Die übersehenen Wunder (1 Sam 16 14-23)

Der komplette Gottesdienst zum Nachhören ist für vierzehn Tage hier zu finden.

Zum Erkennen kommt Gefühl
zum Wort der Ton
zur Bewegung der Takt
aus dem Menschen kommt ein Lied
frei, ohne jede Hemmung, ja:

Gott schenkt uns diesen Tag
unsere Tage
alles Glück
das Heil
seine Wunder

Singet dem HERRN ein neues Lied, denn
er tut Wunder.
(Ps 96,1)
***
Der Predigttext für heute steht im 1. Buch Samuel, 16, 1b Vers 14.

14 Der Geist des HERRN aber wich von Saul, und ein böser Geist vom HERRN verstörte ihn.
15 Da sprachen die Knechte Sauls zu ihm: Siehe, ein böser Geist von Gott verstört dich.
16 Unser Herr befehle nun seinen Knechten, die vor ihm stehen, dass sie einen Mann suchen, der auf der Harfe gut spielen kann, damit, wenn der böse Geist Gottes über dich kommt, er mit seiner Hand darauf spiele, und es besser mit dir werde.
17 Da sprach Saul zu seinen Knechten: Seht nach einem Mann, der des Saitenspiels kundig ist, und bringt ihn zu mir.
18 Da antwortete einer der jungen Männer und sprach: Ich habe gesehen einen Sohn Isais, des Bethlehemiters, der ist des Saitenspiels kundig, ein tapferer Mann und tüchtig zum Kampf, verständig in seinen Reden und schön, und der HERR ist mit ihm.
19 Da sandte Saul Boten zu Isai und ließ ihm sagen: Sende deinen Sohn David zu mir, der bei den Schafen ist.
20 Da nahm Isai einen Esel und Brot und einen Schlauch Wein und ein Ziegenböcklein und sandte es Saul durch seinen Sohn David.
21 So kam David zu Saul und diente ihm. Und Saul gewann ihn sehr lieb, und er wurde sein Waffenträger.
22 Und Saul sandte zu Isai und ließ ihm sagen: Lass David mir dienen, denn er hat Gnade gefunden vor meinen Augen.
23 Wenn nun der Geist Gottes über Saul kam, nahm David die Harfe und spielte darauf mit seiner Hand. So erquickte sich Saul, und es ward besser mit ihm, und der böse Geist wich von ihm.

LASST UNS BETEN:
Allmächtiger, ewiger Gott,
alle deine Werke preisen deine wunderbare Taten.
Wir bitten dich:
Lass unser Leben ein Loblied auf dich sein,
damit dein Name
durch uns gepriesen und geheiligt wird.
AMEN.

GNADE SEI MIT EUCH und Friede von dem,
der da ist, / der da war / und der da kommt. AMEN!

Ging es euch auch so? Gleich der erste Vers des Bibeltextes für heute ist bei mir nicht als Aussage, sondern als FRAGE stehen geblieben. Der Rest des Textes ist eine spannende Erzählung mit einer interessanten Spitze, doch dieser erste Vers hat mich doch zunächst ratlos gemacht.

„Der Geist des HERRN aber wich von Saul, und ein böser Geist vom HERRN verstörte ihn.“ (V 14)

Woher weiß der Mensch das, der das geschrieben hat?
Ich treffe ja oft auf Menschen, die sich fragen, woher das Böse in dieser Welt kommt, wenn sie doch von einem Gott perfekt erschaffen sein soll.
Die mich fragen, warum dieser Gott das Böse überhaupt zulässt, denn ohne das Böse würde es sich auf dieser Welt viel besser leben.

Diese Frage ist mehr als berechtigt, jeden Tag stellt sie sich ganz von selbst neu. Ein Mann mit schwedisch-iranischer Staatsbürgerschaft wird 2020 in der Türkei entführt und in der vergangenen Woche im Iran hingerichtet. Der nächste wartet auch schon auf seine Hinrichtung, diesmal ein Deutsch-Iraner.
Ist das die perfekte Gottes-Welt, in der der Mensch sich als unfehlbar betrachtet und anderen Menschen das Leben nehmen darf?

Natürlich kenne ich auch viele Versuche, irgend eine Antwort auf diese Warum-Frage zu geben. Auch ich versuche das immer wieder. Wobei es doch VERSUCHE sind und bleiben. Denn wenn irgendjemand auf diese Frage schon eine Antwort gefunden hätte – eine, die alle gleichermaßen zufriedenstellen würde: Dann würde es diese Warum-Frage ja nicht mehr länger geben müssen. Überhaupt: Wie alt ist diese Frage eigentlich?

Alle Antwortversuche, die ich kenne, sind darüberhinaus kompliziert. Sie erwarten von den Zuhörenden intensives Mit- und Nachdenken. Es sind nie einfache Antworten, und sie sind niemals kurz und niemals leicht zu verstehen.

Doch hier ist kurz und knapp in einem Satz gesagt:
Beides kommt aus dem Geist Gottes. Gutes und Schlechtes.
Und die Frage in mir wird lauter:
Woher will dieser Mensch das wissen?

Das bringt mich zu einer anderen Frage: Wer ist es eigentlich, der hier schreibt? Denn wenn ich weiß, wer da schreibt und warum er das tut, verstehe ich vielleicht besser.

Natürlich weiß man das bei den vielen Büchern der Bibel nur in ganz seltenen Fällen. Denn dazu muss da schon aufgeschrieben stehen, wir derjenige heißt, der da schreibt.

Wenn da zum Beispiel steht, dass ein gewisser Paulus schreibt. Dann können wir mit anderen Fakten, die wir aus der Geschichte wissen, uns ein Bild machen von dem, der da schreibt:

Paulus war ein exzellenter Kenner seine jüdischen Tradition und wohl der brillanteste Theologe der jungen Christenheit. Ihm haben wir es wesentlich zu verdanken, dass aus der Sekte der Jesusjünger in Israel eine Kirche wurde, die überall auf der Welt zuhause ist.

Doch selbst, wenn der Name aufgeschrieben steht, ist es keineswegs sicher, dass man wirklich weiß, wer da schreibt. Nehmen wir nur die beiden Petrusbriefe: Es spricht so vieles dagegen, dass sie beide von demselben Verfasser stammen, dass die Verfasserschaft TROTZ schriftlicher Namens-Nennung gar nicht so klar ist wie sie zunächst scheinen mochte.

Wer aber schreibt HIER?
Samuel, der Namensgeber des Buches, jedenfalls nicht. Dieser wichtige und mächtige Mann mit prophetischen Gaben spielt zwar eine wichtige Rolle im Anfang des Buches, aber als Verfasser wird er nirgends bezeichnet. Was kann man über den /die VerfasserIn herausbekommen?

Die Fachleute sind sich nun im Wesentlichen darin einig, dass die Samuel- und Königsbücher unserer Bibel ursprünglich einmal ein einziges Buch waren. Und dass sie sind ein völlig anderes Buch als beispielsweise die Mosebücher sind, kann man schon dann spüren, wenn man nur die Kapitel VOR unserem Predigttext liest.

Es geht um den Übergang von der Richterzeit zum Königtum. Die Richter waren diejenigen, die im Wesentlichen das entstehende Volk Israel nach INNEN einigten. Sie versuchten, in einem möglichst von vielen Menschen akzeptierten Wertesystem Streit zu schlichten und Recht zu sprechen.

Sie sorgten für ein Gefühl des „Wir“ und damit dafür, dass aus umherwandernden Sippen und Stämmen mehr, ein auch von außen erkennbares Gesellschaftsgefüge wurde. Etwas, was trotz unterschiedlicher Traditionen und Gebräuche zu einer Gemeinschaft zusammenwuchs. Der Glaube an Gott wuchs dabei zu einem wesentlichen Faktor heran.

Nun aber wird diese zusammenwachsende Gemeinschaft anderen Gemeinschaften neben ihr zur Bedrohung. Man beginnt sich zu streiten: Um Land, Einfluss, Werte. Aus Streit werden handfeste Auseinandersetzungen, die sich zu militärischen Konflikten ausweiten.

Da aber sind plötzlich nicht mehr Richter, sondern Oberbefehlshaber gefragt. Solche, die mutig und stark sind, einen Plan haben und den Überblick behalten.

Und genau da kommt der erste „König“ in den Blick. Saul heißt er. Sein „Hof“ ist dabei nicht ein Schloss oder eine Burg, sondern eher ein Bauernhof: Aus seiner Rinderherde herausgerissen kommt Saul zu diesem Amt, wie die Jungfrau zu Kinde.

Zuerst agiert er durchaus erfolgreich, die militärischen Erfolge sind augenscheinlich. Aber er weist offenbar nicht die gleiche, kaltblütige und grausame Lust zum Morden auf wie die „Könige“ der Nachbarn. Erste Kritiker kommen aus ihren Löchern, Samuel ist einer von ihnen.

In unserem Text bekommen wir eine Ahnung davon, WARUM das so ist:
„König“ Saul ist zwar stark und schön und überragt die Menschen um ihn herum um Haupteslänge. Doch seine Psyche ist angeschlagen, sie ist all dem Blutvergießen nicht gewachsen. Wem das Wort Psyche dabei zu sperrig oder zu wissenschaftlich ist: Man kann auch Seele, Gemüt, Gefühlsleben oder Herz sagen.

Für den Verfasser unseres Teiles des Samuelbuches wird dadurch deutlich: Ein anderer König muss her. Das deutet sich schon vor unserem Text an, und später wird dann klar: David wird der neue.

Und jetzt wird für mich auch deutlich, wer da schreibt:
Einer, der Königsgeschichte aufschreiben will.
Einer, der ein Fan des großen David ist, und trotzdem seinen Respekt für den Vorgänger Saul nicht verliert. Er ist eine Art Historiker, kein Theologe, wie es die meisten Verfasser der Mosebücher oder gar ein Paulus waren.

Wohl aber ist er ein frommer Mann: Er stellt die Gottesfrage nicht. Sie ist für ihn entschieden. Gott IST, er ist allmächtig und einziger Herrscher der Welt. Er hat alles Geschaffene in seiner Hand, was er will, geschieht.

Sein Fazit: Ist ein König erfolgreich, ist der Geist des Herrn auf ihm. Verlässt ihn der Erfolg, hat ihn auch der Geist Gottes verlassen. Weil aber alles von Gott gewollt ist, was da ist, muss auch die angeschlagene Psyche des Saul gottgewollt sein. Also hat Gott offenbar noch einen Geist: Nach dem „guten“, der alles durchdringt, einen „bösen“, der die Störung bringt.

Wie: Hat Gott zwei Geister? Oder nur einen? Oder sieben, wie in der Offenbarung des Johannes zu lesen ist? Woher soll der Verfasser das wissen? Und woher kann ICH das wissen?

Theoretisch kann der unendliche Gott auch unendlich viele Geister haben oder beherrschen oder kennen. Für den Verfasser ist das VÖLLIG unerheblich: Denn für ihn ist die Gottesfrage ENTSCHIEDEN. Nachfragen erschüttern ihn nicht.

Das ist so ähnlich, wie es mir in manchen Gemeindenachmittagen passiert, bei denen ich sinngemäß zu hören bekomme:
Wieso, wieso?!
Das GLAUBE ich eben, das war schon immer so, warum muss ich da WIESO fragen und sogar noch eine ANTWORT auf diese Frage geben?

Und das Folgende meine ich von Herzen ernst: In dieser Konsequenz ist RICHTIG, dass die Lanzer mit einem „Gott mit uns“ auf dem Koppelschloss in den Krieg zogen.
Denn wer außer Gott hätte sie denn jetzt noch retten können:
Im Leben und im Sterben?

Wir lesen hier im Samuelbuch eine Erzählung, keinen theologisch nachdenklichen Text. Das ist für mich die Feststellung, an der ich nicht vorbei komme, und die den ersten Vers entscheidend entschärft. Für den Verfasser geht es in diesem Vers nicht um das WARUM, es geht einfach um die Feststellung, DASS.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Wozu sollte man aber nun heute über diesen Text nachdenken? Nicht irgendwo: In einem Gottesdienst! In DIESEM Gottesdienst. Wie kann er uns nützlich sein, wobei kann er helfen, wenn es hier doch um unser Verhältnis zu Gott geht??

Zuerst: Die Trennung von Menschenwort und Gotteswort – warum die beim Bibellesen so wesentlich ist und geübt werden muss, ist gerade an dieser Geschichte deutlich. Ich bin gleich am ersten Vers hängen geblieben, nur weil ich aus der Feststellung eines DASS die Frage nach dem WARUM gemacht habe.
MEINE Frage nach dem Warum.

Aber dem Verfasser geht es um GESCHICHTE, und die hat von ihrem Wesen etwas mit dieser MENSCHEN-Welt zu tun und eben NICHT mit der Gottesfrage. Da hat es keinen Zweck, wenn der lebende Theologe beim längst gestorbenen Geschichtsschreiber mit dem Zeigefinger nachbohrt. Hier ist die Antwort also nicht zu finden.

Eine Antwort kann ich aber denn doch IN der Geschichte finden, die er erzählt. Denn sie ist eine Geschichte von menschlicher Tragik und einem unbegreiflichen Wunder. Sie ist für mich ein Blick auf diese Welt, wie sie wirklich ist: Voller menschlicher Tragik und göttlicher Wunder.

Menschliche Tragik:
Der, der sich hat hinter seinen Rindern wegzerren und vor die Krieger Israels schieben ließ, ist psychisch krank. Der, der sein Volk durch die Schlachten und das Schlachten führte, erntet jetzt scheele Blicke und offene Kritik.

Göttliches Wunder:
Diese Welt hält Linderung bereit – hier ist es die Musik.
Hier ist es nicht wichtig, dass David sie spielen kann. Dass ist nur Zeitvertreib, eine schöne Abwechslung. Wichtig ist, dass die MUSIK es ist, die Saul hilft. „So erquickte SICH Saul, und es ward besser mit ihm, und der böse Geist wich von ihm.“ (V 23b) DAS ist das Wunder, das macht die dunkle Welt heller, und niemand kann wirklich begreifen, WARUM.

Dass Menschen von der Musik verändert wurden und werden, gehört für mich zu einem der großen Wunder dieses Lebens. Ich kann nicht erklären, warum so viele Leute, die sonst nicht einmal unter der Dusche zu singen wagen, in der unendlichen Weite eines Fußballstadions zu stimmlicher Hochform auflaufen: Nie mehr zweite Liga…
Ich kann auch nicht erklären, warum die Mauern von Jericho einstürzten, nur weil die Israeliten sie mit ihren Posaunen umkreisten. Jedenfalls nicht schlüssig erklären.

Ich habe gelesen, dass der Dudelsack wahrscheinlich das einzige Musikinstrument ist, dass jemals als Waffe verboten wurde: Nach der Unterwerfung Schottlands verboten die Engländer nicht nur die gälische Sprache, den Kilt und das schottische Breitschwert, sondern eben auch den Dudelsack, ohne den kein Klan jemals in den Krieg gezogen war. Gibt es eine schlüssige Erklärung, vor einem Dudelsack solche Angst zu haben, dass man ihn verbieten muss?

Kantate erinnert mich heute daran, dass gegen alle menschliche Tragik Gottes Wunder diese Welt füllen.
Sie machen sie schön, vertreiben Dunkelheit, machen sie liebens- und lebenswert. Auch wenn menschliche Tragik mich gefangen nimmt: Gottes Welt-Wunder halten dagegen, auch wenn ich lieber nach dem WARUM frage.

Die Musik ist ganz ohne Zweifel eines davon. Und sie ist eines der großen – ich kenne wirklich niemanden, dem Musik nicht immer oder zumindest immer wieder einmal Kraft, Lust und Freude gegeben hätte. Sogar von gehörlosen Menschen hört man, dass sie Musik mögen – zumindest, wenn sie laut ist (Grönemeyer).

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
rufen: Singet dem Herrn eine neues Lied: Ja, er tut Wunder.
AMEN

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