Unser Gottesdienst am 11. Sonntag nach Trinitatis zum Nachhören ist für vier Wochen hier zu finden.
Wer bin ich wirklich?
Der, der ich gerne wäre?
Der, den andere sehen?
Halte ich mehr von mir, als ich bin?
Traue ich mir weniger zu, als ich kann?
Bin ich hochmütig?
Bin ich kleinmütig?
Demütig?
Die Begegnung mit dem Wort GOTTES
zeigt wer ich bin
aus ihr wächst Mut
zum Gehen
zum Fallen
zum Aufstehen
zum Glauben der die Welt überwindet
Mut zum Dienen
Demut.
Gott widersteht den Hochmütigen,
aber den Demütigen gibt er Gnade.
1 Petrus 5,5b
***
Am vergangenen Sonntag gab es den Predigttext zum Schluss der Predigt. Heute verlese ich ihn gar nicht, in der Hoffnung, dass ihr zuhause nicht nur DIESEN Text, sondern gleich den ganzen Galaterbrief lest.
Einerseits glaube ich, dass man nur so die Verse 16-21 aus Kapitel 2 richtig verstehen und einordnen kann – ihr wollt hier schließlich keine 90-Minuten-Predigt hören. Andererseits ist der Brief so dünn, das man ihn beim Blättern durch die Bibel oft einfach überblättert, also gut einmal durchzulesen.
Und wenn ihr ihn ganz durchlest, versteht ihr Paulus vielleicht besser: Denn Paulus ärgert sich. Er ärgert sich nicht nur „grün und blau“. Das wären ja nur Blessuren, die gehen ja wieder weg, wenn man sich erholt hat.
Nein, Paulus ärgert sich SCHWARZ. Das ist die Farbe des Todes, also könnte man auch anders sagen: Paulus ärgert sich zu TODE. Was ist passiert?
Nach allem, was wir über ihn wissen, änderte sich sein Leben durch sein „Damaskuserlebnis“ radikal. Paulus wurde vom brennenden Verfolger der Christen zu ihrem glühenden Verfechter.
Der Grund dafür ist klar: Die Begegnung mit dem auferstandenen Christus hatte sein Leben vom Kopf auf die Füße gestellt. Endlich stimmte für ihn alles. Und das wollte, nein: das KONNTE er nicht einfach für sich behalten. Das sollten auch andere erleben.
Und so hing er sein altes Leben an den Nagel und zog sein neues an. Der streng religiös Erzogene und zum Pharisäer Ausgebildete zog auf drei langen, beschwerlichen und gefährlichen Reisen hinaus in die nichtjüdische Welt und gründete dort erste christliche Gemeinden. Einige, die von anderen gegründet worden waren, unterstützte er.
Diese Gemeinden waren zwar alle zumeist klein – heute würden sie in unserer Kirche sehr wahrscheinlich dem Kleinstgemeindegesetz zum Opfer fallen, es sei denn, sie wären reformiert… In Korinth dürften es beispielsweise kaum 20 Familien gewesen sein. Doch sie sind noch heute weltbekannt, weil sie ihre Spuren im Neuen Testament hinterlassen haben.
Die ersten beiden seiner drei Missionsreisen führte Paulus auch mehrfach durch die Provinz Galatien, die Städte Ikonion, Lystra und Derbe werden in der Bibel genannt. Er war dort zumindest gut bekannt, vielleicht hat er auch Gemeinden dort gegründet.
Wenn er nun einen Brief „an die Gemeinden in Galatien“ schreibt, wissen wir heute also nicht mehr, wo genau die Gemeinden in dieser Provinz damals lebten. Aber was passiert ist, kann man im Brief lesen.
Alles, woran Paulus nach seinem Damaskuserlebnis glaubt, steht für ihn auf dem Spiel. Was genau das ist, fasst er im Brief gleich zu Anfang ab Vers 3 in einen einzigen Satz: 3 Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus, 4 der sich selbst für unsre Sünden dahingegeben hat, dass er uns errette von dieser gegenwärtigen, bösen Welt nach dem Willen Gottes, unseres Vaters. 5 Ihm sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
Oder anders:
Jesus ist gestorben, um unsere Trennung von Gott abzutragen. Darum müssen wir uns endlich nicht mehr von den Gesetzen dieser Welt versklaven lassen, sondern können nach Gottes Willen leben und so das Heil finden. Amen!
Für diese Botschaft, dieses Evangelium lebt und stirbt Paulus, und er wird nicht müde, das immer und immer wieder zu predigen. Doch nachdem die Galater durch diese Botschaft zum Glauben kamen, erschienen andere Missionare und predigten:
Halt halt halt, nicht so schnell! Bevor ihr euch Christen nennen dürft, haltet euch erst mal an seine Regeln! Lasst eure Männer beschneiden, esst koscher, haltet euch an die Gesetze der Tora!
Paulus kann es kaum glauben, dass das Evangelium so sinnentleert wird. Dass Juden wie er zu befreiten Christusnachfolgern werden dürfen, aber befreite Christen gezwungen sein sollten, sich an jüdische Regeln zu halten.
Dazu kann er nicht schweigen und schreibt diesen Brief. Ja, er schreibt lieber, und das hat viele Gründe. Zuerst sicher den, dass damals Entfernungen eben nicht so einfach zu überwinden waren wie heute auf dem Motorrad oder im Flugzeug. Das Reisen wahr beschwerlich, zeitraubend und lebensgefährlich.
Und dann konnte er sich so besser überlegen, was er zu sagen hatte, denn Aufgeschriebenes kann man öfter mal nachlesen und darüber nachdenken.
Wer schreibt, der bleibt. Weiß schon der Volksmund. Zu unserem Glück übrigens, denn nur deshalb können wir das heute auch lesen und darüber nachdenken.
Und IN unserem Predigttext ist dann auch das Hauptargument gegen diese, wie Paulus schreibt, heuchlerische Gesetzestreue zu finden, Paulus schreibt (2,16):
„… weil wir wissen, dass der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gekommen, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch des Gesetzes Werke wird kein Mensch gerecht.“
Gerechtigkeit ALLEIN durch Glauben:
Denn wer Gott glaubt, der glaubt, hört und LEBT genau DIE „Summe des Gesetzes“, die wir vorhin wieder hörten:
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt… Das andere aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“, wie Matthäus das in seinem Evangelium zusammenfasst. Wer Gott liebt, auf ihn sein Leben ausrichtet, ist DARUM und NUR darum gerecht.
Gerechtigkeit ALLEIN durch Glauben:
Da sind wir beim zentralen theologischen Leitsatz der Reformation, heiß umstritten und aufs heftigste diskutiert, theologischer Hauptgrund für die Kirchenspaltung damals.
Im Juni 1997 wurde die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“, um die sich mehr als 25 Jahre lang katholisch-lutherische Dialogkommissionen bemüht hatten, veröffentlicht. Man wollte mit ihr zumindest die theologische Kirchenspaltung beenden. Man wollte beschreiben, dass diese Wahrheit des Evangeliums keinen Grund zur Kirchenspaltung mehr darstellt.
Doch in den folgenden Monaten entbrannte ein kaum für möglich gehaltener Streit um diese Erklärung, in der offene Briefe, Unterschriftenaktionen, Erklärungen und Publikationen um die sachgemäße Bewahrung der protestantischen Identität, die mit der Rechtfertigungslehre gegeben sei, das Feld beherrschten.
Und so dauerte es noch einmal 20 Jahre, bis am 31. Oktober 1999 diese Erklärung über einen „Konsens in Grundwahrheiten“ vom lutherischen Weltbund und der Katholischen Kirche unterzeichnet wurden. 2006 dann trat die Methodistische Weltkirche der Erklärung bei, erst 2017 (noch einmal 18 Jahre später!) die Weltgemeinschaften der Reformierten und der Anglikaner.
Bis 2017 haben wir Reformierten gebraucht… Sieben Jahre ist das her. Und? Erinnert ihr Euch? Habt ihr etwas davon gemerkt?
Meine Schwestern, meine Brüder:
Damit sind wir beim einem Kern-Problem nicht nur unseres Bibelabschnitts, sondern des ganzen Briefes, vielleicht sogar der kirchlichen Verkündigung überhaupt:
Diese paulinische Grundwahrheit christlichen Glaubens, an der sich Völker entzweiten und um die sogar Kriege geführt wurden – diese Grundwahrheit lockt heute immer weniger Menschen hinter dem Ofen hervor.
Zum einen mag das daran liegen, dass uns sein ursprünglicher Bezugspunkt fremd geworden ist. Jüdische Speisegebote und Beschneidungsriten haben mit unserem Alltag so gut wie nichts mehr zu tun.
Zum anderen daher, dass die Definitionen des Wortes Gerechtigkeit in unserer Pluralen Welt so schillernd und vielfältig geworden sind, dass die meisten schon abwinken, weil sie die aus dem geschriebenen Menschengesetz nicht erwarten.
Weder aus dem Strafrecht noch aus dem Steuerrecht und erst recht nicht aus der Straßenverkehrsordnung (seit einigen Tagen leben wir in unserem Kiez in einer Tempo 20 Zone, und nicht nur der Transporterfahrer der Thonkes scheint das noch nie gesehen zu haben, und wenn die Polizei durch unsere Fußgängerzone fährt, selbst ohne Blaulicht…). Ihr wisst, wovon ich rede.
Doch wir wissen alle um die Regeln unseres Lebens. Und da rede ich nicht nur von diesen großen, sondern vor allem von den vielen kleinen Regeln unseres Alltages. Den offenen, halboffenen, versteckten Verhaltensvorschriften.
Bist du mit deiner Karriere beruflich und so genannt erfolgreich, dass du etwas vorzuweisen hast im Ranking des Wohlstandes? Isst du etwa noch Fleisch oder endlich vegan? Hast du endlich deinen Verbrenner über den Jordan geschickt und fährst Rad? Hast du daran gedacht, nicht „underdressed“ auf die Veranstaltung zu gehen? Nein? Was sollen die Leute von dir denken?
Bist du auch brav, dass alle Leute dich mögen? Bist du stets höflich, so dass die Leute dich respektieren? Hast du Wohneigentum oder musst du etwa zur Miete wohnen? Hast du Kinder, so dass du etwas auf dieser Welt hinterlässt und nicht etwa der Staat erbt, was du erschuftet hast? Oder gar die Kirche!?
Und Kirchen halten in diesem Karussell durchaus mit:
Bist du überhaupt getauft, dass du hier mitreden darfst? Kannst du dich überhaupt an eine Bekehrung erinnern oder läufst du hier einfach so mit? Hast du auf der Lohnsteuerkarte ordentlich deine Konfession vermerken lassen? Zahlst du ordentlich dein Gemeindekirchgeld oder deinen Zehnten? Denkst du daran, dass du ein Aushängeschild unserer Gemeinde bist? Gehst du etwa zur Bundeswehr oder gar in den Puff?
Auf der einen Seite sind solche Regeln und Regelchen immens wichtig:
Wenn wir bei jeder Handlung erst einmal gründlich überlegen und dann eine eigene Entscheidung treffen müssten und dabei nicht auf Erlerntes oder schlicht Übernommenes zurückgreifen könnten, würde uns unter Umständen schon die Frage, ob wir morgens aufstehen sollen oder nicht, den ganzen Tag über beschäftigen.
Auf der anderen Seite können diese versteckten Regeln und Gesetze aber das ganze Leben zu einer Tortur werden lassen. Denn wenn ich nur so handle, wie ich es gelernt oder einfach übernommen habe, und mir dessen nicht einmal bewusst bin, verspiele ich die Freiheit, die Gott schenkt!
Unter Umständen können diese Regeln eine solche Macht auf einen Menschen ausüben, dass er dadurch krank wird. Beispielsweise TATSÄCHLICH den ganzen Tag darüber nachdenken muss, aufzustehen oder im Bett liegen zu bleiben.
Natürlich gibt es kein Leben auf dieser Welt, das NICHT fremdbestimmt wäre. Irgendetwas, irgendjemand bestimmt uns immer.
Doch wer nach Christus, wer nach Gott fragt, der wird entdecken: Gott schenkt uns Freiheit, zu entscheiden, WER unser Leben bestimmt und WOZU wir leben.
Paulus bringt das in unserem Bibeltext so auf den Punkt:
„Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern CHRISTUS lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben.“ (2,20)
Dass Paulus endlich nur für Gott leben kann, der aus Liebe zu den Menschen Jesus Christus für sie leben ließ, damit sie IHN finden können, und am Kreuz sterben ließ, damit sie endlich frei werden: DAS hat sein Leben vom Kopf auf die Füße gestellt. Ja, er ist auch weiterhin fremdbestimmt, aber er weiß:
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
bestimmen jetzt sein Leben und machen es frei, Gott zu dienen.
Sie machen auch uns frei.
Das ist die beste Wahl unseres Lebens, das werfen wir nicht weg.
AMEN
EG 250: 1.3.4
1. Ich lobe dich von ganzer Seelen,
dass du auf diesem Erdenkreis
dir wollen eine Kirch erwählen
zu deines Namens Lob und Preis,
darinnen sich viel Menschen finden
in einer heiligen Gemein,
die da von allen ihren Sünden
durch Christi Blut gewaschen sein.
3. Du, Gott, hast dir aus vielen Zungen
der Völker eine Kirch gemacht,
darin dein Lob dir wird gesungen
in einer wunderschönen Pracht,
die sämtlich unter Christus stehen
als ihrem königlichen Haupt
und in Gemeinschaft dies begehen,
was jeder Christ von Herzen glaubt.
4. Wir wolln uns nicht auf Werke gründen,
weil doch kein Mensch vor Gott gerecht;
und will sich etwas Gutes finden,
so sind wir dennoch böse Knecht.
Mit Glauben müssen wir empfangen,
was Christi Leiden uns bereit’;
im Glauben müssen wir erlangen
der Seelen Heil und Seligkeit.