Haben, als hätte man nicht (Luk 12 16-21)

Unseren Gottesdienst zum Nachhören finden Sie für vierzehn Tage hier.

Leben
kaufen oder erschaffen
wir könnten es nicht
und lebensWERT ist es nicht,
weil wir das LEISTEN würden

Leben ist Geschenk
GOTT SCHENKT Leben
jeder
und allem
EINmal ganz am Anfang
und NEU an jedem Tag
uns bleibt als Antwort
der Dank

Aller Augen warten auf dich,
und du gibst ihnen ihre Speise
zur rechten Zeit.
Psalm 145,15
***

Das Gleichnis vom reichen Kornbauern aus Lukas 12 ab Vers 15 ist heute Predigttext. Das kennt ihr alle, manche sicher auswendig, so dass ich es gar nicht mehr vorlesen muss.

Schließlich ist es seit der Eisenacher Perikopenordnung von 1896, also seit 121 Jahren, überall in der evangelischen Kirche unseres Landes Evangelienlesung am Erntedanktag. Auch unsere Eltern, Großeltern und Urgroßeltern haben das also am Erntedanktag in den Gottesdiensten zu hören bekommen

Halt, lieber Malte – Kopfrechnen ist wohl nicht deine Stärke! 1896 – das ist doch schon 127 Jahre her!

Jaja, das stimmt natürlich. Aber seitdem wir eine neue Perikopenordnung haben, also seit dem 1. Advent 2018, ist der reiche Kornbauer eben KEINE Evangelienlesung mehr, sondern „nur“ noch einer von sechs Predigttexten. Nun kommt diese Beispielerzählung nach Lukas nur noch alle sechs Jahre im Erntedankgottesdienst vor.

Warum hat man das verändert? Darüber habe ich mir lange den Kopf zerbrochen und ich denke inzwischen: Weil Jesus HEUTE diese Geschichte sehr wahrscheinlich ganz anders erzählt hätte. Denn unsere Welt hat sich sehr verändert, gerade was die Landwirtschaft betrifft.

Da ist zum einen zu bemerken, dass es zu Jesu Zeiten noch gar nicht so lange her war, dass aus den nomadisch lebenden Israeliten vorwiegend sesshafte Menschen geworden waren. Und wir wissen aus der Weihnachtsgeschichte, dass die immer noch nomadisch lebenden Hirten keinen besonders guten Stand in der Gesellschaft damals hatten.

Sesshaft lebende Menschen in Dörfern und Städten standen deutlich höher im gesellschaftlichen Ansehen. Also auch die Landwirte, die Oliven, Wein, Gemüse oder Getreide anbauten. SESSHAFT wollte man sein, nicht immerzu auf der Suche nach neuen Weideflächen für umherziehende Herden von Tieren. Von sesshafter Landwirtschaft lebten darum auch die meisten Menschen damals, und das ist ganz anders als das Leben auf dem Land heute.

Diese Entwicklung verlief für uns rasant, sie ist relativ jung. Wenn ich es richtig sehe, lebten kurz nach Ende des zweiten Weltkrieges fast alle Menschen hier in Hohenbruch irgendwie von der Landwirtschaft, die meisten direkt, einige Handwerker indirekt.

Ganze Familien konnte ein Bauernhof ernähren. Und wenn er größer war, dazu noch weitere Frauen und Männer und deren Familien. Heute dagegen leben nur noch verhältnismäßig wenige Menschen in unserem Dorf von dem, was Tiere, Getreide, Kartoffeln oder Obst und Gemüseanbau so einbringen können.

So ist es für die meisten unter uns wohl kaum noch nachvollziehbar, dass viele der reichsten Menschen zu Zeiten Jesu Landwirte waren, die Getreide anbauten. Hatte man fruchtbare Flächen, auf denen man Getreide anbauen konnte, konnte man auch „gutes Geld machen“. Denn während die Absatzchancen für Wein und Olivenöl beschränkt blieben, gab es nach Getreide eine stete große Nachfrage. Damit war der Getreideanbau der einträglichste Zweig der Landwirtschaft.

Das Getreide wurde von den Bauern in die Städte gebracht und auf dem Markt verkauft. In den Bäckereien wurde das Getreide gemahlen, das Mehl entweder zu einem Getreidebrei oder dunklen Brot verarbeitet. Und was übrig blieb, wurde über den Land- oder Seeweg exportiert. Nicht nur Rom, sondern fast alle großen Städte im römischen Reich waren ständig auf Getreideeinfuhren angewiesen.

Hier und heute aber sind Landwirte nicht nur eine deutlich seltenere, sondern oft sogar in ihrer Existenz bedrohte Menschengruppe. Nicht wenige arbeiten nur noch nebenberuflich in der Landwirtschaft und müssen sich einen anderen Hauptberuf suchen, um überleben zu können.

Sicher, manche Landwirte leben noch sehr gut von ihrem Einkommen, vor allem wohl die, die von der Bioenergiewirtschaft leben. Doch davon werden wir Menschen eben nicht satt, also kann das nicht jeder machen.

Dass Getreidebauern zu Zeiten Jesu zu den Mächtigen im Lande gehörten, kann man sich heute kaum noch vorstellen. Doch Getreideanbau gehörte im römischen Reich nicht nur zu den einträglichsten, sondern auch sensibelsten Wirtschaftsbereichen.

Missernten oder die künstliche Verknappung konnten die Preise für Getreide sehr hoch steigen lassen. In Sprüche 11,26 kann man lesen, wie das damals schon funktionierte: „Wer Korn zurückhält, dem fluchen die Leute; aber Segen kommt über den, der es verkauft.“ Ein erschwingliches Angebot an Getreide war schon immer eine Frage von Leben oder Tod. Jede Verknappung ging zwangsläufig zu Lasten gerade der Armen. Aber dass ein Landwirt, der Getreide anbaut, ALLEIN für solche Verknappung vor Ort sorgen kann – das ist heute nicht mehr vorstellbar.

Dazu kommt noch, dass ich weiß, dass nicht wenige sich über diese Erzählung ärgern. Es kann einen schon vor den Kopf stoßen, das wirtschaftliches Denken und gewissenhaftes Planen hier in dieser Erzählung schlecht wegzukommen scheinen.

Doch darum geht es Jesus nicht, und darum glaube ich auch nicht, dass Jesus heute gerade einen Landwirt als Beispiel ausgewählt hätte. Vielleicht hätte er es eher so erzählt:

„Hütet euch vor allen Formen von Habgier und Egoismus!
Seht euch zum Beispiel diesen Millionär an: Der hatte SEIN Geld clever investiert und einen dicken Coup gelandet. So hatte er gleich mehrere Milliarden dazugewonnen. Da fragte er sich: Was soll ich jetzt am besten mit MEINEM Geld anfangen? Und nachdem er eine Weile gegrübelt hatte, kam ihm eine Idee:
Ich werde das nicht auch noch auf die Bank bringen. Dass man da ordentlich Zinsen bekommt, ist ja nicht sicher.
Ich kaufe MIR besser Minen, in denen Neodym, Dysprosium oder Terbium abgebaut werden. Ohne die kann man nämlich keine Motoren für Elektroautos herstellen. So kann ich MEIN Geld für die nächsten Jahrzehnte sicherer als auf jeder Bank für mich arbeiten lassen.
Dann kann ICH mich ganz zur Ruhe setzen und sagen:
Jetzt hast du Ruhe, liebe Seele: Iss und trink und genieße das Leben, denn jetzt kann ICH mir immer alles leisten, wonach MIR der Sinn steht.
ICH kann mir eine große Super-Yacht bauen lassen, nach der sich alle Welt umdrehen wird, durch die Adria fahren und Partys feiern, wo viel ich will. ICH kann mir schöne Frauen und allen Luxus leisten, nach dem mir der Sinn steht und werde immer noch mehr Geld als genug übrig haben.
Doch Gott der Herr sprach zu ihm: DU – bist ein Narr. Noch in dieser Nacht wirst du sterben, dann hat deine Seele für IMMER Ruhe. Und was hat DIR all das dann genutzt? Und was wird aus all dem werden, was du angehäuft hast?
Ich sage euch: Wenn ihr schon Schätze sammeln wollt, sammelt euch Schätze bei Gott. Und wenn ihr gut darüber nachdenkt, fällt euch auch ein, was für Schätze das sind: Habe ich sie euch nicht alle gezeigt?“

Jesus geht es nicht darum zu sagen:
Reiche sind grundsätzlich schlechte Menschen.
Er sagt auch nicht: Arme sind die besseren Menschen.
Es geht vielmehr um das Verhältnis, das Menschen zum Besitz haben. Dieses Verhältnis kann nämlich dazu führen, dass das Leben für andere Menschen zur Hölle wird. Das aber kann Gott nicht wollen, der doch seine Schöpfung und seine Geschöpfe liebt und den Menschen zu seinem Gegenüber machte.

Dieser Reiche denkt nur, er denkt AUSSCHLIEßLICH an sich selbst. Keinen einzigen Gedanken verschwendet er auf das Wohlergehen anderer Menschen oder gar die Bewahrung dieser Erde. Auch der Reiche im Lukasevangelium denkt so. Sein Verhalten bedroht direkt das Überleben anderer Menschen, es beeinflusst den Arbeitsmarkt und den Getreidehandel in einer vor allem FÜR IHN einträglichen Weise. Hierin liegt das Problem seiner Habgier – er bereichert sich auf Kosten anderer.

Was hat das nun mit dem Thema dieses Erntedanktages zu tun?
Luk 12 ist sowohl Jüngern wie Sympathisanten gewidmet. An der Person Jesu vollzieht sich die Scheidung der Geister. Es geht um das Verhältnis zu dem, der auf dem Weg nach Jerusalem ist. Damit geht es um die Frage, welchen Weg man selbst nun einschlagen will.

Das Thema des Erntedanktages rückt nun den Dank in den Mittelpunkt und fragt damit: WIE besitzt du, was du besitzt? und warnt vor dem Irrtum, zu vergessen, das man das, was dieses LEBEN liebenswert macht, nie in der eigenen Hand hat.

Das beginnt gleich mit der ersten Feststellung: Der hatte SEIN Geld clever investiert. Oder: SEIN Land hatte gut getragen. Der Reiche hat vergessen, dass es ihm nicht gehört, wovon er lebt. Indem er Land geerbt oder gekauft hat, hat er die Verantwortung dafür übernommen, er kann es bewirtschaften. Er kann es weder in Luft auflösen noch kann er es vermehren.

Er ist nicht tatsächlich BESITZER, er ist VERWALTER. Er NIMMT von Gottes Erde und muss es am Ende seines Lebens wieder ABGEBEN. Dasselbe gilt für den Milliardär: Am Ende muss er alles wieder abgegeben, was er im Leben genommen hat. Also: Denke daran und verwalte alles so, dass du im Auge behältst, wem all das wirklich gehört: Dem, der Himmel und Erde gemacht hat.

Daran erinnert uns die Bibel immer neu: „Wenn du gegessen hast und satt bist, sollst du den HERRN, deinen Gott, loben für das gute Land, das er dir gegeben hat. So hüte dich nun davor, den HERRN, deinen Gott, zu vergessen“ – so hörten wir aus 5. Mose 8 (10f). Und in der Folge: „Wer Geld liebt, wird vom Geld niemals satt, und wer Reichtum liebt, wird keinen Nutzen davon haben“ (Pred 5,9).

Das NICHT zu beachten, indem man vergisst, dass man VERWALTET, nicht BESITZT – selbst wenn Juristen das formal anders beschreiben – bringt einen in eine unmenschliche Position.

Davor warnt Jesus: Nicht nur, dass andere Menschen dann eine kleine Rolle spielen als man selbst – mit welchem Recht eigentlich? Sondern auch, dass man SICH SELBST überfordert, und zwar DAUERHAFT. Denn der Landwirt hat Fruchtbarkeit, günstige Witterung und unfallfreie gelingende Ernte ebenso wenig in der Hand wie der Milliardär die Mechanismen des Marktes.

Daran erinnern Naturkatastrophen oder Börsencrashs oder eben, wie Jesus hier erinnert, die bloße Existenz des Todes, den wir alle sterben müssen. Darum: All diese Maßstäbe von Arm und Reich, von Erfolg und Misserfolg, von Stark und Schwach sind Maßstäbe der MENSCHEN. Vor Gott gelten sie nicht.

Wer Jesus hier folgt, wird damit frei. Frei von einem menschengemachten Leistungsdruck, der immer mehr will, als zum ÜBERLEBEN und einem guten MITEINANDERLEBEN nötig ist.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Erntedank bewahrt uns vor dem Fall, davor die „Seligkeit“ zu verspielen, indem es uns erinnert, dass wir besitzen, als besäßen wir nicht. Denn wirklich SCHAFFEN – das kann nur Gott allein, das konnte und kann kein Mensch.

Es ist uns möglich, unser Herz nicht an Besitztümer zu hängen, sondern gute, menschliche VERWALTER all dessen zu sein, was Gott uns anvertraut hat und gerade so alle Angst vor materiellem Verlust zu verlieren.

Es ist uns sogar möglich, die Angst vor dem Verlust des Lebens zu verlieren, indem wir auch das Leben nicht als BESITZ, sondern LEIHGABE betrachten.

Wer Jesus hier folgt, wird sich eben nicht die Ewigkeit im Bau von Scheunen oder den Erwerb von Minen erhoffen, egal ob das wirtschaftlich angesagt ist oder nicht, sondern vielmehr den Tod und die Endlichkeit allen Lebens in sein Denken UND Fühlen integrieren.

Damit kann der dankbar gelebte Augenblick ein einmaliger und unwiederbringlicher Moment der Ewigkeit werden. Damit wird jeder Moment, den wir auf dieser Erde haben, schon JETZT und heute ein Moment der ewigen Gnade Gottes.

Gott meint dich, Gott liebt dich, Gott erhält dich. Durch jeden Tag des Lebens, durch jeden Tod. Das ist das Ende von Egoismus und Habsucht, das ist der Anfang zur Liebe gegenüber Gott und dem Nächsten.

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sind die größten Geschenke des Lebens.
Wir können in unserem ganzen Leben nichts besseres tun,
als sie zu teilen. Und Gott dafür zu danken. AMEN

 

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