Das Ende des Teufelskreises (aus Jes 52 und 53)

DER TOD greift das Leben an
ein Tag wie so unendlich viele
Menschen opfern Menschen
für ihr Leben
oder das, was sie dafür halten
Tag für Tag neu

Karfreitag
KEIN Tag wie irgend-ein anderer
MENSCHEN greifen das Leben an
Gott leidet aus Liebe
der Tod seines Sohnes
seine Tat für seine Menschen

So sehr
hat Gott die Welt geliebt,
dass er seinen eingeborenen Sohn
gab,
damit alle, die an ihn glauben,
nicht verloren werden,
sondern das ewige Leben haben.
(Joh 3,16)
***

Vor einem Jahr blieben unsere Kirchen über Ostern und auch danach länger geschlossen und leer. Und noch immer bleiben sicherheitshalber viele zuhause. Gerade heute liegt das allerdings nicht nur an der Corona-Pandemie. Denn Thema des Karfreitag ist das Kreuz. Und das ist großes, menschliches und menschengemachtes Leid.

Wir leben aber in einer Zeit, die mit Gesunden, Schönen und Jungen ihre Werbe-Industrie im Gange hält, Krankheiten im Krankenhaus stattfinden lässt und Pflege durch Versicherungen zu regeln versucht. Wenn schon leiden, dann durch höhere Gewalt. Durch nächtliche Ausgangssperren über Ostern 2021 vielleicht. Später, wenn das Leben wieder in alten Bahnen läuft, wieder im Autobahnstau Richtung Süden.
Aber bestimmt aber nicht freiwillig in irgendeiner Kirche.

Für uns aber, die wir uns hier dennoch treffen, stellen sich uralte Fragen immer wieder von neuem:
Welchen Sinn macht das Kreuz?
Gibt es überhaupt einen tiefen Sinn im Leiden?
Damals wie heute: Tut Leid nicht einfach nur weh?

Dazu ist die Passion Christi geschehen, damit wir vom Menschsein erkennen, was wir nicht wissen können.
So hätte Luther geantwortet – sinngemäß wenigstens.

Aber wissen wir nicht inzwischen genug vom Menschsein?
Da reicht doch, was die Naturwissenschaften sagen: Physik, Biologie, Medizin, Psychologie. Wir wissen, dass wir auf den Mond fliegen und Herzen transplantieren können. Wir wissen aber auch, dass wir die Umwelt zerstören und schrecklichste Waffen erdenken können. Auch biologische, die Krankheiten und Tod über die ganze Welt verteilen könnten.

Ja, so ist sie, die Krönung der Schöpfung: Eine ziemlich fürchterliche Mischung aus Liebe und Hass, Zärtlichkeit und Brutalität. Das alles wissen wir. Reicht das nicht?

Ist es nicht genau dieses Wissen, das viele Menschen schließlich dazu treibt, sich nicht über Gebühr mit anderen Menschen abzugeben? Denn wer Liebe sucht und Hass erlebt, leidet oft lang an den so erlittenen Wunden. Darum: Vorsicht ist besser als das Nachsehen haben.

Was man aber nicht so genau weiß:
Gibt es einen Weg heraus aus dieser Sackgasse der Menschheit? Was konnte er sehen, der römische Hauptmann unter dem Kreuz, als er sagte: Dieser ist wahrhaftig Gottes Sohn gewesen!?
Hat er vielleicht das Geheimnis dieses Weges sehen können?

Das Geheimnis des Kreuzes: Menschen, die sich in dieses Geschehen vertiefen, half und hilft die Sicht des Jesaja auf den leidenden Gottesknecht, ihr habt die Stelle aus Jesaja 53 vorhin schon gehört:

Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde,
und wem ist der Arm des HERRN offenbart?
Er schoss auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit.
Wir sahen ihn,
aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte.
Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg…
Fürwahr:
Er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen!
Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre.
Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen.
Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt…
Wer aber kann sein Geschick ermessen? … man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist…
Weil seine Seele sich abgemüht hat,
wird er das Licht schauen und die Fülle haben.
Und durch seine Erkenntnis wird er,…der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden…

Von wem redet Jesaja hier? Das war schon die Frage des Kämmerers, der mit Philippus im Wagen reist. Und diese Frage stellen Menschen bis heute: Wer ist dieser Knecht? Diese Frage ist aber eine, auf die mit Sicherheit kein Mensch „richtig“ antworten kann.

Israel hat nie eine Schwierigkeit gehabt, sich selbst mit diesem Knecht zu identifizieren.
Zu Recht. Kaum ein Volk auf dieser Welt, das in seiner Geschichte in tausenden Jahren jedes Wort des Leides erleben und nachleben musste, das Jesaja da schrieb.

Das Christentum hat nie eine Schwierigkeit gehabt, den gekreuzigten Christus mit diesem Knecht zu identifizieren.
Zu Recht. Wer Christus am Kreuz sieht, sieht IHN in jedem einzelnen Wort des Jesaja. Auch wenn er diese Worte 500 Jahre vor der Kreuzigung aufgeschrieben haben mag.

Wer liegt nun richtig? Vielleicht niemand? Doch um diese Frage Kann es eigentlich auch nicht gehen. Denn an ihrer Beantwortung hängt nichts, entscheidet sich nichts, erkennt man nichts.

Wer Jesaja und sein Verständnis des Gottesknechtes verstehen will, muss vielmehr Fragen wie diese zu beantworten suchen:
WAS macht den Leidenden zu einem Knecht Gottes?
Wo steht der Knecht, wo steht Gott?
Was tut der Knecht, was tut Gott?

Das sind auch entscheidende Fragen unseres Lebens: Was macht denn uns denn zu wirklichen Knechten Gottes, also zu solchen, die die Hoheit Gottes nicht nur kennen, sondern auch respektieren? Wie sehen wir uns selbst im Gegenüber zu Gott, von dem wir das Heilwerden unseres Lebens erwarten?

Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen.
Von Sünde ist die Rede – ein Wort, nicht weniger garstig als „Leid“. Kein Wunder, dass Menschen auch dieses Wort nach Kräften meiden. Vor allem, wenn es um sie selbst geht.

Und doch: Es geht um die tiefe Einsicht in menschliche Existenz.
Denn Sünde meint die Zwietracht in unseren eigenen Herzen. Die Zwietracht mit Gott, den viele Menschen aus ihrem Leben auszuklammern versuchen, wo immer es geht.

Viele Menschen wollen lieber selbst herrschen: Über ihr eigenes Leben, über das Leben anderer Menschen, über Krankheiten und Misserfolge, gar über das Schicksal der Welt.

Gott überlassen sie die Rolle des Verlierers, der es hätte besser machen können, wenn er wirklich allmächtig gewesen sein sollte. Aber das sei er offenbar ja nie.

Wer in diesem menschlichen Verhalten das zu erkennen vermag, was die Bibel „Sünde“ nennt, der macht das Menschsein nicht klein und schlecht. Sondern der erkennt lediglich, wohin dieses Verhalten führt: Zum einsamsten und sinnlosesten aller Tode –
dem Tod eines Unschuldigen.

Wem das zu lange her oder zu abstrakt ist: Zu Massakern in Bürgerkriegen oder Bombenanschlägen auf bevölkerten Marktplätzen. Zu Hiroshima und Nagasaki oder zu geklonten Schafen oder gar Menschen. Menschen – Weg: Der Weg weg von Gott, hinein in die Selbstüberschätzung.

Das sagen uns weder die Wissenschaften, noch wissen wir es aus uns selbst:
Im so Ermordeten aber entdecken wir unser Menschheits-Schicksal wieder. Ohne Gott verreckt der Mensch einsam am Galgen. Der Sünde Sold ist der Tod. Auch das: Keine Drohung, sondern eine nüchterne Beschreibung der Tatsachen.

Sünde ist Gottvergessenheit. Sie wirkt sich nicht nur im Herzen aus, nicht nur im privaten Bereich, sondern bis in den kleinsten Zipfel von Gesellschaft und Politik.

Sicher doch: Was oder woran einer glaubt – das ist die privateste Sache der Welt, das darf und kann ihm von niemandem befohlen werden.
Aber kaum eine andere Sache hat so unausweichlich ! so starke Auswirkungen auf die alltägliche Realität in Familie, Gesellschaft und letztlich der ganzen Welt.

Private Gottesvergessenheit wird deshalb zur öffentlichen Katastrophe, weil sie Leben und Zusammenleben langsam und stetig vergiftet, krankmacht und letztlich sterben lässt. Und ich rede NICHT von Kirchenvergessenheit. Welcher „Religion“ man also nicht angehört ist egal. Es ist nämlich völlig egal, WELCHER Weg zu Gott NICHT beschritten wird.

Gottes Knecht nimmt das abgrundtiefe Leiden auf sich, damit uns irgendwann die Augen aufgehen: Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten…

Wie kann sein, was keiner verstehen kann? Wie kann unser Friede aus seinem Sterben herauswachsen? Da wird einer nachgewiesenermaßen völlig ohne Schuld durch menschliche Herrschsucht hingerichtet. „Er war der Allerverachtetste und Unwerteste“ – nur Menschen kennen solche Verachtung, solche Maßstäbe. Menschen bringen dieses Leid über einen Menschen, oder sie sehen zumindest dabei zu: Das soll uns nicht ein schlechtes Gewissen, sondern die große Ruhe der Seele einbringen?

Meine Schwestern meine Brüder:

Aber wer glaubt dem? Wenn ich es richtig sehen kann, haben wir es schon deshalb immer schwerer mit dem Karfreitag, weil politischer Mord für uns seit dem Ende der braunen und der roten Diktatur als Unmöglichkeit gelten. Bei uns setzt sich vielmehr ein Rechtsempfinden durch, dass die Todesstrafe generell ablehnt.

Aber schon für die Propheten ist es eigentlich undenkbar, dass ein Unschuldiger für viele Schuldige leidet und dadurch die Sache aus der Welt kommt. Wie es für uns undenkbar ist, dass ein Schuldiger in Freiheit bliebe, nur weil ein Unschuldiger für ihn jahrelang im Gefängnis gesessen hätte. Dass jeder selbst für die Dinge einstehen muss, die er in seinem Leben tut oder auch lässt: Das ist kein neuer Grundsatz, davon redet auch die Bibel durch die Jahrtausende hindurch.

Es sei denn: Gott kommt und unterbricht den Kreislauf von Schuld, Verurteilung und Gewalt. Gott kommt und schafft an der Stelle, an dem Zeitpunkt etwas, was undenkbar und neu ist. Eine neue Schöpfung eben. Das KANN NUR ER, kein Mensch wäre dazu in der Lage. Genau das ist der Moment des „Gottesknechtes“

Jesaja erkennt diesen Knecht, durch den Gott selbst den Menschen begegnet, die ihr Leben nicht mehr in den Griff bekommen können, also verwirkt haben. Gott selbst kommt hier und sühnt selbst die Strafe, die die Vielen hätten tragen müssen. Gott selbst kommt und stiftet eine Gemeinschaft, die zu einem Neuanfang fähig ist.

KENNT Jesaja diesen Knecht? Weiß ER, wer das ist? Die Verse VOR unserem Text (52, 13-15) sagen: Nein.

„Siehe, meinem Knecht WIRD’S gelingen,
er WIRD erhöht und sehr hoch erhaben sein.
so WIRD er viele Völker in Staunen versetzen,
dass auch Könige ihren Mund vor ihm zuhalten.
Denn was ihnen nie erzählt wurde, das WERDEN sie nun sehen,
und was sie nie gehört haben, nun erfahren.“

Das Jesaja dann in der Vergangenheitsform vom Gottesknecht weiterspricht, kann man also als Stilmittel deuten, um den einen Satz groß werden zu lassen:
ABER WER GLAUBT DEM? Selbst wenn es so geschieht? Geschehen ist? Wie geht es uns – am Karfreitag?

Der Ostermorgen wird leuchtend Gottes Unterschrift unter die Siegesurkunde des Kreuzes setzen. Neues Leben wird von Gott her aufscheinen und Menschen, die hinsehen, sehen lassen:

Der Teufelskreislauf von Schuld, Verurteilung und Gewalt IST durchbrochen. Vom Einzigen, der diesen Kreislauf durchbrechen kann: Von Gott selbst. Der in Christus am Kreuz hängt und für seine Leidenschaft stirbt. Für seine Liebe zu den Menschen, die ohne ihn in Sünde untergehen würden.

Seither finden wir unter dem Kreuz
die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes.

Sie schaffen Leben, wo vorher Tod war. AMEN

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