Es wird, wie es sei soll (Offb 5)

Advent
Zeit der Hoffnung
Hoffnung auf eine Welt
in der alle Herrschaft
Herrschaft Gottes ist

Advent
Zeit der Sehnsucht
Sehnsucht nach Befreiung
von den Fesseln des Verstandes
der schmalen Sicht des Wissens

Advent
Zeit der Freude
Freude über den der kommt
und alles neu macht

Siehe, dein König kommt zu dir,
ein Gerechter und ein Helfer.
Sacharja 9,9
***

Advent- Ankunft. Was kommt?

Was wir sehen, ist das, was ist.
Weihnachtlich geschmückte Wohnungen, Straßen und Plätze. Regale voller Süßigkeiten und Gebäck, das erste Licht am Adventskranz. Menschen, die über Weihnachtsmärkte oder Kaufhäuser drängen. Geschenke müssen gekauft, Ideen gesammelt werden. Die Zeit ist in diesem Jahr knapp, denn am vierten Advent ist schon der Heilige Abend.

Was wir hören, ist das, was ist.
Weihnachtsmusik aus Lautsprechern, angeheitertes Lachen vom Glühweinstand, ärgerliche Eltern, unzufriedene Kinder. Nachrichten über Bombenatrappen auf dem Weihnachtsmarkt in Potsdam und besorgte Polizei.

Was wir fühlen, ist das was ist.
Angenehmer Duft von Glühwein, gebrannten Mandeln oder Grünkohl. Sehnsucht nach Entspannung an immer kürzer werdenden Herbst-Tagen. Der Winter bereits in den Starlöchern. Unruhe: Was muss ich noch vorbereiten? Was noch besorgen?

Was wir sehen, was wir hören, was wir fühlen, nimmt uns gefangen.
Und jetzt ist Advent. Ankunft. Was kommt? Wird es uns befreien aus dieser Gefangenschaft?

C.F. von Weizsäcker:
„Man kann in dieser Welt, wie sie ist, nur dann weiterleben, wenn man zutiefst glaubt, dass sie nicht so bleibt,
sondern werden wird, wie sie sein soll“

Werden wird, wie sie sein soll: Das weiß nur der Voraussehende.

Was wir ganz einfach, ohne Mühe also, erblicken können, ist also nicht alles. Gott sei Dank.
Die Kunst des Voraus-Sehens übt den Blick über die reale Welt hinaus. Erst in der Perspektive des Kommenden lernen wir die Welt jetzt real zu sehen. Denn das, was kommen wird, wird das, was ist, in das rechte Licht rücken, die Wahrheit sehen lassen.

„Jesu, gib gesunde Augen, die was taugen,/ rühre meine Augen an; denn das ist die größte Plage, / wenn am Tage man das Licht nicht sehen kann“ . So dichtete Christian Friedrich Richter im Jahre 1704. (EKG 266,7) Leider hat es dieses Lied nicht bis in unser Gesangbuch geschafft, was wohl auch an seiner Melodie lag – einer reformierten Psalmmelodie. Schade, denn redet genau davon: Von der Einübung der Augen in das Voraussehen. Sie sollen sehen, was sein kann, damit sie das, was ist, richtig sehen.

Johannes sieht voraus -und schreibt auf, was er sieht. Davon ist in der Offenbarung zu lesen.
Johannes muss ungefähr 100 Jahre nach Christi Geburt auf der Mittelmeerinsel Patmos leben.
Patmos ist keine Idylle für Ruheständler, sondern Verbannungsort für mundtot gemachte Widerständler.

Manche streiten darüber, ob Johannes hier Visionen aufschreibt, oder ob er das, was er sagen will, einfach in Bildern verschlüsselt, die nur die verstehen können, die sich im Christentum auskennen. Wie man sich auch entscheidet: Auch Johannes mag seine Gegenwart in der Verbannung ohne das Sehen auf die Welt, wie sie sein soll, nicht ertragen.

„Wem gehört die Erde?“, lautet die zentrale Frage der Bilder, die er beschreibt. So wird seine Offenbarung zu einem Bilderbuch der Hoffnung auf die Wiederkunft Christi, auf den letzten Advent Gottes. Das wohl größte Bilderbuch der Bibel, mit schönen, aber auch bedrängenden Bildern.

Der Predigttext für diesen ersten Advent ist das 5. Kapitel.
Da steht zu Beginn:

5 1 Jetzt sah ich, dass der, der auf dem Thron saß, in seiner rechten Hand eine Buchrolle hielt. Sie war innen und außen beschrieben und war mit sieben Siegeln versiegelt.
2 Und ich sah einen mächtigen Engel, der mit lauter Stimme rief: »Wer ist würdig, das Buch zu öffnen? ´Wer hat das Recht,` seine Siegel aufzubrechen?«
3 Aber da war niemand, weder im Himmel noch auf der Erde, noch unter der Erde, der das Buch öffnen konnte, um zu sehen, was darin stand;
4 keiner war zu finden, der würdig gewesen wäre, die Buchrolle aufzumachen und etwas von ihrem Inhalt zu erfahren. Darüber weinte ich sehr.

Das legendäre und zum Sprichwort gewordene Buch mit den sieben Siegeln. Das Buch, das jeder gern kennen würde, um zu verstehen, warum die Welt so ist wie sie ist. Und um sehen zu können, was denn kommen soll. Die Ankündigung des Planes Gottes für die Welt, der Schlüssel für das Verstehen der Geschichte. Das Buch mit den sieben Siegeln lesen zu können: Die alte, größte Sehnsucht der Menschheit.

Gott, der lebendige Weltenrichter auf dem Thron, wird mehr geahnt als geschaut. Vier Wesen stehen um den Thron, so erfahren wir kurz vorher, sie ähneln Löwe, Stier Mensch und Adler. Dazu 24 Älteste, die den Thron anbeten.

Die vier Wesen repräsentieren die Welt, jeder eine Himmelsrichtung. Sie werden später zu den Symbolen der vier biblischen Evangelisten. In den 24 Ältesten sieht man die Vertreter aller Stämme der Menschheit versammelt.

Die sieben Siegel beglaubigen den Bund zwischen Gott und Welt. Gott, der Dreieinig ist, und die Welt, die sich in vier Himmelsrichtungen erstreckt.
Man kann die Tränen des Sehers verstehen: Niemand findet sich, der würdig wäre, das Buch zu die Siegel zu brechen. Da ist es, jeder kann es sehen, und niemand soll da sein, der es öffnen und lesen kann.

Johannes würde sicher in das Lied vieler Christen heute einstimmen: Wo bleibst Du, Trost der ganzen Welt / darauf sie all ihr Hoffen stellt? O komm, ach komm vom höchsten Saal / komm tröst uns hier im Jammertal. (EG 7,4)

Seine Sehnsuchts-Tränen prägen auch diesen Advent.
Die erste Fastenzeit im Kirchenjahr, deren Farbe Violett ist.
Es ist die Sehnsucht nach dem, der die Siegel bricht.

Johannes sieht weiter:
5 Doch einer der Ältesten sagte zu mir: »Weine nicht! Einer hat den Sieg errungen – der Löwe aus dem Stamm Juda, der Spross, der aus dem Wurzelstock Davids hervorwuchs. ´Er ist würdig,` das Buch mit den sieben Siegeln zu öffnen.«

Kommt jetzt die Lösung von einem mächtigen König, der reinen Tisch macht? Angesagt wird der „Löwe aus dem Stamm Juda“,
ein Wappentier überlegener Stärke, aber auch unverhoffter Trieb aus der Wurzel Davids.
Wer ist dieser Löwe?

Weiter im Text:
6 Nun sah ich in der Mitte, da, wo der Thron war, ein Lamm stehen, umgeben von den vier lebendigen Wesen und den Ältesten. Es sah aus wie ein Opfertier, das geschlachtet worden ist, und hatte sieben Hörner und sieben Augen. (Die sieben Augen sind die sieben Geister Gottes, die in die ganze Welt ausgesandt sind.)
7 Das Lamm trat vor den hin, der auf dem Thron saß, um das Buch in Empfang zu nehmen, das er in seiner rechten Hand hielt.
8 Als es das Buch entgegengenommen hatte, warfen sich die vier lebendigen Wesen und die vierundzwanzig Ältesten vor ihm nieder. Jeder von den Ältesten hatte eine Harfe; außerdem hatten sie goldene, mit Räucherwerk gefüllte Schalen. (Das Räucherwerk sind die Gebete derer, die zu Gottes heiligem Volk gehören.)

Der Weltenrichter auf dem Thron spielt keine Allmachtstrümpfe aus. Er bindet sich an Widerstand und Ergebung des Lammes. Im griechischen Text steht allerdings „Arnion“: Das ist nicht das kuschelige Schmuse-Lämmchen, sondern der kräftige junge Bock oder Widder. Sein Widerstandswillen äußert sich hier in den sieben Hörnern. Seine sieben Augen das Licht des Gottesgeistes, das nicht in den Schatten stellt, sondern Schatten zu ihrem Ende trägt.

Kein Gehen über Leichen, keine Menschen-Opfer für religiös verbrämte Ziele, keine distanzierte Vermeidung des Leids,
sondern verbindliche Treue und Bürgschaft für alle in den Schatten Gestellten: Die Gebete der Heiligen sind dabei.

Kein Zweifel: Jesus Christus ist der, der die Siegel im letzten Advent brechen wird. Sohn Gottes, Herr der Welt, unser Herr. Von den Menschen geschlachtet, durch Gottes Geist wieder lebendig, begleitet von den Gebeten der Heiligen aller Zeit. Also auch von unseren Gebeten.

So schreibt Johannes weiter:
9 Nun sangen die vier lebendigen Wesen und die Ältesten ein neues Lied; es lautete:
»Würdig bist du, das Buch entgegenzunehmen
und seine Siegel zu öffnen!
Denn du hast dich als Schlachtopfer töten lassen
und hast mit deinem Blut
Menschen aus allen Stämmen und Völkern für Gott freigekauft,
Menschen aller Sprachen und Kulturen.
10 Du hast sie zu Mitherrschern gemacht,
zu Priestern für unseren Gott,
und sie werden einmal auf der Erde regieren.«
11 Dann sah ich eine ´unzählbar` große Schar von Engeln – tausend mal Tausende und zehntausend mal Zehntausende. Sie standen im Kreis rings um den Thron, um die vier lebendigen Wesen und um die Ältesten, und ich hörte,
12 wie sie in einem mächtigen Chor sangen:
»Würdig ist das Lamm, das geopfert wurde,
Macht und Reichtum zu empfangen,
Weisheit und Stärke,
Ehre, Ruhm und Anbetung!«
13 Und alle Geschöpfe im Himmel, auf der Erde, unter der Erde und im Meer – alle Geschöpfe im ganzen Universum – hörte ich ´mit einstimmen und` rufen:
»Anbetung, Ehre, Ruhm und Macht
für immer und ewig dem, der auf dem Thron sitzt,
und dem Lamm!«
14 Die vier lebendigen Wesen antworteten: »Amen!« Und die Ältesten warfen sich nieder und beteten an.

Der Chor derer, die Jesus durch sein Blut frei gekauft hat. Der Chor derer, die von Geknechteten zu Mitherrschern wurden. Der Chor derer, die von Unmündigen zu Priestern wurden. Der Chor der Kirche aller Zeit.

Er wird im letzten Advent erschallen, und jede, jeder und alles auf der Welt wird sich diesem Chor anschließen. Alle von der Sehnsucht getragen, dieses Buch öffnen zu können. Den Plan Gottes mit dem Universum zu sehen und zu verstehen.

Meine Schwestern, meine Brüder,

ich denke, euch geht es wie mir: Ich würde gern zu denen gehören, die in diesen Chor einstimmen. Auch ich sehne mich danach, zu verstehen, warum diese Welt ist, wie sie ist. Warum es all das geben muss, was auf meiner Seele liegt: Bürgerkrieg in Syrien, Verfolgung von Rohingya oder Christen, Dauerzwist zwischen Schiiten und Sunniten, Arbeit von Kindern oder zu Hungerlöhnen, Hunger und Krankheit, Terror und gewaltsamer Tod. Womit die Liste noch lange nicht zu ende wäre.

Auch ich glaube daran, dass alles in Gottes Plan seinen Platz hat, aber es bleibt mir ein Buch mit sieben Siegeln, und das lebenslang.

Und ich hoffe darauf, dass am letzten Tag dieser Welt der Herr meines Lebens, Jesus Christus, die sieben Siegel dieses Buches aufbrechen wird, dass ich sehen kann, was ich jetzt nicht verstehe.

Advent: Ankunft Gottes. Heute schon bei mir und dir, dass wir gemeinsam Mut finden zum Bekennen: Alles liegt in der Macht Gottes, unseres Herrn. Bei ihm ist
Licht in jeder Dunkelheit
Leben im Tod
das Ende allen Elends
der Ausweg aus irdischer Beschränktheit.

Advent: Er wird kommen, bei dem es so ist, wie es sein soll.
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sind es, die im Advent alles sein werden.
Amen.

Lied: Herr, mach uns stark EG 154

Dieser Beitrag wurde unter Predigten abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten zu Es wird, wie es sei soll (Offb 5)

  1. Christoph Krüger sagt:

    Bevor ich sie gelesen hatte, habe ich vermutet, dass die Offenbarung nur ein Buch der christlichen Hoffnung ist, das noch dazu schwer verständlich ist. Sie ist aber noch viel mehr. In vielen Passagen ist sie ein ungeheuer politisches Buch. Ich habe viele Vergleiche mit der DDR-Wirklichkeit anstellen können, so z.B. in den Kapiteln 12 bis 14. Aber solche „Tiere“ gibt es auch heute noch in der Welt.

  2. malte sagt:

    Zu jedem Bereich unseres Lebens ist aus der Perspektive des Glaubens in Gottes Sinne etwas Positives beizutragen. Das gilt auch für den Bereich Politik. Das Glaube Privatsache ist, hat nichts damit zu tun, dass eben diese Privatsache öffentlich bedeutsam wird. Was der Christ nicht macht: Sein Heil in der Politik suchen. Jede Regierung, erst recht jede Staatsform, ist und bleibt Menschenwerk mit Licht und Dunkelheit. Unser Heil aber ist bei dem, der Himmel und Erde gemacht hat. Und es Weihnachten werden ließ.

Kommentare sind geschlossen.