Auf WEN warten wir eigentlich? (Luk 1 67 – 80)

Gott wird Gerechtigkeit schaffen
sein ewiger Advent ist das Ende
nie wieder Unrecht, Leid und Schmerz
für alle und jeden

sind wir auf dem Weg zum Heil der Welt
oder verlaufen wir uns
leben wir für Gottes Gerechtigkeit
oder für die Macht der Menschen

den Lauf der Welt
nehmen wir ihn hin
oder mischen wir uns ein

Bereitet dem HERRN den Weg;
denn siehe, der HERR kommt gewaltig.
Jesaja 40,3.10
***
Adventszeit – die Zeit vor dem Weihnachtsfest. Seit Jahrhunderten. Heute ist der dritte Sonntag im Advent.
In nur zwölf Tagen ist Weihnachten.

Ursprünglich endete die Adventszeit am 6. Januar, am Tag der „Erscheinung des Herrn“, das noch heute in den orthodoxen Kirchen das zentrale Weihnachtsfest ist.
Und weil Weihnachten ähnlich wie Ostern ein bedeutendes Fest der Christen ist, wurde zur Vorbereitung auf dieses Fest eine Fastenzeit gesetzt. Da die Fastenregeln meist den Sonnabend und Sonntag als Fastentage ausschlossen, begann diese Adventszeit nicht wie heute üblich mit dem 1. Advent, sondern vielerorts bereits am 11.11. (vielleicht kommt euch dieses Datum irgendwie bekannt vor).

Vom 11.11. bis zum 6. Januar, Sonnabende und Sonntage ausgenommen, sind es vierzig Tage, und die Vierzig ist bekanntlich seit alters her eine symbolträchtige Zahl.
Vierzig Tage fastete Mose, bevor er auf dem Berg Sinai die Gebote von Gott erhielt. Vierzig Jahre irrte Israel durch die Wüste. Vierzig Tage fastete Jesus vor seiner Taufe. Vierzig Wochen dauert die Schwangerschaft einer Frau, vierzig Jahre existierte die DDR.
Aber warum vierzig Tage lang fasten und nicht Party feiern?

Advent: Ankunft.
Zum einen ist im Christentum damit die Ankunft Jesu gemeint, die wir zu Weihnachten feiern; zum anderen meint das aber auch die letzte große Ankunft Gottes am Ende der Zeit.
Und nach dieser letzten großen Ankunft wird nichts mehr so sein, wie wir es kennen. Also ist das nicht nur ein Tag, auf den wir hoffen. Es ist auch ein Tag mit so vielen unbekannten Größen, dass man ihn zumindest mit großem Respekt, wenn nicht gar mit einiger Furcht erwartet.

Kein Wunder also, dass die Adventszeit nicht Party, sondern Fastenzeit ist. Liturgische Farbe ist violett, die Farbe der Buße. Eine Zeit der Besinnung und der Umkehr.
Eine Zeit des Wartens, der besonderen Erwartung, auch des Abwartens.

Worauf wird in diesem Jahr gewartet?
Kein Zweifel: Die meisten Menschen unter uns warten darauf, dass die Corona-Pandemie zu Ende geht und sie endlich ihr „altes Leben“ zurückbekommen. Das Leben, in dem man sich ohne Angst besuchen und in die Arme nehmen, wo man in den Urlaub fahren, wo man feiern und es sich gut gehen lassen konnte.

Dass man Familienangehörige in Krankenhäusern oder Alters- und Pflegeheimen wieder ohne Einschränkungen und gar Besuchsverbote sehen kann. Dass es wieder ein Weihnachtsfest geben wird, an dem sich die Familien treffen und miteinander feiern können, egal wie groß sie sind. Dass man mit Freunden und Bekannten in großer Runde Silvester feiern kann – so wie immer eben.

Die Menschen in unseren Gemeinden warten darüberhinaus besonders darauf, was die nächsten Tage an neuen Hiobsbotschaften bringen. Werden Gottesdienste am Heiligen Abend und zu Weihnachten gefeiert werden können oder fallen sie aus? Lohnt sich der Aufwand für Open-Air-Gottesdienste, zum Beispiel den an der Regattastrecke, wenn sich nur 150 oder gar nur 100 Menschen unter freiem Himmel versammeln können?

Auch abgesehen vom Ende der Corona-Pandemie gibt es vieles, worauf Menschen warten. Viele warten auch in diesem Jahr darauf, dass diese Welt und das eigene Leben sich irgendwie bessern mögen:
Dass die Menschheit endlich in Sachen Klimaschutz weiterkommt, dass Menschen lernen, ihre Konflikte mit friedlichen Mitteln auszutragen oder die Güter dieser Welt gerecht zu verteilen.

Viele unter uns erwarten auch etwas für sich ganz persönlich: Dass sie endlich einen Menschen finden, der ihre Liebe erwidern möge; dass sie von einer schweren Krankheit genesen können; dass sie eine Arbeit oder ein Ehrenamt finden, die sie erfüllt. Und ganz sicher habe ich da lang nicht alles genannt, worauf die Menschen in diesen Tagen warten.

Aber WEN erwarten die Menschen heute?
Jesus als Kind in einer Krippe, umringt von Eltern, Ochs und Esel, Engel, Hirten und Weisen?

Das ist ja nun schon 2020 Jahr her, wenn man unsrem Kalender trauen will. Und an die Anwesenheit des auferstandenen Christus ist die Menschheit gewöhnt, die meisten nehmen sie nicht einmal zu Weihnachten wahr. Deshalb spielt auch der letzte Advent für sie keine Rolle. Auf WAS sie warten, wissen wohl die meisten; aber auch auf WEN?

Vor über zweitausend Jahren hatten Elisabeth und Zacharias EIN Warten schon aufgegeben: Sie erwarteten nicht mehr, Eltern zu werden. Elisabeth galt als unfruchtbar, außerdem waren beide inzwischen schon alt.

Als der Priester Zacharias seinem Tempeldienst nachkommt, begegnet er einem Engel, der ihm seine Vaterschaft mit Elisabeth ankündigt. Natürlich kann Zacharias das nicht glauben und will irgendein Zeichen, dass das stimmt. Das bekommt er, aber sicher anders als erhofft: Er verliert seine Sprache und kommt stumm von seinem Dienst nach Hause.

Und die beiden Alten werden tatsächlich Eltern. Da erinnern sie sich an den Engel, der ihnen aufgab, ihren ersten Sohn gegen alle Regel nicht nach dem Vater Zacharias, sondern Johannes zu nennen. Zum Erstaunen der Menschen um sie herum halten sie sich an diesen Auftrag, und da findet Zacharias seine Sprache wieder, wird vom heiligen Geist erfüllt und singt einen Psalm, den wir bei Lukas, Kapitel 1 ab Vers 68 nachlesen können: (NGÜ)

68 »Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels!
Er hat sich seines Volkes angenommen
und hat ihm Erlösung gebracht.
69 Aus dem Haus seines Dieners David
hat er für uns einen starken Retter hervorgehen lassen,
70 wie er es schon vor langer Zeit
durch das Wort seiner heiligen Propheten angekündigt hatte –
71 einen, der uns aus der Gewalt unserer Feinde rettet
und uns aus den Händen all derer befreit, die uns hassen.
72 So erbarmt sich Gott ´seines Volkes und hilft uns`,
wie er es unseren Vorfahren zugesagt hat.
Er vergisst seinen heiligen Bund nicht; 73 er denkt an den Eid,
den er unserem Stammvater Abraham geschworen hat:
74 dass er uns aus den Händen unserer Feinde befreien wird
75 und dass wir ihm unser ganzes Leben lang ohne Furcht
in Heiligkeit und Gerechtigkeit in seiner Gegenwart dienen werden.

Der Priester Zacharias ist völlig überwältig. Er ist sich sicher: Wenn seine Frau und er in so hohem Alter Eltern werden konnten, dann wird jetzt auch ein weiteres Warten ein Ende haben:
Das warten auf den Retter des Volkes Israel.

Auf den bedeutendsten Spross aus dem Hause Davids, den schon die Propheten ankündigten. Der Messias, der Gottes Versprechen an den Erzvater Abraham vollenden wird: Der das Volk Gottes groß machen und die Gerechtigkeit Gottes überall auf der Welt erscheinen lassen wird.

Und Zacharias ist sich auch sicher, dass sein neugeborener Sohn Johannes eine wichtige Rolle in diesem Heilswerk Gottes spielen wird und singt weiter:

76 Und du, Kind, wirst ›Prophet des Höchsten‹ genannt werden.
Denn du wirst vor dem Herrn hergehen und ihm den Weg bereiten.
77 Du wirst sein Volk zu der Erkenntnis führen,
dass es durch die Vergebung seiner Sünden gerettet wird;
78 denn unser Gott ist voll Erbarmen.
Darum wird auch der helle Morgenglanz aus der Höhe zu uns kommen,
79 um denen Licht zu bringen,
die in der Finsternis und im Schatten des Todes leben,
und um unsere Schritte auf den Weg des Friedens zu lenken.«

Und Lukas schreibt weiter:
80 Johannes wuchs heran und wurde stark im Geist. Er lebte in der Wüste bis zu dem Tag, an dem er öffentlich in Israel auftrat.

Auch Johannes dem Täufer, wie er später genannt werden wird, ist wie Jesus kein langes Leben beschert. Viele Menschen gehen zu ihm in die Wüste, um seine Predigt zu hören und sich von ihm im Jordan taufen zu lassen. Auch Jesus wird unter den Getauften sein. Als Johannes aber der religiösen Elite zu mächtig wird, bringen sie ihn ins Gefängnis und sorgen später für seine Hinrichtung.

Noch aus dem Gefängnis heraus schickte Johannes seine Jünger zu Jesus „und ließ ihn fragen: Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?“ (Mt 11,3) Und Jesus antwortet, indem er zunächst VON SICH WEG auf eine große Verwandlung des Lebens weist:

„Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt“ (Mt 11,5).

Oder anders gesagt: Das, was geschieht, spricht doch für sich. All das KÖNNEN doch nur die großen Werke Gottes an seinem Volk sein. Es kann darum nicht um den Menschen Jesus gehen. Durch ihn geschieht GOTTES Werk an seinem Volk. DAS muss man erkennen, darum schließt Jesus „und selig ist, wer sich nicht AN MIR ärgert.“

So wird sich letztlich erfüllen, was Zacharias in seinem Psalm besang. Vielleicht hatte er sich den Messias anders vorgestellt.
Politischer, mit mehr irdischer Macht, der ein Reich aufrichten würde wie derzeit die Römer. Vielleicht.

Aber sicher hatte Zacharias auch seine Lektion gelernt: Was er selbst für völlig ausgeschlossen und unmöglich gehalten hätte, hat Gott möglich gemacht. Denn anderenfalls hätten er und Elisabeth niemals mehr ein Kind haben können.

Warum sollte dann nicht auch der Messias ANDERS auftreten und wirken, als die Menschen damals sich das vorgestellt, erhofft hatten?

Meine Schwestern, meine Brüder,

Zacharias bringt mit seinem Loblied auf den Punkt, woran Christen zwar offiziell glauben, was aber viele unter ihnen zu vergessen drohen oder schon vergessen haben:
Im Leben der Menschheit IST ALLES GUT – seit mindestens 2020 Jahren. Gott HAT „sich seines Volkes angenommen“ und „ihm Erlösung gebracht“.

In unserem Glaubensbekenntnis sprechen wir doch, dass in Jesus aus Nazareth nicht einfach ein besonders netter Mensch, sondern Gott selbst zu uns Menschen gekommen ist.
Dass er uns gezeigt hat, dass der garstig breite Graben, der Sund oder die Sünden, nicht mehr zwischen uns und ihm stehen, sondern dass wir unser Leben, auf ihn ausgerichtet, geborgen und geschützt führen können, weil Gott uns liebt und lieben wird. Immer, sogar durch den Tod hindurch.

„Christus allein ist von Ewigkeit her seinem Wesen nach der Sohn Gottes. Wir aber sind um seinetwillen aus Gnade als Kinder Gottes angenommen.“ So brachte es der Heidelberger Katechismus auf den Punkt (33). „Er hat sich seines Volkes angenommen und hat ihm Erlösung gebracht.“ Zacharias sagt damit nichts anderes.

Aber er kann das auch nur sagen, weil ihm Heilsames geschehen ist: Die unfassbare Geburt seines Sohnes Johannes. An ihm ist damit geschehen, was vorzeiten schon Sarah und Abram geschehen war. Gott hält sein Versprechen.

Und UNS geht es genauso: Für uns kommt zu Weihnachten nicht nur ein Kind auf diese Erde. Gott kommt und zeigt uns, dass er uns liebt und nie vergisst. Gott hält sein Versprechen. Wir wissen damit nicht nur was, sondern WEN wir erwarten. Und das sollte SCHWERER wiegen als das Was. Denn:

Egal, WAS wir für unser Leben und unsere Welt erhoffen mögen: Gott hat uns gezeigt, dass ER kommt und alle und alles zu einem guten Ende führen wird. Wir sollten darum nie aus den Augen verlieren, dass wir zur Weihnacht allen Grund zum Feiern haben. Nicht lediglich ein Familienfest, sondern ein Gottesfest: GOTT kommt zu uns.

Seit Weihnachten sind die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes mit uns allen.

Also lasst und mit Zacharias in den Lobgesang auf den hellen Morgenstern Gottes einstimmen,
wenn derzeit auch nur gesummt hinter der Alltagsmaske:
Es möge von Herzen sein.
AMEN

LIED EG 19
1. O komm, o komm, du Morgenstern,
lass uns dich schauen, unsern Herrn.
Vertreib das Dunkel unsrer Nacht
durch deines klaren Lichtes Pracht.
A Freut euch, freut euch, der Herr ist nah.
Freut euch und singt Halleluja.
2. O komm, du Sohn aus Davids Stamm,
du Friedensbringer, Osterlamm.
Von Schuld und Knechtschaft mach uns frei
und von des Bösen Tyrannei.
A Freut euch, freut euch, der Herr ist nah.
Freut euch und singt Halleluja.
3. O komm, o Herr, bleib bis ans End,
bis dass uns nichts mehr von dir trennt,
bis dich, wie es dein Wort verheißt,
der Freien Lied ohn Ende preist.
A Freut euch, freut euch, der Herr ist nah.
Freut euch und singt Halleluja.

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