Lebensrettung (Mk 8 31-38)

Sybille Fritsch:
Einer
macht Licht,
wenn ich
stolpre,
nimmt
meine Hand im Dunkeln
und –
ich komme an.

Einer
schließt Frieden,
wenn ich
hasse,
lächelt
meinen Zorn in den Wind
und –
ich komme an.

Einer
gibt Trost,
wenn ich
leide,
nimmt
mein Herz … in die Hand
und –
ich komme an.

Einer
kommt an,
wenn ich
fehle,
nimmt
sein Kreuz auf die Schulter
und –
ER kommt an!

Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem,
und es wird alles vollendet werden,
was geschrieben ist durch die Propheten
von dem Menschensohn.
Lukas 18,31
***Markus 8, nach NGÜ:

31 Jesus belehrte seine Jünger zum ersten Mal darüber, dass der Menschensohn vieles erleiden müsse und von den Ältesten, den führenden Priestern und den Schriftgelehrten verworfen werde; er werde getötet werden und drei Tage danach auferstehen.
32 Klar und offen redete er darüber. Da nahm Petrus ihn beiseite und begann ihn scharf zurechtzuweisen.
33 Aber Jesus wandte sich um, sah seine Jünger an und wies ihn scharf zurecht: Geh hinter mich, Satan! Denn du denkst nicht die Dinge Gottes, sondern die der Menschen.
34 Dann rief Jesus die Volksmenge samt seinen Jüngern zu sich und sagte: »Wenn jemand mein Jünger sein will, muss er sich selbst verleugnen, sein Kreuz auf sich nehmen und mir nachfolgen.
35 Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten.
36 Was nützt es einem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und seine Seele einzubüßen?
37 Denn was könnte ein Mensch als Gegenwert für seine Seele geben?
38 Wer in dieser von Gott abgefallenen und sündigen Zeit nicht zu mir und meinen Worten steht, zu dem wird auch der Menschensohn nicht stehen, wenn er mit den heiligen Engeln in der Herrlichkeit seines Vaters kommt.«

LASST UNS BETEN:
Gott, du starker Fels,
wir bitten dich:
Lass uns bei dir Schutz und Zuflucht finden,
damit wir unser Leben nicht auf Bilder gründen
die in uns mächtig sind,
oder auf Dinge,
die doch eines Tages vergehen werden.
Durch deinen Sohn Jesus Christus,
der mit Dir und dem Heiligen Geist
lebt und liebt in Ewigkeit.
AMEN.

GNADE SEI MIT EUCH und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen!

Gestern in der Zeitung: „Auch an diesem Donnerstag begrüßt der wegen Beihilfe zum Mord an 3518 Menschen angeklagte Josef S. …alle Anwesenden im Gerichtssaal in Brandenburg an der Havel ..„Ich wünsche allen einen guten Morgen.“

Diesmal hakt Udo Lechtermann ein. Der Vorsitzende des Schwurgerichts Neuruppin: „Sie sagen immer so schön die Tageszeit und wünschen einen guten Morgen. Wir warten darauf, dass Sie uns einmal etwas anderes sagen.“

Denn … der angeklagte Brandenburger litauischer Herkunft…hat seit Prozessbeginn bestritten, dass er freiwilliges SS-Totenkopf-Mitglied war und im KZ Sachsenhausen zwischen 1941 und 1945 diente, am Ende als SS-Rottenführer. Dabei bleibt es auch nach rund zwanzig Prozesstagen.

Josef S. leugnet, überhaupt in Oranienburg und Sachsenhausen gewesen zu sein. Daher bemüht sich das Gericht herauszufinden, ob der Mann auf der Anklagebank identisch ist mit dem im November 1920 geborenen Josef S., der unzweifelhaft zwischen 1942 und 1945 als KZ-Wachmann zumindest indirekt an dem Mordgeschehen im Konzentrationslager beteiligt war.

Am Donnerstag dieser Woche kommt das Schwurgericht einen Schritt weiter. Denn als Sachverständige hat die Anthropologin Katharina Funk (42) aus Berlin das Wort, die in ihrem Fach Menschenkunde einen Doktorgrad hat und seit 2010 Sachverständige für forensische Bildidentifikation ist.

Der Spezialistin liegen drei Porträtfotos vor und sie soll erklären, ob die drei Bilder ein- und denselben Mann zeigen: nämlich Josef S., den Angeklagten in diesem Mordprozess.

Ein Schwarz-Weiß-Porträtfoto ist Anfang der 40er-Jahre … entstanden, zeigt einen sehr jungen Mann und findet sich … in Unterlagen der NS-Behörden …

Das zweite leicht unscharfe Bild ist ungefähr zehn Jahre jünger, zeigt einen immer noch jungen Mann, der aber erkennbar älter ist … Dieses Foto haben die Ermittler sichergestellt, als sie im Jahr 2019 eine … Durchsuchung in der Wohnung des Angeklagten in Brandenburg an der Havel aufgenommen haben.

Das dritte Foto schließlich hat die Anthropologin an diesem Donnerstag von dem angeklagten 101-Jährigen gemacht. …Zeigen alle drei Bilder ein- und denselben Mann? … Katharina Funk hat in dem ältesten Foto 107 Gesichtsmerkmale entdeckt, die sie beschreiben kann.

101 dieser Merkmale kann sie mit dem zweiten, qualitativ deutlich schlechteren Bild abgleichen. …
Bei (diesen) 101 Merkmalen erkennt die Spezialistin acht Abweichungen zwischen dem Mann auf dem Foto … der Nazi-Zeit und dem Mann auf dem Foto aus der Privatwohnung des Angeklagten. Alles andere sei identisch.

Für die Abweichungen gebe es logische Erklärungen, die sich aus der Fotoperspektive und der unterschiedlichen Bildschärfe ergeben. Katharina Funk kommt daher zu dem Prädikatsurteil, dass beide Männer „höchst wahrscheinlich“ die gleiche Identität haben“ (MAZ von gestern, Seite 18).

„Höchst Wahrscheinlich“:
Das bedeutet „ziemlich sicher“, nicht aber „ganz sicher“. Keine „Eins“, aber eben doch eine „Eins minus“.

Theologen kennen solche interessanten Untersuchungen auch, wenn es z.B. um die Historizität von Sätzen geht, die Jesus selbst gesprochen haben soll. „Ziemlich sicher“: Ein wichtiges Indiz dafür ist, dass ein Ausspruch so oder sehr ähnlich mehrfach im Neuen Testament auftaucht.

Hat man so ein „ziemlich sicheres“ Zitat gefunden, ist das für die theologische Auslegung wichtig. Schließlich sind die Evangelien alle lange nach Jesu Tod entstanden. Selbst das Markusevangelium, aus dem der Predigttext für heute ist, ist wohl über dreißig Jahre nach Jesu Hinrichtung entstanden. Da ist es wichtig zu wissen, was Jesus sehr wahrscheinlich selbst gesagt hat und was eher „Hörensagen“ ist.

Wie kann man nun das alles verstehen, was Jesus in unsrem Text sagt? Wenigstens halbwegs richtig? Orientierung kann bei dieser Frage ein „ziemlich sicher“ echtes Jesuswort geben, und das ist sehr wahrscheinlich in Vers 35 zu finden:

„Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten.“
Es ist das am häufigsten zitierte Jesus-Wort: Sechsmal kommt es in den Evangelien vor. Zwar wird es situations- und hörerbezogen verändert, doch seine eindeutige Zielrichtung verliert es dabei nicht.

Es geht also um Leben: Um DIESES und um ein ANDERES.
Dieses kenne ich.
Will ich es behalten?
Um jeden Preis?

Dieses Leben für Petrus: Er ist stolz, vom Fischer zur „rechten Hand“ Jesu geworden zu sein. Dafür ist er bereit, zu kämpfen; dafür wird er später sogar sein Schwert ziehen.

Dieses Leben für das Volk, das Jesus folgt: Sie glauben, in Jesus einen Propheten gefunden zu haben. Vielleicht sogar einen Kämpfer für die politische Sache Israels.

Dieses Leben für die Jünger: Sie haben ihre Familien verlassen, um mit Jesus zu leben. Sie spüren, dass das ihrem Leben eine einmalige Wendung geben wird.
Doch das Kreuz ist schon in Hörweite. Für alle…

Und dieses MEIN Leben?
An demselben vergangenen Donnerstag, an dem Josef S. „höchst wahrscheinlich“ als Mittäter an mindestens 3518 Morden im KZ Sachsenhausen identifiziert wird und immer noch leugnet, überhaupt jemals dort gewesen zu sein, wird Herr Putin in einer Rede sagen, er müsse die Ukraine „entmilitarisieren“, um sie „entnazifizieren“ zu können. Darum führt er also seit Donnerstag Krieg gegen die Ukraine.

Und ich denke an meinen Besuch in Kiew vor ein paar Jahren, an die Menschen, die ich dort kennengelernt habe, und die jetzt wahrscheinlich in irgendwelchen Metrostationen hocken und versuchen, ihr nacktes Leben zu retten. Wie viele Tote hat Putin seit Donnerstag bereits auf seinem Gewissen?
Hat er überhaupt eines?

Ich kann das nur schwer ertragen. Ich möchte dieser Farce ein Ende bereiten, weiß aber, dass ich das nicht kann. Also will ich lieber keine Nachrichten mehr hören und stattdessen mit dem Motorrad in die Sonne fahren.

„Geh hinter mich, Satan! Denn du denkst nicht die Dinge Gottes, sondern die der Menschen.“ „wer sein Leben retten will, wird es verlieren…“ „was könnte ein Mensch als Gegenwert für seine Seele geben?“

Ich verstehe:
Menschlich ist es, dieses Leben retten zu wollen. Nicht göttlich.
Denn dieses Leben ist nicht zu retten.
Das Leben dieser 3518 Ermordeten um Josef S. in Sachsenhausen nicht, das Leben der Kriegstoten in der Ukraine nicht, und auch mein Leben nicht, selbst wenn ich achtzigjährig im Schlaf sterben sollte.
Ich verstehe:
Nichts kann ich als Gegenwert für meine Seele geben.
Nicht einmal mit dem Motorrad in der Sonne.

Der Ausweg?
Ein gerettetes Leben. Um Jesu und des Evangeliums willen. Also ein anderes als das, welches ich ja vorher verloren habe. Jesus wird nicht müde, die Menschen um sich herum aus ihrem Leben zu lösen und es dem Leben mit Gott zuzuführen. Sie also zu Menschen zu machen, die das Wort Gottes hören und bewahren. Zu denen er am letzten Ende stehen kann.

In der Herrlichkeit Gottes. Mit den heiligen Engeln. Also in dem Reich, das nicht von dieser Welt ist. In der die 3518 Ermordeten aus Sachsenhausen und die Toten der Ukraine wieder eine Stimme und eine Seele haben. Ein Leben, das ihnen niemand nehmen wird und kann. Ewiges Leben.

In diesem Reich wird nicht menschlich gehandelt, sondern allein göttlich. Paulus würde sagen:
„Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören.“ Es werden „bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ (aus der Epistellesung 1.Kor 13).

Dahin versucht Jesus, die Menschen zu führen. Das ist seine Passion. Voller Leidenschaft, voller Liebe Gottes für diese Welt. Und dafür wird Jesus DIESES Leben am Kreuz verlieren und uns das EWIGE Leben sehen lassen.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Am Mittwoch beginnt die PASSIONSZEIT. In ihr denken wir über die Leiden Jesu nach, die ohne seine LEIDEN-SCHAFT für uns ohne Sinn wären. Aber sie HABEN ihren Sinn, wenn wir entdecken können, welches Leben wir verlieren werden und welches wir gewinnen können.

Wenn wir offen bleiben
für die Liebe Gottes, die „langmütig und freundlich“ ist und „das Böse nicht zurechnet“.
Wenn wir
die Gnade Jesu Christi finden, in der er „mit den Heiligen Engeln“ in der „Herrlichkeit seines Vaters“ zu uns stehen wird.
Wenn wir
in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes UNSER Kreuz auf uns nehmen und um Jesu Christi willen

unser Leben gerettet wird. AMEN

 

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