Gottes Reich zuerst (Eph 5 8-14)

Unseren Gottesdienst vom 8. Sonntag nach Trinitatis zum Nachhören finden Sie für vier Wochen hier.

Die Vision vom Frieden Gottes
der Traum vom Zion
von dem das Licht der Welt ausgeht
Aus Jerusalem kommt, wonach wir uns sehnen.
Gottes Licht strahlt vom Berge Zion.

Lebt als Kinder des Lichts;
die Frucht des Lichts
ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.
Epheser 5,8b.9

***
Gestern war in den Nachrichten zu hören: Koblenz ist die Großstadt in Deutschland mit den meisten erfassten Straftaten je Einwohner im vergangenen Jahr. Doch eigentlich sei es Bremen gefolgt von Hannover, Berlin, Bremerhaven und Halle.

„Eigentlich“ bedeutet:
Koblenz hat im vergangenen Jahr eine Aktion gegen Graffiti gestartet, was mehrere tausend Anzeigen zur Folge hatte. Ohne diese Graffiti-Straftaten läge Koblenz im Mittelfeld der Statistik.

Graffitis sind ja für Ordnungsliebende, Hausbesitzer oder Toilettenreinigungskräfte eine sorgenfaltentreibende Zumutung. Denn sie kosten Nerven, Zeit, Kraft und oft sehr viel Geld, will man sie wieder entfernen oder entfernen lassen.

Andererseits ist es hier wie so oft im Leben auch:
Sie können auch nette Seiten haben. Trotz der optischen Verschandlung von Wänden gibt es zumindest MANCHMAL auch lustige Sprüche, die dann an einer Wand stehen und die ich mir merke.

„Der frühe Vogel fängt nur den frühen Wurm“ zum Beispiel. Oder: „Nichts zu tun ist gar nicht so einfach. Man weiß nie, wann man fertig ist.“ Oder: „Das Wort für Menschen, die mich nicht mögen: Irrelevant.“

Als ich den Bibeltext für heute las, fiel mir einer dieser Sprüche wieder ein: „Lieber in der dunkelsten Kneipe als am hellsten Arbeitsplatz.“ Als ich den zum ersten Mal gelesen habe, war ich irgendwie überrascht, weil er meine Lebenserfahrung irgendwie auf den Kopf stellte. Vor allem meine Erfahrung als Bibelleser. Denn da ist Licht immer gut und Dunkelheit immer schlecht.

Doch es ist nie alles Schwarz-Weiß im Leben.
Wie es schon vorhin bei den Graffitis war, ist es auch sonst. „Lieber in der dunkelsten Kneipe als am hellsten Arbeitsplatz“ – selbst der Nichtkneipengänger ahnt die tiefe Wahrheit dieses Spruches:

„Dunkel“ in der Kneipe ist
schummrich- freundlich, gut versorgt, urgemütlich, entspannend.
Und „Hell“ ist
das grelle Licht von Leuchtstofflampen oder LED- Scheinwerfern, immer muss ruhelos irgend etwas getan werden,
irgendwo eine meckernde Chefin oder ein stressender Chef.
Da kann einem Dunkelheit schon Sehnsuchtsort werden.

Und was für die Kneipe gilt, gilt auch für den Schaukelstuhl oder das Sofa,
für einen dunklen kühlen Raum bei draußen 30 Grad im Schatten, für das Schlafzimmer. Kein Mensch braucht da helles Licht.

Doch Schlafzimmer, kühler Raum oder Schaukelstuhl und Sofa sind Ent-Spannung, und die ist nicht alles im Leben. Denn ohne Spannung, ohne Tätigsein, ohne Suche nach einem Ziel, das einem sinnvoll erscheint, ist Menschenleben nicht vorstellbar.

Und da wären wir wieder bei der anderen Deutung von Hell und Dunkel, wie sie auch die Bibel verwendet:
„Hell“ ist gut, „Dunkel“ ist schlecht für den Menschen.

Dazu werden Euch sicher Bibelworte einfallen.
„Ihr seid das Licht der Welt“ (Mt 5,14) zum Beispiel. Das sagt Jesus in der Bergpredigt zu den Menschen, die Gott nachfolgen.

An anderer Stelle nennt er Licht und Finsternis in einem Satz:
„Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh 8,12).

Beides in Kontinuität mit dem ersten Teil der Bibel, so wie wir es vorhin aus Jesaja 60 gehört haben: „Mach dich auf, werde licht!“ Und die Folgen beschreibt Jesaja dort auch: Herrlichkeit, Glanz, Freude, glückliche Gemeinschaft.

Auch Paulus benutzt in dem Abschnitt des Epheserbriefes, der für heute als Predigttext vorgeschlagen ist, das Begriffspaar „Licht – Finsternis“ in diesem Sinne.
Ich lese Verse aus dem 5. Kapitel ab Vers 8,
Paulus schreibt hier:

Denn ihr wart früher Finsternis;
nun aber seid ihr Licht in dem Herrn.
Lebt als KINDER des Lichts;
die FRUCHT des Lichts
ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.
Prüft, was DEM HERRN wohlgefällig ist,
und habt nicht Gemeinschaft
mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis;
deckt sie vielmehr auf…
… Darum heißt es: Wach auf, der du schläfst,
und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.

„Nun aber seid ihr Licht in dem Herrn“:
Das ist MEHR als Haben, das ist SEIN.
Das Licht nicht nur haben wie eine Lampe an der Wohnzimmerdecke oder in der Tasche, sondern selbst das Licht sein.
Nicht be-leuchtet von einer Lampe, sondern selbst leuchtend wie eine brennende Fackel.

Früher, jetzt.
„Nun aber“: Wann ist „Nun“?
Worin unterscheidet sich das „Jetzt“ vom „Früher?
Hier lohnt sich der Blick auf den Schluss des Textes:
„Darum heißt es: Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.“

Ganz offenbar erinnert Paulus hier an etwas, was die Epheser kennen. Ein Bibelzitat ist das allerdings nicht. Ein frommer Spruch, vielleicht aus einem bekannten Lied, vielleicht aus einem Gottesdienstritus, das kann man heute nicht mehr erkennen.

Doch Paulus erinnert diesen Spruch, weil er für ihn ganz einfach passt in dieses Schema „Früher, jetzt“:
Früher tot, jetzt leuchtend lebendig.

Und liest man die Kapitel zuvor, entdeckt man genau hier ein Schwerpunktthema des Briefes. Paulus vertieft, dass seine Leserinnen und Leser VOR ihrer Hinwendung zum Gott Israels eine gänzlich anderen Orientierung ihres Lebens folgten.

„Nun aber“, „Jetzt“,
also NACH der Hinwendung zu Gott in Jesus Christus,
sind sie „Kinder des Lichts“.
Und als solche leuchten, ja strahlen sie:
Aus sich selbst.

Dieses Leben im „Jetzt“ als „Kinder des Lichts“ hat Konsequenzen, es trägt nämlich Früchte. Auch das ein besonnen gewähltes Bild durch Paulus. Das Leben als Licht stellt das Leben nicht auf den Kopf. Es ändert nicht einfach die Welt von schlecht auf gut.
Es ZEIGT FRÜCHTE.
Es lässt das Reich Gottes erkennen.

Das ist wie mit den Früchten zuhause im Garten.
Wenn jetzt die Brombeeren oder die späten Kirschen oder die kleinen gelben Pflaumen reif sind, sind sie für die Einen ein wohlschmeckendes, vitaminreiches Geschenk.

Für die Anderen aber sind sie unwillkommene zusätzliche Arbeit des Pflückens und Verarbeitens, die man auch umgehen kann, indem man einfach nicht hinsieht. Lasst doch der Natur ihren Lauf: Dann wachsen neue Brombeerbüsche, Kirsch- und Pflaumenbäume.

Für die aber, die das Geschenk eines Lebens im Reich Gottes zu schätzen wissen, für die steckt in diesem Bild vom Jetzt, vom Licht und von den Früchten nahezu alles, was ein Mensch im Leben finden kann:

Erstens der Moment, an dem er weiß, woraus und wofür er lebt:
Jetzt, nach der Hinwendung zu Gott. Brennen dafür, Fackel sein, unübersehbar für die, die es sehen wollen.

Dann eine Lebens-Sicherheit, in all dem Wandel der Zeiten und Sitten nicht falsch, sondern recht zu leben:
Kind des Lichts zu sein, nicht fremdbestimmt, sondern aus sich heraus zu strahlen.

Schließlich Früchte zu bringen:
Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit.
Viele sehnen sich nach diesen Früchten und werden sie als Geschenk zu schätzen wissen. Sie werden „vor Freude strahlen“, wie Jesaja schrieb.

Dazu ist all das, was das Leben an uns heran trägt, zu prüfen.
Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist.
PRÜFT, meint Paulus, und habt nicht Teil an dem,
was durch diese Prüfung hindurchfällt.

Hier ist nichts, was man tut oder lässt, ausgenommen.
Man sollte zum Beispiel prüfen, wofür man das Geld ausgibt, das man nicht zum Überleben braucht:
Für sich? Für Andere? Im rechten Verhältnis zwischen der Liebe zum Nächsten UND sich selbst?

Man sollte prüfen, womit man die Zeit verbringt, die einem neben der Arbeit bleibt:
Kümmert sich jeder um sich selbst, weil dann um alle gekümmert ist? Oder hat man eine Aufgabe für die Gemeinschaft, in der man lebt, und kümmert sich IN DIESEM SINNE sowohl um die eigene Gesundheit und um die des Nächsten?

Man sollte prüfen, welches politische System man unterstützt: Können Sprüche wie „Deutschland zuerst“ etwas zu tun haben mit der biblischen Sicht auf den Menschen als Ebenbild Gottes?

Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist –
Prüf-STEIN: Alles, was dem Reich Gottes entgegen steht.
Maßstäbe: Die Früchte des Lichts – Güte, Gerechtigkeit, Wahrheit.

Doch auch wenn WIR uns alle danach sehnen,
sind diese drei Maßstäbe nicht einfach so zu erkennen.
Sie sind Maßstäbe, die das GEWISSEN uns sehen lässt.
Und das Gewissen ist bekanntlich auch keine absolute Größe, das bei jedem Menschen einfach gleich wäre.

Doch wer leuchtet, wer für Gottes Sache brennt, weiß, was Gerechtigkeit bedeutet:
Das Ziel des eigenen Lebens auf das Reich Gottes auszurichten.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Gestern jährte sich der 20. Juli 1944 zum achtzigsten Mal.
Claus Schenk Graf von Stauffenberg hatte im Führerhauptquartier Wolfsschanze in Ostpreußen ein Sprengstoff-Attentat auf Adolf Hitler verübt.

Der Stenograf Heinrich Berger, dem die Explosion beide Beine abriss, starb noch am Nachmittag. Von den weiteren zwölf Schwerverwundeten starben drei Menschen einige Tage später an den Folgen der Explosion. Die übrigen elf Anwesenden wurden nur leicht verletzt, unter ihnen Hitler und Heusinger.

Hitler ließ dann nicht nur Stauffenberg, sondern über 200 Frauen und Männer, die an dem Attentat irgendwie beteiligt waren, hinrichten, unter anderen auch Dietrich Bonhoeffer.

DIESER Versuch, den Werken der Finsternis zu trotzen, kostete also viele die Freiheit oder gar das Leben. Auch nach menschlichem Ermessen das Leben Unschuldiger wie Heinrich Berger.

Was aber wäre die Alternative gewesen? Dieses Werk der Finsternis, das so genannte „Dritte Reich“, kostete doch über 60 Millionen Menschen das Leben. Wäre es wirklich eine Alternative gewesen, dieses Regime gewähren zu lassen?

Prüfen, was dem Herrn wohlgefällig ist:
Licht-sein scheint anstrengend werden zu können.
Und mancherorts lebensgefährlich.
Also doch
„lieber die dunkelste Kneipe als der hellste Arbeitsplatz“?

Ich aber bin meinem Gott zutiefst dankbar, dass er mich in dieser so oft grausamen und dunklen Welt nicht als Finsternis leben lässt. Dass er mich an seinem Wort entzündet
und mir ein Licht aufgehen lässt.
Dass ich wenigstens dann und wann eine kleine Leuchte sein darf.

Was MICH angeht, kann ich mir ohne Frage kein besseres Leben vorstellen als eines, dass nach Gott fragt, nach seinem Reich und seiner Gerechtigkeit sucht. Mit so wunderbaren Früchten wie Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit.

Dann nämlich spielt es überhaupt keine Rolle, ob ein Leben kurz oder lang ist, ob eine reich oder arm ist, ob ich in den Augen von Menschen angesehen bin oder nicht.

Es spielt auch keine Rolle, ob ein Name berühmt wird wie der von Bonhoeffer oder Stauffenberg oder fast vergessen wird wie der von Heinrich Berger.

Einzig eine Rolle spielt dann,

dass die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

in uns das Licht der Herrlichkeit Gottes entzünden,
auf dass wir Frucht bringen:
Güte, Gerechtigkeit, Wahrheit.
AMEN

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