Unser kompletter Gottesdienst am 3. Advent zum Nachhören ist für vierzehn Tage hier zu finden.
Gott wird Gerechtigkeit schaffen
sein Advent ist Ende der Gottlosigkeit
kein Unrecht, Leid und Schmerz
für alle und jeden
Wir
sind wir auf dem Weg zum Heil der Welt
oder verlaufen wir uns
leben wir für Gottes Gerechtigkeit
oder für die Macht der Menschen
den Lauf der Welt
nehmen wir ihn einfach hin
oder mischen wir uns ein
weil Gott sich einmischt
Bereitet dem HERRN den Weg;
denn siehe, der HERR kommt gewaltig.
WSp Jesaja 40,3.10
***
Der Dritte Advent führt uns ins Gefängnis.
Zunächst en passant, im Vorübergehen, ganz nebenbei.
In ein Gefängnis vor knapp zweitausend Jahren, in dem ein prominenter Gefangener sitzt.
Er heißt genauso wie der Mensch aus dem letzten Buch der Bibel, über das wir hier am vergangenen Sonntag nachgedacht haben. Er heißt genauso, aber er IST ein anderer. Sein Name ist eben nicht selten, damals nicht, auch heute nicht: Johannes.
Ich lese den Bibeltext für heute
aus dem Evangelium nach Matthäus Kapitel 11 ab Vers 2:
2 Da aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger 3 und ließ ihn fragen: Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?
4 Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: 5 Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt; 6 und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.
7 Als sie fortgingen, fing Jesus an, zu dem Volk über Johannes zu reden:
Was zu sehen seid ihr hinausgegangen in die Wüste? Ein Schilfrohr, das vom Wind bewegt wird? 8 Oder was zu sehen seid ihr hinausgegangen? Einen Menschen in weichen Kleidern? Siehe, die weiche Kleider tragen, sind in den Häusern der Könige. 9 Oder was zu sehen seid ihr hinausgegangen? Einen Propheten?
Ja, ich sage euch: Er ist mehr als ein Prophet.
10 Dieser ist’s, von dem geschrieben steht: “Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.”
Gefängnis ist nicht gleich Gefängnis.
Da gibt es einfachere und sogar offene Strafvollzugseinrichtungen und es gibt Hochsicherheitsbauten. Solche mit meterhohen Betonmauern drum herum, mit Stacheldraht, mit elektrisch geladenen Zäunen. Mit Isolationszellen, Einzelzellen, Todeszellen.
Letztere nicht bei uns, zum Glück – anderswo in der Welt aber erfreuen die sich großer Beliebtheit.
Sicher nicht bei den Insassen, dafür aber bei den Mächtigen.
Gefängnis ist nicht gleich Gefängnis.
Selbst wenn sie von außen und innen haargenau gleich gebaut worden wären: Es kommt auch darauf an, wo sie stehen.
Ob in Deutschland, in Bolivien, in Russland, in China.
Ob in Los Angeles, in Rammstein, in Guantanamo.
Und natürlich kommt es auch darauf an, wer gerade Herrscher ist. Xi Jinping, Karl der Große oder Herodes.
Gefängnis ist nicht gleich Gefängnis.
Eine bekannte Liedzeile unserer Tage fällt mir ein: „Unser versklavtes Ich ist ein Gefängnis und ist gebaut aus Steinen unsrer Angst“. Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer.
Man kann eben auch in Freiheit gefangen sein und „sitzen“.
Im Gefängnis seiner Vorstellungen, seiner Lebenspläne, seiner Angst, seiner Sorge.
Im Gefängnis seiner Erfahrungen, seiner Zwänge, seiner Ideologie.
Solche Gefängnisse gibt es sicher so viele wie Sand am Meer.
Auch sie mit winzigen Zellen, vielleicht 3 x 3 Meter, mit Fenstern ohne Blick in den Himmel und Stahltüren, die von innen nicht zu öffnen sind.
Gefängnis ist nicht gleich Gefängnis.
Doch es gibt wohl kein Gefängnis, das nicht Symbol des Scheiterns wäre.
Kriminelle scheitern an den Gesetzen eines gelingenden Miteinanders,
Andersdenkende scheitern an den Mächtigen,
Unglückliche scheitern an ihrem Sein in dieser Welt,
Tieren scheitern in Massen am Heißhunger der Menschheit.
Gefängnisse sind ein Symbol des Scheiterns in dieser unvollkommenen, gewalttätigen Welt.
Doch zurück in das Gefängnis en passant, im Vorübergehen. Johannes sitzt darin, genauer: Johannes der Täufer. Matthäus berichtet, er sei ins Gefängnis gekommen, kurz nachdem er Jesus im Jordan getauft hatte.
Freilich ist nicht deswegen ins Gefängnis gekommen. Er hatte den Fehler gemacht, seine Bußpredigt an eine gefährliche Adresse zu richten. Weit draußen, in einer einsamen Gegend irgendwo am Jordan, da war das in Ordnung, den Menschen den Spiegel vorzuhalten, ihnen ins Gewissen zu reden, sie in die Buße, zur Umkehr zu rufen.
Doch Johannes hatte das auch bei Herodes getan. Der war bekanntlich ein Landesfürst und nicht irgendwer, heute würde man ihn wohl als Oligarchen bezeichnen. Der hatte sich die Frau seines Bruders genommen und dafür seine Frau in die Wüste geschickt. Und Johannes sagte: Es ist nicht recht, dass du sie hast. Dafür sitzt er nun im Gefängnis.
Johannes hat sicher damit gerechnet, dass das so kommen würde. Auch, dass er kein faires Gerichtsverfahren zu erwarten hatte. Herodes hatte die Macht, mit ihm zu tun, was er wollte. Lebendig würde der ihn wohl nicht wieder aus dem Gefängnis herauslassen.
Ganz offenbar aber macht Johannes DAS kein Kopfzerbrechen. Er WOLLTE für die Wahrheit eintreten und wusste, dass sie einen hohen Preis kosten konnte. Er fühlt sich auf dem richtigen Weg, vor der Wahrheit wegzurennen ist für ihn keine Alternative.
Dass diese Welt ist, wie sie ist, ist für Johannes kein Grund zum Glaubenszweifel. Sie ist Gottes Werk und Gottes Wille, und kein Mensch würde je wirklich begreifen können, WARUM diese Welt so und nicht anders ist, WARUM die Menschen frei zu allem Bösen sind, WARUM dieses Leben bedroht und krank ist vom ersten bis zum letzten Tag.
Für Johannes ist darum nur wichtig, WIE jeder einzelne dieses Leben meistert. Ob ein Mensch erkennt, dass Gott jeden Einzelnen als Gegenüber geschaffen hat. Ob er erkennt, welche Konsequenzen es für jeden einzelnen Mensch haben müsste, GEGENÜBER Gottes zu sein.
Für Johannes ist darum nicht wichtig, zu begreifen, WARUM es so ist, wie es ist. Ob er frei kommt oder nicht. Er weiß: Für die Wahrheit Gottes einzustehen ist richtig, egal welche Konsequenzen das hat. Kein Zweifel: Gott ALLEIN kennt alle Antwort auf das Warum. Ein Mensch kann sie bestenfalls AHNEN.
Aber Johannes ist auch klar: Das ZIEL Gottes für diese Welt ist die VOLLKOMMENE Welt, ist das Reich Gottes, ist das Kommen und Wirken Gottes im Messias.
Was ihm darum WIRKLICH nahe geht, was ihn beschäftigt, ja was ihn beunruhigt: Ist Jesus der, auf den er wartet? Johannes und viele mit ihm warten und fragen: Kommt mit Jesus der Tag, an dem die Spreu vom Weizen getrennt wird?
Denn ja, genau das soll Johannes ja gepredigt haben: „Er hat die Worfschaufel in seiner Hand und wird die Spreu vom Weizen trennen und seinen Weizen in die Scheune sammeln; aber die Spreu wird er verbrennen mit unauslöschlichem Feuer.“ (3,12)
Hinter diesem Bild lebt die Hoffnung, dass die Gerechtigkeit Gottes ein Ende machen würde mit dieser unvollkommenen, gewalttätigen Welt. Das selbst ein Herodes zur Rechenschaft gezogen werden würde. Für Johannes ist es nicht so wichtig, was aus ihm wird. Wohl aber, was aus seiner Hoffnung auf die Gerechtigkeit Gottes wird – das ist für ihn LEBENSwichtig.
Johannes fragt daher nicht:
Warum ist die Welt so schlecht, dass ich hier im Gefängnis sitzen muss?
Er fragt daher nicht: WAS bist du, was leistest du, was machst du, Jesus?
sondern er fragt:
Jesus – WER bist Du?
„Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?“ (V 3)
Matthäus glaubt: Ja, Jesus ist es.
Auch WIR glauben: Ja, Jesus ist es.
Jesus WEIß es: Ja, ich BIN es.
Aber so einfach kann er das nicht sagen. Hier reicht kein einfaches Ja. Wer etwas von Gottes Ankunft auf dieser Welt sehen will, dem reicht einfach kein einfaches Ja. Der muss nicht nur Gerüchte hören, der muss ERLEBEN, was geschieht.
DAVON spricht Jesus hier: „Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt“ (V 4.5).
Damit wird für Johannes die Verheißung aus Jesaja 35 lebendig (V 5+6): „Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird frohlocken…“
Johannes erlebt mit Jesus eine Überraschung:
Hier ist MEHR als eine Worfschaufel, viel mehr als die Trennung der Spreu vom Weizen. Jesus lässt die Menschen sehen, dass Gott sich JEDEM EINZELNEN Menschen zuwendet.
Dass Gott jedem einzelnen Menschen genau das zukommen lässt, was ihm in der unvollkommenen, gewalttätigen Welt am meisten fehlt.
Blinde, Lahme, Aussätzige, Taube, sogar Tote werden es finden und bekommen. Sie, die das Leben ausgegrenzt hat, sie werden von Jesus ins Leben zurückgerufen, in die Gemeinschaft mit ihm. Alle Armen haben ihren garantierten Platz bei Gott, und das meint nicht nur solche Arme, die zu wenig Geld haben. Es meint ALLE, die aus den Gefängnissen befreit werden müssen, in denen sie leben. Das ist Gottes gute Botschaft an alle, das ist das Evangelium an die Armen: Wer Gott begegnet, nach ihm fragt, sein Gegenüber sein will, erLEBT: FREIHEIT. In JEDEM Gefängnis.
Mit dieser Antwort kehren seine Jünger zu Johannes zurück. Wie Johannes auf Jesu Antwort reagiert hat, können wir nur erahnen. Wir wissen nur um den Schluss der Antwort Jesu:
„Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert“ (V6).
Meine Schwestern, meine Brüder:
Ob Johannes das gelungen ist? Denn das ist wirklich nicht leicht!!
Sehen wir in unsere Welt, erkennen wir doch sofort, wie schwer das ist. Jeder einzelne Mensch weiß doch, wie es besser für ihn laufen könnte. In welchem Gefängnis er sitzt. Dass diese Welt genau das ist: Unvollkommen, gewalttätig.
IST das denn nicht ärgerlich? KANN Gott es nicht besser oder WILL er bloß nicht? Wozu kam der Sohn Gottes auf diese Welt, wenn sich an dieser Welt doch nichts ändert? Oder ändert sich nicht doch etwas: Zum Schlechteren, von Tag zu Tag?
Was wolltet ihr denn finden? fragt Jesus.
Einen Menschen, dem es schlechter geht als euch selbst, das Schilfrohr im Wind, in steter Gefahr zu brechen?
Einen Menschen, dem es besser geht als euch selbst, in weichen schicken Kleidern wie Fürst Herodes sie trägt?
Ist euch nicht klar, dass Johannes ein Prophet ist, sogar mehr als das?
Einer, der in dieser Gefängnis-Welt nach Gott fragt?
Der die Fehlleistungen der Menschen kennt, sie beim Namen nennt – aber NICHT an ihnen verzweifelt, weil er auf Gott setzt? Der sich NICHT überhöht, indem er vorgibt, dass er diese Welt BESSER hätte schaffen können, als Gott sie erschaffen hat?
Der nicht nur WEIß, dass Gottes Plan die Vollkommenheit ist, sondern der auch mit dieser Vollkommenheit RECHNET?
Johannes bereitet Gott den Weg, indem er nach dem Messias nicht nur fragt, sondern auch mit ihm RECHNET,
weil er in Gottes Gegenwart LEBEN will,
seine ANKUNFT erleben,
sein Gegenüber sein will.
Ich denke: Dieser Johannes ist einer der Menschen, der das Zeug dazu hat, sich NICHT an Jesus zu ärgern. Er hat das Zeug dazu, Gottes Ankunft bei den Menschen selbst zu erleben, selbst im Gefängnis. Zu erleben, dass Gott Blinde sehen, Lahme gehen, Taube hören lässt. Dass da, wo Gott bei den Menschen ankommt, alle Gefängnisse dieser Welt ihre Insassen in die Freiheit Gottes entlassen.
Wer heute Weihnachten feiern will, OHNE das Welt-Gefängnis zu verlassen, wer immer das versucht, wird nicht umhin kommen, sich zu ärgern. Gründe dazu gibt es nämlich genug.
Ich aber will den Advent nutzen, umzukehren. Ich will mit euch zu den Seligen werden und gehören, die sich NICHT daran ärgern, dass Gott zur Weihnacht nur ein Mensch wurde.
Ich will mich mit euch an den Geschenken Gottes erfreuen, die mit dem Kind in der Krippe für alle Menschen ERLEBBAR geworden sind, welche da sind:
Die Liebe Gottes, die jedem das zukommen lassen will, das er am nötigsten braucht.
Die Gnade Jesu Christi, die alle Schuld auf sich nimmt, jede Schande abdeckt, das Gute und die Schönheit in allem findet.
Die Gemeinschaft des Heiligen Geistes, die es möglich macht, in dieser unvollkommenen Welt gemeinsam die vollkommene Welt zu finden.
Advent:
Zur Weihnacht kommt Gott an.
Bei uns. In jedem Gefängnis.
AMEN