selbstverständlich. Auch die Gemeinden des Timotheus hatten schwer unter den Maßnahmen gelitten, die zur Zeit des Kaisers Domitian zur Durchsetzung des Kaiserkultes durchgeführt worden waren.

Bitte, Gebet, Fürbitte und gar DANK für Kaiser und Statthalter – das war nicht einfacher als wenn wir vor 1989 für Parteifunktionäre, Staatssicherheit, Politbüro oder Zentralkomitee der SED Bitte, Gebet, Fürbitte – UND DANK! hätten üben sollen. Oder gar vor 1945 für Hitler und Konsorten???

Sinn und Ziel dieses Gebetes ist nun nicht etwa, dass Gott die anderen Menschen (König und Obrigkeit eingeschlossen), zu Christen machen solle. Nicht einmal darin, dass die Christen unter einer guten Regierung ihr Christsein offen leben können.

Ein „ruhiges und stilles Leben“ „in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit“ (V2) haben freilich nicht wenige als eine Art „christliches Kleinbürgertum“ verstanden. Wo man „die gute alte Zeit“ erlebt, in der sich die Kirche mit politischer Kritik zurückhält und man selbst kritiklos unter sich bleiben kann.

Aber genau darum geht es nicht. Das hat Timotheus wohl auch am eigenen Leibe erfahren müssen. Sein Leben endete nicht „ruhig und still“, sondern als Märtyrer. Er wurde am am 22. Januar 97 erschlagen.

Nein, es geht hier um das Großwerdenkönnen des Willens Gottes. Um ein Klima des Zuhörens und Verstehens. Des Mühens aller Beteiligten, einander zu verstehen und zu erkennen: Gott will, das „ALLE Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis“ DIESER „Wahrheit“ kommen.

Das ist sicher als Abwehr von solchen Meinungen zu verstehen, die die Menschheit in zwei Lager einteilen:
In die Erwählten, denen der Zugang zum Heil Gottes offen steht,
und die Verdammten, bei denen Hopfen und Malz eh verloren sind, weil sie in der Hölle schmoren werden.
Nein: Gottes Heilsbotschaft gilt ALLEN. JEDES Leben kann Rettung finden. Karfreitag gilt ALLEN, Ostern gilt allen.

So schließt sich der Kreis: Im Gebet kann selbst denen, die sich bedrängt sehen, die leiden müssen, die sich nach Licht sehnen deutlich werden: Gottes Heil meint alle Menschen, sein Himmel steht allen offen.

Ich weiß: Das wird Gebets-Skeptikern noch lange nicht vom Gebet überzeugen. Sie werden weiter fragen:

Hat Mose, wie wir das vorhin gehört haben (Ex 32 7-14) haben, tatsächlich Gott im Gebet überreden können, anders zu handeln als er es vorgehabt hatte? Oder hat Mose vorher einfach nicht richtig zugehört? Wir wissen ja: Gottes Sprache zu verstehen ist keine leichte Sache.

Seit wann beten Menschen eigentlich? Schon vor Mose? Wer hat das befohlen? Und warum tun sie es, wenn der Gebetserfolg doch eine so fragile Sache ist? Gibt es wirklich richtiges Beten, wenn man sich zum Beispiel an das Unservater hält? Und falsches, wenn man um Gesundheit für den totkranken Nachbarn oder Freund betet?

Viele Gebets-Fragen werden für alle Zeit unbeantwortet sein, sie bleiben offen. Das Geheimnis des Gebetes aufzudecken wird in dieser Weltzeit unmöglich sein. Aber damit ist das Gebet ja mit der Liebe oder der Freiheit oder mit Gott selbst in guter Gesellschaft.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Ich glaube: Beten lohnt sich wirklich. Denn Gebet ist Kontakt mit Gott. Es sammelt die Gedanken der Betenden hin zu Gott. Wer seine eigenen Sehnsüchte ausspricht, muss ganz bei sich selbst sein. Und gerade so kann man Gott nahe kommen.

Der bekannte dänische Theologe Søren Kierkegaard bringt das für mich auf den Punkt:

„Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still. Ich wurde, was womöglich noch ein größerer Gegensatz zum Reden ist, ich wurde ein Hörer.

Ich meinte erst, Beten sei Reden. Ich lernte aber, dass Beten nicht bloß Schweigen ist, sondern hören. So ist es: Beten heißt nicht, sich selbst reden hören. Beten heißt: still werden und still sein und warten, bis der Betende Gott hört.“

In Kontakt mit Gott treten, seine Stimme hören, seine Sprache lernen: Die Erkenntnis dieser Wahrheit ist eine großartige Sache. Denn sie hat die Verheißung,
dass in oder mit ihr
ALLEN Menschen Rettung widerfährt. Dass ihr Leben heil wird.

Noch einmal Kurt Marti zum Schluss:
„Dennoch kann ich mir
die Sprache einer besseren Zukunft
nicht vorstellen
ohne etwas
wie Gebete.“

Im Gebet finden wir sie:
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes.
Sie werden SEINEN Willen geschehen lassen,
und das KANN unser Schade nicht sein. AMEN.

 

Dieser Beitrag wurde unter Predigten abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.