Die Weihnachtsbilder zeigen nicht,
was sich außen abgespielt hat, sondern/
Verborgenes und Unsichtbares/
ausgebreitet vor unser aller Augen.
Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns,
und wir sahen seine Herrlichkeit.
Johannes 1,14a
***
Die Weihnachtsgeschichte hörten wir vorgestern, am Heiligen Abend.
Eine (ganz!) andere Weihnachtsgeschichte ist heute auf dem Predigt-Plan. Der erste Teil der Weihnachtsgeschichte des Matthäus. Welche auch sonst: Die anderen beiden Evangelien unserer Bibel haben ja gar keine.
Wie war das doch gleich mit Weihnachten nach Matthäus?
Ach ja, das ist ja das mit den Weisen aus dem Osten, aus denen später mal die Drei Könige aus dem Morgenland wurden. Die drei Figuren, die bei unseren Wohnzimmer-Weihnachtskrippen und Weihnachtspyramiden immer mit voll beladenen Kamelen an der Krippe im Stall auftauchen. Obwohl sie die Krippe nie zu Gesicht bekommen haben. Denn DIE gibt es nur bei Lukas, aber nicht bei Matthäus.
Aber halt: Das IST gar nicht der Anfang bei Matthäus.
Der Anfang ist einer, den die meisten lieber überblättern, weil er ihnen zu langweilig ist (1,1+2):
1 Dies ist das Buch der Geschichte Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams.
2 Abraham zeugte Isaak. Isaak zeugte Jakob. Jakob zeugte Juda und seine Brüder…
Aaach jaaa, das war doch dieser Stammbaum, der sich lang und immer länger zieht. Das ist doch wirklich langweilig… Jemand schlägt vor, man solle diesen Predigttext als göttlich verordnete Zeit der Ruhe auffassen, sich zurück lehnen und ihn über sich ergehen lassen.
Doch wenn ich „Stammbaum“ höre, muss ich an meinen ersten großen Schreck im Pfarramt denken. Da KANN ich mich nicht entspannt zurücklehnen.
Ich war gerade in der ersten Woche in meiner ersten Stelle in Dahme, da klingelte es. Es war gerade neun Uhr Vormittags. Und zwischen die ganzen unausgepackten Kisten kam ein Mann, der Einblick in die Kirchenbücher wünschte. Ein Ahnenforscher: Davor hatte mich niemand gewarnt. Nicht im Studium, nicht im Vikariat, nicht im Predigerseminar.
Und weil die Gemeindesekretärin krank war, musste ich selbst ran – ich wollte schließlich nicht unhöflich sein, denn der Herr kam nicht von Nebenan, sondern extra aus Schweden in die DDR, um nach seinen Vorfahren zu suchen.
Also begann ich die große Suche: Zuerst mal nach einem Schlüssel, der in den richtigen Schrank passte, dann nach einem Register, dass beim Suchen half, dann nach den Büchern, in denen mein Gast suchen und finden konnte. Oje, und alles in einem Sütterlin geschrieben, das nicht mal meine Großmutter hätte entziffern können, und die schrieb alles in Sütterlin…
Als dieser Arbeitstag vorbei war, ohne dass ich irgendetwas in meinen Augen Sinnvolles geschafft hatte, war mir klar: ICH wollte niemals nach meinen Ahnen forschen.
Mir reichte als Ahnenforschung ein sehr beliebter Schlagabtausch zwischen mir und meiner Mutter.
Sie: Deinen großen Nasenzinken hast du von deinem Onkel Hartmut. (Anmerkung des Verfassers: Das war Mutters Bruder).
Darauf ich: Das kannst du vergessen. Als ich ihn neulich traf, hatte er seine Nase noch.
Dann lachen wir und legen die Sache mit meiner Nase und den Ahnen wieder zur Seite.
Andererseits: DIESER Stammbaum hier ist gar nicht so langweilig, wie es auf den ersten Blick scheint. Schließlich habe ich die Bibel inzwischen ein paar Male gelesen, und einige Namen sind ja keine Unbekannten. Isaak, Jakob und Juda kennt schließlich jeder. Aber dann wird es noch spannender, denn jetzt kommen Frauen ins Spiel (3-6):
3 Juda zeugte Perez und Serach mit der Tamar.
Perez zeugte Hezron. Hezron zeugte Ram.
4 Ram zeugte Amminadab. Amminadab zeugte Nachschon. Nachschon zeugte Salmon.
5 Salmon zeugte Boas mit der Rahab.
Boas zeugte Obed mit der Rut. Obed zeugte Isai.
6 Isai zeugte den König David.
David zeugte Salomo mit der Frau des Uria…
„Juda zeugte Perez und Serach mit der Tamar.“
Allein in dieser Zeile steckt die spannende Geschichte einer Frau, die sich nachzulesen lohnt (1. Mose 38).
Tamar war ursprünglich mit einem Mann namens Ger verheiratet. Ger starb aber und Tamar wurde somit jung zur Witwe. Damals war es üblich, dass in solchen Fällen die Brüder des Ehemannes als neue Ehemänner einsprangen, damit die Frau versorgt war.
Gers jüngerer Bruder Onan heiratete also Tamar, aber er war nicht begeistert von dem Arrangement der sogenannten Schwagerehe. Er wollte wohl nicht, dass die Kinder, die aus dieser Ehe entstehen könnten, als Kinder seines Bruders gelten sollten.
Den Spaß wollte er sich zwar nicht verderben lassen, er passte aber beim Sex auf und ließ sein Sperma auf die Erde tropfen, sodass Tamar nicht schwanger werden konnte. (Von Onan leitet sich übrigens der Begriff Onanie ab, aber das dachtet Ihr euch sicher schon.) Doch auch Onan starb früh.
Nun gab es noch einen dritten Bruder. Der aber war noch ein Kind, er hieß Schela. Tamars Schwiegervater Juda meinte nun, dass Tamar ins Haus ihrer Eltern zurückkehren und dort abwarten sollte, bis Schela erwachsen wurde, damit er die Schwagerehe mit Tamar vollziehen könnte.
Juda aber meldete sich nicht bei Tamar, auch nicht als Schela erwachsen war. Als Judas allerdings zur Schafschur an den Ort kam, wo Tamar jetzt wohnte, erdachte sich die zweifache Witwe einen Plan, um doch noch zu ihrem Recht zu kommen.
Sie verkleidete sich als Prostituierte und verkaufte sich ihrem Schwiegervater Juda, dem sie allerdings ein Pfand abnahm. Als sie dann schwanger von ihm wurde, konnte sie ihm so zweifelsfrei beweisen, dass er der Vater war und sie keine Prostituierte.
Juda sah sofort ein, dass er ihr Unrecht getan hatte, weil er ihr seinen Sohn Schela nicht zum Mann gegeben hatte, und heiratete sie. Sie bekamen Zwillinge: Perez und Serach. Tamar war nun für die Zukunft versorgt.
Vielleicht seid Ihr ja neugierig geworden und nehmt Euch die Zeit, selbst nachzustöbern in diesem Stammbaum. Die Verweis-Stellen, bei denen man nachschlagen kann, stehen ja am Rand unserer Verse (1, 1-17) abgedruckt.
Allein mit dem Abschnitt, den ich schon vorgelesen habe, sind weitere berührende Schicksale verbunden. Zum Beispiel das der Hure Rahab, die den Kundschaftern Israels das Leben rettet. Oder das der Frau des Hetiters Uria, die Mutter des großen Königs Salomo wird.
Sein Ziel hat dieser Stammbaum allerdings nicht bei Maria, der Mutter Jesu, sondern bei Joseph, ihrem Mann. Der allerdings soll ja bekanntlich gar nicht der leibliche Vater Jesu gewesen sein.
Das berichtet nicht nur Matthäus selbst, sondern auch Lukas. Und auch für Johannes war es zweifelsfrei, dass die Ursprünge Jesu nicht von dieser Welt, sondern dass Jesus das fleischgewordene Wort Gottes sei. Warum ist dieser Stammbaum dem Matthäus trotzdem für seine Weihnachtsgeschichte so wichtig?
Die deutlichste Antwort auf diese Frage gibt Matthäus selbst am Schluss:
17 Alle Geschlechter von Abraham bis zu David sind vierzehn Geschlechter. Von David bis zur babylonischen Gefangenschaft sind vierzehn Geschlechter. Von der babylonischen Gefangenschaft bis zu Christus sind vierzehn Geschlechter.
Für Matthäus ist die Geschichte der Menschheit kein Zufall.
Sie ist GOTTES präzise geplante Geschichte, was für Matthäus an den drei mal vierzehn Geschlechtern (immer spielt die vollkommene Sieben eine Rolle!) deutlich wird. Und Gottes präzise geplante Geschichte ist Geschichte MIT und AN DER SEITE seiner Menschen.
Eindrucksvoll in dieser Geschichte, dass Frauen eine so wichtige Rolle spielen und welche es waren. Es waren gerade nicht, wie man hätte erwarten können, die berühmten Mütter Israels wie Sara, Rebekka, Lea oder Rahel, schlussendlich auch nicht Maria, sondern vier heidnische Frauen:
Tamar, die Aramäerin, Rahab, die Kanaaniterin, Rut, die Moabiterin, und Bathseba, die Frau des Hethiters Uria. Vier Frauen, alle keine Jüdinnen.
Von Anfang an ist für Matthäus deutlich, dass Israels Geschichte durchmischt ist mit der Geschichte der Völker, und ALLE ! haben ihren Urvater in Abraham, dem ersten Menschen, der Gott bedingungslos vertraute.
Jesus ist also einerseits geprägt von seinen jüdischen Vorfahren, er wächst als Jude auf und wirkt in die jüdische Gemeinschaft. Andererseits ist sein Dasein ein Bruch im normalen Weltgeschehen (V 18):
Die Geburt Jesu Christi geschah aber so: Als Maria, seine Mutter, dem Josef vertraut war, fand es sich, ehe sie zusammenkamen, dass sie schwanger war von dem Heiligen Geist.
Matthäus hat keinen Zweifel: Jesus ist zwar Jude. Aber er stammt direkt von Gott.
Meine Schwestern, meine Brüder:
Durch die Gene bekommen der Mensch so einiges von seinen Vorfahren mit. Die schönen Augen vielleicht, aber vielleicht auch cholerische Ausbrüche. Bestimmte Qualitäten, aber auch erlebte Mängel. Einer schwitzt schnell, ein Anderer fast nie, dafür friert er fast immer.
Und dazu kommt all das, was man erlebt. Hatte man liebevolle Eltern, oder ist man oft mit Angst nach Hause gegangen? Hatte man von allem genug, oder war die Jugend von Mangel und Verzicht geprägt? Hat man sich verstanden gefühlt oder eher wie ein Alien? Ist man in der Schule zurechtgekommen oder wurde man gemobbt?
Es wird keinen Tag im Leben geben, in dem man seine Haut verlassen könnte. Der Andere übrigens auch nicht, auch wenn mir das neue Anstrengung oder neuen Ärger bringt.
Doch Jesu Stammbaum führt zu Josef, nicht zu Maria. Damit führt Matthäus uns zu beidem: Zu den Genen und zu den Möglichkeiten Gottes. Beides ist wichtig für Weihnachten, beides für unser Leben.
Joseph kann nicht aus seiner Haut. Aber er lässt sich von Gott führen:
19 Josef aber, ihr Mann, der fromm und gerecht war und sie nicht in Schande bringen wollte, gedachte, sie heimlich zu verlassen.
20 Als er noch so dachte, siehe, da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem Heiligen Geist.
21 Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten …
24 Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich.
Joseph kann zwar nicht aus seiner Haut, aber er lässt Gott in sein Leben. Die Weisen aus dem Osten werden es ihm gleich tun, auch sie werden auf die Stimme Gottes im Traum hören und einen anderen Weg nach Hause wählen, also nicht zum König Herodes zurückkehren und Bericht erstatten.
Auch wir werden nie aus unserer Haut kommen, so lange wir in dieser Welt leben. Diese Erinnerung ist zugleich Mahnung an unseren Alltag: Auch der Mensch neben uns kann nicht aus seiner Haut. Der Alltag gelingt also nur, wenn man sich sensibel und hilfreich dem Anderen gegenüber verhält.
Doch wir sind eben auch Teil der Geschichte, die GOTTES Geschichte ist, in der er schon immer MIT und AN DER SEITE seiner Menschen war. Seit Weihnachten kann es keinen Zweifel mehr daran geben.
Denn seit Weihnachten können wir es selbst erleben:
Gott lässt uns nicht allein in unserer Haut.
Er wird Mensch, kommt uns in Christus entgegen,
geht uns UNTER unsere Haut.
Das eröffnet uns völlig neue Möglichkeiten: Alles kann neu werden.
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
gehen UNTER unsere Haut. AMEN