Das übersehene Fragezeichen (Joh 20 20-29)

Unser Gottesdienst Quasimodogeniti zum Nachhören ist für vierzehn Tage hier zu finden.

Ostern ist gefeiert
Jesus Christus auferstanden
tausendmal gehört

Auferstehung Christi
was hilft sie
den vielen, denen ihre Last
schon lange schwerer wiegt
als die Lust ihres Lebens
was hilft sie
wenn der Glaube nicht trägt

kann man heraus aus seiner Haut
Quasimodogeniti
gleichwie die Kinder
neugeborenen werden

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus,
der uns nach seiner großen Barmherzigkeit
wiedergeboren hat
zu einer lebendigen Hoffnung
durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.
(1. Petrus 1,3)
* * *
Sollte es jemand (immer noch) nicht wissen: Ich liebe Krimis.

ICH.
Malte Koopmann, männlich, Beruf Pfarrer, Jahrgang 1962. Predigt gerne, seit er 1989 ins Pfarramt ging. Noch länger fährt er gerne Motorrad, und das nicht nur, wenn die Sonne warm vom Himmel scheint. Hat einen Faible für Technik. Hört gern Musik, spielt auch gern welche, singt gern. ICH.

LIEBE.
Ein sehr vielschichtiges Wort, schwer präzise zu fassen. Jeder Mensch erlebt Liebe auf seine eigene Weise, gibt Liebe auf eigene Weise. Einig ist man sich aber doch zumindest insoweit, dass Liebe ein starkes Gefühl der Zuneigung zu Menschen, Tieren oder Dingen ist. ICH LIEBE.

KRIMIS.
Also Geschichten mit, rund und um Mord, Todschlag und andere Kapital-Verbrechen. Und die als Hörbuch, Podcast, Serie, Spielfilm oder Buch. Kurze, lange, ganz lange – da kann ein Buch auch schon mal klein gedruckte 800 Seiten haben, und davon sind in zwei Wochen Urlaub dann schon zwei oder drei im Gepäck… ICH LIEBE KRIMIS.

So. Jetzt wisst ihr Bescheid.
Wirklich? WISST ihr jetzt Bescheid?
Oder GLAUBT ihr, was ich euch erzählt habe,
und haltet das deshalb für korrekt, für richtig?

In vielen der schlechteren Krimis taucht übrigens früher oder später ein Ermittler-Satz wie dieser auf: „Glauben gehört hier nicht her, Glauben gehört in die Kirche.“ Das SOLL mir sagen: Hier geht es um Fakten, um Wissen, nicht um Vermutungen.

Das SOLL es sagen, aber ich muss da innerlich immer stöhnen.
Zuerst natürlich deshalb, weil diese Sprücheklopfer damit so tun, als wäre unsere Sprache ganz einfach zu verstehen, als könne man ein Schloss nur im Baumarkt und nicht auch beim Makler kaufen.

Zum anderen muss ich stöhnen, weil diese Sprüche verdrehen, was sie doch anzumahnen vorgeben: Die Fakten. Denn in keiner Religion geht es um Glauben als Vermutung im Alltag, sondern um Glauben als Grundüberzeugung eines Lebens. Also eben nicht um Sätze wie „Ich glaube, dass ich nichts mehr zu essen abbekomme“, sondern um Sätze wie „Ich glaube an die Liebe“. Ersteres ist eine bloße Annahme, ein vielleicht begründeter Verdacht – Letzteres aber ist innere Sicherheit, eine Ge-Wissheit.

Worin nun unterscheiden sich nun Ge-Wissheit und Wissen eigentlich?
Wie beeinflussen sie einander?
Braucht man nur das eine ODER das andere oder braucht man beide?

Gerade zu Ostern kommen diese Fragen auf den Tisch, und das SEIT Ostern und SEITDEM wohl alle Jahre wieder.

Denn dass ein Mensch von den Toten zurück ins Leben kommt, das ist mehr, als unsere Lebenserfahrung hergibt.
DIE sagt: Alle lebendigen Wesen auf dieser Welt, so auch die Menschen werden geboren und sterben. Und wenn sie erst einmal tot sind, verblassen ihre Spuren – bei den einen schneller, bei den anderen langsamer.

Und da spielt es auch keine Rolle, ob dieser Mensch an Altersschwäche oder wie Jesus durch eine Hinrichtung ums Leben kam: Tot ist tot, niemand hat je sein Grab verlassen.
Ostern aber erzählt es anders, und das ist und das bleibt für viele Menschen eine Zumutung.

Im Johannesevangelium sind uns drei Ostergeschichten überliefert, mit dem sehr wahrscheinlich nachträglich angefügten letzten Kapitel 21 sogar vier. Ich lese aus dem Bibeltext für heute die dritte Ostergeschichte,
die von Thomas erzählt.

Die zweite Oster-Geschichte direkt vorher erzählt davon, dass der Auferstandene am Ostersonntag Abend durch die verschlossenen Türen hindurch zu seinen Jüngern geht und sich ihnen zeigt. Er begrüßt sie mit dem Friedensgruß.

Für die Jünger eine ungeahnte Wendung nach dem Kreuzestod. Vom Heiligen Geist und der leiblichen Gegenwart Jesu erfüllt nehmen sie nun ihren Auftrag vom ihm entgegen. Das erleichtert die Jünger sind nicht nur, sie werden vielmehr regelrecht „froh“, wie Johannes schreibt.

Und Johannes dann weiter, ich lese aus Kapitel 20 ab Vers 24 in der Übersetzung der Zürcher Bibel:

24 Thomas aber, einer der Zwölf, der auch Didymus genannt wird, war nicht bei ihnen, als Jesus kam.
25 Da sagten die anderen Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sagte zu ihnen: Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und nicht meinen Finger in das Mal der Nägel und meine Hand in seine Seite legen kann, werde ich nicht glauben.

Wer soll ihm das verdenken? Maria Magdalena und den Jünger-Kollegen – also MENSCHEN wie du und ich – denen soll er einfach so eine Geschichte abkaufen, dazu noch eine so unglaubliche: Wer hätte das schon getan?

Also sagt er klar und deutlich: Das glaube ich euch nicht. Das kann ich erst glauben, wenn ich selbst Jesus sehe. Und es selbst er-fühle, dass das wahr ist. Er sagt nicht, dass er es für unmöglich, wohl aber, dass er es für unwahrscheinlich hält.

Er will dabei nicht mehr als Maria Magdalena und die übrigen Jünger aus den ersten beiden Oster-Geschichten nach Johannes: Thomas will die für sich die Ge-Wissheit, dass es stimmt, was die anderen da erzählt haben. Johannes ab Vers 26:

26 Nach acht Tagen waren seine Jünger wieder drinnen, und Thomas war mit ihnen. Jesus kam, obwohl die Türen verschlossen waren, und er trat in ihre Mitte und sprach: Friede sei mit euch!
27 Dann sagt er zu Thomas: Leg deinen Finger hierher und schau meine Hände an, und streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!

Acht Tage später, wieder ein Sonntag, der erste Sonntag nach Ostern also. Wieder haben die Jünger ihre Türen verschlossen, denn die Bedrohungslage hat sich nicht geändert: Sie sind die Anhänger eines zum Tode verurteilen und hingerichteten Mannes. Wenn man sie aufspürt, wird es ihnen schlecht ergehen.

Wieder tritt Jesus durch die verschlossenen Türen, wieder tritt er mitten unter sie, wieder grüßt er sie mit dem Friedensgruß. Diesmal aber wendet er sich dann gleich und direkt an Thomas. Jesus weiß, was Thomas denkt und fühlt, ohne das der ihm das gesagt hätte. Es ist so, als sei Jesus unerkannt dabei gewesen, als Thomas das Unglaubliche zunächst von sich wegschob.

Und nun zeigt Jesus ihm, was er zuvor auch den anderen gezeigt hat. Die Spuren der Folter und des Kreuzes, und dass er offenbar wieder lebt, und bietet ihm sogar das an, was er Maria Magdalena in der ersten Ostergeschichte noch strikt verweigert hat: Die Berührung. Berühre mich, fass mich an!

Ob Thomas das auch tat, erfahren wir allerdings nicht. Seine ANTWORT an Jesus ist allerdings genau so eindeutig wie vorher seine Ablehnung bei den Mitjüngern war. Johannes weiter:

28 Thomas antwortete und sagte zu ihm:
Mein Herr und mein Gott!

Diese Antwort hat zwei Teile: Du bist mein Herr!
Der, der mich berufen hat, dem ich nachgefolgt bin, und der gestorben ist und lebt. HERR – das haben bisher alle zu Jesus als dem Auferstandenen gesagt, Maria Magdalena ebenso wie die übrigen Jünger.

Doch Thomas redet ja weiter, er sagt noch mehr:
Du bist mein Gott! Der, der schon immer war und immer sein wird; der, der Himmel und Erde gemacht hat: DAS ist Jesus, der Auferstandene.

Damit spricht er für Johannes als Erster aus, was die Christenheit glaubt: Jesus Christus – wahrer Mensch und wahrer Gott. Vater und Sohn – sie sind eins.

Doch Jesus scheint mit der Antwort unzufrieden, denn –

29 Jesus sagt zu ihm:
Du glaubst, weil du mich gesehen hast.
Selig, die nicht mehr sehen und glauben!

Ist das nicht eine Rüge? Eine zumindest unfreundliche Zurechtweisung? Wie ist das gemeint: Vielleicht als Griff voraus auf die Zeit NACH Himmelfahrt, seit der ALLE, auch wir glauben müssen, ohne den Auferstandenen persönlich gesehen zu haben?

So wird dieser Schlussvers jedenfalls oft verstanden. Und so wurde der „ungläubige Thomas“ geradezu sprichwörtlich und ein Synonym für die Zweifler, Zauderer, all die, die sagen, dass sie nicht glauben könnten.

Der griechische Urtext allerdings lässt mich an dieser Deutung zweifeln. Da steht nämlich zweierlei anders als in der Zürcher Bibel, auch anders als in fast allen meinen anderen Bibelübersetzungen, mit Ausnahme einzig der Lutherbibel:

Zunächst steht da nämlich gar kein Aussagesatz, sondern ein Fragesatz mit einem deutlichen Fragezeichen dahinter. Also nicht: „Du glaubst, weil du mich gesehen hast.“ sondern: Du glaubst, weil du mich gesehen hast?

Und dann steht da im zweiten Satz auch nicht: Selig sind, die nicht „MEHR“ sehen, sondern nur: Selig sind, die nicht sehen und glauben.

Das aber muss ich gar nicht als Vorwurf lesen. Es ist für mich eher eine Frage an das Denken, und zwar nicht nur an das Denken von Thomas, sondern aller, die mit Jesus im Raum sind.

Ich lese darum diesen Vers so: Wer immer meint zu glauben, weil er irgend etwas gesehen hat, irrt. Wer aber glaubt, ohne gesehen zu haben, der findet sie wirklich: Die Seligkeit.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Durch diese Ostergeschichte fragt Johannes unser Denken von Jesus und seiner Auferstehung an.
SEHEN können die Jünger nämlich nur Jesus, nicht aber GOTT.
SEHEN können sie zu Ostern nur:
Die SACHE Gottes auf dieser Welt geht weiter.
Osterglaube aber ist das Bekenntnis des Thomas:
Mein Herr UND mein Gott!

Mir macht diese Ostergeschichte klar: Dieses Bekenntnis ist nur im Nicht-Sehen möglich. Unsere Grenzen zwischen Glauben und Wissen sind also gar nicht klar gezogen, sie fließen vielmehr ineinander. All das, über das wir persönlich als Wissen verfügen – auch, ob wir das für wesentlich oder fragwürdig halten, hängt ab von dem, woran wir glauben.
Und zwar im Positiven wie auch im Negativen.

Ich erinnere nur an die Corona-Pandemie, da wurde es für uns so deutlich wie selten zuvor:  Es gibt die, die daran glauben, dass ein Virus bekämpft werden müsse, und die, die an eine Verschwörung einer geheimen Weltregierung gegen die Menschheit glauben. Und so manch anderen Glauben dazwischen.

Und alles WISSEN, also all die Fakten, die man benennen kann, werden in diesen Glauben EINGEORDNET und die persönlichen Konsequenzen daraus gezogen. Die einen wählten die Impfung, die anderen zumindest den lauten Protest, und es gab vieles dazwischen.

Das bedeutet: Unser Wissen und unser Glauben entsprechen einander, Glaube und Wissen brauchen einander. Es wird zum Beispiel keinen guten Mathematiker geben, der nicht WENIGSTENS an die Existenz und die Richtigkeit der mathematischen Grundlagen glaubt, wonach Eins Eins und nicht etwa Drei ist. Dass er wie zum Beispiel Albert Einstein darüber hinaus noch an Gott glauben kann, ist damit ja nicht ausgeschlossen.

Unser Osterglaube nun wird durch die Ostergeschichte des Johannes um Thomas zurechtgerückt, Johannes stellt unser Nachdenken darüber vom Kopf auf die Füße.

Osterglaube sagt über den Auferstandenen:
Mein Herr UND mein Gott!
und traut den Menschen vieles, Gott aber ALLES zu: Wer wäre Gott, wenn er sich von dem Tod in die Schranken weisen lassen würde?

Mein Herr UND mein Gott!
Das können nur die sagen, die begriffen haben, dass Glauben GANZ ohne Sehen sieht.
Wir sind also gar nicht schlechter dran als die Jünger damals, nur weil sie den Auferstandenen leibhaftig gesehen haben. Denn das würde unserem Glauben auch nicht weiterhelfen.

Es sind die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes,

die Glauben wecken und uns lebendig werden lassen.
Wie die neu geborenen Kinder. AMEN

LIED EG 99
Christ ist erstanden
von der Marter alle;
des solln wir alle froh sein,
Christ will unser Trost sein.
Kyrieleis.
Wär er nicht erstanden,
so wär die Welt vergangen;
seit dass er erstanden ist,
so lobn wir den Vater Jesu Christ’.
Kyrieleis.
Halleluja,
Halleluja,
Halleluja!
Des solln wir alle froh sein,
Christ will unser Trost sein.
Kyrieleis.

 

 

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