Angefeuert (1 Joh 1. 14-16)

Unseren Gottesdienst vom 22. Sonntag nach Trinitatis zum Nachhören finden Sie für vierzehn Tage hier.

Vorwürfe gegen andere
eine leichte Übung
schon im Berufsverkehr
gleich früh
aber auch später
Anlässe zu Ärger oder Zorn
finden wir reichlich
Tag um Tag
DOCH
ist uns nicht alles geschenkt
alle schuld erlassen
alle liebe sicher
haben wir sie nötig
Ärger
Zorn
Selbstbeschädigung
Es ist uns alles geschenkt

Bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchte.
Wsp Ps 130,4
***
Am vergangenen Donnerstag war ein wichtiger Gedenktag.
Nein, nicht der Gedenktag der Reformation, der war schon am Dienstag. Auch nicht der Gedenktag Allerheiligen, denn der war am Mittwoch.
Am vergangenen Donnerstag wurde vielmehr der 125. Geburtstag des Cheerleading begangen.

Seit es sportliche Wettkämpfe gibt, also sicher länger als 5000 Jahre, wurden Athleten angefeuert. Dass das aber organisiert geschah, darf mit Recht bezweifelt werden.

Johnny Campbell war nun der, der genau das anging:
Am 2. November 1898 ging er auf dem Sportplatz der Universität Minnesota daran, sein Football-Team bei einem Endspiel mit einem Megaphon und einer Gruppe Studenten vorbereitet und lautstark zu unterstützen. Nach drei Niederlagen in Folge sollte jetzt ein Sieg her!

Johnny Campbell gab dabei die Strophen vor, die Studenten – damals natürlich nur Männer – riefen sie im Chor als Echo.
Ihr Sprechgesang war literarisch zwar nicht anspruchsvoll, dafür aber einprägsam. Die erste Strophe soll gelautet haben:

“Hurra hurra hurra hurra /
varsity varsity Minnesota”.
Das Team der Uni Minnesota soll mit diesen Rufen im Rücken das Endspiel tatsächlich gewonnen haben.
Und das Cheerleading war geboren.

Gerade in den letzten Minuten bis zum Spielende oder zur Ziellinie mobilisiert es noch einmal alles, was in einem steckt.
“Du schaffst das!” “Du bist Spitze”! “The Winner Takes It All!” – solche Rufe gehen unter die Haut, geben neue Kraft und neuen Mut. Und wenn beim Fußball tausende Fans ihre Mannschaft in der Fankurve anfeuern, hat das schon manches Spiel entschieden.

Im Krieg gab es schon lange solches Anfeuern, und damit meine ich nicht nur die Schlachtrufe der Soldaten, mit denen sie sich SELBST Mut machen wollten. Nein, da halfen auch schon Dritte:

So zogen die Schotten mit Dudelsack-Orchestern in den Kampf, die den eigenen Männern den Rücken stärkten und bei den Gegnern nicht selten Entsetzen auslösten. Der Dudelsack soll darum bei den Engländern bis 1996 als Kriegswaffe eingestuft gewesen sein.

Ja – die psychologische Komponente, die mit dem Anfeuern von Menschen verbunden ist, in welcher Art auch immer, ist wirklich nicht zu unterschätzen. Denn was im Krieg oder im Sport funktioniert, funktioniert auch sonst im Leben.

Wenn einem die Luft ausgeht, die Kräfte schwinden, der Mut verlässt: Anfeuern kann Wunder wirken. Mit Sprechchören, mit Liedern, mit Texten.

Ich erzähle das, weil ich den Bibeltext von heute am leichtesten nachvollziehen kann, wenn ich ihn als Anfeuerung höre.
Im ersten Brief des Johannes (1, 12-14) ist nämlich zu lesen:

Liebe Kinder, ich schreibe euch,
dass euch die Sünden vergeben sind um seines Namens willen.
Ich schreibe euch Vätern;
denn ihr habt den erkannt, der von Anfang an ist.
Ich schreibe euch jungen Männern;
denn ihr habt den Bösen überwunden.
Ich habe euch Kindern geschrieben;
denn ihr habt den Vater erkannt.
Ich habe euch Vätern geschrieben;
denn ihr habt den erkannt, der von Anfang an ist.
Ich habe euch jungen Männern geschrieben;
denn ihr seid stark,
und das Wort Gottes bleibt in euch,
und ihr habt den Bösen überwunden.

Liebe Kinder, lautet die Anrede im Brief.
Aber lasst euch nicht täuschen: Johannes meint nicht die Kinder von damals mit 3-14 Jahren. Und die Väter sind auch nicht die Erziehungsberechtigten dieser Kinder. Und die jungen Männer nicht die Puber-Tiere bis 25.

Liebe Kinder – heute würde er wohl schreiben:
Liebe Großeltern. Liebe Mütter und Väter.
Liebe Richtigmacher und Falschversteher.
Liebe Lobpudler und Ewignörgler.
Liebe alle, die ich duze und auch liebe alle, die ich sieze.
Liebe Wessis und Ossis gleichermaßen.
Liebe Frauen und liebe Männer.
Natürlich politisch korrekt mit Sternchen oben dran,
mit großem I in der Mitte oder Doppelpunkt mitten im Wort.
Und um ganz sicher zu gehen mit einem gn in Klammern,
dann ist auch jedes geschlechtsneutrale Wesen angesprochen.

Liebe Väter – heute würde er wohl schreiben:
Liebe Frauen und Männer, die ihr den Zenit des Lebens schon überschritten habt Oder zumindest nahe dran seid. Die ihr auf dem Höhepunkt eurer körperlichen Kräfte lebt, aber schon in dem Wissen, dass es bergabgehen wird damit – früher oder später jedenfalls. Oder vielleicht geht es ja auch schon bergab, seit kurzem erst oder schon lange.
Und natürlich auch mit gn in Klammern, niemand soll sich schließlich außen vor fühlen.

Liebe junge Männer – heute würde er wohl schreiben:
Liebe Leute, die meinen, ihr ganzes Leben noch vor sich zu haben, die manchmal die Weisheit der Alten mit Rechthaberei verwechseln, die denken, das Leben im wahrsten Sinne des Wortes „in der Hand“ zu haben und auch behalten zu können. Gerade hier natürlich gn in Klammern, in dem Alter achten sie ja besonders darauf.

Liebe Kinder, liebe Väter, liebe junge Männer:
Ja, ich rede mit jeder und jedem von euch.
Alle sollen wissen, dass alle gemeint. Alle, die Johannes lesen oder hören, egal ob vor Generationen oder heute. WIRKLICH ALLE!

Euch sind die Sünden vergeben um seines, Jesu Namens willen! Sünde ist hier als Begriff für eine „gestörte Gottesbeziehung“ gesetzt, so übersetzt es darum auch die Bibel in gerechter Sprache.

Trotzdem weiß ich natürlich: Staubiger geht’s kaum noch, das habt ihr von mir so oder so ähnlich schon oft gehört, diese Rede vom Sund, der Mensch und Gott trennt wie zum Beispiel die Insel Fehmarn durch den Fehmarnsund vom Festland. Wem es Ostdeutsch lieber ist, nehme den Strelasund. Meinetwegen.

Doch davon ist doch deshalb so oft die Rede, weil eine gestörte Gottesbeziehung auch eine gestörte MENSCHENbeziehung bedeutet. Und die trifft uns doch nicht nur Sonntags in der Kirche, sondern tagtäglich. Uns selbst und alle Menschen vor uns und alle Menschen nach uns.

Bilder dieser Beziehungsstörungen haben wir doch alle vor Augen: Der Mensch zettelt Kriege an, er pfeift auf das Klima unseres Planeten, er bellt in den Zeitungen, er hetzt in den „sozialen Medien“ oder gestern in Berlin auf der Straße. Er zieht über den Nachbarn her und auch Freunde oder Lebenspartner sind nicht vor ihm sicher. Wer sähe ihn nicht an jedem Tag seines Lebens, den Sund zwischen Mensch und Mensch?

Und alle bekommen zu hören: Euch sind eure Sünden vergeben um Jesu willen! Der Sund spielt keine Rolle mehr! Ihr könnt hinüber! Euch sind eure Sünden vergeben, denn ihr habt ihn erkannt, ihn, den Vater, den, der von Anfang an ist.

Gott, der euch Mutter und Vater ist, der euch liebt ohne Wenn und Aber, IHN oder meinetwegen auch SIE habt ihr erkannt. Nicht auf irgendeinem Passfoto. Nicht durch irgendeine Rechen-Leistung eures Gehirns. Erkannt wie Adam die Eva erkannt hat. Erkannt durch NÄHE. Weil Gott euch nah ist und ihr seine Nähe nicht mehr scheut, sondern sucht. Ihr steht unter seinem Schutz.

Gottes Wort bleibt in euch. Ihr seid mit euren Gedanken bei ihm. Ihr seid mit euren Taten bei ihm. Auch wenn der Zeitgeist, dieses merkwürdige Gespenst, von dem alle reden und das doch niemand je gesehen hat – auch wenn dieser Zeitgeist euch einhaucht, Gott wäre gestrig, machtlos, eingestaubt, unmodern. Er ist mit seinen Gedanken bei euch, ihr seid mit euren Gedanken bei ihm, lasst euch nicht beirren.

Ihr seid stark. Ihr habt den Bösen überwunden. Jetzt kommt der Teufel ins Spiel. Kommt er das? Gibt es den? Gibt es nicht eher DAS Böse?

Doch ist die Bratpfanne böse, nur weil einer sie mir an den Kopf schlägt? Ist das Tischbein blöde, weil ich mir den Zeh ohne Hausschuh drum daran blau getreten habe? Oder bin ich blöde, weil ich ohne Hausschuhe rumlaufe? Und ist dann der, der mich mit der Bratpfanne schlägt, ist der es dann nicht vielleicht doch, DER Böse? Wenn ich dem anderen absichtlich in die Hacken trete, bin ich es dann nicht vielleicht doch, DER Böse? Ist er doch, der Teufel?

Aber egal: Wir haben ihn im Griff, wir alle! Wir sind stark, wir alle! Wir haben den erkannt, der schon immer war, und stehen unter seinem Schutz! Uns sind die Sünden vergeben, uns allen!

So war Johannes zu hören, so ist er zu hören. So schreibt er, so hat er geschrieben. So haben ihn Menschen gelesen, seit Generationen, so lesen ihn Menschen, heute und immer. Doch wozu? Wozu feuert Johannes an? Auf welche Ziellinie laufen WIR denn zu?

Meine Schwestern, meine Brüder:

Wer Johannes zuhört, der hört irgendwann vielleicht, nein er MUSS es irgendwann hören: Johannes bläst in dasselbe Horn wie das, in das vorhin Matthäus geblasen hat (Tagesevangelium, Kap 18 ab Vers 21).

Da waren diese absurden Zahlenspiele zu hören. Nein, Petrus, es reicht nicht, wenn du deinem Nächsten sieben Mal vergibst. Auch wenn du dir die Sieben gut überlegt hast, denn die Sieben ist die Zahl der Perfektion, des Vollkommenen: Nein, bevor du auf die Idee kommst, die wörtlich zu nehmen – siebzig mal sieben mal musst du deinem Nächsten vergeben. Da kann sowieso niemand mit-zählen, ohne sich zu ver-zählen: Also wirst du IMMER vergeben müssen, wenn dir der Himmel wichtig ist.

Und das kannst du auch! Denn zählen kannst du doch auch! Wenn Gott dir zehntausend Silberzentner erlassen hat, willst du dann wirklich um hundert Silbergroschen mit deinem Nachbarn feilschen? Willst du so kleinlich sein? Nein, das hast du nicht nötig.

Du hast den Bösen im Griff, du bist stark, denn Gott MACHT dich stark, dem du nahe bist und nahe bleiben wirst, der schon immer war und unter dessen Schutz du stehst. Denn deine Sünde ist dir vergeben. GOTT hat dir vergeben, und zwar ALLES.

Und das Horn, in das Johannes und Matthäus blasen, in das hat auch schon Psalm 130 geblasen: Bei dir, Gott, ist die Vergebung so groß, dass man dich gar nicht genug ehren KANN, meint der Wochenspruch.

Johannes hat seine Gemeinde angefeuert, weil er erleben will, dass sie die Ziellinie erreicht. Hört auf, nach den Regeln der Welt zu spielen. Das macht euch unglücklich. Spielt nach den Regeln Gottes. Er hat euch alles erlassen. Das macht euch frei, euren Mitmenschen alles zu erlassen. Nicht nur sieben mal. Siebzig mal sieben mal.

Der ehemalige Ministerpräsident Baden Württembergs Lothar Späth hat einmal gesagt: „Die Deutschen bedienen lieber Maschinen als ihre Nachbarn. Dafür sind wir berühmt.“

Da hat er, denke ich, leider recht. Und das macht fraglos mehr und mehr Menschen unglücklich. Denn der Sund zu den Nachbarn wird so größer und größer. Zu den Nachbarn, Kollegen, Freunden, sogar zu den eigenen Lebens-Partnern.

Und heute höre ich Johannes und begreife:
Das habe ich nicht nötig.
Keiner von uns hat das nötig, so kleinlich zu sein.
Denn wir haben alles, was wir brauchen:
Wir sind stark, wir haben den Bösen überwunden,
Gott und sein Wort sind uns nahe.
Johannes feuert uns alle an, in Jesu Namen:
Alle Sünde ist uns vergeben.

Nein, wir müssen nicht mehr kleinlich sein, wir können sogar den grummeligen Nachbarn lieben.

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
stehen hinter uns und rufen:
Alle Sünde ist vergeben.
Darum: Ihr könnt das!
AMEN

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