Am Zipfel des Gewandes (Sach 8 20-24)

Unser Gottesdienst am 10. Sonntag nach Trinitatis zum Nachhören ist für vier Wochen hier zu finden.

Gott erwählt Israel
eine unlösbare Verbindung
für IHN
und doch offen für alle
auf der Suche nach dem Reich Gottes

Wohl dem Volk, dessen Gott
der HERR ist
dem Volk,
das ER zum Erbe erwählt hat!
Ps 33,12
***

Jerusalem.
Da hat Gott einmal seine Wohnung gehabt. Sehr wahrscheinlich seine Hauptwohnung. Einen Tempel, wo man ihn suchen und finden, wo man ihn besuchen und mit ihm reden konnte.
Gebaut in uralter Zeit auf dem Hügel über der Stadt.

Natürlich kann der Ewige Allmächtige Unendliche nicht in einem kleinen Erdenhaus wohnen, egal wie groß oder prächtig es auch wäre. Das wusste schon König Salomo, der den Tempel erbauen ließ.

Aber doch ein kleiner Teil von Gott wäre da, vielleicht nur ein winziger, vielleicht nur der Saum seines Herrschermantels. Das würde reichen.
Und Gott WAR dort: Generationen von Menschen suchten und fanden und besuchten ihn auf dem Zion im Tempel. Sie waren ihm nah, ihre Gebete hatten einen würdigen Ort, Gottes Wort erreichte dort ihr Herz.
Jerusalem, der Berg Zion, der Tempel: Heilig für Israel.

Und dann:
587 Jahre vor Christus kam der König von Babylon.
Er zerstörte den Tempel und legte die Stadt in Schutt und Asche. Eine bittere Erfahrung für Israel: Die Wohnung Gottes in Jerusalem, diesen Mittelpunkt des Glaubens und Lebens gab es nicht mehr.

Zwei Generationen später geht der Prophet Sacharja durch die Straßen von Jerusalem. Er selbst hat den Tempel nicht mehr erlebt. Nur aus den Geschichten der Großeltern weiß er, wie es früher war. Alte Geschichten aus der Zeit vor der Katastrophe, als Gott noch seine Wohnung hatte auf diesem Berg über dieser Stadt.

Der Prophet Sacharja hat Visionen. Es sind rätselhafte Bilder, sie kommen und gehen wie Träume in der Nacht, die man zwar genau vor Augen sieht, die man aber nicht fassen oder sich recht erklären kann.

Doch immer wieder kann er in seinen Visionen genau erkennen, dass Gott den Tempel wieder aufbauen wird.
Und er kann Worte hören davon, dass man Gott dort wieder finden können wird.

Und Sacharja hört noch mehr:
Dass Gott einmal nicht nur Gott für Israel,
sondern für alle Völker,
dass er Gott für diese ganze Erde sein wird.
ER ist der Herr Zebaoth, der Regent
ALLER irdischen und himmlischen Heerscharen.

Und der spricht, ich lese den Bibeltext für heute
aus Kapitel 8 ab Vers 20 aus der „Gute Nachricht Bibel“:

20 So spricht der HERR, der Herrscher der Welt: »Viele Völker und die Bewohner großer Städte werden sich aufmachen,
21 sie werden sich gegenseitig aufsuchen und sagen: ‘Kommt, wir wollen zum HERRN gehen, dem Herrscher der Welt, um seinen Segen zu erbitten und bei ihm Hilfe zu suchen! Ich jedenfalls werde hingehen.’
22 Und so werden große und starke Völker nach Jerusalem kommen, um beim HERRN, dem Herrscher der Welt, Hilfe zu suchen und seinen Segen zu erbitten.«
23 So spricht der HERR, der Herrscher der Welt: »Zu jener Zeit wird man es erleben, dass zehn Männer aus Völkern mit ganz verschiedenen Sprachen sich an einen Juden hängen, seinen Gewandzipfel ergreifen und sagen: ‘Lasst uns mit euch nach Jerusalem ziehen! Wir haben gehört, dass Gott auf eurer Seite steht.’«

All das, worauf Sacharja im Moment sieht und und was er sehen kann,
was er erlebt und erleben muss,
all das wird in diesem Wort kurzerhand aufgelöst.

Die verschiedensten Völker, selbst die gerade noch rivalisierenden Großmächte der Welt, werden aufhören sich voller Argwohn zu beäugen und zu bewerten.
Plötzlich schlagen alle einen neuen Ton an, verändern ihre Perspektive, ihren Blickwinkel.
Auch die Bewohner der großen Städte werden aufbrechen. Sie werden sich gegenseitig aufsuchen, sich gegenseitig auf den Gott Israels hinweisen.
Denn sie ahnen: Sein Segen könnte Bewegung in ihr Leben bringen, mehr noch: Heil bedeuten.

Und so REDEN sie nicht nur miteinander, sie alle kommen in BEWEGUNG, fordern einander auf: Komm! ICH werde in jedem Fall gehen, aber du, komm doch auch mit!
Auf nach Jerusalem, auf zum Zion!

Ganze Völker, mächtige Nationen kommen nach Jerusalem, und dieses Mal kommen sie nicht als Eroberer, sondern um sich selbst erobern zu lassen: Um die Nähe Gottes zu erleben.

Diese Fremden halten sich am Zipfel des Gewandes eines Menschen aus dem Volk Israel fest.
Sie wollen sich nicht von ihm trennen, wie sich ein Kind nicht vom Schürzenzipfel der Mutter trennen will. Sie wollen nicht allein. gelassen sein auf dem Weg, sie wollen nichts versäumen.

Sie sagen: ‘Lasst uns mit euch nach Jerusalem ziehen! Wir haben gehört, dass Gott auf eurer Seite steht.’ Wie wunderbar: Alle sind sich einig, alle wollen aufbrechen in dieselbe Richtung, sie träumen denselben Traum, sie haben gehört, und durch das Hörensagen haben sie dasselbe Ziel.

Wie genau das mit den Zahlen hier zu verstehen ist?
Hängen sich zehn aus allen Völkern an einen Einzigen
oder hängen sich, wie die Lutherübersetzung vermuten lässt, JE zehn an einen, bis die ganze Welt in Jerusalem ist?

Man mag bei dem einen Einzigen an Jesus aus Nazareth denken, der „zehn aus allen Völkern“ zu Gott führt, und das ist für uns Christen durchaus nicht von der Hand zu weisen.

Obwohl es sicher unter den Christen immer solche gab und gibt, die sich ungern daran erinnert sehen, dass der Gott Jesu auch der Gott Abrahams und Saras ist, und sicher auch manche Juden, die nicht glauben können, dass Christen an denselben Gott glauben wie sie selbst, sie sagen: Euer Glaube ist nicht mehr unser Glaube.

Aber eigentlich ist das für dieses Bild Sacharjas und dieses Wort Gottes auch unerheblich. Hier geht es darum, dass ALLE nach Gott fragen werden, ALLE ihn kennenlernen, ihm nah sein wollen, ALLE ihre Hoffnung auf Heil auf ihn setzen.

Ist das nicht zu schön, um wahr zu sein?
Oder anders gefragt:
Sind Visionen etwas für den Alltag?

Sind Visionen zum Beispiel etwas für die Politik oder sollten die, die Visionen haben lieber zum Arzt gehen, wie Helmut Schmidt einmal meinte? Also: Haltet euch lieber an die Fakten!?

Oder aber ist Politik, die keine Visionen hat, nicht wenig anziehend und darum letztlich schwer zu ertragen?
Es scheint doch im Moment so zu sein, dass die,
die beispielsweise die Vision der Neuerweckung eines „christlichen Abendlandes“ vor sich hertragen, immer mehr Menschen an sich ziehen als die, die nüchtern und abgeklärt von den Errungenschaften des demokratischen Rechtsstaats reden.

Mir scheint es so zu sein, dass Sacharja hier eine Vision an das Volk bringen will.
Dass er etwas Unerreichbares beschreibt, um etwas Neues zu erreichen.

Schauen wir doch dieses Volk Israel an, zu dem Sacharja hier spricht. Das war ein Volk, das der Prophet offen kritisiert, weil es in seinem Tun und Denken gerade NICHT auf Gott hörte. Sie handeln eben nicht nach Gottes Willen und trauen Gott nicht weit über den Weg.

Hier ist also kein jüdischer Mensch, an dessen Rockzipfel sich zehn andere hängen würden, um zum Zion zu pilgern. Erst recht nicht zehn aus anderen Völkern. Hier gab es kein Volk von Gutmenschen, an denen die Völker der Welt sich hätten orientieren wollen, sondern von der Last ihres Lebens gebeutelte, nach der Rückkehr aus dem Exil desillusionierte Menschen.

Und doch spricht ihnen der Prophet genau diese strahlende Zukunft zu. Er weiß: Dieses Volk braucht den Tempel, und es braucht dies große Vision Gottes.

Es braucht den Blick auf SEINE Treue und Gerechtigkeit, die größer ist als diese Welt, und die eines anderen werden sie nicht finden. Es braucht die Erfahrung, Gott vertrauen zu können. Gott zu vertrauen aber bedeutet Gott zu glauben.
Genau um diesen Glauben der Menschen, um dieses Vertrauen in die Größe Gottes wirbt der Prophet.

Als Jesus aus Nazareth dann fünfhundert Jahre nach Sacharja durch die Straßen Jerusalems geht, scheint der Erfolg Sacharjas sichtbar zu sein:

Der Tempel stand wieder über der Stadt, prächtig und schön. Er war wieder voller Leben, hier trafen sich Menschen, die Gott suchten. Die Menschen WAREN also aufgestanden, hatten ihre Not beiseite geschoben, hatten die Bedeutung ihres einstigen Lebenszentrums erkannt und es neu aufgebaut.

Doch nur ein paar Jahrzehne nach dem Tod Jesu wird der Tempel wieder zerstört. Diesmal schleifen ihn die Römer, legen ihn in Schutt und Asche. Und keiner baut ihn mehr auf, bis heute.
Was also brachte diese Vision des Sacharja,
war dieses Wort Gottes nun aufgebraucht, überholt, falsch?

Meine Schwestern, meine Brüder:

Wir heute scheinen von dieser Vision des Sacharja weiter entfernt denn je. Noch weiter als Israel damals. Inzwischen können wir nicht nur Tempel und Städte zerstören. Seit den Gaskammern und Atombomben des zweiten Weltkrieges besitzen wir Menschen das Potential, diese ganze Welt nicht nur in Schutt und Asche zu legen, sondern gänzlich zu zerstören.

Gerade die Juden mussten das grausam erleben. Dass die Menschen nach ihren Gewändern griffen, nicht um ihnen zu folgen, sondern um sie zu demütigen, ihre Synagogen zu verbrennen ihre Kultur zu zerstören, ihr Leben auszulöschen.

Und doch ist dieses Wort durch Sacharja Gotteswort für mich. Die Vision der Wallfahrt der Völker zum Zion wurde und wird Wahrheit, sie ist für mich Wirklichkeit.

Denn seit Jesus Christus fanden Milliarden von Menschen ihren Weg zum Gott des Volkes Israels, weil Jesus nicht nur SEIN Volk, sondern auch sie dahin führte. Seit Jesus Christus fassten und fassen immer mehr Menschen aus allen Teilen unserer Welt einen jüdischen Menschen am Saum seines Gewandes und ließen sich von ihm zum Berg Zion leiten.
Allein weil sie gehört haben, dass Gott mit ihnen sei, wissen sie: Das JETZT KANN noch nicht alles gewesen sein.

Nun mag man einwenden:
Wer aber fragt denn heute wirklich nach Gott? Ja, dann und wann verirrt sich ein Mensch in unsere Kirchen, genießt die Stille dort, feiert Gottesdienste mit, bleibt vielleicht sogar. Doch folgen die meisten nicht anderen Göttern, die ihnen über den Lebensweg laufen?

Sie HABEN doch gehört: Von ihren Großeltern, ihren Eltern, im Religionsunterricht in den Schulen, im Unterricht in ihren Kirchen. Vielleicht haben sie auch zu viel gehört von Gottes Bodenpersonal, vieles, was sie lieber gar nicht gehört haben wollten. Geht es uns heute nicht eher schlechter als den Israeliten zur Zeit Sacharjas?

Doch ich bin mir sicher: Gott hat noch sehr viel vor mit uns Menschen. Mit seinem Volk Israel, mit uns, mit allen, die ihn suchen.

Das weltweite Volk Gottes mag zwar im Augenblick die Hauptwohnung Gottes auf dem Zion nicht haben. Aber es hat Gottes Wort, es hat Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi auf seiner Seite. Durch ihn kann JEDE und JEDER, durch ihn kann auch ICH zum Gott Israels und damit zum Heil des Lebens finden, das mich neu Lust finden lässt an Gottes Welt, egal wie alt ich bin.

Ich weiß nicht, was diese Erde noch alles erwartet. Ich weiß auch nicht, wie ihr Ende sein, auch nicht wann das sein wird.

Aber ich weiß, dass am Ende aller Zeit Sacharja Recht behält und Gottes Wort wahr bleibt:
ALLE werden kommen und in Jerusalem, auf dem Berg Zion, im Tempel das Heil finden. Denn wir alle haben es gehört:

Die Liebe Gottes,
die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

sind an unserer Seite.
AMEN

EG 324 1.12-14
1. Ich singe dir mit Herz und Mund,
Herr, meines Herzens Lust;
ich sing und mach auf Erden kund,
was mir von dir bewusst.
12. Du füllst des Lebens Mangel aus
mit dem, was ewig steht,
und führst uns in des Himmels Haus,
wenn uns die Erd entgeht.
13. Wohlauf, mein Herze, sing und spring
und habe guten Mut!
Dein Gott, der Ursprung aller Ding,
ist selbst und bleibt dein Gut.
14. Er ist dein Schatz, dein Erb und Teil,
dein Glanz und Freudenlicht,
dein Schirm und Schild, dein Hilf und Heil,
schafft Rat und lässt dich nicht.

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