Danke für meine Kirchgemeinde (1 Thess 1 2-10)

Mancher Alptraum lastet auf unseren Tagen
Krankheit oder Bosheit
Überheblichkeit oder Ratlosigkeit
Aber Gott
schenkt jedem von uns
das Heil des Lebens.

Lobe den Herrn, meine Seele,
und vergiss nicht,
was er dir Gutes getan hat!
Psalm 103,2
***
„Danke für diesen guten Morgen, danke für jeden neuen Tag“ haben wir vorhin gesungen. Alle Strophen, jede Strophe einen halben Ton höher als die vorherige. Aber die Strophe „Danke für meine Kirchgemeinde“ war nicht dabei. Für manchen zum Glück, weil noch einen halben Ton höher nicht mehr gegangen wäre…

Nun steht die Strophe „Danke für meine Kirchgemeinde“ deshalb nicht im Gesangbuch, weil Martin Gotthard Schneider (EG 334) diese Strophe nicht gedichtet hat. Es hat sie wohl auch niemand nachgedichtet, und auch mir sind auf die Schnelle keine passenden Reime eingefallen, um selber eine zu dichten.

Denn „schön, dass ich meine Gemeinde habe“, „schön, dass es die Kirche gibt“- solche Sätze höre ich ziemlich selten. Häufiger und für die, die sie aussprechen, wohl auch schwerwiegender, bekomme ich andere Sätze zu hören:

„Wer weiß, wer noch in den Gottesdienst geht, wenn wir nicht mehr sind“ oder „alle haben den Gemeindebrief, aber gekommen sind wieder dieselben“. „Da hatten wir alle Gemeinden im Umkreis von Kremmen zum Sprengelfest eingeladen, haben Pressemitteilungen geschrieben, „Patchwork“ für Gottesdienstmusik und Konzert gebucht, sogar eine Bilderausstellung für unsere reformierte (!) Dorfkirche Hohenbruch organisiert – und wer ist gekommen?“

Zu den Klagen über den ach so bedauernswerten Zustand der Gemeinde kommen dann die „früher war alles doch so viel besser“ Sätze. Als in Hohenbruch noch jede Woche Christenlehre war und so viele Kinder da waren, dass sie sich darum stritten, wer welche Rolle im Krippenspiel übernehmen durfte. Oder als in Brandenburg Sonntag für Sonntag über 50 Leute im Gottesdienst zusammen kamen.

Ja, früher war das anders. Früher, als Kirche nicht nur Kirche für das Volk, sondern auch Kirche des Volkes war – Volkskirche im doppelten Sinne also! Da konnte man noch dankbar sein für seine Kirche.

Aber heute? Wehmütig sehen viele in die Kirche nach Schweden, wo noch weit über 80% der Bevölkerung zur Evangelischen Kirche gehören. Oder nach Polen, wo der Anteil der Katholiken wohl noch höher ist. Oder zumindest in den Westen Deutschlands, in dem Katholiken und Protestanten noch weit über die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Oder nach Amerika, wo Gottesdienste mit poppiger Musik und fesselnden Predigern ganze Stadien füllen. Oder nach Afrika, wo das halbe Dorf zusammenkommt, um stundenlang miteinander zu feiern, Sonntag für Sonntag.

Hintergrund ist aber kaum Neid. Hintergrund ist wahrscheinlicher die Angst vieler unter uns, dass die Gemeinde irgendwann so klein werden könnte, dass sie überhaupt nicht mehr wahrgenommen werden könnte, weder im Dorf noch in der Stadt. Dass sie mit einer anderen Gemeinde fusionieren muss, um kirchenrechtlich existieren zu können.

Der Predigttext für heute lässt dagegen ganz andere Töne hören. Ich lese aus dem 1. Brief des Paulus an die Gemeinde in Thessaloniki , 1. Kapitel, ab Vers 2:

2 Wir danken Gott allezeit für euch alle
und gedenken euer in unsern Gebeten
3 und denken ohne Unterlass vor Gott, unserm Vater,
an euer Werk im Glauben
und an eure Arbeit in der Liebe
und an eure Geduld in der Hoffnung
auf unsern Herrn Jesus Christus.
4 Brüder und Schwestern, von Gott geliebt,
wir wissen, dass ihr erwählt seid;
5 denn unser Evangelium kam zu euch nicht allein im Wort, sondern auch in der Kraft und in dem Heiligen Geist und in großer Fülle. Ihr wisst ja, wie wir uns unter euch verhalten haben um euretwillen.
6 Und ihr seid unsere Nachfolger geworden
und die des Herrn
und habt das Wort aufgenommen
in großer Bedrängnis mit Freuden im Heiligen Geist,
7 sodass ihr ein Vorbild geworden seid für alle Gläubigen in Makedonien und Achaia….
9 …(wie) ihr euch bekehrt habt zu Gott, weg von den Abgöttern, zu dienen dem lebendigen und wahren Gott
10 und zu warten auf seinen Sohn vom Himmel,
den er auferweckt hat von den Toten,
Jesus, der uns errettet von dem zukünftigen Zorn.

Ohne Unterlass danken wir Gott für euch!
Wir können es sehen: Ihr seid von Gott geliebt!
Bei Euch ist nicht nur Rede, sondern auch Aufrichtigkeit und die Tat!
Ihr habt euch an Beispiel an uns Aposteln genommen – und seid erfolgreich!
Man hat euch Knüppel zwischen die Beine geschoben, Steine vor die Füße geworfen, aber ihr habt nicht nachgelassen!
Ihr habt euch dabei nicht nur um euch selber gekümmert, sondern wart für andere da, so dass ihr Vorbild in ganz Mazedonien und Achaia geworden seid!

Waren das nicht paradiesische Zustände? Wenn wir das doch erleben könnten, hier in dieser gebeutelten Gemeinde, und das bitte bald, dass wir noch erleben könnten, wie kraftvoll Gott Kirche baut!

Nur: So paradiesisch, wie sich das hier liest, waren die Zustände mit Sicherheit nicht. Wenn es in Thessaloniki 50 Gemeindeglieder gegeben hat, dann war das sicher viel. Und wenn die zusammen Gottesdienst haben feiern wollen, dann haben die sich in Wohnzimmern oder Scheunen getroffen. Eine Kirche jedenfalls hatten die nicht, von dem Luxus eines zusätzlichen Gemeinderaumes ganz zu schweigen. Und gut ausgebildete oder gar bezahlte (!) Mitarbeiter sind für die Gemeinden damals Dinge gewesen, von denen sie nicht einmal zu träumen wagten.

Warum aber hat Paulus diese überschwänglichen Zeilen geschrieben? Weil er sich selber auf die Schulter klopfen will: Gut gemacht, alter Junge?! Weil er das Bauchpinseln nötig hätte: Hier hat wenigstens an einer Stelle gut funktioniert, was er an vielleicht zwanzig Stellen erfolglos begonnen hat? Alle reden heute über das, was ich bei euch geschafft habe? Warum schreibt er der Gemeinde, wie sehr er Gott ihretwegen dankt – denkt er etwa, Gott könnte diesen Dank sonst nicht hören, wenn er ihn nicht aufschreibt?

Hier geht es nicht um eine teure oder billige Lobesrede. Sieht man nämlich genau hin, hat dieser Abschnitt seinen Höhepunkt an seinem Ende, wo Paulus sinngemäß schreibt:

Ihr seid es, die ihr euch abgewendet habt von den Göttern und Zwangsjacken eurer Zeit. Ihr seid es, die sich hingewendet haben zu dem lebendigen Gott, ihr seid es, die ihr wartet auf seinen Sohn, Jesus Christus, der uns nicht weniger gebracht hat als das Heil unseres Lebens, der unsere Rettung sein wird im Gericht am Ende aller Zeit.

Paulus lobt die Gemeinde in Thessaloniki, weil der KERN ihrer Botschaft stimmt. Darum tut es gut, diese Gemeinde zu erleben, zu ihr zu Besuch kommen zu können. Und genau das hat Paulus ja schließlich vor, darum schreibt er diesen Brief.

Dieser Predigtabschnitt ist eine Freundschafts- , wenn nicht gar eine Liebeserklärung: Bei dir kann ich finden, was ich zu meinem Lebensglück brauche. Das sollst du wissen. Ich bin froh, dass es dich gibt. Wärest du nicht da, würde meinem Leben ein großes Stück an Qualität fehlen.

So eine Liebeserklärung baut auf. Zuerst den, an den sie gerichtet ist: Weil der hört, dass der andere ihn nicht missen will. Und dann den, der sie ausspricht, weil er sich damit festigt: Ich habe erkannt, dass ich dich BRAUCHE – weil das, was du bist und hast, für mein Leben so wertvoll ist.

Und in diesem Fall sagt diese Liebeserklärung ohne Umschweife:
Du bist WICHTIG, nicht weil du groß und aufsehenerregend bist, sondern weil GOTT in dir zu finden ist. Und DER ist alles, was für mein Leben gut und wichtig ist.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

Paulus ist sich sicher: In Gottes Augen ist jede Gemeinde richtig, wenn der Kern ihrer Botschaft stimmt. Dann zeit diese Gemeinde, was Gott mit der Menschheit im Ganzen vorhat. Gott will die Menschen auf seine Seite, auf die Seite der Wahrheit, der Güte und des Heils ziehen.

Darum lesen wir hier keine Prahlerei oder Selbstruhm. Kein Protzen mit den Zahlen von Gemeindegliedern, den jährlichen Taufen oder kirchlichen Trauungen. Paulus würde sich durch Zahlen die Wirklichkeit der Gemeinde nicht kleinmachen lassen. Er würde keine Klage führen über geringen Gottesdienstbesuch, über Kirchenaustritte oder Finanznöte oder den Mangel an bezahlten Mitarbeitern.

Die Christen damals hatten uns gegenüber natürlich einen großen Vorteil: Sie KONNTEN nicht über die goldenen vergangenen Zeiten grübeln oder reden, weil es die ja noch gar nicht gegeben hatte.

Für sie ging es in der Gemeinde nur um eines: Für sich selbst einen Ort zu wissen, an dem GOTT zu finden ist. Und darum ist es Menschen schon immer gegangen. Hier ist auch die Verbindung zur alttestamentlichen Lesung von heute (1. Mose 28 ab Vers 10). Jakob träumt von einer Himmelsleiter, an der Engel auf- und absteigen und an deren Ende Gott selbst nicht nur steht, sondern auch mit ihm spricht.

„Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht!… Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels.“

Pforte des Himmels: Genau das muss Gemeinde sein. Diese „Pforte des Himmels“ muss man darum nicht woanders suchen. Nicht in Amerika, weil dort die Gemeinden gerade wachsen oder die Musik poppiger ist. Oder in Schweden, weil sie dort so groß sind, wie viele hier sie sich wünschen. Oder im Westen Deutschlands, weil da wenigstens über die Hälfte der Bevölkerung noch zu einer Kirche gehört.

Nein, es geht einzig darum, wie die Gemeinde in Thessaloniki die Unglücksbringer der Zeit zu erkennen und abzuwerfen und umgekehrt das Glück zu finden und zu ergreifen – das Glück, das Gott in Christus in unser Leben bringt.

Dazu muss der KERN unserer Botschaft stimmen. Hier müssen sich Menschen treffen, die die Botschaft Jesu Christi für ihr EIGENES Leben fassen möchten. Die miteinander Bibel lesen und Gottes Geist erleben. Die froh sind, miteinander Gottesdienst zu feiern. Die IHRE EIGENE Form ihres Gemeindelebens finden, also die Form, die ihren Glauben festigt und voranbringt.

Und genau das findet ihr hier in eurer Kirchengemeinde: Hier lesen und hören Menschen in verschiedensten Gruppen die Worte aus der Heiligen Schrift, weil sie die größte Fundgrube der Gotteserkenntnis ist – so groß, dass ein ganzes Christen-Leben nicht reicht, um sie auszulesen.
Hier teilen Menschen miteinander ihre Zeit, um einander zu sehen und miteinander zu reden. Heute vor und nach dem Gottesdienst, beim Geburtstagskaffee, im Gemeindenachmittag, zum Erzählcafé.

Wir teilen Höhepunkte oder Tiefpunkte eines Lebens. Niemand wird allein gelassen, wenn er in diese Gemeinde kommt: Taufen, Trauungen, Beerdigungen – hier kann man in Wort und Sakrament den finden, der unser Leben ist: Gott Vater, Sohn und Geist. Hier IST eine Pforte des Himmels. Hier IST ein Ort, an dem wir erfahren: Gott meint es gut mit uns! Denn er meint es gut mit dieser Welt. Dafür bürgt Jesus Christus.

Wenn wir unseren Alltag von dieser Einsicht bestimmen lassen, rückt auch all das, was uns bekümmert, in ein anderes Licht. Es wird nicht geleugnet, aber es tritt ins zweite Glied. Sinkende Zahlen fordern unsere Reaktion, sicher. Aber wenn eine Reaktion darauf Gemeindefusion heißt, dann ist das keine Katastrophe, solange wir diesen Ort lebendig halten, der eine Pforte des Himmels ist:

Hier, in dieser Gemeinde, kann man das Heil finden. Den dreieinen Gott, der für jedes Leben Glück und Erfüllung bedeutet. Und solange ER hier unter uns ist, brauchen wir uns um die Zukunft von Kirche keine existenziellen Sorgen zu machen, und um unseren persönlichen Glauben schon gar nicht.

Hier IST sie zu finden: Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes, die unser Leben retten. AMEN

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