Wie die Singvögel (Kol 3 16+17)

Vierter Sonntag nach Ostern:
Kantate
Unser Leben sei ein Lobgesang
auf die wunderbare Macht und Güte Gottes.
Denn:
Wenn einem so viel Schönes wird beschert-
das ist schon viele Lieder wert.
Lasst uns singen!
Kantate!

Zum Erkennen kommt Gefühl
zum Wort der Ton
zur Bewegung der Takt
aus dem Menschen kommt ein Lied
frei, ohne jede Hemmung, ja:

Gott schenkt uns diesen Tag
unsere Tage
alles Glück
das Heil

Singet dem HERRN ein neues Lied, denn
er tut Wunder.
(Ps 96,1)
***
Manch Zeitgenosse denkt oder sagt es gar laut, dass Fußballstadien oder Duschen die letzten Orte sind, wo Mensch ohne Scheu und Angst singt, was die Kehle hergibt.
Doch das ist, mit Verlaub, einfach Quatsch.

„Singen macht Spaß – doch das ist bei Weitem nicht alles, was Singen bewirken kann. Gunter Kreuz, Professor für Systematische Musikwissenschaft an der Universität Oldenburg, fand in seinen Studien mit Chorsängern beispielsweise heraus, dass sich diese nach dem Singen nicht nur subjektiv wohler und entspannter fühlten, sondern wies körperliche Effekte auch objektiv nach:

Das aktive Singen führte zu einer vermehrten Ausschüttung des Hormons Oxytocin, einer erhöhten Produktion von Immun-globulin A und einer Verminderung der Konzentration des Stresshormons Kortisol.“
Natürlich ist das nicht alles, was zum positiven Effekt des Singens zu sagen wäre. Noch lange nicht.

„Einen nachhaltig positiven Effekt über eine momentane Stimmungsaufhellung hinaus beobachtet auch Frank Otten, Chefarzt der Geriatrie am Gemeinschaftskrankenhaus Bonn. Das Krankenhaus wurde 2014 für sein besonderes musiktherapeutisches Angebot vom gleichnamigen Verein mit dem Titel „Singendes Krankenhaus“ ausgezeichnet.

Der Verein „Singende Krankenhäuser e.V.“ wurde 2009 auf Initiative des Musiktherapeuten Wolfgang Bossinger ins Leben gerufen und ist seither zu einem internationalen Netzwerk mit Partnern in Europa, Asien, Nord- und Südamerika, Südafrika und Kanada gewachsen.“ Sogar Krankenhäuser können also singen und tun das auch.

All das und noch sehr viel mehr Interessantes kann man lesen, wenn man über Musik und Gesang im Lexikon oder Internet nachliest. Ich finde auch sehr spannend, dass Kinder durch das Singen besser Sprache lernen, sowohl die eigene Muttersprache als auch Fremdsprachen.

Singen ist als Lebenshilfe also nicht zu unterschätzen. Genau genommen ahnt oder weiß man das schon lange. Der Wochenpsalm (Ps 98) spricht sogar von Musik als Mittel der Neuausrichtung des Lebens als Teil des „Gerichtes“ Gottes.

Und in der heutigen Schriftlesung aus dem 2. Buch der Chronik (Kap. 5) ist eindrücklich beschrieben, wie sehr die Musik bei der Einweihung des Tempels die Menschen in ihren Bann zog. Sie durchzog den Tempel wie eine Wolke und hinderte sogar die Priester daran, ihren Pflichten nachzukommen.
Ein wirklich eindrückliches Bild für die Macht der Musik.

Diese Macht nutzt man schon lange. Zum Beispiel in der Militärmusik. Festivals der Militärmusik bringen auch heute ganze Fußballstadien „in Wallung“, und ich kann mich noch sehr gut an wunderbare Momente erinnern, wenn beispielsweise ein Heeresmusikkorps öffentlich zum Elbwiesenfest in Wittenberg oder anderswo auftritt.

Gerade hier aber wird deutlich: Diese Macht missbraucht man auch schon lange. Viele Leute lieben ja „Kalendersprüche“, doch manch einer vergisst, die auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen, bevor man sie weiterverbreitet. Und schon hat man selbst das produziert, was heutzutage als „Fake-News“ in aller Munde ist.

Zum Beispiel habe ich gerade in dieser Woche mal wieder den alten Spruch: „Wo man singt, lass dich ruhig nieder. Böse Menschen haben keine Lieder.“ zu lesen bekommen. Angeblich passend zu Kantate. Aber das ist einfach nicht wahr. Mit Liedern auf den Lippen wurde und wird in Kriege gezogen und gemordet:

„Es zittern die morschen Knochen/ Der Welt vor dem roten Krieg/ Wir haben den Schrecken gebrochen/ Für uns war´s ein großer Sieg/ Wir werden weiter marschieren/ Wenn alles in Scherben fällt/ Und heute gehört uns Deutschland/ Und morgen die ganze Welt“

Oder aus der anderen politischen Ecke: „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit, Brüder das Sterben verlacht! Ewig der Sklavrei ein Ende, heilig die letzte Schlacht“. Was aber ist an Menschen, die bereit sind, Andere für ihre Überzeugungen zu schlachten oder sich selbst schlachten zu lassen, gut? Gibt es überhaupt irgendeine Idee, eine Überzeugung, eine Sache auf dieser Welt, für die es sich lohnen würde, dieses Leben zu verlachen und zu sterben?

Der Satz meiner Mutter fällt mir wieder einmal ein: „Kein Ding ist so schön, dass es nicht auch eine schlechte Seite hätte.“ Den hat sie im Bedarfsfall einfach umkehren können. Und er gilt heute auch für die Musik: Es gibt Musik zum Tode und Musik zum Leben.

Von letzterer heißt es im Predigttext für heute aus dem 3. Kapitel des Kolosserbriefes:

16 Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt GOTT (!)
dankbar in euren Herzen.
17 Und ALLES, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.

Paulus schreibt der Gemeinde in Kolossä: Es gibt eine Musik, die ganz sicher zum Leben gesungen ist. Denn es gibt Gottes-Musik.

Darum erinnert er: „Lasst das Wort CHRISTI reichlich unter euch wohnen“. Also: Lasst es bei euch nicht nur zu Besuch kommen, nicht nur eines neben anderen sein. Gebt ihm nicht nur das Gästebett. Lasst dieses Wort ganz und gar bei euch einziehen und gebt ihm einen dauerhaften Platz in eurem Leben.

Reichlich: Nicht nur als Möbelstück, dass gelegentlich genutzt und von Staub gereinigt wird. Sondern eines, das das Leben, den Alltag bestimmt.

Es geht hier um die österliche Fülle des „Wortes Christi“, also nicht einfach um das, was Jesus einmal sagte oder gesagt haben soll. Es geht um das „Geheimnis des Glaubens“ an Christus, den auferstandenen Sohn Gottes. Das in „aller Weisheit“ zu verstehen, sich davon bewegen und treiben zu lassen: Das ist der stete Gottesdienst der Gemeinde.

Also nicht allein der Sonntagsgottesdienst. Nicht allein die Predigt eines dazu bestellten Menschen, ob bezahlt oder unbezahlt. Wenn das Wort Christi reichlich bei dir wohnt, wird es Bestandteil deines Lebens, das dich erfüllt und deinen Alltag bestimmt.

Das Wort Christi wird lebendig, wenn es BEI EUCH lebendig ist. Das Geheimnis Christi wird erkannt, wenn es bei euch WOHNT. Denn dann wird GOTT SELBST bei euch lebendig, Gott selbst bei euch wohnen, und er wird euer Leben nicht unterdrücken oder es gar zum Tode führen, sondern in genau die andere Richtung leiten: Hin zum Leben. So wie er die Mütter und Väter hin zum Leben geführt hat – die Bibel ist voll davon.

Daraus kommt Musik zum Leben: „Mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott“. Wenn sein Wort, sein Geheimnis in euch wohnt, wird ER der GRUND eurer Lieder sein. Euer Innerstes, eure Seele selbst wird dann singen, aus tiefstem Herzen. So, wie es vorhin das Wochenlied nach Psalm 146 auf den Punkt gebracht hat:

Du meine Seele, singe,/ wohlauf und singe schön/ dem, welchem alle Dinge/ zu Dienst und Willen stehn./ Ich will den Herren droben/ hier preisen auf der Erd;/ ich will ihn herzlich loben,/ solang ich leben werd.

Gerade, wenn man diese Strophe bedenkt, wird auch dieser Imperativ hier bei Paulus, den mancher sicher ärgern wird, für mich nachvollziehbar. Es geht wohl kaum um die Aufforderung, zu singen. Das funktioniert vielleicht beim Militär, damit das Marschieren leichter oder Aufsehen damit erregt wird. Genau darum KANN es hier aber nicht gehen.

Es geht um das OBJEKT des Singens. Also nicht um die Frage, ob oder ob nicht gesungen wird, sondern um die Frage, wofür und für wen man singt. Es geht darum, GOTT zu singen – aus Dankbarkeit, die von Herzen kommt. „Singt Gott“ – hier vielleicht ein Bindestrich – „dankbar in euren Herzen.“ Dann nämlich wird aus Musik die Musik zum Leben. Musik, die nicht nur für den Moment glücklich macht, sondern glücklich erhält.

Darum schreibt Paulus ja der Gemeinde in Kolossä.
„Seht zu, dass euch niemand einfange durch die Philosophie und leeren Trug, die der Überlieferung der Menschen und den Elementen der Welt folgen und nicht Christus.“ (2,8)

Auf das Singen bezogen: Unterscheidet die Geister! Singt nicht nur für den Augenblick, vor allem nicht zum Tode!

Denn wenn es das Wort Christi ist, das nicht nur ein Wort unter vielen ist, sondern das bei euch eingezogen ist, bei euch Wohnung bekommen hat – wenn ihr euer Leben als Gottesgeschenk begreift und darum für IHN aus dankbarem Herzen singen könnt, dann ist das Leben neu ausgerichtet:

„ALLES, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.“ Dann wird Christus es sein, der Denken und Handeln bestimmt. Und ihr werdet durch ihn Gott erkennen und Gott danken. Daraus wird Musik zum Leben.

Meine Schwestern, meine Brüder,

nun zu uns: Dass das Singen für viel mehr Menschen unter uns wichtiger ist als gedacht, das hat doch die Corona-Pandemie gezeigt. Mit Abstand, Maske und Desinfektion konnten die meisten sich abfinden – mit dem Singeverbot im Gottesdienst ging es deutlich mehr Menschen schlecht als ich das je für möglich gehalten hätte. Wann dürfen wir endlich wieder singen? Kaum ein Gottesdienst, nach dem ich das nicht gehört hätte.

(Nebenbei habe ich, als ich dann Solo-Vorsänger in den Gottesdiensten wurde, auch körperlich deutlicher gespürt als je zuvor: Singen im Stehen macht viel mehr Spaß als im Sitzen!)

Und manche dachten oder sagten das sogar laut: Unser Seniorenchor in Hohenbruch – das überlebt er nicht. Aber Irrtum: Er singt immer noch. Denn:

Singen im Gd ist Musik zum Leben. Warum es einem nach dem Singen auch körperlich besser geht, das wissen wir, und es ist inzwischen auch naturwissenschaftlich begründet.

Und wenn einer käme und sagte: Euer Gesang klingt aber schrecklich! – dem wäre zu sagen: Das liegt doch in der Natur des Singens! Auch des Singens der Natur! Auf ästhetische Schönheit mag es im Konzertsaal ankommen. Aber doch nicht im Gottesdienst. Genauso wenig wie in der Natur. Denn die lehrt uns:

Auch Rabenvögel wie Eichelhäher, Elstern Krähen und auch der Sperling gehören zu den Singvögeln. Auch wenn meine Musiklehrer das immer merkwürdig fanden. Auch wenn Rabenvögel statt eines anmutigen Gezwitschers wie das von Sprossern oder Amseln nur krächzende und krähende Laute von sich geben: Auch sie besitzen das Körpermerkmal eines Singvogels, nämlich die ausgeprägten Entwicklung des unteren Kehlkopfes.

Und Singvögel – auch das bestätigt die Natur – können sich deutlich besser veränderten Lebensbedingungen anpassen und sind darum überlebensfähiger als ihre nichtsingenden Vogelgenossen. Auch schräger Gesang ist Musik zum Leben.

Schon darum können hier im Gottesdienst alle singen, wie ihnen „die Schnäbel gewachsen“ sind. Auch krächzen, wenn sie wollen. Die Orgel wird es schon richten, irgendwie jedenfalls.

Das einzige, was wirklich zählt:

Singt das Lied der Freude über Gott!/ Lobt IHN laut, der euch erschaffen hat./ Er wird Kraft uns geben, Glanz und Licht wird sein,/ in das dunkle Leben leuchtet hell sein Schein:
Singt das Lied der Freude über Gott!

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
bringen sie zum Klingen, die Musik zum Leben.
AMEN

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