Heiß. Kalt. (Offb 3 14-22)

Jochen Klepper

Ohne Gott bin ich ein Fisch am Strand,
ohne Gott ein Tropfen in der Glut.
Ohne Gott bin ich ein Gras im Sand
und ein Vogel, dessen Schwinge ruht.
Wenn mich Gott bei meinem Namen ruft,
bin ich Wasser, Feuer, Erde, Luft.

Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer.
Sacharja 9,9
***
Offb 3, 14-22 – der Predigttext für heute.

14 Und dem Engel der Gemeinde in Laodizea schreibe: Das sagt, der Amen heißt, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes:
15 Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach dass du kalt oder warm wärest!
16 Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.
17 Du sprichst: Ich bin reich und habe mehr als genug und brauche nichts!, und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloß.
18 Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das im Feuer geläutert ist, damit du reich werdest, und weiße Kleider, damit du sie anziehst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, deine Augen zu salben, damit du sehen mögest.
19 Welche ich lieb habe, die weise ich zurecht und züchtige ich. So sei nun eifrig und tue Buße!
20 Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.
21 Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden habe und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron.
22 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Lasst uns beten:
Einst bist du gekommen, Christus, unser Heiland.
Einst wirst du wiederkommen.
Sei auch heute wieder unter uns,
damit wir erwartungsvoll und getrost
deiner Zukunft entgegengehen.
Dir vertrauen wir heute und alle Tage. AMEN

Wenn Vater kochte, und das tat er oft und gern, konnte er eines überhaupt nicht ertragen: Wenn er das Essen heiß auf den Tisch brachte und seine Familie den Beginn der Mahlzeit herauszögerte. Wenn er „Essen!“ rief, hatte man fertig zu sein. Toilettengang erledigt, Hände gewaschen, Haare gekämmt und auf kürzestem Weg zum Esstisch.

Wenn das nicht schnell genug ging, konnte es passieren, dass er mit dem Tischgebet begann, obwohl noch gar nicht alle saßen. Dann wussten alle: Vater war sauer. Das Essen stand in Gefahr, lau zu werden. Dafür hatte er nicht in der Küche stehen wollen.

Johannes über die Gemeinde in Laodizea:
„Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.“

Lauwarmes Essen – wer mag das schon? Heiß oder Kalt – so soll es sein.
Aber lauwarm? Lauwarmes Wasser, möglichst gut abgestanden:
Beliebtes Brechmittel in der Antike.

Die Menschen in Laodizea waren reich. So reich, dass sie es sich leisten konnten, sich nach einem verheerenden Erdbeben – wahrscheinlich im Jahre 61 – zu weigern, kaiserliche Wiederaufbauhilfe zu akzeptieren.

Diese Weigerung macht mir die in Laodizea beinahe sympathisch. Würden sich die reichen Europäer heute denn weigern, jedwelche Hilfen aus Brüssel in Anspruch zu nehmen?

In dieser reichen Stadt hatte die Christengemeinde ihren festen Platz.
Sie hatten ihren Teil an der Macht. Natürlich: Glieder der Gemeinde bleiben Bürger der Stadt. Christen sind schließlich keine Aussteiger.

Aber ganz offenbar vergaßen sie mit der Zeit, ihre Befreiung durch Christus
in ein freies Leben zu überführen. Ihr Reichtum wurde ihnen wieder heilig,
ihre Kleider wurden nie alt, ihr Blick reichte nicht mehr bis zum Horizont Gottes, sondern nur noch bis zur Stadtmauer.

Es war übrigens das gleiche Erdbeben, das die Nachbarstadt Kollossä in Schutt und Asche legte. Die Stadt, an deren Christengemeinde Paulus einst den Kolosserbrief geschrieben hatte. Dass diese Nachbargemeinde Wiederaufbauhilfe aus Laodizea erhielt, ist nun allerdings nicht überliefert.

„Du sprichst: Ich bin reich und habe genug und brauche nichts!“
Und bist im selben Augenblick zu nichts mehr zu gebrauchen. Arm, blind und bloß. Nicht heiß, nicht kalt, sondern abgestanden und lau. Niemandem eine Hilfe, niemandem eine Last, niemandem ein Ärgernis. Zum Ausspeien.
Wir Randberliner hätten durchaus eine drastischere Vokabel.

Doch sind wir heute „besser“?
Unsere Gesellschaft in Deutschland könnte noch reicher sein. Es soll jedenfalls Länder geben, die reicher sind als wir. Die die Ölpreis-, Strom- oder Gaskrise einfacher wegstecken. Deutschland sollte BESSER wachsen. Doch das Gegenteil droht gerade und lässt viele Deutsche depressiv werden. Damit man in der Depression die Richtung nicht verliert, redet man von Minus- Wachstum. So bleibt wenigstens die Richtung klar.

In Gemeinschaft mit den anderen reichen Ländern haben wir gelernt: Teilen rechnet sich sogar. Behält man nämlich alles für sich, stehen die anderen irgendwann vor der Tür und begehren Einlass. Das wird noch teurer als ein paar Prozente Entwicklungshilfe für die „dritte Welt“. Und es gibt doch nur eine.

Außerdem sind wir Deutsche ein friedliches Volk. So richtig zwar erst seit 1945, und ein wenig erzwungen war das Kriegsende schon. Aber im Frieden wächst eine Wirtschaft eben doch schneller als im Krieg, allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz – ein Blick in die Ukraine beweist das.

Darum würden wir Deutsche unsere Soldaten eigentlich lieber in ihren Kasernen lassen als sie in den Krisengebieten dieser Welt zu verteilen. Aber wenn es denn nun schon sein muss in der Solidarität der Reichen:

Mit ihrem Geld muss die Bundeswehr schon auskommen, mehr kosten als vorher soll es nicht. Also müssen immer weniger Soldaten immer mehr Einsatzlasten schultern. Aber das ist ja wie überall: Immer weniger haben immer mehr zu tun.

Zivile Wiederaufbauhilfe – ja, das wäre vielen lieber. Aber der Etat des Entwicklungshilfeministeriums darf auch nicht größer werden. Hier im Land ist schließlich auch genug zu tun. Schließlich müssen die Flüchtlinge bei uns auch wohnen und versorgt werden. Und Arbeitslose haben wir ja auch noch. Sogar Bürgergeldempfänger.

In dieser Gemengelage haben sich die Kirchen ziemlich gut eingerichtet. Natürlich: Glieder der Gemeinde bleiben Bürger des Landes. Christen sind keine Aussteiger, sondern nehmen an den Diskussionen der Gesellschaft teil.

Aber in aller Ausgewogenheit, versteht sich: Nicht zu heiß, nicht zu kalt. Damit sie als Gesprächspartner interessant bleiben. Auch in der Militärseelsorge. Für viele von uns ist Ausgewogenheit zu einem Markenzeichen der Gerechtigkeit geworden: Gerecht kann nur sein, wer jedem seine Entscheidung überlässt und sich nicht vorschnell auf irgendeiner Seite aufstellt. Wer zu schnell aus der Deckung geht…
Aber das ist ja auch schon wieder ein militärisches Bild.

Kann man als Christ Soldat sein? Eigentlich eher nicht: Du sollst nicht töten, das steht doch schon in den zehn Geboten. Warum halten sich bloß nicht alle daran? Sollte man als Christ in die Entwicklungshilfe gehen? Eigentlich ja: Aber die fängt doch schon hier an, hier, mitten unter uns. Nicht vor unserer eigenen Haustür, sondern schon IM eigenen Haus.

Um Missstände oder Unordnung zu beseitigen muss man nicht einmal die Hausschuhe ausziehen. Seht die vielen Arbeitslosen! Hört die wenigen Kinderstimmen! Sogar Obdachlose! Wozu da noch nach Mali?

Gerade wir Evangelische sind doch stolz auf uns: Haben wir doch in der Reformationszeit die Freiheit eines Christenmenschen entdecken lassen und es geschafft, sie bis in unser Grundgesetz zu transportieren. Dass einige seit der Aufklärung damit auch die Freiheit vom dreieinen Gott meinen, ist ein freiheitlicher Schönheitsfehler, den man ja erklären kann.

Wir sind reich und brauchen nichts! Auch keine Adventszeit als Bußzeit! Das ist ja so unfröhlich. Viele haben gar nicht recht bemerkt, dass der Bußtag am Mittwoch vor Ewigkeitssonntag als gesetzlicher Feiertag abhanden kam. Bußtag ist ja auch nicht so wichtig wie Weihnachten. Was hat eigentlich die Sachsen geritten, ihn zu behalten?

Unter dem Vorwand theologischer Ausgewogenheit ersparen sich viele die eigene Positionierung. Ja: Ausgewogenheit wird selbst zur Position, in der man die Hausschuhe anbehalten kann.
Wann waren wir zuletzt heiß? In der Reformation? Oder kalt? Beim Nein zur Wehrerziehung in der sozialistischen Schule? Wann war das doch gleich?

Klopfzeichen! Ich höre Klopfzeichen! 1963 ruft das einer der suchenden Bergleute in Lengede. Zehn Tage nach einem verheerenden Grubenunglück bei einer fast aussichtslosen Rettungsbohrung. In 55 m Tiefe hämmern eingeschlossene Kumpel an den Rettungsbohrer: Es gibt Leben – auch da, wo der Tod schon verkündet war.

„Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.”

Ich weiß: Vergleiche hinken immer, irgendwo. Hier klopfen nicht die Verlorenen, sondern der, der retten kann. Aber selbst dieses Bild in der Offenbarung hinkt ja schon: Klopft doch Gott an eine verschlossene Tür, der als der Auferstandene Christus durch verschlossene Türen hindurch geht!

Tatsache aber ist – und bleibt: Gott wird Mensch in Christus. Kommt als Mensch zu den Menschen. Bringt Menschen die Rettung. Die Last der Schuld, die Menschen lauwarm macht, trägt er auf dem eigenen Kreuz.
Weil Menschen nicht mehr weiter kommen mit der Ungerechtigkeit der Welt, lässt GOTT seine Stimme hören:

“Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das im Feuer geläutert ist, damit du reich werdest, und weiße Kleider (Taufkleider!) , damit du sie anziehst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, deine Augen zu salben, damit du vor lauter Ausgewogenheit sehen mögest… So sei nun eifrig und tue Buße!”

Buße öffnet die Augen: Was mache ich falsch? Advent öffnet die Herzen:
Von wem kann ich Hilfe erwarten? Buße tun und Advent feiern schafft Klarheit im Leben, wie Weihnachten gefeiert werden muss. Weihnachten im Jahr 2023 nach Christi Geburt.

Chili con carne isst man heiß, Eis zum Nachtisch kalt. Können nun heiß und kalt in einer Gemeinde zusammenleben, ohne lau zu werden? Gemeinschaft pflegen? Gott die Ehre geben?

In Kabul traf ich 2005 im letzten Monat meines Einsatzes mit der Bundeswehr völlig überraschend einen alten Bekannten: Einen Kirchenältesten aus Morgenitz auf der Insel Usedom. Erst dachte ich im Verpflegungszelt beim lauen Mittagessen, ich hätte mich versehen, aber er war es wirklich. Wir umarmten uns. Er in lockerer Alltagskleidung, ich in Flecktarn.

Er arbeitete beim Deutschen Entwicklungsdienst und bildete Afghanen für die Wartung und Reparatur großer Elektro-Turbinen aus. Er konnte es nicht mehr aushalten zuhause. Seiner Familie fiel es schwer, ihn ziehen zu lassen.

Nun saßen er als Entwicklungshelfer und einige Soldaten beim Essen. Im Camp der Soldaten. Sie wissen – und sprechen es aus: Wir brauchen einander. Er sagt: Ohne euch wäre meine Arbeit hier nicht möglich. Sie sagen: Ohne dich wäre unser Auftrag hier nur die Hälfte wert. Er sagt: Zuhause versteht es kaum einer, dass ich für ein ganzes Jahr meine Familie mit ihren Problemen allein lasse, um den Leuten hier bei ihren Problemen zur Seite zu sein. Sie sagen: Uns geht es genauso.

Und gemeinsam treffen wir uns am folgenden Sonntag im Gottesdienst. Den hält mein katholischer Kollege, der Bendiktinerpater Andreas. Und wir feiern das Abendmahl. Ohne Unterschied im Auftrag – ohne Unterschied in der Konfession.

Wirklich reich sein: Jesus ins Leben lassen. Position beziehen. Liebe geben. Liebe schützen.
Buße tun: Die Gemeinschaft von Heiß und Kalt pflegen und das Leben in einer Welt voller Ungerechtigkeit feiern.

Denn die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

klopfen an und ändern alles. Auch uns. AMEN

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