Recht! Recht? (Lk 18 1-8)

von dort wird er kommen
zu richten
die Lebenden und die Toten

was wird sein
Gesetz oder Gerechtigkeit
wer werde ich sein
frei oder verurteilt

wüsste ich es selbst
wenn ich versuchte
ehrlich zu sein
vor dem Richter
vor mir

nach einem Leben voller Unrecht
in einer Welt voller Unrecht
bleiben Versprechen und Trost

Wir müssen alle
offenbar werden
vor dem Richterstuhl Christi.
2 Korinther 5,10
***
Aus dem Evangelium nach Lukas Kapitel 18 ab Vers 1:

1 (Jesus) … sagte ihnen aber ein Gleichnis davon, dass man allezeit beten und nicht nachlassen sollte,
2 und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen.
3 Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam immer wieder zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher!
4 Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue,
5 will ich doch dieser Witwe, weil sie mir so viel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage.
6 Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt!
7 Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er bei ihnen lange warten?
8 Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. Doch wenn der Menschensohn kommen wird, wird er dann Glauben finden auf Erden?

„Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen“ (V2).

Richter, die sich vor Menschen scheuen, sind fehl am Platz. So wie Chirurgen, die kein Blut sehen können. Und Richter, die von allen Menschen gemocht oder doch zumindest geachtet werden, hat diese Welt wohl noch nicht gesehen.

Denn wenn Einer einen Anderen verklagt, weil jede andere Einigung scheitert, landen beide irgendwann in einem Gerichtssaal. Und irgendwann wird dann auch ein Urteil fallen. Im Namen des Volkes, spricht der Richter. Dann verlassen beide den Gerichtssaal: Einer als Verlierer, der Andere als Gewinner.

Im Namen des Volkes vielleicht, aber nie und nimmer im Namen des Verlierers. Der würde dem Richter vermutlich nie wieder im Leben begegnen wollen. Das wiederum muss der Richter ertragen können, es gehört zu seinen Berufsanforderungen, dass er sich nicht scheut, anderen Menschen empfindliche Niederlagen beizubringen.

Ein Richter DARF sich also gar nicht vor Menschen scheuen. Trotzdem kommt er schlecht weg in diesem Gleichnis Jesu: Er fürchtet sich nämlich auch nicht vor Gott.

Das mag ja in unseren Tagen für viele in Ordnung gehen, in denen das „so wahr mir Gott helfe“ für Staatsdiener und Politiker mehr und mehr „aus der Mode“ gekommen ist.

Aber damals, ein Richter in Israel ohne Furcht vor Gott – das ist, um den Vergleich von vorhin weiter zu bemühen, wie ein Chirurg ohne medizinisches Examen.

Besser also einen großen Bogen um einen solchen Richter machen! Wie ist der überhaupt zu seinem Amt gekommen? Hat er es sich vielleicht gekauft, weil er es sich leisten konnte?

„Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam immer wieder zu ihm…“ (V3) . Hartnäckig IST, Durchhaltevermögen HAT sie. Das klingt sympathisch. Sie lässt sich nicht einschüchtern, wahrscheinlich aber ist dieser Richter auch ihre letzte Hoffnung. Leider. Darum bleibt ihr wohl nichts anderes übrig, sie lässt nicht locker, geht ihm gehörig auf die Nerven.

Vielleicht war sie noch jung und stark und deshalb selbstbewusst und dynamisch. Schließlich war Frau damals schon mit 14 Jahren heiratsfähig und konnte so auch schon sehr früh zur Witwe werden. Als Witwe aber war sie nahezu rechtlos und von der Familie ihres verstorbenen Mannes abhängig. Und da kam es immer wieder vor, dass Witwen nicht einmal das Lebensnotwendige zum Leben hatten.

Allerdings scheint sie auch vor körperlicher Gewalt nicht zurück zu schrecken: Der Richter, der sich ja sonst vor nichts und niemandem fürchtet, rechnet damit, dass sie ihm ins Gesicht schlagen würde, wie Luther übersetzt. Im Griechischen steht sogar „unter das Auge schlagen“, das endet mit einem Veilchen und ist schon deutlich schmerzhafter als eine rote Wange nach einer Ohrfeige mit der flachen Hand.

Das ist mir dann schon weniger sympathisch, erinnert mich an die Protestler, die sich für den Klimawandel festkleben an Schilderbrücken oder Autobahnauffahrten oder Gemälde mit Kartoffelbrei überschütten.

Doch offenbar SOLLEN mir beide wohl gar nicht sympathisch sein, sondern mir nur deutlich machen: Es geht hier gar nicht um die Personen von Richter und Witwe. Es geht Jesus darum, wie wichtig Beständigkeit im Gebet ist.

Gott ist nicht wie der Richter, die Betenden sind nicht wie die Witwe. Aber wenn schon der korrupte Richter endlich handelt und Recht sprich, weil die Witwe Druck erzeugt, wie viel mehr wird Gott handeln!

„Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze“ (V 8). Ihnen, Gottes Auserwählten. Denen, die im Gebet nicht nachlassen: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. NICHT am jüngsten Tag, der hoffentlich noch lange auf sich warten lassen wird: In KÜRZE, zeitnah, schnell.

Dietrich Bonhoeffer. Wer von uns kennt ihn nicht. Von guten Mächten wunderbar geborgen. Dieses Gedicht ist vielfach vertont und zu einem Bestseller unter Christen geworden.

Er gehört wohl ganz sicher zu denen, die Jesus hier als die „Auserwählten“ Gottes beschreibt: Also zu denen, denen Gott das Wichtigste im Leben war. Der sehr wohl wusste, wie wichtig das Gebet für das Leben ist.

Geschrieben hat Bonhoeffer dieses Gedicht in einem Brief an seine Verlobte Maria von Wedemeyer aus dem Kellergefängnis des Reichssicherheitshauptamts in Berlin, Prinz-Albrecht-Straße, am 19. Dezember 1944.

Das war nur wenige Wochen vor seiner Hinrichtung am 9. April 1945 in Flossenbürg in Bayern. Er wurde aufgehängt, weil er sich am Widerstand gegen Hitler beteiligt hatte, ohne ordentliches Gerichtsverfahren, nur wenige Tage vor Kriegsende. 39 Jahre hat er alt werden dürfen.
„Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze“?

Und auch Jesus selbst wird jung hingerichtet. Er ist nur gute 30 Jahre alt geworden. Auch er ein Auserwählter Gottes, mit Sicherheit. Auch er ein großer Beter. Darum redet er hier ja schließlich über das Beten. Jesus wird gefoltert und ans Kreuz genagelt.
„Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze“?

Ist DAS nicht die Welt, wie wir sie erleben: Voller Grausamkeit und Unrecht, voller Scheiterhaufen und Gaskammern, voller Hass und Gemeinheiten?
Und trifft das Unrecht auf dieser Welt nicht ALLE Menschen, egal ob sie beten oder nicht? „Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze“?

Recht:
Man kommt hier wohl nicht weiter, ohne sich darüber Klarheit zu verschaffen, was „Recht“ eigentlich bedeutet. Was „ungerecht“ ist, wüssten jede und jeder sicher sofort, ohne nachdenken zu müssen. Doch klar ist auch: was der eine „ungerecht“ findet, muss die andere ja nicht auch ungerecht finden.

Vielleicht hat der Bruder des verstorbenen Ehemanns der Witwe es als ungerecht empfunden, dass er plötzlich auch noch seine Schwägerin mitversorgen sollte, wo er doch selbst kaum genug für das Leben in seiner eigenen kleinen Familie mit nach Haus brachte. Egal, ob das nun gültiges Recht war oder nicht.

Und wir merken ja auch bei dem Streit um das Bürgergeld in diesen Tagen, dass die Meinungen über „gerecht“ und „ungerecht“ oft weit auseinanderliegen.

Die einen finden die geplanten Neuregelungen sozial und gerecht und sagen, dass es endlich Zeit würde, dass die Langzeitarbeitslosen und Armen in unserer Gesellschaft besser gestellt würden als bisher.

Die anderen dagegen finden es ungerecht und meinen, dass gerade Geringverdiener ungerecht behandelt würden, weil sie einer Arbeit nachgingen und trotzdem nicht oder kaum mehr verdienten als sie mit dem Bürgergeld bekommen würden.

Was also ist „Recht“, was „Unrecht“? Ist „Recht“ all das, was die Gesetzgeber in ein Gesetzbuch schreiben?

Formaljuristisch stimmt das vielleicht. Aber wie an den Beispielen eben deutlich geworden sein dürfte: Geschriebenes Recht führt noch lange nicht dazu, dass es „gerecht“ zugehen würde in unserer Welt.

Oder war es gerecht, dass es einen Straftatbestand „Republikflucht“ gab, der mit Gefängnis geahndet wurde, wenn man nicht gar erschossen wurde? Oder das es ein Gesetz zum „Schutze deutschen Blutes“ gab, dass die Judenvernichtung einläutete?

Was also ist „Recht“, das für alle gerecht ist?
Genau hier sind wir beim Thema des heutigen Sonntags. Wir glauben doch, dass es das Recht GOTTES ist, das der Maßstab allen Rechtes sein wird, ja schon ist. Dieses Recht wird am Tag des „jüngsten“, also des ALLERLETZTEN Gerichtes zur Anwendung kommen.

Woher aber weiß man denn, was das Recht Gottes ist?
Hier bringt uns unser Predigttext weiter. Denn Jesus stellt hier unübersehbar einen Zusammenhang zwischen dem Gebet und dem Recht Gottes her. Denen, die „zu ihm Tag und Nacht rufen“ (V7), gilt doch: „Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze“.

Denn wer betet, lernt „richtig“ zu sehen, weil er im Gespräch mit Gott ist. In diesem Gespräch wird der oder die Betende begreifen lernen, die Welt durch die Augen Gottes zu sehen und zu begreifen.

Wer betet, wird erkennen können, in welcher „Richtung“ er Gott suchen muss. Wer betet, dessen Leben wird darum neu „ausgerichtet“, und zwar auf Gott hin. Wer betet, erkennt darum, wie er richtig handeln muss.

Wer betet, wird erleben, dass er nicht nur GOTT ansieht, sondern dass Gott ihn selbst ansieht, ihm ins Herz hineinsieht. Der wird erkennen, was es bedeutet, wenn Jesus über die Summe göttlichen Gesetzes sagt:

„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Dies ist das höchste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“

Meine Schwestern, meine Brüder,

liebe Gott, liebe deinen Nächsten: Es wird das Gesetz der Liebe sein, das im Jüngsten Gericht zur Geltung kommen wird. Und wer das erkannt hat, der erkennt auch, was JETZT schon für alle und jeden gerecht ist: Von Gott geliebt zu sein und selbst zu lieben.

Egal, was das „Recht“ in dieser Welt vorschreibt und fordert. So erklärte 1956 der Bundesgerichtshof in einem Verfahren gegen Thorbeck und Huppenkothen, die Bonhoeffer und andere 1945 ohne ordentliches Verfahren zum Tode verurteilt hatten:

„In einem Kampf um Sein oder Nichtsein sind bei allen Völkern von jeher strenge Gesetze zum Staatsschutz erlassen worden.“ Einem Richter könne „angesichts seiner Unterworfenheit unter die damaligen Gesetze“ kein Vorwurf daraus gemacht werden, wenn er „glaubte“, Widerstandskämpfer „zum Tode verurteilen zu müssen“. … Das Urteil des SS-Standgerichts habe dem damaligen Recht entsprochen und sei daher auch weiterhin gültig.

Dieser Rechtsspruch galt bis in die 1990er Jahre, so dass Dietrich Bonhoeffers Verwandten z. B. keine Entschädigungen als Verfolgten des Naziregimes zugesprochen wurden.

Erst durch das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege wurden NS-Unrechtsurteile für nichtig erklärt und damit auch Bonhoeffer formell für unschuldig erklärt. Das zum Thema Recht in der Welt.

Bonhoeffer selbst sah sich nicht als „unschuldig“, sondern nahm seinen Tod als Folge seines Handelns aus Gottes Hand – denn wer „das Schwert in die Hand nimmt”, kann auch durch das Schwert umkommen.

Er war sich aber auch sicher, dass Gottes Liebe ihm nicht nur das Leben geschenkt, sondern ihn durch den Tod hindurch tragen und immer gelten würde.

Im Spielfilm „Die letzte Stufe“, der das Leben Dietrich Bonhoeffers zum Thema hat, wird das in der letzten Szene so deutlich gemacht:

Als Bonhoeffer nackt zum Galgen geht, sagt sein SS-Ankläger: Nun, Bonhoeffer, das ist das Ende. Und Bonhoeffer wird ihm antworten: Nein, das ist der Anfang.

„Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze“.
Der Betende sieht die Welt durch Gottes Augen und kann erkennen:

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

sind Recht, Richtung und Ausrichtung
in Zeit und Ewigkeit.

Das ist der Glaube, den der Menschensohn suchen wird auf Erden (V8b). Und ich bete, dass er ihn finden wird.

AMEN

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