Tu es endlich! (Hiob 14 1-6)

Die Hoffnung
Der Tag wird kommen
wo jeder Mensch, der
je gelebt hat und lebt
Gott so sehen wird, wie er ist
Liebe, Heil und Gerechtigkeit für alle

Die Gefahr
Dass Hoffnung im Leid untergeht
Menschen unter Menschen lässt
ein Leben ohne Gott
ohne Antwort für das Leben

GOTT aber lässt
Menschen in seinem Geist zusammen wohnen
jetzt schon leben im Glanz seines Reiches

Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade,
siehe, jetzt ist der Tag des Heils. 2 Korinther 6,2b
***
Wir feiern unseren Gottesdienst heute zwei Tage nach dem 9. November, einem sehr wichtigen Tag. Nicht nur, weil meine Großmutter väterlicherseits da vor 120 Jahren geboren wurde- ohne sie würde ich hier nicht stehen.

Genau 100 Jahre ist es her gewesen, dass der 9. November 1918 das Ende der deutschen Monarchie kennzeichnete. Der erste Weltkrieg war verloren, die Novemberrevolution hatte begonnen, der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann rief an diesem Tag von einem Fenster des Reichstages in Berlin die erste Deutsche Republik aus. Der Kaiser dankte ab.

Auf den Tag genau 5 Jahre später, am 9. November 1923, kündigte sich mit dem Hitler-Ludendorff-Putsch in München das wohl dunkelste Kapitel unserer Geschichte an. Der Putsch wurde zwar niedergeschlagen, aber der Weimarer Republik war es im weiteren Verlauf nicht vergönnt, ihre Geburtsfehler zu heilen.

Auf den Tag genau vor 80 Jahren dann, am 9. November 1938, begann der Holocaust für die Juden Europas mit der so genannten „Reichskristallnacht“.

Brennende Synagogen, Diskriminierung und Gewalt gegen Männer und Frauen, Kinder und Greise als Vorboten von Deportationen, Konzentrationslagern, Gaskammern. Millionen Juden in Europa wurden Opfer dieser Hölle auf Erden, die vom Land der Dichter und Denker ausging.

Wir haben nichts davon gewusst, hörte es damals von vielen Deutschen. Vielleicht hätten sie besser und richtiger sagen sollen: So etwas hätten wir niemals und nie für möglich gehalten. Nicht bei uns!

Und weil viele das Grauen und wohl auch ihr eigenes Versagen nicht verarbeiten oder gar verstehen konnten, fragten sie: „Wie hat Gott das zulassen können?“ und wandten sich von ihm ab.

Vielleicht sollte man auch hier besser anders sagen: Wandten sich VÖLLIG von ihm ab. Denn wenn der Gott Sarahs und Isaaks, der Vater Jesu Christi, in ihrem Leben eine größere, wirklich GÖTTLICHE Rolle gespielt hätte, wäre alles sicher anders gekommen.

Dass viele Christen damals GOTT für das Geschehen verantwortlich machten, kann man vielleicht noch nachvollziehen. In ihren Augen war damit belegt, dass Gott nicht Herr der Geschichte sein konnte, also nicht Gott war.

WIRKLICH unerhört aber war und ist etwas ganz anderes. Dass nämlich das Judentum daran nicht zerbrochen ist. Gab es vor dem Holocaust ca. 16,6 Millionen Juden weltweit, waren es danach nur noch ca. 10 Millionen. Mehr als ein Drittel war unter deutscher Führung ermordet worden.

Da GRENZT es nicht nur an ein Wunder, es IST eines, dass die Juden nicht an Gott verzweifelten. Dass es sogar in Deutschland heute wieder jüdisches Leben gibt. Wie hat ihr Glaube das überleben können? Was macht ihren Glauben so stark?

Diskriminierung, Verfolgung und Mord haben Juden in ihrer Geschichte immer wieder erfahren müssen. Sie erlebten grausame Gewalt gegen ihr eigenes Volk, aber ebenso grausame Gewalt gegen das eigene Leben. Man kann ja das eine vom anderen kaum trennen. Denn Grausamkeit bleibt Grausamkeit, Mord bleibt Mord, gegen wen oder was sich das auch immer richtet. Am Ende bleibt die Hölle auf Erden.

Diese Hölle auf Erden hat Hiob erleben müssen. Hiob, der Gott fürchtete und ihm vertraute. Hiob musste dennoch erleben, wie ihm nach und nach alles genommen wurde, was sein Leben auf dieser Welt ausmachte. Vermögen, Familie, Gesundheit.

Das Buch Hiob, aus dem auch der Predigttext für heute ist, berichtet, dass Hiob damit nicht allein gelassen wird. Er hat Freunde, die ihn selbst im größten Elend nicht verlassen. Sie sitzen bei im und versuchen, ihm zu helfen. Sie erinnern ihn daran, welche großen Glaubensbekenntnisse er einmal selbst gesprochen hatte.

Es waren genau so große Sätze wie der Wochenspruch von heute: Siehe, JETZT ist die Zeit der Gnade, siehe, JETZT ist der Tag des Heils. Oder wie die aus der Brieflesung von eben: Keiner lebt sich selber, keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn.

Mancher mag jetzt sagen: Das ist doch Paulus, der kam doch erst hunderte Jahre nach Hiob auf die Welt. Das ist doch der zweite Teil der Bibel, und Hiob steht doch im ersten.

Aber es ist und bleibt doch so, dass die Freunde des Hiob und Paulus vom selben Herrn, vom selben Gott reden. Hiobs Gott und Paulus’ Gott ist derselbe.

Die Freunde Hiobs versuchen es mit gediegener Theologie, Hiob wieder aufzurichten. So wie auch wir immer wieder versuchen, uns mit gediegener Theologie wieder aufzurichten. JETZT ist der Tag des Heils! Wir leben und sterben wir dem Herrn!

Hat diese Wahrheit Hiob wieder aufgerichtet? Hat diese Wahrheit verhindert, dass er seinen Glauben nicht verloren hat?
Aus seiner Antwort an die Freunde zitiert der Predigttext (14, 1-6):

1 Der Mensch, vom Weibe geboren,
lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe,
2 geht auf wie eine Blume und welkt,
flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.
3 Doch du tust deine Augen über EINEN SOLCHEN auf,
dass du MICH vor dir ins Gericht ziehst.
4 Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer!
5 Sind seine Tage BESTIMMT, steht die Zahl seiner Monde BEI DIR und hast DU ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann:
6 so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat,
bis SEIN TAG kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.

Das ist die Rede eines Menschen, der in seinem Leid sehr, sehr einsam geworden ist. Auch wenn seine Freunde ihm zur Seite geeilt sind und bei ihm sitzen.

Sie KÖNNEN ihm nicht wiedergeben, was er verloren hat. Sie KÖNNEN nicht ungeschehen machen, was geschehen ist.

Mord und Raub, Verlust von Ehre und Gesundheit, das ist so hoch konzentriertes Elend, dass alle bisherigen Deutungsmuster nicht mehr passen. Es ist zum Irrewerden an Gott. Es ist „Versuchung“ von der Art, von der Jesus bitten lehrt, dass Gott uns nicht da hinein führen möge.

„Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade“: Selbst wenn das stimmen sollte, selbst wenn diese Theologie richtig ist: Helfen kann es nicht. HIOB kann es nicht helfen. Darum klagt er:

Der Mensch, von seiner Mutter geboren,
lebt KNAPP an Tagen, aber SATT an Aufregung.
Wie im Zeitraffer lebt er sein Leben:
Er geht auf, blüht wie eine Blume und – wird welk abgeschnitten.
Er flieht lebenslang wie ein Schatten, bleibt niemals stehen.
Rastlos sein Leben lang.

Doch gerade über einem solchen hältst du, Gott, dein Auge offen.
Gerade einen solchen ziehst du vor dein Gericht.
Du weißt doch, das vom Unreinen nichts Reines kommen kann. Nicht ein einziger Mensch ist „rein“, kann vor dir bestehen!

Und wenn du seine Tage schon festgesetzt hast, die Zahl seiner Monate, wenn Du seine Grenzen gezogen hast, die er niemals wird überschreiten können:
Dann blick doch endlich weg von ihm, lass von ihm ab, dass er die wenigen Tage, die ihm bleiben, wieder genießen kann.
Wie der Tagelöhner, dessen größtes Glück es ist, am Ende des Tages so viel zu haben, dass er LEBEN kann!

Hiob antwortet.
Aber er klagt sein Leid nicht seinen Freunden.
Er klagt es GOTT.

Hiob weiß, dass Gott der Natur ihre Gesetze gegeben hat. Den Tag zum Leben, die Nacht zur Ruhe. Der Sonne die Kraft des Tages und den Sternen ihre Bahn.

Aber er weiß auch, dass Gott diese Naturgesetze seinetwegen nicht außer Kraft setzen wird.

Hiob weiß, dass Gott dem Menschen alles zu Füßen gelegt hat: Gut und Böse, Segen und Fluch, und dass er dem Menschen die Freiheit geschenkt hat, selbst zu wählen, welchen Weg er gehen wird.

Darum weiß Hiob auch, dass Gott diese Freiheit niemandem jemals nehmen wird. Auch den FEINDEN des Hiob nicht. Niemals.

Hiobs Glaube ist so groß, dass er sein Leid dem einzigen klagt, der es wenden könnte. Er glaubt fest, dass GOTT derjenige ist, der seinem Leben alles gibt: Das Lebendigsein UND seine Grenzen.

Hiob glaubt fest, dass GOTT es ist, in dessen Macht es allein liegt, ihm wenigstens das Glück eines Tagelöhners zurück zu geben: Das Glück, den nächsten Tag erleben zu dürfen.

Das ist das Wunder: Hiob glaubt immer noch. Immer noch fest daran, dass Gott hört, was er zu sagen hat.

Hiob maßt sich nicht an, Gott Vorwürfe zu machen. Warum sollte er auch? Gott die Naturgesetze oder die Freiheit zum VORWURF machen? Schließlich sind die es doch gewesen, die das Leben des Hiob VOR der persönlichen Katastrophe bestimmt, hell und schön gemacht haben.

Hiob maßt sich nicht an, Gott den Rücken zuzukehren. Er sieht ihm vielmehr ins Gesicht, liegt IHM in den Ohren. Allein der größte Wunsch des Hiob bleibt: GOTT möge ihn in Ruhe lassen.
Ihn, den in Unreinheit gefangenen, vor Gott winzigen Hiob. Ihm, Hiob, solle Gott doch wenigstens die Ruhe des Feierabends lassen.

Meine Schwestern, meine Brüder,

ja, es ist wahr, dass am Ende des Buches Hiob ein Happyend steht. Das Gott alles wieder in Ordnung kommen lässt, so weit dieses nach menschlicher Sicht der Dinge überhaupt möglich ist.

Aber das ist nur ein äußerliches Happy- End. Es ist so, als wenn ein Mensch durch die Hölle eines Justizirrtums geht: Unschuldig verurteilt, hinter Gitter gekommen, sein bisheriges Leben verloren. Und der nach vielleicht 12 Jahren endlich rehabilitiert, freigesprochen wird.

Er wird wohl das Gefängnis verlassen können. Niemals aber wird er zurück erhalten, was er verloren hat: Sein altes Leben, seine alte Familie, sein altes Glück.

Die Wunden in seiner Seele können vielleicht vernarben. Aber heilen werden sie nie.

Darum ist wichtiger als das Happyend der Epilog am Ende des Buches: Die Rede Gottes über Hiob. Sein Urteil:

Hiob hat recht geredet von Gott mitten in aller Auflehnung, in aller Bitterkeit und Anklage. Er hat Gottes Gerechtigkeit in immer neuen Anläufen selbst gesucht. Er hat sie von Gott eingefordert: Verzweifelt, bitter, manchmal geradezu gotteslästerlich.

Aber immer hat er daran festgehalten, dass Gott der sei, der allein dies alles wenden kann. Und wenden MUSS, sei diese Wende auch noch so klein wie das winzige Feierabendglück des Tagelöhners.

Hiob hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit Gottes, und es sind genau diese Hungerleider, die Jesus später in der Bergpredigt als die bezeichnen wird, die selig sind und das Reich der Himmel ererben werden.

Dass Gott einem kleinen Menschen wie Hiob solch einen Glauben schenken kann: Das ist das Wunder der Geschichte Israels, das Wunder unserer Geschichte.

Der Glaube an theologische Wahrheiten reicht nur bis an das Ende der Möglichkeiten von Menschen, denn Theologie ist ja auch nur von Menschen gemacht.

Es IST egal, ob wir leben oder sterben, weil wir Gottes sind und bleiben. Aber dieser Menschen- Satz kann uns nur helfen, wenn GOTT bei uns ist, wenn wir IHN nicht verlieren, wenn wir IHM unser Leben zu Füßen legen, IHM unser Leid klagen, von IHM alles Heil erwarten.

Wenn das Leben wie eine schöne Blume blüht, sind solche Gedanken besonders schwer zu fassen, viel zu weit weg von der Schönheit des Lebens .

Aber jedem, dem ist vergönnt ist, älter oder gar alt zu werden, bleibt die Erfahrung des Leids nicht erspart. IMMER, wenn er seine Augen für andere Menschen öffnet, aber FAST immer auch am eigenen Leibe. Demütigung, Raub, Krankheit, Naturkatastrophen, Tod. Sie zeichnen das Glück.

Gott lässt das alles zu, weil er das Leben zulässt. Er lässt die Freiheit zu, dass wir selbst wählen können: Lebenslang zwischen Gut und Böse, zwischen Segen und Fluch. Und Gott allein ist es, der uns niemals verlässt. Der uns Menschen die Kraft des Glaubens schenkt, all das zu genießen und zu ertragen.

Der Glaube an die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes ist es, der uns am Ende des Tagelöhner- Tages sagen lässt:

Herr, wir glauben- hilf unserem Unglauben.
Tu es endlich.
AMEN.

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