Das doppelte Wunder (1 Mose 15 1-6)

Den kompletten Gottesdienst zum Nachhören finden Sie für vierzehn Tage hier.

Das Leben
es wächst hinaus
über die Köpfe der Lebendigen
Tage um Nächte
es raubt Gelassenheit
nimmt innere Ruhe
oft auch Gesundheit und Schlaf
sie werden immer neu
die Stunden
in Sorge
gar in Angst

Doch wir dürfen hören:
Alle eure Sorgen werft auf ihn;
denn er sorgt für euch.
Wochenspruch, 1 Petrus 5,7
***
Unseren Predigttext für heute aus 1. Mose 15 lese ich in der Übersetzung der Guten Nachricht:

Einige Zeit danach erging das Wort des HERRN an Abram, und er empfing eine Offenbarung. Der HERR sagte zu ihm: »Hab keine Angst, Abram, ich bin dein Schutz! Du sollst reich belohnt werden.«
2/3 »Herr, mein Gott«, erwiderte Abram, »womit willst du mich denn belohnen? Ich sterbe ohne Kinder, und meinen Besitz erbt Eliëser aus Damaskus…Sieh doch, du hast mir keine Kinder gegeben, und mein eigener Sklave wird mich beerben!«
4 Da erging an Abram das Wort des HERRN: »Nein, nicht Eliëser wird dich beerben! Du wirst einen Sohn bekommen; der soll dein Erbe sein.«
5 Und der HERR führte Abram aus dem Zelt und sagte: »Sieh hinauf zu den Sternen am Himmel! Kannst du sie zählen? So unzählbar werden deine Nachkommen sein.«
6 Abram glaubte der Zusage des HERRN, und der HERR rechnete ihm dies als Beweis der Treue an.

Vorgestern hätte mein Vater Geburtstag gehabt. 88 Jahre alt wäre er geworden, aber er ist leider schon über drei Jahre tot.
Ohne ihn fühle ich mich seitdem irgendwie allein.

Dabei BIN ich es nicht, ich bin verheiratet, lebe in einer christlichen Gemeinschaft und inmitten von über 80 Millionen Menschen allein in Deutschland.

Überraschender Weise haben wir sogar eine Tochter. Überraschender Weise, denn wir haben die nur, weil der medizinische Fortschritt es uns möglich gemacht hat, überhaupt ein Kind zu bekommen. Wobei: Der medizinische Fortschritt? War es nicht am Ende eher Gottes Werk?

Dennoch fühle ich mich irgendwie allein ohne meinen Vater, er war der letzte meiner Eltern, meine Mutter starb knapp zwei Jahre vor ihm. Denn seit seinem Tod habe ich immer wieder das Gefühl, nun für alles ganz allein verantwortlich sein zu müssen. Ich kann meinen Vater nicht mehr nach seiner Meinung fragen, nicht mehr hören, was er zu erzählen hat, und er kocht auch nicht mehr dann und wann für mich zum Mittag.

Die Gespräche und die Gemeinschaft mit meinen Eltern fehlen mir. Familientreffen werden darum für mich wichtiger. Die Generation meiner Cousinen und Cousins ist schließlich in ähnlicher Lage, obwohl die anderen wenigstens noch EIN Elternteil haben – nur mein Bruder und ich sind inzwischen „Vollwaisen“.

Die Begegnungen und Gespräche beim Familientreffen erden mich. Wir reden dabei viel miteinander, auch über die, die schon gestorben sind, erinnern uns an deren Geburts- und Todestage. Und ich kann erleben, wie unterschiedlich die Spuren des Leben in meiner Familie sind und wie nahe wir uns dennoch bleiben.

Unterschiedlich sind die Spuren des Lebens auch, was Kinder betrifft.
Meine älteste Cousine, drei Jahre älter als ich, hat keine Kinder, meine jüngste Cousine, vier Jahre jünger als ich, ist schon Großmutter. Das wurde sie übrigens beim letzten Familientreffen vor zwei Wochen, punktgenau zum Geburtstag ihres schon verstorbenen Vaters.

Keine Kinder zu haben – ich hätte mich mit diesem Gedanken irgendwie abfinden können. Ich hatte gerade in meinen ersten Berufsjahren so viele Kinder um mich, dass ich eigene Kinder zunächst nicht schmerzlich vermisst hätte.

Der Kindergarten meiner Kirchengemeinde, Christenlehre, Konfirmandenunterricht – Kinder gab es die Fülle, und ein großer Teil meiner Arbeit hatte mit ihnen zu tun, da hatte ich vielleicht gar keine Zeit, um eigene Kinder zu vermissen.

Natürlich: Das eigene Kind ist wunderbar und das beste auf der ganzen Welt. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass Kinder auch die besseren Menschen sind: Einige von ihnen waren für mich keine Lust, sondern eher eine stete Herausforderung, ohne die mein Leben an manchem Tag deutlich angenehmer gewesen wäre.

Ich erzähle das alles, weil ich daran zweierlei deutlich machen will:

Dass unsere Vorfahren einander von ihren Vorfahren erzählt haben, um die Erinnerung an sie und damit an die eigene Herkunft lebendig zu halten, das kann ich gut verstehen. Mir geht es in meiner Familie ja ähnlich.

Und uns hier ja auch: Wir lesen in unserer Bibel die Geschichten über die Vorfahren des Volkes Israel – und denken über Wurzeln nach. Über unsere Wurzeln und die Wurzeln unserer Beziehung zu Gott.

Zweitens: Weniger leicht zu verstehen ist, was Gott überhaupt an Abram findet, der ihn hier regelrecht anmault, nur weil er keine eigene Kinder hat. Abram oder auch Abraham – je nach Bibelstelle – war schon eine sehr schillernde Persönlichkeit. Und die Geschichten, die sich die Israeliten von ihm erzählen, sind das auch.

Die einen erzählen zum Beispiel, dass Abrams Vater Terach mit Abraham und dessen Neffen Lot aus Ur in Chaldäa loszieht, um in Kanaan zu leben (11,31) ; andere erzählen, dass Abram selbst diese Initiative ergriffen haben soll (12,4).

Dann kommt es zu einer Hungersnot und Abram zieht nach Ägypten, um zu überleben. Dort hat er Angst um sein Leben und versteckt sich hinter seiner schönen Ehefrau: Er behauptet einfach, sie sei seine Schwester und sieht mit an, dass sie als Nebenfrau in das Haus des Pharao geholt wird.

Dafür bekommt er reiche Geschenke und nimmt sie auch an: „Schafe, Rinder, Esel, Knechte und Mägde, Eselinnen und Kamele“, liest man Kapitel 12 Vers 16. „Aber der HERR plagte den Pharao und sein Haus mit großen Plagen um Sarais, Abrams Frau, willen.“ (12,17). Als ob die Ägypter Schuld an der Lügerei Abrams und Sarais waren.

Diesen Schwester-Trick wendet Abram übrigens noch ein zweites Mal an, erzählt man sich. Doch nicht mehr in Ägypten, sondern Jahre später, bei König Abimelech von Gerar. Und wieder kommt es heraus, und wieder bekommt Abram Schafe und Rinder, Knechte und Mägde als Geschenk (20,14), nur Eselinnen und Kamele fehlen diesmal…

Doch zurück nach Ägypten: Auf diese Weise steinreich geworden und sogar eskortiert zogen Abram und Lot mit ihren Familien aus Ägypten fort, erzählt man sich. Auch, dass Gott sie bei kriegerischen Auseinandersetzungen mit den anderen Stämmen siegreich bewahrte. Und einen Bund mit Abram schloss, dass er Land und Nachkommen haben und zu einem großen Volk werden solle.

Unser Text nun beginnt mit einer Erscheinung: Gott erscheint Abram bei Nacht und sagt ihm noch einmal Schutz und reichen Lohn zu. Abram aber ist unzufrieden, weil er bereits alt ist und Sarai und er keine eigenen Kinder haben. Dabei ging es ihm doch gut, und es wäre doch nicht schlecht oder ungerecht gewesen, all sein Hab und Gut an seinen treuen Knecht Eliëser zu vererben.

Ja, eigene Kinder mögen damals viel wichtiger gewesen sein als heute, wo sich immer wieder Menschen BEWUSST GEGEN eigene Kinder entscheiden. Denn für die Menschen, die in den frühen Zeiten um Abram lebten, war der Überlebenskampf ungleich härter als für uns heute.

Außerdem war ihre Welt geradezu menschenleer.
Wissenschaftler sagen, zu Zeiten Abrams, also ungefähr zweitausend Jahre vor Christi Geburt habe die Zahl der Menschen auf der ganzen Erde bei ungefähr 200 MILLIONEN Menschen gelegen. Das waren – auf der gesamten Erde! – nur knapp drei mal so viele wie heute allein in Deutschland leben. Und wir sind heute auf dieser Welt bereits bei 8,12 MILLIARDEN Menschen angelangt… DARUM könnten Abram also die eigene Familie und die eigenen Kinder so viel wichtiger gewesen sein als mir heute.

Doch ist das ein Grund, undankbar zu schmollen? Es scheint doch um das Verhältnis zwischen Abram und Gott nicht zum Besten bestellt zu sein.

Abram murrt. Abram klagt. Der steinreiche Urahn bleibt ungläubig: Was willst du jetzt von mir? Lass mich doch in Ruhe. Du kannst mir doch sowieso nicht helfen. Das Ende meiner Geschichte ist doch klar (vgl. V. 2). Abram murrt, klagt und bleibt ungläubig. Erst nach einer erneuten Aufforderung Gottes geht er raus in die Nacht.

Er schaut auf, hört genauer hin, machte sich ein neues Bild von den Dingen – und zählt nach. Hat er sich vielleicht doch verrechnet? Gott verspricht ihm: Du wirst ein eigenes Kind haben, dass dein Erbe antritt. Du wirst wie viele Nachfahren haben wie Sterne am Himmel stehen. Und Luther übersetzt Vers 6 unmittelbar nach diesem Gottesversprechen: „Abram glaubte dem HERRN, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit.“

Doch selbst das ist nur der Glaube eines Moments. Wirklich trauen tun Sarai und Abram dieser Zusage Gottes nicht. Denn es wird weiter erzählt, dass Sarai Abram auffordert, mit der Magd Hagar einen Nachkommen zu zeugen (aus dieser Geschichte stammt auch unsere Jahreslosung).

Und später, dass beide den Kopf schütteln und lachen, als drei Boten Gottes kommen und den reichen, aber greisen Eltern noch einmal einen eigenen Sohn ankündigen. Sarai lacht die Boten sogar unüberhörbar aus.

Unsere Bibel verschweigt es nicht, sie lässt uns wissen: Mustergültig Fromme waren unsere Vorfahren im Glauben nun wirklich nicht. Trotzdem werden sie Gott kennen lernen. Kennen lernen als den, der seine Zusagen hält und Unmögliches möglich macht. Über 90 war Sarai, als sie ihren einzigen Sohn zur Welt brachte.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Der Schlussvers 6 unseres Textes ist in der Lutherbibel fett gedruckt: Abram glaubte dem HERRN, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit.

Und das, obwohl die Übersetzung unklar ist, wie die Gute Nachricht zurecht anmerkt. Man könnte das „er“ nach dem Komma nämlich auch auf Abram beziehen, dass hieße das:
Abram glaubte der Zusage des HERRN, und er (Abram) sah darin (in der Zusage) einen Beweis der Treue des HERRN.

Dass Luther sich gegen diese Übersetzung entscheidet, hat einen guten Grund: Auch die jüdischen und frühchristlichen Theologen haben sie so verstanden wie Luther. So hat beispielsweise Paulus im Römerbrief mehrfach auf diese Stelle verwiesen und sie eben so verstanden:
Abram glaubte dem HERRN, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit.

Und damit sind wir bei dem, was die Geschichte von Abram für die Wurzeln unseres Glaubens bedeutet. Das erste Mosebuch erzählt uns ein doppeltes großes Wunder:

Gegen alles menschliche Begreifen schafft Gott diese Welt aus dem Nichts- allein durch sein Wort.
Gegen alles menschliche Begreifen schafft Gott sein Volk aus einem kinderlosen greisen Paar – allein durch sein Wort. Und er hält ihnen, den zweifelnden, nörgelnden Untreuen die Treue.

Das ist die Wurzel des „sorgt euch nicht“, aus der der Wochenspruch aus dem ersten Petrusbrief (1 Pet 5,7) und die Evangelienlesung aus der Bergpredigt (Mt 6) wachsen.
Das ist die Wurzel UNSERES Glaubens.

Sarai und Abram lernen Gott als den kennen, der sie lebenslang begleitet hat, ohne ihre Freiheit zu beschneiden, ohne sie auf einen bestimmten Weg zu zwingen. Trotz ihres Unglaubens, trotz ihrer Undankbarkeit nimmt Gott ihre Sorgen ernst, und er vermag am Ende unendlich viel mehr, als der Mensch je begreifen kann.

DARAN verweist uns Jesus in der Bergpredigt, wenn er sagt: Sorgt euch nicht. Und wenn UNS das Leben wieder einmal über den Kopf wächst, können uns all die Menschen, die Gott kennengelernt haben, uns helfen, ihn selbst zu suchen und kennenzulernen. Wir werden entdecken, was es heißt:

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des heiligen Geistes SIND mit uns allen.

Jede Angst vor der Zukunft wird klein, weil GOTT für uns sorgt.
AMEN

Dieser Beitrag wurde unter Predigten abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.