Liebe ändert alles (Mk 2 1-12)

Für nur drei Dinge des Tages
Gott dankbar zu sein
manchmal leicht
manchmal unmöglich
Krankheit, innere Not
werden zur Last der Seele

Gott aber
rührt den Menschen an
fragt dich und mich
willst du gesund werden
auch wenn das bedeutet
das Leben anders zu leben

Gott zeigt uns seinen Weg

Heile du mich, HERR
so werde ich heil;
hilf du mir,
so ist mir geholfen. (Jer 17,14)
***

Mk 2
2 1 Und nach etlichen Tagen ging er wieder nach Kapernaum; und es wurde bekannt, dass er im Hause war.
2 Und es versammelten sich viele, sodass sie nicht Raum hatten, auch nicht draußen vor der Tür; und er sagte ihnen das Wort.
3 Und es kamen einige, die brachten zu ihm einen Gelähmten, von vieren getragen.
4 Und da sie ihn nicht zu ihm bringen konnten wegen der Menge, deckten sie das Dach auf, wo er war, gruben es auf und ließen das Bett herunter, auf dem der Gelähmte lag.
5 Da nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.
6 Es saßen da aber einige Schriftgelehrte und dachten in ihren Herzen:
7 Wie redet der so? Er lästert Gott! Wer kann Sünden vergeben als Gott allein?
8 Und Jesus erkannte alsbald in seinem Geist, dass sie so bei sich selbst dachten, und sprach zu ihnen: Was denkt ihr solches in euren Herzen?
9 Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin?
10 Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erden – sprach er zu dem Gelähmten:
11 Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim!
12 Und er stand auf und nahm sogleich sein Bett und ging hinaus vor aller Augen, sodass sie sich alle entsetzten und Gott priesen und sprachen: Wir haben solches noch nie gesehen.

GNADE sei mit euch und Friede von dem, der da war,
der da ist und der da kommen wird. Amen.

Wieder einmal ein Predigttext, den wohl jeder gut kennt. Manch einer wird sogar ein Bild vor sich haben: Ein Mensch auf einer Trage, heruntergelassen an vier Seilen von oben, direkt vor Jesu Füße. Vielleicht aus einer Kinderbibel?

In meiner gab es jedenfalls ein Bild dazu. So viel Einsatz ist selten, und die Idee, den Kranken von oben durch die Decke zu Jesus zu bringen, fand ich einfach genial.

Schon darum habe ich diese Geschichte nie vergessen. Sowas vergisst man auch nicht. Seit fast zweitausend Jahren vergisst man das nicht, Euch geht das sicher genauso.

Das ist schön, aber auch hinderlich. Schön, weil darum auch die Menschen nach uns noch davon reden werden, wie dieser Kranke durch Jesus geheilt worden sein soll.

Hinderlich aber deswegen, weil man irgendwann nicht mehr genau hinhört. Kenn ich schon, weiß ich schon. Dabei ist dieser Text eigentlich ein Text voller Überraschungen für die, die ihn lesen oder hören.

Zumindest wenn sie es zum ersten Mal tun: Dass dieser Zimmermann Jesus ein so brillanter Prediger war, dass er sich selbst in seinem Wohnhaus nicht vor Menschen retten konnte. Sogar Schriftgelehrte waren gekommen, um ihm zuzuhören.

Oder dass Jesus erkennen konnte, was die Schriftgelehrten denken, ohne dass die ein einziges Wort gesagt hätten.

Ich erinnere mich: Als Kind war ich schon darum überrascht, dass es offenbar Länder gab, wo man einfach so auf ein Dach steigen und es öffnen konnte. Auf meinem Wohn-Haus hätte man das nicht gekonnt. Jedenfalls nicht von außen und nicht ohne viel Werkzeug und schon gar nicht so schnell.

Inzwischen weiß ich, dass die Häuser zu Jesu Zeiten ein Flachdach aus wenig Holz und viel Lehm hatten. Dass sie außen Treppen hatten, über die man das Dach erreichen konnten. Da ging sowas eben.

Übrigens ist schon für Markus diese Bauweise etwas, was er persönlich offenbar nicht kannte. Dass sie das Dach „aufdeckten“, geht von einem mit Ziegel gedeckten Dach aus, die es in der Heimat des Markus gegeben hat – in der Jesu allerdings nicht.

Aber gerade weil ich inzwischen das eine oder andere über diesen Text gelernt habe, überrascht er mich nicht mehr. Statt dessen merke ich, dass er für die meisten Menschen um mich herum nicht nur nicht überraschend, sondern so schwierig oder sogar ärgerlich ist.

Da ist zuerst der Glaube an Wunder, der für viele Menschen längst abhanden gekommen ist. Weil man sich entweder die Wunder irgendwie naturwissenschaftlich – logisch erklären kann oder man sie einfach in das Reich von Märchen und Sagen verbannt.

„Wunder geschehn, ich war dabei, wir dürfen nicht nur an das glauben was wir sehn“ sang Nena einmal. Und den einen sang sie dabei aus dem Herzen: Ja, ich war auch dabei, ich habe es erlebt, dass Dinge passieren, die man eigentlich nur als Wunder bezeichnen kann.

Aber andere sagen, auch nicht ganz zu unrecht: Für mich gibt es keine Wunder. Ich habe noch nie eines erlebt. Und das, was andere als Wunder beschreiben: Sind das nicht ganz einfach nur denk- und merkwürdige Zufälle?

Wunder sind eben wunderbar. Eine eindeutige Sprache sprechen sie nur für die, die an Wunder glauben können.

Wir hier gehören wohl eher in diese Gruppe. An Wunder zu glauben fällt wohl nur wenigen von uns schwer. Natürlich traut man gerade Gott zu, Wunder zu wirken. Schließlich hat er Himmel und Erde aus dem Nichts erschaffen.

Also kann er auch Kranke heilen oder Tote auferwecken. Wenn er das nicht könnte, wäre er nicht Gott. Und Jesus kann das darum auch, glauben wir ihn doch also Sohn Gottes, ja als Gott, der Mensch wurde und unter Menschen lebte, um ihnen zu zeigen, wie nahe er ihnen war.

Schwieriger als die Sache mit dem Wunder ist da schon der Zusammenhang zwischen Krankheit und Sünde, der in dieser Geschichte angesprochen ist. Denn die Einsicht in das, was theologisch Sünde genannt zu werden verdient, ist ebenfalls weithin abhanden gekommen.

Ich als Pfarrer sollte nicht so viel sündigen, meint mein Arzt. Er meinte das nach seinem Blick auf die Anzeige der Waage. Und er meinte damit, dass ich mir das zu gut gehen ließe. Schließlich sei ich Diabetiker und solle mich im Verzicht üben.

Sünde ist für IHN das falsche Essen (oder einfach Zuviel des Guten), für den Anderen die Post mit dem Blitzerfoto vor dem Kindergarten im Nachbardorf, für den Dritten der Nachbar, der sein Auto auf dem Hof wäscht (natürlich ohne Ölabscheider).

Und die katholische Kirche hat sieben besonders schwerwiegende Arten des persönlichen Fehverhaltens herausgefunden und sie als Vergehen moralisch als Todsünde gebrandmarkt: Neid, Völlerei, Habgier, Wollust, Hochmut, Trägheit und Zorn.

Oh, Völlerei ist auch dabei. Hat mein Arzt vielleicht doch Recht? Achja, Selbsttötung haben sie dann als tödliche Todsünde…

Das führt außerhalb der Kirchen, für nicht wenige allerdings auch innerhalb, zu einem oft offen zur Schau getragenen Desinteresse am Thema „Sünde“ und „Sündenvergebung“. Die halten es dann nicht mit Nena, sondern eher damit:

„Wir sind alle kleine Sünderlein,/ ‘S war immer so, ‘s war immer so./ Der Herrgott wird es uns bestimmt verzeih’n,/ ‘S war immer, immer so./ Denn warum sollten wir auf Erden/ Schon lauter kleine Englein werden?…“ – so sang einst Willy Millowitsch…

Doch biblisch lässt sich die Sünde nicht einfach auf irgendwelche Taten reduzieren. Sünde IST kein Fehltritt. Sünde spricht vom Sund zwischen Gott und Mensch, also dem ABSTAND zwischen Gott und Mensch, der in Gefahr steht, größer und größer zu werden, bis der Mensch sich nicht mehr von Gott verstanden fühlt, Gott nicht mehr verstehen will und sich schließlich von ihm loslöst.

So gesehen aber ist Sünde SEHR WOHL Ursache dafür, dass es dem Menschen nicht gut geht, sein Leben an Gottesentfremdung „krank“ wird. Das KANN auch körperlich, auch seelisch sein. Das KANN aber auch äußerlich und innerlich völlig „gesunde“ Menschen treffen.

Und nur, wenn man Sünde als SUND zwischen Mensch und Gott versteht, der für den Menschen irgendwann zu groß werden kann, dass er ihn überwinden kann – nur dann kann man wirklich verstehen was Paulus meint, wenn er im 6. Kapitel des Römerbriefes schreibt: „der Sünde Sold ist der Tod…“ (V 23a). Es ist der Tod schon mitten im Leben. Den man sterben kann, bevor man sterben muss.

Ich bin sicher: Auch Jesus hat Sünde so verstanden. Die Schriftgelehrten wohl auch. Ich kann darum verstehen, dass sie zweifelnd denken: „Wie redet der so? Er lästert Gott! Wer kann Sünden vergeben als Gott allein?“ (V 7) Denn von sich aus kann der Mensch den Sund nicht überbrücken.

Doch Jesus sieht das anders, weil er begriffen hat: Liebe ändert alles. Aufrichtige Liebe aus ganzem Herzen bestimmt darum auch sein Verhältnis zu Gott, den er liebevoll „Abba“, Vater nennt.

Gott als den liebevollen Vater zu begreifen, der das Leben des Menschen nicht nur schafft, sondern erhält und trägt, selbst durch den Tod hindurch: Das ändert alles. Das überwindet alles. Selbst den Sund, selbst die Sünde.
Markus hat schon früher erzählt, dass Jesus sich durch Gott wie durch einen liebenden Vater angenommen und getragen gefühlt hat: Bei seiner Taufe nämlich. Denn da ist Gottes Stimme aus dem Himmel zu hören, die sagt: „Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen“ (1,11)

Und jetzt fühlt sich der Sohn eins mit dem Vater, nichts kann beide voneinander trennen. Genau diese Einheit zwischen Mensch und Gott ist es, die Jesus uns nahezubringen versucht. Genau diese Einheit wünscht er auch dem Kranken.

Da sind wir bei der sehr des Merkens würdigen Anrede Jesu: „Mein Sohn…“ (V5). Unsere Ohren hören das sehr leicht als typische Kirchenanrede. Wenn ein wildfremder Mensch zu jemandem „mein Sohn“ oder „meine Tochter“ sagt, dann hört oder sieht man den Priester im Beichtstuhl oder in der Kirche oder im Kloster. Wo sonst sollte einem das passieren?

Für viele mag das anmaßend sein. Aber nicht für Jesus: Er meint das ernst. Er will, dass der Abstand zwischen dem Kranken und Gott kleiner wird. Dass Gott sein Leben ändert. Dass der Kranke die Liebe Gottes erfahren kann, an seiner eigenen Seele, seinem eigenen Leib.

Darum: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben“: Das rettet dein Leben. Das ändert alles. Egal, was jetzt ist. Egal, was je kommen mag. Das ist sogar MEHR als „ Ich sage dir: Steh auf, nimm dein Bett und geh heim!“ (V11) Aber auch das lässt Gott geschehen. Der Kranke wird an Seele UND Leib gesund.

Liebe ändert alles. Das wird auch durch Siegmund Freud, den viele den „Vater der Psychoanalyse“ nennen, berichtet. Er beschreibt eine Patientin, deren Gelähmtheit am Krankenbett ihres Vaters entstanden war.

Sie hatte den todkranken Mann lange gepflegt und ernährt. Sie war nicht von seinem Bett gewichen, gleichsam daran gefesselt durch Fürsorge und Pflicht.

Das aber war für sie eigentlich überhaupt nicht zu schaffen, denn erst vor Kurzem hatte sie Bekanntschaft eines Mannes gemacht und sich verliebt. Jetzt hatte sie große Angst um ihre Liebe, weil sie keine Zeit mehr für diesen Mann haben, ihm nicht einmal sagen konnte, wie es um sie stand.

Sie war hin und hergerissen zwischen dem Verantwortungsgefühl für ihren Vater und ihrem Verlangen nach Liebe, und so wurde diese Frau völlig bewegungslos. Und Freud führt dann aus, wie wichtig es für den Heilungsprozess dieser Frau war, eine Zuwendung zu erfahren, die einer völlig unbelasteten liebevollen Beziehung zwischen Eltern und Kind entsprach.

Liebe ändert alles.
Jesus weiß das längst. Denn die Beziehung zu Gott hat sein Leben geändert und getragen. Die Menschen, die das miterleben, entsetzten sich, also waren davon zutiefst betroffen. Diese Betroffenheit ist kein angsterfülltes Erstarren, sie wandelt sich in einen Lobpreis Gottes: Wir haben so etwas noch nie gesehen.

Alle, schreibt Markus. Ob er auch die zweifelnden Schriftgelehrten meint? Ich denke, ja. Sonst hätte er wahrscheinlich davon berichtet, dass die Schriftgelehrten sich irgendwie ablehnend oder feindlich verhalten hätten. Aber Jesus hatte sie zum Nachdenken gebracht: Der Menschensohn HAT die Vollmacht, Sünde zu vergeben. Jesus HAT geheilt. LIEBE ÄNDERT ALLES. Wohl auch für die Schriftgelehrten.

Und das, meine Schwestern und Brüder,

gilt auch für unser Leben. Denn wir sind ja „Christen“, weil wir denken: WIE groß die Liebe Gottes zu seinen Menschen ist, kann man daran erkennen, dass er in Jesus Mensch wurde: Arm, einfach, aber voller Liebe. Wie STARK die Liebe Gottes zu seinen Menschen ist, kann man daran erkennen, dass er Jesus nicht bei den Toten lässt, sondern mit uns Ostern feiert.

DIESE Liebe Gottes ändert das Leben. UNSER Leben. Bevor unser Leben an Gottesvergessenheit leidet und krank wird, ist seine Liebe da, die Macht hat, den Sund zwischen Gott und Mensch zu überwinden, den sonst nichts überwinden kann.

Wir könnten also WISSEN, WORAUS wir leben, WOFÜR wir leben und WIE wir einmal sterben werden:

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

werden jeden Mangel unseres Lebens
mit der Ewigkeit des DREIEINEN füllen.

AMEN

 

 

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