Die Überraschung (Mt 25 31-46)

Unser Gottesdienst vom Vorletzten Sonntag dieses Kirchenjahres zu Nachhören ist für vierzehn Tage hier zu finden.

von dort wird er kommen
zu richten
die Lebenden und die Toten

was wird sein
Gesetz oder Gerechtigkeit
wer werde ich sein
frei oder verurteilt

wüsste ich es selbst
wenn ich versuchte
ehrlich zu sein
vor dem Richter
vor mir

nach einem Leben voller Unrecht
in einer Welt voller Unrecht
bleibt

Wir müssen alle
offenbar werden
vor dem Richterstuhl Christi.
2 Korinther 5,10
***

Ich finde den Gedanken ja irgendwie sehr tröstlich, dass jeder Mensch am Ende aller Zeiten Rechenschaft ablegen muss.
Auch der, der mir am Dienstag aus Roskow kommend und das Stoppschild überfahrend mit seinem Transporter samt Anhänger und ungesicherter Grünschnittladung die Vorfahrt so nahm, dass ich ohne Gefahrenbremsung sicher aufgefahren wäre. Der wird sich sicher erklären müssen, und auf diese Erklärung wäre ich ziemlich neugierig.

Ich selbst müsste mich dann allerdings auch dazu äußern, warum ich nur wenige Kilometer danach ein 60 Schild missachtete. Ich hätte auch eine Erklärung: Ich wollte einfach an dem Hänger vorbei, der mein Auto mit Blättern und anderem Zeug bewarf – wer weiß, was da sonst noch alles herunterfallen würde.

Ja – ich hätte auch einfach langsamer fahren oder anhalten können, bis der in sicherer Entfernung gewesen wäre. Aber dazu hatte ich in diesem Moment einfach keine Lust.

Allerdings – zumindest ICH werde mit der Rechenschaftslegung nicht bis zum Ende aller Zeit warten müssen. Dafür wird schon der Blitzer, der dann bei der Spiel-Bau GmbH vor Klein Kreutz stand, sorgen.

Aber es bleibt dabei – der Gedanke, dass am Ende aller Zeit JEDER Mensch vor GOTT steht und, wie Christiane Tietz schrieb , sich so sehen wird, wie er wirklich ist, ohne jede Lebenslüge -erkennen wird, was an seinem Erden-Leben gelungen war und was nicht: Der bleibt mir sympathisch.

Doch wie sieht das mit diesem Termin vor dem jüngsten, also allerletzten Gericht eigentlich konkret aus?
Die Vorstellungen sind da ja sehr vielfältig.

Dabei ist mir das Kindergebet „Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm“ noch am liebsten – ist doch dann Gott selbst dafür zuständig, mich in den Himmel zu bekommen. Wo aber wäre dann meine Rolle dabei?

Manche behaupten nun, dass die Hölle zwar existiere, aber leer sei und nur für die Katholiken vorgehalten würde. Damit sie sich ordentlich und ausreichend zur Beichte bewegen oder Ablässe kaufen.

Andere wieder behaupten, dass der Platz in Himmel auf 144.000 Plätze limitiert sei. Was allerdings nicht bedeute, dass alle anderen automatisch in der Hölle landen würden: Die „anderen Schafe“ hätten vielmehr die Chance, für immer als Untertanen des Reiches Gottes auf der dann paradiesischen Erde leben zu dürfen.

Die Antwort auf die Frage, ob man alle seine Lieben im Himmel wiedersehen würde, ist dann auch unsicher. Und nicht nur deshalb, weil man rein theoretisch nicht nur seine Lieben, sondern auch alle anderen wiedertreffen müsste. Doch bei 144.000 Plätzen und Aber-Milliarden Menschen ist es dann einfach viel zu eng im Himmel.

Auch unsere Bibel hat keine einheitliche Sicht auf Dinge wie Jüngstes Gericht, Himmel und Hölle oder Paradies. Hiob, von dem wir vorhin hörten, hofft darauf, dass der Zorn Gottes, den er an eigener Haut verspürt, sich am letzten Tag gelegt haben wird und eine große Liebe Raum nimmt:

„Du würdest rufen und ich dir antworten; es würde dich verlangen nach dem Werk deiner Hände. Dann würdest du meine Schritte zählen und nicht achtgeben auf meine Sünde. Du würdest meine Übertretung in ein Bündlein versiegeln und meine Schuld übertünchen.“ (14,15 ff)

Auch Psalm 62 setzt auf die Nachsicht Gottes: „…und du, Herr, bist gnädig; denn du vergiltst einem jeden, wie er’s verdient hat.“ (13) Paulus, von dem die ältesten Schriftstücke im zweiten Teil unserer Bibel stammen, redet in Röm 2 vom „Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, der einem jeden geben wird nach seinen Werken: ewiges Leben denen, die in aller Geduld mit guten Werken trachten nach Herrlichkeit, Ehre und unvergänglichem Leben; Zorn und Grimm aber denen, die streitsüchtig sind und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber der Ungerechtigkeit…“ (5 ff)

Auch das, was von Jesus zum Themenkreis überliefert ist, ist nicht gerade „homogen“.
Im ältesten unserer Evangelien lesen wir:
„Und dann werden sie sehen den Menschensohn kommen in den Wolken mit großer Kraft und Herrlichkeit. Und dann wird er die Engel senden und wird seine Auserwählten versammeln von den vier Winden, vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels.“

Und Johannes, der jüngste Evangelist, zitiert Jesus so (5,29): „… und es werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts.“

Lukas spricht explizit gar nicht über das Gericht, der Gedanke allerdings ist ihm nicht fern, denken wir an die Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus (Lk 16,19 ff) oder die Rede vom Mühlstein um den Hals des Verführers (17,1 f).

Die einzige Stelle, die ausführlich über das Jüngste Gericht spricht, ist bei Matthäus Kapitel 25 zu finden. Sie ist das Tagesevangelium heute und zugleich unser Predigttext.
Ich lese aus der Neuen Genfer Übersetzung die Verse 31-46.
Da sagt Jesus:
31 »Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommen wird und mit ihm alle Engel, dann wird er in königlichem Glanz auf seinem Thron Platz nehmen.
32 Alle Völker werden vor ihm versammelt werden, und er wird die Menschen in zwei Gruppen teilen, so wie der Hirte die Schafe und die Ziegen voneinander trennt. 33 Die Schafe wird er rechts von sich aufstellen und die Ziegen links.
34 Dann wird der König zu denen auf der rechten Seite sagen: ›Kommt her, ihr seid von meinem Vater gesegnet! Nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch vorbereitet ist. 35 Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war ein Fremder, und ihr habt mich aufgenommen;
36 ich hatte nichts anzuziehen, und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank, und ihr habt euch um mich gekümmert; ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht.‹
37 Dann werden ihn die Gerechten fragen: ›Herr, wann haben wir dich denn hungrig gesehen und dir zu essen gegeben, oder durstig und dir zu trinken gegeben? 38 Wann haben wir dich als Fremden bei uns gesehen und haben dich aufgenommen? Oder wann haben wir dich gesehen, als du nichts anzuziehen hattest, und haben dir Kleidung gegeben? 39 Wann haben wir dich krank gesehen oder im Gefängnis und haben dich besucht?‹
40 Darauf wird der König ihnen antworten: ›Ich sage euch: Was immer ihr für einen meiner Brüder getan habt – und wäre er noch so gering geachtet gewesen -, das habt ihr für mich getan.‹
41 Dann wird er zu denen auf der linken Seite sagen: ›Geht weg von mir, ihr seid verflucht! Geht in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel vorbereitet ist! 42 Denn ich war hungrig, und ihr habt mir nicht zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben; 43 ich war ein Fremder, und ihr habt mich nicht aufgenommen; ich hatte nichts anzuziehen, und ihr habt mir keine Kleidung gegeben; ich war krank und war im Gefängnis, und ihr habt euch nicht um mich gekümmert.‹
44 Dann werden auch sie fragen: ›Herr, wann haben wir dich denn hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder ohne Kleidung oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht geholfen?‹
45 Darauf wird er ihnen antworten: ›Ich sage euch: Was immer ihr an einem meiner Brüder zu tun versäumt habt – und wäre er noch so gering geachtet gewesen -, das habt ihr mir gegenüber versäumt.‹
46 So werden sie an ´den Ort` der ewigen Strafe gehen, die Gerechten aber werden ins ewige Leben eingehen.«

Die „Neue Genfer“ ist mir beim ersten Hören sympathischer als Luther und fast alle anderen Übersetzungen, sie redet nämlich nicht von „Schafen und Böcken“. Denn das kann man doch nur so verstehen, als würde der gute Hirte plötzlich Männer von Frauen trennen und die Männer zum Teufel schicken (hätte er die kastrierten Hammel verschont….?)

Die „Neue Genfer“ übersetzt hier aber „Schafe und Ziegen“. Das hört sich besser an, und der griechische Text gibt das auch her. Da hätte ich da als Mann wenigstens noch eine Chance.

Ja, das machten ordentliche Hirten in Palästina so, weil die Ziegen anders als die Schafe die Kälte nicht so gut ertrugen und besser nicht im Freien übernachten sollten. Doch hier scheinen sie ja dann gleich ins GANZ Warme -auf den Grill- zu müssen. Was ist daran „gerecht“?

Denn: Was können die Schafe dafür, dass sie Schafe, und die Ziegen, dass sie Ziegen sind? Soll er wirklich so aussehen, der Tag des großen Gerichtes? Dass das Bild vom guten Hirten ausgetauscht wird durch das vom Hirten, der die Schafe von den Ziegen scheidet?

Sieht man och einmal hin und sucht dann nach einem Platz für sich selbst, erwischt es wohl jeden kalt – und heiß. So wird es wohl uns allen gehen:
Wir werden uns ZWISCHEN den Stühlen wiederfinden.

Die einen, weil sie sich nicht werden daran erinnern können, wann sie Jesus begegnet wären und ihm geholfen hätten – auch wenn sie es natürlich GERN getan haben.
Und die anderen, weil sie sich nicht daran werden erinnern können, dass sie es NICHT getan hätten – auch wenn sie es natürlich gern getan HÄTTEN.

Eine große Unsicherheit bleibt, und Matthäus beschreibt sie so ausführlich, dass es beim Lesen fast langweilig wird:
Wann, wann, wann haben wir denn???
Doch Matthäus will offenbar für uns Hörende keine Zweifel aufkommen lassen: All unser Tun und Lassen wird nicht dazu führen können, dass wir uns sicher im Himmel wiederfinden.

Ja, es gibt hörbare Tendenzen:
Wer Hungrigen und Durstigen und Nackten gibt, was sie brauchen, Fremde aufnimmt, sich um Kranke kümmert und Gefangene besucht, dessen Chancen stehen nicht schlecht – offenbar aber nur so lange, so lange die MOIVATION dazu stimmt: Wenn genau genommen die linke Hand nicht wusste was die rechte tat.
Und wer, der einem Bettler Geld in die Schale wirft, wird DAS von sich mit Sicherheit behaupten können?

Also bleibt sie, die große Unsicherheit, und mancher fragt sich: Geht es denn nicht einmal am Jüngsten Tag fair zu? Die einen kommen in den Himmel, nur weil sie EINEM etwas Gutes getan haben, und das auch nur versehentlich – und die anderen in die Hölle, weil sie EINEM etwas schuldig geblieben sind, und das auch nur versehentlich?

Meine Schwestern, meine Brüder:

Nach all dem Gehörten oder Gelesenen scheint sicher:
Es soll ihn geben, den Jüngsten Tag, an dem jeder Mensch, der je lebte, gefragt werden wird:
Warum hast Du dies getan und jenes gelassen?

Es scheint auch sicher:
Man wird antworten müssen, oder besser antworten KÖNNEN.
Die Rede zur Verteidigung wird möglich sein, und sie wird Gehör finden. Das Verfahren selbst wird fair sein.

Ich kann dann vielleicht sagen:
Ich hatte einfach keine Lust, auf die Bremse zu treten, und gestört hat das außer dem Mann im Blitzerauto offenbar niemanden, und vielleicht nicht mal den, der hat sich vielleicht gefreut über das scharfe Foto.

Und der Transporterfahrer sagt dann vielleicht:
Ich hatte so einen Stress, und ich musste schnell wieder in die Firma, und der auf der Hauptstraße hatte ja noch genug Zeit zum Bremsen.

Sicher bleibt, dass Taten, Verteidigungsreden UND Motivation gewichtet werden – und dass es unsicher ist, ob sie uns geholfen haben werden, einen Platz im Himmel zu ergattern.
Ob der Richter mich also verstehen kann, dass ich zum Bremsen keine Lust hatte, oder ob er das als faule Ausrede verbucht.

Sicher ist für Matthäus aber auch, was in Vers 34 etwas versteckt ist: „Kommt her, ihr seid von meinem Vater gesegnet! Nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch vorbereitet ist.“

Das können doch nur Menschen verstehen, für die diese Worte WAHRHEIT geworden sind. Die sich danach SEHNEN, dass Gott Vater ist. Die daran GLAUBEN, dass Gott segnet und selbst ein Segen ist.

Die WISSEN, dass es nicht NUR die Hölle auf dieser Welt gibt, die ja nicht nur auf den Schlachtfeldern und Folterkammern, sondern zuerst IN DEN KÖPFEN der Menschen – wohl ALLER Menschen – zu finden ist.
Die SEHEN können, dass Gott spätestens durch Jesu Tod und Auferstehung NACH dieser Welt für seine Menschen das Reich des ewigen Lebens (V 46) bereithält.

Sie werden in ihrem Leben nach Gottes Wahrheit gesucht haben, im Nächsten das Ebenbild Gottes gesehen haben, ihr Tun und Lassen ÜBERLEGT haben.

Oder anders: Wer den Himmel Gottes in seinem Leben aus ganzem Herzen gesucht hat, der findet:

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes,
die uns den Himmel aufschließen.
AMEN

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