Das besondere Zwiegespräch

(Mt 6, 5ff)

Es gibt nichts Gutes außer: Man tut es. Auf das Beten übertragen:  Wer es gut machen will, sollte nicht darüber reden, sondern es tun: Beten.

Andererseits: Man muss auch reden über das Beten. Wie sollen unsere Kinder und Enkel sonst verstehen, wie wichtig das Gebet ist? Welche Kraft es entfalten kann?

Reden über das Beten: Alle Jahre wieder an diesem fünften Sonntag nach Ostern. Denn Konfirmandenwissen – wenn man es denn jemals hatte- kann nur ein Anfang sein. Darum heute: Gedanken zum Thema Beten. Ein Steinbruch mit Diesem und Jenem, ohne Anspruch auf jedwelche Vollständigkeit.

Kürzlich las ich in einer Statistik: Über 80% der Deutschen beten.  Das mag man zunächst gar nicht glauben, sind das doch viel mehr als die, die von sich sagen, irgendwie religiös zu sein.

Und doch gibt es sie: Gebete vor dem Zubettgehen, vor den Mahlzeiten, vor Mathearbeiten, in den Sekundenbruchteilen vor einem herannahenden Unfall, nach einer niederschmetternden Diagnose eines Arztes, bei Hunger oder Durst, in Angst und Qual.

Da beten viele: Laut oder leise, kurz oder lang. Mit einem Gegenüber, das sie kennen /oder nicht kennen. Das sie vor ihrem inneren Auge sehen/ oder das ihnen gänzlich unsichtbar ist. An jedem Tag ihres Lebens/ oder nur ein Mal und nie wieder.

Und getreu dem Motto „ich glaube nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe“, „korrigiere“ ich jetzt schamlos nach oben:

Wahrscheinlich beten sogar 100% der Menschen, mindestens ein Mal im Leben. Man muss sie nur nicht zu früh fragen, also nicht VOR ihrem ersten Gebet.

Scherz beiseite, fest steht: Das Gebet ist ein religiöses Grundbedürfnis des Menschen. Es gibt allerdings viele, die sich das nicht eingestehen würden.

Christen sind also keine seltenen Exoten. Sie haben aber einen besonderen Zugang zum Gebet. Es wird vom einfachen Stoßgebet der Ausweglosigkeit zum regelmäßigen Gespräch mit Gott.

Was kann es dabei austragen? Was geschieht im Zwiegespräch mit Vater, Sohn und Geist?

Es ist kein einfaches Gespräch, denn die Sprache Gottes ist nicht die Sprache, die du oder ich sprechen. Man muss Gottes Antwort hören lernen. Und das ist für manchen wesentlich schwerer, als die Sprache seiner Katze oder seines Hundes zu verstehen.

Darum wird mancher sprachlos im Gegenüber zu Gott. Denkt vielleicht: Gott antwortet sowieso nicht, sonst würde ich ihn ja verstehen.

Vielen geht es so, schon immer. Nicht umsonst bringt Jesus das Gespräch in der Bergpredigt darauf. Er fordert auf zum Nachdenken auf über ein Thema,  das fast so groß ist wie Gott selbst. Jesus weiß: Kommt das Beten unter die Räder, kommt der Glaube unter die Räder.

Jesus sagt darum in der Bergpredigt Mt 6 ab Vers 5 – unser PT:
Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, damit sie von den Leuten gesehen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt.
Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist.
Wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen.

Vordergründig scheint es um Missstände aus alter Zeit zu gehen: Öffentliche Schau – Gebete an Straßenkreuzungen oder lange, nicht enden wollende Gebetsredeflüsse sind heute kaum das Problem. Auch wenn manch einem jetzt sicherlich einzelne oder auch Gruppen einfallen, denen er dieses Wort Jesu ins Stammbuch schreiben möchte.

Jesus aber geht es hier um Grundlegendes: Beten ist weder eine öffentliche Frömmigkeits- Demonstration noch ein erinnernder Bekenntnisakt.

Wie steht es denn um manches Gebet in persönlicher Andacht oder im Gottesdienst? Gott wird informiert über Tagespolitik – als wenn er das nötig hätte.

Den Mitbetern wird ein Zweitaufguss der Predigt zubereitet – damit sie irgendwann verstehen mögen, was der Prediger vorher nicht deutlich genug hat sagen können.

Gott wird mit menschlichen Lösungswünschen beehrt: Gib den Regierenden Weisheit und Kraft, dass sie endlich den Lockführerstreik eindämmen…

Manch einer redet im Gebet ÜBER Gott, als sei der/  kurzsichtig, altersstarrsinnig oder schwerhörig. MIT Gott zu reden – darauf käme es an.

Das Gebet ist also etwas sehr Persönliches. Jesus sagt: Gehe zum Beten am besten in die Vorratskammer, den einzig abschließbaren Raum im orientalischen Bauernhaus, und schließe HINTER DIR ab – so, wie es schon Elisa tat, als er für das Leben des Sohnes der Sunamiterin betete – nachzulesen in 2.Kön 4. So läuft man am wenigsten in Gefahr, Frömmigkeit demonstrieren oder öffentliche Bekenntnisse ablegen zu wollen.

Wie aber kann man die richtigen Worte finden? Wie Gottes Antwort hören und so die eigene Situation und Gottes Position zueinander bringen?

MEINE Position zu beschreiben ist dabei vielleicht nicht das größte Problem – aber die GOTTES zu verstehen?
Kann ich überhaupt immer wissen, wo er steht, was er für mich will, was er mir bietet? Was soll ich beten, wenn ich an einem Punkt meines Lebens stehe, wo ich Gott nicht sehe, nicht verstehe, nicht weiß, wohin er mit mir will?

Unserer Stelle im Matthäusevangelium folgen dann die Worte, die wir als „Unser Vater“ (oder Vaterunser) auswendig kennen und häufig beten. Dass Jesus uns damit ein Gebet beibringen wollte, dass wir auswendig zu lernen und täglich zu wiederholen hätten, ist nun allerdings ziemlich unwahrscheinlich.

Denn das hätten uns dann sicher alle vier Evangelisten in ähnlichem Wortlaut überliefert. Das „Unser Vater“ ist aber nur bei Matthäus und Lukas zu lesen – und in Lukas 11  auch noch in ganz anderer, wesentlich kürzerer Fassung.

Jesus wollte also weniger ein Gebet lehren. Sicher aber beim Beten helfen. Immer dann, wenn uns das Leben vor Gott sprachlos macht und unsere Sprachlosigkeit unser Gebet behindert, kann das „Unser Vater“ zu neuer Gebetssprache führen. Das bringt Jesus im Vaterunser seiner Gemeinde nahe bringen.

Schon in der Gebetsanrede steckt Konzentration auf das Wesentliche:

UNSER Vater: Selbst im verborgenen Gebet in der abgeschlossenen Kammer spricht der Beter nicht für sich allein. Er solidarisiert sich mit allen Betern und Nichtbetern, Christen und Nichtchristen. Er kann nur dann wirklich sagen, wo er selbst steht, wenn er sich als Teil der Schöpfungs- Gemeinschaft sieht und beschreibt. UNSER Vater.

VATER! Betet nicht mit vielen Worten, sondern kommt zur Sache. Gott muss nicht erst über unsere Situation informiert und durch wiederholte Anreden mit verschiedenen Ehrentiteln überzeugt oder umgestimmt werden. Sagt kurz und bündig:  Vater!

Denn ER kennt eure Situation. Er IST auf eurer Seite. Ihr müsst ihn nicht erst auf eure Seite bringen. Wendet euch an ihn wie an Mutter oder Vater – sie sind nah, vertraut, voller Liebe.

Unser Vater IM HIMMEL: Hier wird keine unendliche Entfernung beschrieben. Denn Gott ist nicht dort, wo der Himmel ist, sondern der Himmel dort, wo Gott ist.

Es wird nicht Distanz, sondern Nähe aufgebaut: Der Himmel ist unsere Gebets- Vision, der Ort der Vollkommenheit und Gottesnähe, der Ort unserer Lebens- Sehnsucht, die uns in Jesus Christus so nahe gekommen ist wie noch niemals zuvor.

Im ganzen Gebet des Herrn sind die Worte so gesetzt, dass der Beter Gottes Sache, nämlich Gottes heiligen Namen, Gottes anhebendes Reich, Gottes Willen ZU SEINER Sache macht.

Schon deshalb, weil Gott die Sache der Menschen, nämlich unser täglich Brot, unsere Schuld, unsere Versuchung zu seiner eigenen Sache gemacht hat.

Darum macht es Sinn, die Worte des „Unser Vater“  immer neu zu sprechen. Nicht einfach zu wiederholen, sondern sie immer wieder neu Wirklichkeit werden zu lassen.

Das „Unser Vater“ entwickelt so unsere Gebetskultur. Es entwickelt im Beter ein Gefühl dafür, WAS Gottes Himmel ist und WO er nicht ist. Was in das Gebet zu Gott gehört und was eher eine Sache des Alltags auf der Erde ist.

Darum wird das „Gebet des Herrn“ zum Maßstab eines jeden Gebets. Die Wiederholung der Worte, die Matthäus uns von Jesus überliefert, setzt diesen Maßstab neben alle anderen Gebete. Erinnert, wo Jesus steht, und wo mein Leben steht.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Durch das Gebet ändert sich unser Leben. Denn wenn Mensch und Gott miteinander reden, nähern sie sich einander an. Dabei kann der Mensch lernen, die Welt durch die Augen Gottes zu sehen. Und damit dient es unserem Realitätsgewinn.

In einem Abschiedsbrief aus einem Schützengraben des ersten Weltkriegs schreibt ein junger Philosophiestudent:
„Und wenn Sie mich nun noch fragen sollten, bevor ich jetzt gehe und endgültig gehe, ob ich nicht einen Zauberschlüssel kenne, der einem das letzte Tor zur Weisheit des Lebens erschließen könne, dann würde ich Ihnen antworten: ›Jawohl!‹.
Und zwar ist dieser Zauberschlüssel nicht das philosophische Denken, wie Sie es vielleicht von mir erwarten möchten, sondern das Gebet. Das Gebet – als letzte Hingabe gefasst –
macht still, macht kindlich, macht objektiv…  Die großen Dinge des Daseins werden nur den betenden Geistern geschenkt.“

Für manchen überraschend: Beten macht objektiv.
Denn es relativiert die Selbst – Einschätzung, indem es sich vergewissert: Hier stehe ich, zu mir aber steht Gott.

Der Schützengraben allein ist nahezu ausweglos. Der Schützengraben im Angesicht Gottes aber sieht einen Ausweg, weil man aus ihm Gottes Himmel zu sehen vermag. Das Gebet weitet den Blick auf den Horizont Gottes. Und das, obwohl unser Alltag allzu oft nicht weiter als bis die Schuhspitzen blicken lässt.

Gottes Himmel aber birgt einen Frieden, der höher ist, als alles Denken es fassen kann und der unsere Herzen und Sinne bewahrt in Christus Jesus. Diesen Himmel kann man täglich sehen – im Gebet. Amen.

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