Das Netz der Sicherheit (Lk 5 1-11)

Sie predigen Heil
predigen Gesundheit und Schönheit
Reichtum und Erfolg,
Selbstfindung und Autonomie
oder eine verbesserte Welt

Was predigt die Kirche Jesu Christi?
Wo liegt ihre Wahrheit sinnvollen Lebens?

Aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben,
und das nicht aus euch:
Gottes Gabe ist es.
(Eph 2,8)
***
1 Es begab sich aber, als sich die Menge zu ihm drängte, zu hören das Wort Gottes, da stand er am See Genezareth.
2 Und er sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze.
3 Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus.
4 Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!
5 Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen.
6 Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen.
7 Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und ihnen ziehen helfen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken.
8 Da Simon Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.
9 Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die mit ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten,
10 ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen.
11 Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.

So nachzulesen im Evangelium nach Lukas am Anfang des 5. Kapitels.

Was bleibt in den Maschen hängen, wenn man sein Gedankennetz auswirft über dieser Geschichte und dann wieder in sein eigenes Ich-Boot zurückzieht? Was bleibt hängen von dem atemberaubenden Fischzug des Simon, der mitten in dieser Geschichte ein Mal nicht nur Simon, sondern auch „Simon Petrus“ genannt wird: Petrus, „der Fels“, dass wir auch wirklich merken, um wen es hier geht: Was bleibt hängen?

Ich werfe wie Simon mein Gedankennetz aus. Und notfalls, genau wie er, auch noch ein zweites Mal. Oder noch öfter. Denn man weiß doch, wobei es beim Gedankenfischen wirklich ankommt: Dass der Fang im Netz so reichlich ist, dass er für eine Weile reicht. Auch der in meinem Gedankennetz.

Hängen bleibt bei mir zuerst Mitleid mit Simon. Fischer-Nachtschicht auf dem See, harte Arbeit, aber in dieser Nacht ohne Erfolg. Und kurz vor dem Ende der Aufräum-Arbeiten kommt dieser Rabbi und möchte sein Boot. Natürlich für lau, der Rabbi selbst war ein Wanderprediger und hatte nichts. Simon tut ihm den Gefallen. Aber ob Simon noch wach genug war, ihm zuzuhören?

Und weiß er eigentlich dann, was er tut, als er dann alles stehen und liegen lässt, um sich Jesus anzuschließen? „Von nun an wirst du Menschen fangen…“: Das hatte er ja gar nicht gelernt.

Was war das überhaupt für ein Beruf? Fische fängt man zum Essen, aber was macht man mit gefangenen Menschen? Verlässt man für solche wirren Aussichten Familie, Dorf und Auskommen? Weiß Simon, was er tut, oder hätte er sich lieber erst einmal hinlegen sollen, um auszuschlafen?

Eine Reportage über Berufsfischer am Bodensee hängt ebenfalls in meinem Kopf: „Glück muss der Fischer haben“. Ob der Fang mager oder üppig ausfällt, ist trotz ausgesuchtem Fanggebiet, ausgefeilter Methodik und ausgereifter Technik nie vorauszusagen. Die ins Netz gegangenen Fische müssen dann auch noch verarbeitet und vermarktet werden. Der Fischermeister plombiert die Netze, Ordnung muss sein. Ein befriedigender, aber „relativ harter“ Beruf ohne geregelte Arbeitszeiten und mit Nachwuchssorgen.

Vor knapp fünfzig Jahren erst bekam die erste Fischerin ihr Patent. „Glück muss nun auch die Fischerin haben.“ Hoffentlich reicht deren Glück auch noch für ein ordentliches Fischerinnen-Leben aus, bevor die Rattenfänger des schnellen Geldes die mühsame und unsichere Fischerei leergefischt haben.
Nur: Ob eine Menschen-Fischerin auch irgendwann ihr Patent im Reich des Stuhles Petri erhält?

Und dann: Ob Lukas eigentlich beim Schreiben gelacht hat? Da wird der Prediger durch die Predigthörer so in die Enge getrieben, dass er sie im wahrsten Sinne des Wortes ausbooten muss. Kanzelhilfe durch ein Fischerboot – das gibt es ja wirklich nicht alle Tage.

Jesus lässt sich ein Stück hinausrudern. Genügend Abstand bis zur ersten Hörreihe – das ist besser für den Blickkontakt und das Mitdenken. Man muss beim Predigen den Kopf nicht immerzu hin- und herdrehen wie ein Uhu. Die Bewegung der Augen reicht dann aus, um die Menschen im Blick zu haben, die zuhören.

Und Jesus bleibt beim Weiterlehren nicht etwa wie ich stehen. Er setzt sich ins Boot. Warum macht Jesus das? Zuerst sicher, weil er sonst zu unsicher steht. Das Boot war nicht groß und darum etwas „kippelig“. Aber vielleicht auch, weil sich die Gemeinde dann auch setzt? Um mehr Hörruhe zu haben?

Was bleibt noch hängen im Gedankennetz? Mir fällt der Marinebesessene oberste Bischof der preußischen Landeskirche und letzter deutscher Kaiser ein, der auf seiner Yacht „Hohenzollern“ immer sonntags „Seepredigten“ hielt, aber gerade mit dem Ersten Weltkrieg unendlich vielen Menschen dem Untergang überließ.

Ein NETZ bleibt noch hängen im Gedankennetz: Das world-wide-web, das weltweite „Internetz“, kurz www genannt. Auch unsere Kirche hat dieses Netz längst für ihre Zwecke nutzbar gemacht.
www.ekbo.de oder reformiert-info.de oder reformiertertkirchenkreis.de oder… Jedenfalls ist Fakt: Beim Stöbern auch in diesem Netz bleibt immer wieder etwas auch im Gedankennetz der „User“ hängen.

Aber die Biographie des Simon ist wohl das wichtigste, das hängen bleibt in meinem Netz. Simon mit dem Beinamen Petrus, der erste Inhaber des Stuhles Petri in der damaligen Welthauptstadt Rom, an deren geschichtlichen Glanz auch heute noch alle erinnert werden, die den Vatikanstaat besuchen.

Die Biographie des Stammvaters der Päpste. Heute Stellvertreter Christi in der katholischen Weltkirche, ausgestattet mit Macht, Geheimdienstorganisationen, Schweizer Garde und Reichtum, unfehlbar in ihren Lehrentscheidungen.

Simon aber war Fischer. Und SEINE Netze blieben selbst im See Genezareth leer – dann und wann. So eindrucksvoll seine Nachfolgegeschichte als Jünger Jesu hier auch beginnt: Sie wird doch ein beschwerlicher Weg werden. An seinem Weg kann man begreifen, was Glauben bedeutet: Auf Gott zu hoffen GEGEN die so genannte „Realität“. Simon folgt so dem Stammvater Abraham, der sich als Greis mit 85 Jahren aufraffte und in ein neues Leben hinauszog.

Simon wusste um seine Fehlbarkeit. Sein Ego rechnet nicht mit Gottes Nähe. Auch nicht mit Jesus, der ihm hier ganz nahe kommt, zu nah. Er hat den großen Fischfang, den er nach einer durchgearbeiteten Nacht nun unter Aufbietung all seiner Körperkraft und unter Zuhilfenahme der Unterstützung seiner Freunde in die Boote zieht, nicht nur nicht erwartet – er hat ihn vielmehr nicht für möglich gehalten.

Bei Gott ist alles möglich. Das weiß er, aber ihm fehlt offenbar der Glaube daran. Darüber ist er so erschrocken, dass er Jesus bittet: Geh weg von mir, lass mich, das überfordert, was ich ziehen kann mit dem Netz meiner Gedanken und der wenigen Kraft, die ich nach alldem noch habe!

Aber er hört: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen! Und schon wieder geschieht Unbegreifliches: Simon lässt alles stehen und liegen. Die Netze ungewaschen, den Fischfang im Boot. Die Familie im Dorf – und seine Freunde tun dasselbe.

Was ist geschehen? Haben diese Männer Unerhörtes gehört?
Fischfänger – Rattenfänger – Menschenfänger? Plötzlicher Perspektivwechsel durch neuen Beruf? Worte wie wunderbare Flötentöne aus dem Munde des Menschen Jesus, denen man einfach folgen musste?

Oder war hier etwas noch größeres, nämlich die Nähe Gottes? Menschen, die ein gutes Wort suchten und auch hörten; dieser Mensch Jesus, der sich ihnen nicht entzieht, der auch die Not der Fischer erkennt, sich ihnen zuwendet und sie plötzlich nicht nur hören, sondern auch spüren lässt, was Liebe Gottes wirklich ist?

Die Gruppe der Fischer betritt einen langen Weg. Evangelien, Apostelgeschichte und Briefe erzählen ihn. Ein Bekenntnisweg mit vielen Stationen, mit Höhen und Tiefen. Der Weg des Glaubens ist keine leere Autobahn, sechsspurig und in Hochgeschwindigkeit bis zum Ziel befahrbar.

Sie erleben, wie nahe Gott ihrem Leben ist. Überwältigt von all dem bekennt Simon später: Du bist der Christus, der Sohn Gottes! Und Simon, schon Petrus genannt, vermag sein Bekenntnis noch zu steigern: Mögen dich auch alle verlassen, Jesus: Ich werde bleiben und dir nachfolgen, sei es in den Tod!

Da aber sollte er sich irren. Die Blechhähne auf den Kirchturmspitzen, die sich quietschend oder geölt Jahr um Jahr nach dem Wind drehen, erinnern daran: Nicht einmal drei Mal krähte der Hahn damals, und die Todesangst hatte den Fels Petrus wieder zum kleinen Simon werden lassen.

Aber selbst der hingerichtete Jesus vermag es, Simon diese Angst wieder zu nehmen und wieder zum Petrus zu machen. Der Evangelist Johannes erzählt das auf die ihm eigene Weise. Der Fischzug des Simon geschieht da NACH dem Ostertag, NACH der Schlappe des Petrus, den sein Verleugnungs-Gewissen quält. Diesmal am See Tiberias: Wieder hatten sie keine Fische gefangen und wieder sagt Jesus, sie sollten die Netze auswerfen und wieder ziehen sie einen Riesenfang ein. Wieder ist Simon gefangen.

Gottes Nähe endet nicht am Kreuz, die Liebe für die Menschen bleibt die größte Macht und überdauert jeden Tod. Jetzt erst begreift Simon und wird zu Petrus, dem Fels, von dem Apostelgeschichte und Briefe zeugen und vielleicht auch der Vatikan.

Meine Schwestern, meine Brüder,

Wer die Netze des Simon für sich einziehen kann, wird entdecken, welche Macht dieses Leben wirklich ändert, was diese Welt wirklich lebenswert macht, was gegen den Tod wirklich trägt, wie Simon zum Petrus wird.

Von Napoleon Bonaparte ist folgendes Zitat zu lesen: „Alexander der Große, Cäsar und ich – wir haben große Reiche gegründet durch Gewalt, und nach unserem Tode haben wir keinen Freund.
Christus hat sein Reich auf Liebe gegründet, und noch heutzutage würden Millionen Menschen freiwillig für ihn in den Tod gehen.“

Wir leben nun über 200 Jahre nach Napoleon, und unsere Sicht auf einen freiwilligen Gang in den Tod für Christus ist sicher durch Konzentrationslager oder Selbstmordattentate eine andere
als die Sicht des letztlich gescheiterten Franzosenkaisers.

Diese Wahrheit aber bleibt: Das Reich des Christus war und bleibt das Reich der Liebe Gottes. Und auch wenn der Weg in dieser Liebe Höhen und Tiefen hat wie der des Simon Petrus:

Gottes Liebe ist das einzige, das krisenfest ändert, Orientierung gibt und lebenslang trägt. Uns aus Netzen befreit, in denen wir vielleicht hängen geblieben sind, ohne die Kraft einer Idee, uns selbst daraus zu befreien. An der Kraft der Liebe Gottes ändert auch ein früher Tod eines Menschen nichts.

Leere Plätze in dieser Kirche, gerade zu Corona-Zeiten, und leere Kassen in unserem Haushalt sind nicht mehr und nicht weniger als die leeren Netze der Fischer in den Seen Genezareth oder Tiberias. Jesus kommt und lässt uns die Netze wieder auswerfen.

Und dann kann ihre Geschichte auch unsere Geschichte werden. Gottes Reden und Handeln bleibt auch in UNSERER Zeit und Welt NIE einfach an der Oberfläche. Es geht tiefer, hat eine erhebliche Kraft, die wir ihm selbst dann nicht nehmen könnten, wenn wir es wollten. Und so wird auch jede und jeder von uns damit rechnen können und müssen, zu Menschenfischern zu werden. Damit rechnen, dass sich alles ändert.

Das MUSS nicht gleich ein Berufswechsel sein – kann es aber sein.
Das muss nicht gleich bedeuten, dass ich die Prioritäten im Leben ganz grundsätzlich neu fasse – das kann aber dazugehören.
Das muss nicht heißen, dass das Leben plötzlich ganz anders aussieht – auszuschließen ist aber auch das nicht.

Und gegen allen Schein wird sich unser Glaube als Netz der Liebe Gottes erweisen, das ein wirkliches Sicherheitsnetz ist.
Das Netz, in dem der Menschenfischer Jesus uns gefangen nimmt und hält.
Ein Netz, das unsere Herzen und Sinne lebenslang bewahrt durch
die Liebe Gottes, die Gnade Jesu Christi
und die Gemeinschaft, die nur der Heilige Geist stiftet.
Amen.

Dieser Beitrag wurde unter Predigten abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.