Märchenhaft (Lk 16 19-31)

Sehen
zuhören
verstehen
helfen
lieben
Das ist LEBEN

Gesehen sein
erhört werden
sich verstanden wissen
Hilfe erfahren
geliebt sein
auf ewig
Das ist LEBEN MIT GOTT

Christus spricht:
Wer euch hört, der hört mich;
und wer euch verachtet, der verachtet mich.
Lukas 10,16
***
Mögt Ihr Märchen? Also ich meine nicht die Märchen, die einem erzählt werden, um einen auf irgend eine Weise ruhig zu stellen oder gar über den Tisch zu ziehen. Wie zum Beispiel das Märchen von der geheimen Weltregierung, die sich gerade mindestens ein Mal die Woche trifft, weil sie sich verabreden müsse, wie man die „Coronalüge“ am Leben erhalten und unsere Welt in Angst und Schrecken versetzen könne.

Solche Märchen hört kaum jemand gern. Ich meine vielmehr die Märchen, die in alter Tradition mit „Es war einmal“ beginnen und eine Botschaft weitergeben, über die es sich nachzudenken lohnt, nicht nur einmal, sondern immer wieder.

Zum Beispiel ein Märchen wie „Hans im Glück“, das davon erzählt, wie ein gewisser Hans den Besitz als Ballast begreift, wie er von diesem Ballast befreit wird und so zum „glücklichsten Menschen unter der Sonne“ wird. Solche Märchen sind für mich der Stoff, aus dem Bestseller gemacht sind. Ich kann sie immer wieder neu lesen und hören, weil sie mir eine Botschaft sagen, die meinem Leben immer aufs Neue gut tut.

Der Evangelist Lukas berichtet (Kap 16), dass auch Jesus Freund von Märchen war, die es in seiner jüdischen Tradition wohl auch gab. Ob Jesus dabei die Märchen einfach nur Wort für Wort weiter erzählte oder sie selbst änderte, wird dabei nicht klar. Das ist wohl auch nicht wichtig. Wichtig für uns ist, wie die Botschaft heißt, und in Jesu Fall vor allem, was in dieser Botschaft das Wort Gottes ist.

Es war einmal – Jesus sagt: Es war ABER ein reicher Mann. Einen Namen hat er nicht, den braucht er für dieses Märchen auch nicht. Warum, das ahnt man später.

Es war aber ein reicher Mann, und sein ganzes Leben war wie ein Fest. An nichts fehlte es ihm, er hat sicher für seinen Lebensunterhalt nicht arbeiten müssen. Er hatte viele schöne und wertvolle Kleidungsstücke. Aus Purpur, dem Stoff, den sonst die Könige tragen. Aus kostbarem Leinen, das sich nur wenige leisten konnten. Dieser Mann lebte „alle Tage herrlich und in Freuden“ (V 19)

Ja, so leben sie, DIE 360 Menschen auf der Welt, die zusammengenommen über zwei Drittel des Weltvermögens besitzen. Und noch so manch anderer Mensch, die so viel Geld haben, dass weder sie noch ihre Kinder dies in einem Leben ausgeben könnten.

Kaum jemand, in dem kein heimlicher Neid beim Zuhören aufstiege: Ja – auch man selbst hätte ein wenig von so märchenhaftem Luxus im Leben ertragen – bevor man sich denn schlagen ließe.

Dann aber war da noch ein zweiter Mann. Der wiederum braucht einen Namen, weil er sonst nämlich NICHTS hat: Lazarus heißt er. Sein Schicksal mag man nicht wirklich teilen wollen.

Lazarus hatte nichts, vor allem keine Gesundheit. Er konnte sich nicht mehr selbst bewegen, sein Körper war voll von Geschwüren, die sehr wahrscheinlich hoch ansteckend waren, aber ganz genau wusste man das damals nicht.

Dieser Lazarus war vor der Tür des Reichen abgelegt worden. Das galt als soziale Maßnahme in der Gesellschaft damals, war so eine Art Pflegeversicherung: So mussten sie nicht auch noch verhungern. Man gab ihnen die Tischabfälle der Reichen. Unter anderem die Brotfladen, mit denen die sich nach dem Essen die Hände säuberten. Papierservietten gab es damals ja noch nicht.

Für Lazarus aber fiel vor der Tür dieses reichen Mannes kaum etwas Essbares ab. Und als ob das noch nicht traurig genug war:
Die Straßenhunde hatten Gefallen an seinen Geschwüren und leckten sie. Speichel auf offenen Wunden, raue Tierzungen –
das ist wahrlich keine Wohltat; neue, schmerzhafte Entzündungen sind zwangsläufig die Folge.

„Es begab sich aber, dass der Arme starb, und er wurde von den Engeln getragen in Abrahams Schoß“ (V22). Hier ein wirklich schönes Bild: Engel trugen ihn in Abrahams Schoß.

Abrahams Schoß: Dieses Märchen hat bei uns sprichwörtliche Bedeutung erlangt. Wenn jemand „sicher wie in Abrahams Schoß“ ist, kann ihm nichts passieren. Dieser Ort faszinierte auch viele Bildhauer, die ihn darstellten – vorzugsweise an Eingangsportalen gotischer Kirchen. Soll sagen: Wer in diese Kirche geht, ist sicher wie in Abrahams Schoß.

In der Bibel lesen wir von Abraham: Er war ein frommer Mann, voller Vertrauen, Ahnherr vieler Völker, auch dem der Israeliten. Abraham führt ein erfülltes Leben, wird 175 Jahre alt (1. Mose 2,7 ff.).

Mit der Zeit entsteht der Glaube, dass die Urväter die Verstorbenen im Jenseits empfangen. An Abrahams Seite, in seinem Schoß, muss Lazarus keine Not mehr leiden.

„Schoß“ spielt natürlich auf den Mutterleib an, den schützendem Raum für die Babys. Eng verwandt mit dieser Vokabel ist im Hebräischen das Wort „Erbarmen“. Die Redewendung von Abrahams Schoß beschreibt also einen Zustand ewiger, himmlischer Glückseligkeit: Hier findet Lazarus Trost, Geborgenheit und Frieden.

„Der Reiche aber starb auch und wurde begraben“ (V22) Jeder muss sterben – auch Reiche müssen das. Ihn aber trugen keine Engel. Die Leichenträger schleppen seinen Körper auf den Friedhof. So findet er sich zuerst in der Erde und dann in der Hölle wieder.

Dem namenlosen Reichen wird tüchtig eingeheizt: Der Dauerscheiterhaufen als Lebensausgleich. Schweiß aus Hitze, Schweiß aus Angst. Da sieht er in der weiten Ferne den Ahnherrn Abraham. Und hofft auf Hilfe: „Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus, damit er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche und mir die Zunge kühle; denn ich leide Pein in dieser Flamme!“ (V24)

Doch er bekommt zu hören: Abgelehnt – du hattest dein Gutes im Erdenleben, Lazarus aber nur Schlechtes. Außerdem: Niemand kann aus dem Himmel in die Hölle gelangen. Auch umgekehrt gibt es keinen Weg. Hier kommt es also umgekehrt, und das nicht nur lebenslang, sondern gleich für ewig.

Ja, das hört man dann doch irgendwie gern. Vor allem, wenn man auf der Verliererseite des Lebens steht. Wenn man mit 50 seine Arbeit verliert. Oder einen der Chef nur darum auf der Abschussliste hat, weil man eine eigene Meinung hat. Oder man für den einfühlsamen Umgang mit den Geschöpfen und der Schöpfung gegen die sprichwörtlichen Windmühlenflügel läuft,
die ihn tausendmal vom Pferd geworfen haben.

Dann mag es tröstlich sein, zu hören: Es gibt sie doch, eine Gerechtigkeit. Wenn schon nicht in diesem Leben, dann wenigstens im Jenseits. Entsetzen packt den Reichen. Sollte dieses Schicksal nicht nur ihm, sondern auch dem Rest seiner Familie blühen? „So bitte ich dich, Vater, dass du Lazarus sendest in meines Vaters Haus; denn ich habe noch fünf Brüder, die soll er warnen, damit sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual“ (V27f).

Aber der Sund zwischen Himmel und Hölle, zwischen Gott und den Heizknechten, zwischen Rettung und Untergang, zwischen Lazarus und ihm erweist sich als unüberbrückbar. Nein, sagt Abraham, „sie haben Mose und die Propheten; die sollen sie hören“ (V29) Der Reiche hält dagegen: „Nein, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun.“ (V30)

Doch Abraham lässt sich nicht beirren: „Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde“ (V31). Das scheint uns in doppelter Weise logisch: Wenn der Reiche von Lazarus keine Notiz genommen hat, als er lebte: Woher sollten denn seine Brüder von ihm wissen? Wüssten sie überhaupt, dass er gestorben ist, könnten sie ihn je wiedererkennen?

Und dann fällt dem Christenmenschen ein: Auch an die Auferstehung Jesu glauben doch die wenigsten Menschen, selbst wir haben es damit doch schwer: Was sollte das also helfen, Lazarus zu den Brüdern zu schicken?

Meine Schwestern, meine Brüder:

Damit endet das Märchen. Ihr könnt es bei Lukas 16 in den Versen 19-31 nachlesen, und es war heute Predigttext, aber das habt Ihr ja sicher längst bemerkt. Doch zum Schluss muss ich ja nun noch die Frage zu beantworten versuchen, wo sich hier Gottes Wort hören lässt.

Kann Jesus das SO gemeint haben? Das Märchen von der jenseitigen Gerechtigkeit als Trostpflaster auf den Geschwüren
der gesellschaftlichen Abgründe dieser Welt? Das Bild von dem in der Supersauna durstenden Reichen als Mahnung an das Gewissen der Reichen? Dann drängt sich mir eine unangenehme Frage auf: Wer auf welcher Seite des Sunds würden ich eigentlich landen? Auf der Seite des Reichen wäre es noch deutlich heißer als heute hier…

Der bekannte Pfarrer Helmut Gollwitzer dazu:
„Wer sind wir? Antwort: Wir sind der reiche Mann. Das ist unsere genaueste unbestreitbare Ortsbestimmung. Wir gehören zu dem einen Drittel der Menschheit, die mit Entfettungskuren beschäftigt ist, während die anderen zwei Drittel mit Hungern und Verhungern beschäftigt sind“. Soll uns also doch gedroht werden? Kirche droht mit Hölle?

Doch der Arme ist nicht „gut“, nur weil er arm ist. Und der Reiche hat nicht DARUM den richtigen Zeitpunkt verpasst, weil er reich ist. Es gibt keinen ökonomische Zwangsfolge, etwa: Alle Armen finden sich im himmlischen Schoß wieder, alle Reichen in der Hölle.

Lukas lässt Jesus vielmehr deutlich andere Position beziehen. Der Arme kann sich nicht mehr verhalten, weil er sich nicht mehr bewegen kann. Dafür ist er bezeichnet durch seinen Namen: Lazarus. Lazarus bedeutet soviel wie unser „Gotthilf“ und ist dessen Lebensprogramm. Ein „Lazarus“ verliert bei allem, was das Leben ihm widerfahren lässt, eines nicht nie: Die Beziehung zur Hilfe Gottes. Was auch geschieht: Gott ist ihm nah, er wird ihn nicht verloren gehen lassen.

Der Reiche hingegen kann sich verhalten. Ihm steht jede Bewegungsmöglichkeit offen, darum braucht er hier auch keinen Namen. Seine Blickrichtung aber lässt ihn schließlich als den Gescheiterten dastehen.

Sich kleidet er in Purpur.
Sein Leben gestaltet er „herrlich und in Freuden“.
Selbst im Tod hat er nichts hinzugelernt:
Ich leide Pein!
Meine Brüder müssen gewarnt werden!
Er dreht sich nur um sich selbst.

Rebbe, ich verstehe das nicht, kommt ein Schüler zu seinem Rabbi. Rebbe, ich verstehe das nicht: Kommt man zu einem Armen, der ist freundlich und hilft, wo er kann. Kommt man aber zu einem Reichen, der sieht einen nicht mal. Was ist das bloß mit dem Geld?

Da sagt der Rabbi: Tritt ans Fenster! Was siehst du? –
Ich sehe eine Frau mit einem Kind. Und einen Wagen, der zum Markt fährt. –
Gut. Und jetzt tritt vor den Spiegel! Was siehst du? –
Nu, Rebbe, was werd’ ich sehen? Mich selber. –

Nun siehst du:
Das Fenster ist aus Glas gemacht,
und der Spiegel ist aus Glas gemacht.
Man braucht bloß ein bisschen Silber dahinterzulegen, schon sieht man nur noch sich selbst.

Wen sehe ich? Gottes Wort in unserem Märchen: Ändere die Perspektive. Sieh nicht nur auf dich. Leben wird nämlich unglücklich, wenn der eigene Wohlstand, eingene Bedürfnisse der Maßstab ist, an dem man sein Leben orientiert.

Liebe aber ist der Ausweg: Sie öffnet Horizonte, macht den Weg frei, baut Brücken, ebnet Wege. Gottes Liebe schickt seine Engel, „Gotthilf“ Lazarus kommt in Abrahams Schoß. Gott nimmt ihn wahr, anders als der Reiche. Es gilt also, den Nächsten wahrzunehmen, wenn man Gottes Liebe finden will. Und damit sich selbst.

Die Kluft zwischen Himmel und Erde, ein anderes Bild für den Sund der Sünde, wird überwunden durch Liebe: Sie durchbricht als einzige den Teufelskreis der Hölle schon auf Erden.

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
bewahren uns so sicher vor uns selbst
wie Abrahams Schoß
AMEN

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