Wer ist der? (Mk 4 35-41)

Sturm des Lebens
das Wasser steht bis zum Hals
der Boden unter den Füßen
entgleitet

Jesus Christus
Fels in der Brandung
Herr des Sturms
Gebieter über die Wogen
Quelle der Ruhe
der Friedens
Grund unseres Vertrauens

Kommt her und sehet an die Werke Gottes,
der so wunderbar ist
in seinem Tun an den Menschenkindern.
Ps 66,5
***
GNADE SEI MIT EUCH und Friede von dem, der da ist,
der da war und der da kommt. AMEN!

Wenn es zu Jesu Zeiten schon Kino gegeben hätte, wäre diese Szene sicher auch dort zu sehen gewesen, und sehr wahrscheinlich nicht ganz erfolglos.

Da ziehen sich Jesus und die Jünger zurück. Sie verlassen die Menge der Menschen, um für einige Zeit wieder zur Ruhe kommen zu können. Sie steigen in Fischerboote und rudern über den See Genezareth, nach der Stadt an seinem westlichen Ufer auch See Tiberias genannt. Von oben sehen seine Umrisse fast so aus wie der Kontinent Afrika.

Er ist genau so lang wie der Beetzsee, also 21 Kilometer, dafür aber deutlich breiter und mit 43 m auch wesentlich tiefer. Der Jordan bildet Zufluss im Norden und Abfluss im Süden; der ganze See liegt 212 m tiefer als der Meeresspiegel. Er liegt in malerischer Landschaft, viele Felsen, aber auch Grün. Und er ist unberechenbar.

Das bekommen sie jetzt in ihren Booten zu spüren. Wind kommt auf und steigert sich zum Sturm. Die Wellen werden höher und höher. Wie Nussschalen werden ihre Boote von Wellen in die Höhe gehoben, um dann herabgeworfen zu werden ins Wellental. Wie lange werden die Boote das aushalten? Sie laufen schon voll Wasser.

Alle geraten in Panik. Nur Jesus scheint die Ruhe selbst zu sein, er schläft, ziemlich bequem auf einem Kissen. Das wird den Jüngern zu bunt, sie wecken ihn auf: „Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen?“

Dann wirkt die Szene irgendwie schlaftrunken. Jesus erhebt sich, richtet sich zu ganzer Größe auf. Dann brüllt er nicht etwa gehen den Sturm an, sondern er DROHT dem Wind und SPRICHT zum Meer: „Schweig! Verstumme!“ Und auf einmal kehrt große Ruhe ein.

Und in die geradezu schaurige Stille hinein hören sie seine Stimme: „Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?“ Das aber lässt ihnen erst recht die Furcht in die Glieder fahren. Sie tuscheln: „Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind!?“

Nun gab es zu Jesu Zeiten noch kein Kino, darum hat es diese Geschichte bis in die Bibel geschafft. Nachzulesen bei Markus 4 ab Vers 35, fast ohne Änderungen auch bei Matthäus und Lukas, dann aber im jeweils 8. Kapitel. Und Fortsetzung folgt, nicht nur im heute Kino, sondern auch damals in der Bibel.

Die meisten werden diese Geschichte seit ihren Kindertagen kennen, fehlt sie doch in keiner Kinderbibel. Nun habe ich mich gefragt, welche Fragen ihr HEUTE stellen würdet, wenn ihr diese Geschichte hört.

Die meisten werden, denke ich, auch heute noch einstimmen in die Frage der Jünger damals am Schluss: Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind? Und dazu wird es auch gleich zwei Gruppen von Antworten geben.

Die fest im Glauben stehenden wissen mit der Christenheit auf Erden mit nachösterlichem Blick, wer DER ist: Der Mensch gewordene Gottessohn, Gott selbst. Und wenn Gott die Macht hat, die Natur und ihre Gesetze zu schaffen, hat er auch die Macht, sie wieder außer Kraft zu setzen. Für Gott ist solche Sturmstillung eine Kleinigkeit, und wenn es nicht so wäre, wäre er nicht Gott.

Die Naturwissenschaftsgläubigen unter uns werden auch Zweifel anmelden und sagen: Das wird sicher nicht so passiert sein wie es da in der Bibel steht. Sturm und Wellen hören nicht einfach auf, nur weil Jesus ein paar Worte spricht und vielleicht mit der Faust in den Wind droht. Ein altes Märchen mit einem Happyend und einer irgendwo versteckten Botschaft, die es herauszufinden gilt.

Es werden sich aber noch weitere Fragen einstellen. Vielleicht nicht sofort, aber nach ein wenig Zeit schon. Was hat die Lebensangst der Jünger eigentlich mit ihrem Glauben zu tun? Hat Jesus nicht verstehen können, dass sie dachten, dass es mit ihrem Leben gleich vorbei sei?

Einige werden Schroffheit aus Jesu Wort an die Jünger heraushören: Was regt ihr euch auf, Weicheier? War irgend was?

Andere hören ihn vielleicht mit leiser, weicher Stimme fragen: Sagt mal, was ist eigentlich aus eurer Gotteszuversicht geworden? Ist sie euch im Sturm weggeweht worden?

War da vielleicht Traurigkeit in seiner Stimme?

Und wer alles wie auf der Bühne oder im Film noch einmal an sich vorbeilaufen lässt, wird die merkwürdigen Brüche in der Szenerie erkennen, die einen vermuten lassen, dass die handelnden Personen völlig aneinander vorbei reden.

Erst die Todesangst der Jünger, das Aufwecken Jesu, ihr Ruf an ihn: Kümmert es dich nicht, dass wir hier umkommen? Und die Reaktion Jesu, der den Sturm beendet.

Dann aber seine Frage:
Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?
Und ihre Reaktion: Wer ist der? Also ob sie seine Frage überhaupt nicht gehört hätten.

Anderenfalls hätten sie doch sagen können, ja müssen: Was hat all das mit unserem Glauben zu tun? Wir haben gedacht, es ist gleich zu Ende! Wir hatten einfach nur unglaubliche Angst, der Schweiß ist uns aus allen Poren gebrochen, das Herz hat gerast, wir haben gezittert wie Espenlaub und wussten nicht ein noch aus, und du hast einfach nur da gelegen und geschlafen! Also bitte, was hat unsere Todesangst mit unserem Glauben zu tun?

Aber genau das fragen sie nicht. Die plötzliche Ruhe, die nun eingetreten war, nach der sie sich doch gesehnt haben, lässt sie sprachlos zurück.

Obwohl, nicht ganz sprachlos: Wer ist dieser?

Also bleibt uns heute nichts anderes übrig, als Jesu Frage selbst zu hören, selbst über sie nachzudenken, selbst zu beantworten.

Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?

Mit der Todesangst ist das ja so eine Sache. Wer sie schon einmal hatte, der will sie nie wieder haben. Und wer sie noch nicht hatte, der kann sie sich nicht vorstellen.

Aber was Angst ist, weiß jeder. Die wohl kleinste aller Ängste, nämlich dass man bei Tisch zu kurz kommen könnte, ist dabei sicher zu vernachlässigen. Aber schon wenn sich im Alltag die Termine so häufen, dass man von einem zum anderen nicht mehr geht, sondern hetzt, wird das anders.

Dann wird der Alltag zum Hamster-Rad, das sich unbarmherzig immer schneller dreht. Irgendwann schafft man dies nicht mehr oder jenes, irgendwann vergisst man dies oder jenes, irgendwann kommt man an den Ort, den man als „Teufels Küche“ bezeichnet. Man bekommt es mit der Angst: Wohin soll das führen? Wann werfen mich die Zentrifugalkräfte heraus aus dem Rad?

Oder wenn jemand Tag für Tag, Jahr für Jahr auf der Suche ist nach einem Lebenspartner, den aber nicht findet. Oder die Partnerschaft, die das Bollwerk im Leben war, eines Tages zerbricht. Oder noch schlimmer, wenn ein naher Mensch schwer krank wird und man mit ansehen muss, wie es unaufhaltsam mit ihm zu Ende geht. Vielleicht gar noch, wenn er wirklich zu jung ist, um schon zu sterben.

Dann bekommt man es mit der Angst: Was soll jetzt werden? Dann spürt, wie die Kräfte auch einen selbst verlassen, wie die Knie weich werden. Dann sehnt man sich nur noch nach Ruhe. Stille, die bis nach innen reicht, die einen innerlich auftanken lässt. In der man wieder zu sich selbst finden kann. Die einen den Sinn seines Lebens wiederfinden lässt. Die Last des Lebens neu sortieren und die Wichtige wieder aufnehmen lässt.

RUHE. Plötzlich ist sie da: Ohrenbetäubende Stille. Die Katastrophe bleibt aus. Das Wetter hört einfach auf, als könnte es „kein Wässerchen trüben“, geschweige denn todbringende Wellen auftürmen. Der Puls beruhigt sich. Die Gedanken beginnen sich wieder zu ordnen. Der Angstschweiß trocknet. Für diesmal davongekommen. Dem Tod von der Schippe gesprungen. Vielleicht zum ersten Mal, vielleicht war das ja auch schon öfter so.

Dem Tod von der Schippe gesprungen.
GESPRUNGEN?
Nicht eher GEFALLEN?
Noch besser: GENOMMEN worden?
Wer hat das getan?
Jesus?
Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind!?

JA, DA WAR TRAURIGKEIT IN JESU STIMME.
Es WAR Enttäuschung, die aus seinen Worten klang:
Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?

Wir sind doch nicht erst seit gestern zusammen. Tag für Tag erlebt ihr, dass immer mehr Menschen entdecken: Gott ist lebendig, kein totes Schicksal.

Auch wenn seine Wege letztlich für uns unbegreiflich bleiben,
auch wenn wir seine Entscheidungen oft erst Jahre später,
manchmal sogar NIE begreifen.

SICHER aber ist: Gott liebt seine Schöpfung, er liebt seine Menschen, er liebt sie immer, durch den Tod hindurch und über den Tod hinaus.

Das IST sicher, das bezeugen Menschen seit Generationen, davon ist die Bibel voll. Gerade das versucht Jesus ihnen doch klar zu machen, an jedem Tag ihres gemeinsamen Lebens.

Seine Jünger aber, die ganz nah dran sind an Jesus, die also die ersten sein müssten, die so etwas wie Glaubensgewissheit in sich spüren müssten: Seine Jünger verlieren „die Glaubens-Nerven“.

Sie rufen nicht mit den Worten der Tageslosung von heute aus Psalm 38: „Eile, mir beizustehen, Herr, du meine Hilfe!“ (V23). Sie schreien nicht wie im Eingangspsalm von heute – zum HERRN. Sie bekennen nicht wie Paulus in unserer Epistellesung: „Ja, wir haben unsere Hoffnung auf ihn gesetzt ´und sind überzeugt`, dass er uns auch in Zukunft retten wird.“ (2. Kor 8, 10).

Sondern sie rufen:
Fragst du nichts danach, dass wir umkommen?
Wie kannst Du jetzt schlafen?
So egal ist dir unser Tod?

So OFFENSICHTLICH ist es, dass sie NICHT begriffen haben, wer Jesus ist.
So offensichtlich ist, dass sie nicht begriffen haben, wer GOTT ist.
Es IST offensichtlich in dem, welche WORTE sie wählen.

Und auch IHRE Worte sind machtvoll. Vielleicht nicht so machtvoll wie die Worte Jesu „Schweig, verstumme!“ aber doch so machtvoll, dass sie die Situation ändern.

Hätten sie gerufen: Eile, mir beizustehen, Herr, du meine Hilfe!, und sie hätten dann sterben müssen:
Dann hätten sie in der Hoffnung sterben können, dass sie durch das Wasser in die Arme des lebendigen Gottes gehen werden.

Jetzt aber ist nur zu hören: Alles ist ZU ENDE!

Meine Schwestern, meine Brüder,

Die Ruhe nach dem Sturm schenkt Gott der Welt. Woche für Woche, einen ganzen Tag. Menschen bekommen Raum, selbst zur Ruhe zu kommen, sich selbst wieder zu spüren. Das Hamsterrad steht still. Sicher, ein paar Not- Aggregate laufen noch, denn das Leben soll ja weiter gehen.

Der Sabbat Gottes aber kann UNSER Sabbat sein. UNSER Tag des Gottesdienstes, also des Tages, an dem uns der Dienst Gottes besonders sicher sein kann. Ein Tag der Ruhe, den wir fast ohne Blick auf die Uhr genießen können. Stille, die uns wieder zu uns selbst führt. Den Sinn des Lebens wiederfinden lässt. Damit wir Last des Lebens neu sortieren und die wichtige wieder aufnehmen können.

Sabbat: Der Tag, an dem wir gewiss werden, dass die Liebe Gottes kein Ende hat.
An dem wir üben können, Gottes Wort zu hören, in uns aufzunehmen, ernst zu nehmen.
Laut zu sagen und tief in der eigenen Stille innen zu hoffen: Herr, dein Wille geschehe.

Und diese Übung ist ganz offenbar über-lebenswichtig, damit wir an dem Tag, an dem uns das Wasser bis zum Hals steht, nicht auch schreien:
Fragst du nichts danach, dass wir umkommen?
Sondern: Ich glaube; Herr, hilf meinem Unglauben!

Oder vielleicht noch besser:
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sind uns sicher.
AMEN

Dieser Beitrag wurde unter Predigten abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.