Sehnsucht nach Advent (aus Jes 63 und 64)

Den Kopf nach unten
die eigenen Füße
den nächsten Schritt sehen
aber nicht weiter

Was kann der Mensch tun
wenn der andere den Kopf hängen lässt
was kann man bieten
dass der Blick nach vorn sich wieder lohnt?

Advent:
Erlösung ist erwartet
der Himmel Gottes offen

Seht auf und erhebt eure Häupter,
weil sich eure Erlösung naht.
Lukas 21,28
***

Advent. Erste Fastenzeit im Kirchenjahr. Liturgische Farbe: Violett, die Farbe der Buße, der Hinkehr zu Gott. Eine leise Zeit der Nachdenklichen. Die Lauten auf den Straßen merken ihn kaum, den Advent.

Advent. Alle Jahre wieder Zeit des Wartens. Als Kinder haben die meisten von uns es wohl kaum abwarten können, dass es endlich Weihnachten wurde. Dass man die halbe Stadt/ das ganze Dorf in der Kirche zur Christvesper traf. Dass die Kerzen am Weihnachtsbaum angezündet wurden und das Wohnzimmer in ein warmes, lebendiges Licht tauchten. Dass die ganze Familie zum Feiern beisammen war, weil ALLE einen Grund für dieses Fest hatten, anders als bei einer Geburtstagsfeier. Dass es sogar Geschenke gab – wie zum Geburtstag.

Und heute? Worauf warten die inzwischen Erwachsenen heute? Für die meisten ist das Kindheitsgefühl abhanden gekommen. Dafür gibt es endlos lange bunte Lichterketten an Häusern und in Vorgärten. Musik aus Lautsprechern. Plätzchenbacken, weil Plätzchenbacken dran ist. Einkaufen, als ob die Supermärkte für immer schließen wollten. Geschenkebesorgen. Doch Geschenke gibt es inzwischen auch zu Ostern. Manch einer meint inzwischen gar, ein Anrecht auf Geschenke zu haben…

Und irgendwie ist die letzte Adventszeit doch auch gerade erst gewesen. Corona gestern, Corona heute. Lockdown gestern, zwei G Plus heute. Weihnachten ist, wie jedes Jahr um die Zeit, einfach nicht aufzuhalten.

Gibt es da, also zu Weihnachten, eigentlich noch irgendwas zu feiern, oder geht es nur noch um Konsum und Festessen? Ist der Lack nicht ab vom Kind in der Krippe, den Hirten und den Engeln? Wer fragt schon noch nach Gott und seinem Jesussohn?

Ja, gut, wir hier. Aber wir sind doch immer mehr unter uns, und nicht wenige sehen voller Sorge auf kleiner werdende Gemeinden und eine irgendwie immer ungerechter werdende Welt. Wo immer weniger Menschen nach Gott fragen, ist wirkliche Gerechtigkeit eben fern.

Also: Was gäbe es zu feiern?
Warum lässt Gott sich in Vergessenheit geraten?

Aus Jesaja 63 ab dem 15. Vers:
So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer, (wo) deine Macht? …
WARUM lässt du uns, HERR, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten? Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind! … Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde.

Einen Ruf der Gottessehnsucht hören wir auch in dieser Predigt des dritten Jesaja. Angesichts der Zerstörung des Tempels 586 vor Christi Geburt trauern viele im Volk um das Verlorene. Und damit auch um eigenes Versagen, eigene Schuld. Bis zur Grenze des Erträglichen litt Jesaja an Gott, und viele in der Gemeinde litten mit ihm. Jesaja weiter:

Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen, wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kund würde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müssten, wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten – und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen! (63,19-64,2)

MUSIK EG 7 Strophe 1 (Fassung Johannes Brahms)

O Heiland, reiß die Himmel auf – singt der Chor nach EG 7.
Da könnt ihr weiter andere Strophen mitlesen.
Dieses Lied schrieb Friedrich Spee 1622. Er war Jesuitenpater und einer der schärfsten Gegner der Hexenprozesse seiner Zeit. Es ist nicht sicher, dass er Beichtvater von verurteilten Hexen war und sie bis auf den Scheiterhaufen begleitete.

Belegt ist aber, dass er unter der Hexenverfolgung in seiner Kirche litt. Öffentlich vertrat er, das Folter nicht der Wahrheitsfindung diene und viele Verurteilte demnach unschuldig seien. Glaube, Hoffnung und Liebe seien Gott gemäß; Folter und Hexenwahn aber nicht.

Ach, dass du den Himmel zerrissest und führest herab! In den Worten Jesajas fand Spee seine eigene Gottessehnsucht wieder. Er nutzte das Bild in der ersten Strophe. Gott, zeige sie endlich, deine Macht, die Feuer lodern und Berge zerfließen lassen kann!

MUSIK EG 7 Strophe 2

„Träufelt, ihr Himmel, von oben, und ihr Wolken, regnet Gerechtigkeit! Die Erde tue sich auf und bringe Heil, und Gerechtigkeit wachse mit auf!“ – So ist es bereits vorher bei Jesaja zu lesen (45,8). „Ihr Wolken, brecht und regnet aus den König über Jakobs Haus!“ So, wie der Regen Leben über ausgedörrtes Land zurück bringt, sollen die Wolken den König aller Welten über die Menschen unserer Welt regnen lassen.

MUSIK – Strophe 3

„Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen.“ Auch das Worte aus dem Jesajabuch (11,1) „O Erd, herfür dies Blümlein bring, o Heiland, aus der Erden spring!“ Nicht nur aus den Wolken geregnet, sondern bodenständig gewachsen, neben und für uns. Auf dass wir Menschen endlich erkennen könnten, wie Gott das Leben für uns gemeint hat.

MUSIK – Strophe 6

Die sechste Strophe führt den klagenden Ton fort, ja führt ihn auf die Spitze. Sie vertieft den Schmerz, macht deutlich, wie GROß er wirklich ist: Nach allem Leid, nach aller Gewissensnot dieses Erdenlebens droht auch noch das Damoklesschwert des ewigen Todes. Das wahrhaftig endgültige Elend.

Meine Schwestern, meine Brüder,

Advent: Was gibt es zu feiern? Was gab es je zu feiern? Für Jesaja, vor dessen Augen all das zerstört da lag, woran er doch in seinem Herzen glaubte? Für Friedrich Spee, der Gott in seiner Kirche kaum noch wiederfand? Für uns?

Menschen zu jeder Zeit haben ganz offenbar gelitten darunter, dass viele ihrer Zeitgenossen nicht nach Gott fragten und stattdessen eigene Wege gingen. Oft gar noch behaupteten, ihre Wege seien die Wege Gottes.

Schon darum werden wir alle aus vollem Herzen und zu jedem Zeitpunkt unseres Lebens den letzten Satz dieser Strophe mitsprechen: „Ach komm, führ uns mit starker Hand vom Elend zu dem Vaterland.“

Und da sind wir überraschend bei dem, was zu feiern ist: Dass diese Sehnsucht über die Jahrtausende hinweg nicht stirbt. Dass es immer Menschen gibt, in denen sie geweckt wird und auch wach bleibt.

Ein deutlicheres Zeichen dafür, dass Gott nicht nur zu uns redet, sondern dass er auch unsere Herzen gewonnen hat und unser Leben bestimmt, kann es kaum geben. Diese Sehnsucht zeigt doch: Gott lässt sich durch uns sehen. Man kann doch nur „abirren“ von Wegen, die es wirklich gibt.

Und wir HABEN erkannt, dass es sie wirklich gibt. Dazu wurde Gott in Jesus Christus Mensch. DAZU schlug sie aus, die Erde, wuchs es auf, das Reis aus dem Stamm Isais. Jesus Christus hat uns die Wege hautnah gebracht, die zu Gott führen. Er richtet uns aus dahin, dass wir diese Wege finden und gehen können.

So ausgerichtet, also „gerecht“ zu sein: Das ist Gottes Weihnachtsgeschenk für unser Leben. Sehnsucht nach ihm zu HABEN, Sehnsucht nach ihm zu BEHALTEN: Das macht uns lebendig. Das hält uns am Leben.

Ja, Sehnsucht ist AUCH etwas, was schmerzt. Weil man etwas begehrt, wirklich für sich WILL, und es nicht „HABEN“ kann.

Doch was wäre unser Leben ohne Sehnsucht? OHNE, dass wir etwas begehren würden, von dem wir überzeugt sind: Dass ist gut für uns?

So ein Leben wäre tot. Mitten im Leben. Das aber lässt Gott nicht zu. ER hält in uns die Sucht wach, die sich nach einem Vaterland sehnt, das niemandem jemals wieder genommen werden kann. Nicht durch die Zerstörung des Tempels, nicht durch Hexenverbrennungen, nicht durch Gottesvergessenheit der Menschen. Die Sehnsucht nach SEINEM Land.

So ist bei Jesaja weiter zu lesen:
… Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren.(64,3)

Auf Gott harren zu dürfen, Sehnsucht nach IHM zu haben, auf IHN zu warten:
Eine Wohltat für den Menschen.
Allein durch dieses Geschenk hätten wir Grund genug, es alle Jahre wieder Weihnachten werden zu lassen und es froh zu feiern.

Und es IHM von Herzen zu danken. Und weil ihm in dem Lied von Spee dieser Dank irgendwie fehlte, hat Gregor Corner (Jesuit wie Spee) kurze Zeit später noch eine siebte Strophe geschrieben und angehängt:

MUSIK Strophe 7

Advent:
Die Sehnsucht nach der Ankunft der Liebe Gottes, der Gnade unseres Herrn Jesus Christus und der Gemeinschaft des Heiligen Geistes –

Gott selbst ist es, der diese Sehnsucht weckt und uns zur Wohltat wach hält.

AMEN

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