Gottes Widerspruch (Mt 5 1-10)

Unser Gottesdienst am Reformationstag zum Nachhören ist für vierzehn Tage hier zu finden.

Wer will, dass unsere Kirche bleibt, wie sie ist,
will nicht, dass sie bleibt.
Kirche – sie steht in der Brandung kurzlebiger Zeit
NICHT wie ein Fels.
So wie ich lebe, so wie du lebst,
so ist Kirche
LEBENDIG.
Und was lebt,
kann nicht anders,
als sich zu ändern.

Woran aber bindet Kirche ihr Leben?
Woran kann Kirche sich festhalten?
Woran erkennt Kirche ihr Ziel?

Kirche hat ein Fundament,
auf dem sie stehen kann:

Einen andern Grund
kann niemand legen als den,
der gelegt ist,
welcher ist Jesus Christus.
(WSp 1 Korinther 3,11)
***

Der alte Adenauer, ein treuer Katholik, hat zum Thema Reformation einmal gesagt:
»Wenn ich damals Papst gewesen wär’, wär’ dat mit der Reformation nit passiert, meine Herren. Ich hätt’ mir den Luther mal kommen lassen, dat war doch ‘ne vernünftige Mann!«

Das hört sich doch mal sehr abgeklärt an. Man kann doch über alles reden! Und mit dem Luther konnte man doch reden!

Wozu dann die ganze Aufregung?
Wozu dann die zweite große Kirchenspaltung nach der Trennung der katholischen und der Orthodoxen Kirche?
Wozu dann der Bauernkrieg, wozu dann der dreißigjährige Krieg, der eigentlich ein „Erster Weltkrieg“ war? Der so unendliches Elend, Verwüstung und Tod brachte und der erst am 24. Oktober 1648 (heute vor einer Woche war das genau 375 Jahre her) – mit dem Westfälischen Frieden endete?

Dieser Krieg war wahrlich furchtbar, und seine Folgen würden die Deutschen noch lange danach spüren, schon weil die Franzosen sich damals das Elsass und die Schweden sich Vorpommern und Gebiete im deutschen Nordwesten einverleibten.

Doch Adenauer fragt: Wozu eigentlich die ganze Aufregung? Das fragt er in seinem Herrenzirkel – Frauen hatten zu seiner Zeit ja wenig zu melden – damals, gute dreihundert Jahre nach Abschluss des Westfälischen Friedens.

Und damit meint er: Man hätte doch in Ruhe über alles reden und Lösungen finden können, mit denen alle gut leben können. Das ehrt ihn sicher als Politiker, der seine Arbeit ordentlich und vor allem friedlich zu erledigen gedachte.

Doch er übersieht dabei: Für die handelnden Personen der Reformation von Luther und Melanchton bis zu Zwingli und Calvin ging es um Leben und Tod. Nicht nur im wörtlichen, sondern vor allem im übertragenen Sinn.

Es ging für sie nämlich um die Frage, ob Menschen das Recht haben, anderen Menschen den Weg in das Heil zu versperren, ihnen damit die Seligkeit nehmen dürfe, indem sie ihnen diktieren, wie und was sie zu glauben hätten.

Glaube ist Privatsache, schon immer und für immer:
Mein Glaube ist meine persönliche Entscheidung.
Niemand darf, niemand KANN mir da reinreden. Denn ich glaube nicht, was mir jemand vorschreibt, sondern ich glaube an das, was ich als die WAHRHEIT für mich erkenne.

Und diese Wahrheit ist das Fundament meines Lebens. Mein Glaube verhilft meinem Leben zu einem Sinn. Mein Glaube ist wie ein Bücherregal, in das ich all mein Wissen und Können einsortiere, so dass es meinem Glauben nützt.

Und wenn mir jemand meinen Glauben nehmen will, ihn mir streitig oder schlecht macht oder ihn mir gar zu verbieten droht, dann bedroht dieser Mensch MEINE Lebensgrundlage.
Er nimmt mir mein Heil, er nimmt mir die Möglichkeit zum Glücklichsein, die Bibel würde wohl sagen: Er nimmt mir die Seligkeit. Es ging bei den Umwälzungen in der Kirche vor gut fünfhundert Jahren genau darum: Den Menschen den Blick in den Himmel Gottes frei zu halten.

Aber das griff und greift in die Macht der Herrschenden dieser Erde ein. Bis heute versuchen die Herrschenden immer wieder, IHRE Maßstäbe, ihre Lebenssicht, ihre Ziele ihren Untertanen (was für ein Wort!) aufzuzwingen. Ich kann mich noch gut an meine Schulzeit im real existierenden Sozialismus erinnern, wo ich mich an vielen Tagen kaum in die Schule getraut habe, weil ich meines Glaubens wegen ausgelacht oder vorgeführt wurde.

Die Herrschenden wollten schon damals über den Glauben eben NICHT fair und offen reden, sondern lieber kleine und große Kriege führen. Von der Verspottung der so genannten Ketzer über deren Ausschluss aus der katholischen Kirche bis hin zum Gemetzel auf den Schlachtfeldern mit Plünderungen, Brandschatzungen und Gewalt gegen Frauen, Kinder, Alte.

Und diese Art des Umgangs mit Andersglaubenden, Andersdenkenden ist doch auch heute noch quicklebendig. Man muss doch nur nach Russland, in die arabische Welt oder die Türkei sehen. Selbst in unseren Demokratien ist sie anzutreffen, wenn auch diffiziler als Bestandteil der so genannten „öffentlichen Meinung“.

Denn hier und heute können doch alle glauben woran sie wollen, sie alle können glücklich werden, alle sind ihres Glückes Schmied (gn= geschlechtsneutral).
Auch unsere immer kleiner werdende Kirchengemeinde, die im Vergleich zu den Gemeindegliederzahlen doch sehr wenigen Menschen in unseren Gottesdiensten und Veranstaltungen und dazu die vielen Menschen um uns herum, die ohne Gott gut leben können, scheinen zu bestätigen:

Das, was und woran wir glauben, ist nicht wichtig, ist Nebensache, irgendein schräges Hobby. Wichtig ist vielmehr, was die VOR-HERRSCHENDE Sicht auf dieses Leben in der Welt ist:

Die Erfolgreichen, die Begüterten und Begabten, bestimmen das Geschick der Welt und bestimmen ihre Regeln.
Die Anpassung an diese Regeln bedeuten das Heil in dieser Welt:

Heil finden die, die cool bleiben; sie sind unangreifbar und überstehen alles kerngesund.
Heil finden die, die viel Geld machen oder gute Erbschaften, denn die brauchen sich keine Gedanken um ihre Zukunft zu machen.
Heil finden die, sind die sich ihren kühlen Verstand und gesundes Misstrauen bewahren, denn sie werden im Leben nur selten enttäuscht oder überfordert.
Heil finden die, die sich mit ihrer Macht durchzusetzen verstehen, denn sie gelten etwas in dieser Welt.
Heil finden die, die mit den Wölfen heulen, mit der Meute rennen und sich die besten Happen zu sichern wissen.
Heil finden die, die die gesetzlichen Schlupflöcher für sich zu finden wissen, denn sie werden nie zu fassen sein.

Doch die Jünger Jesu bekommen Jesu Widerspruch gegen diese Welt zu hören. Sie werden von Jesus daran erinnert, was schon ihre Mütter und Väter glaubten. Was schon bei Jesaja, in den Psalmen oder bei Jesus Sirach zu lesen war. Jesus fasst es zusammen und sagt es neu (Mt 5):

3 Selig die Armen im Geist – ihnen gehört das Himmelreich.
4 Selig die Trauernden – sie werden getröstet werden.
5 Selig die Gewaltlosen – sie werden das Land erben.
6 Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit – sie werden gesättigt werden.
7 Selig die Barmherzigen – sie werden Barmherzigkeit erlangen.
8 Selig, die reinen Herzens sind – sie werden Gott schauen.
9 Selig, die Frieden stiften – sie werden Söhne und Töchter Gottes genannt werden.
10 Selig, die verfolgt sind um der Gerechtigkeit willen – ihnen gehört das Himmelreich.

Auch die katholische Kirche wusste das. Die Seligpreisungen waren und sind Evangelienlesung zu Allerheiligen, also auch morgen. Die Seligpreisungen zeigen, wie Menschen ihr Heil finden. Das Menschen, die im Widerspruch zu den Heilsversprechen dieser Welt gehen, selbst Heilige werden.

Die Seligpreisungen sind Sätze des Kontrastes, sie lassen die Lebensrealität deutlich sichtbar werden.
Die Seligpreisungen sind Sätze des Widerspruchs. Sie lassen die Frage aufkeimen, ob Gott diese Welt in Lieblosigkeit versinken oder durch Liebe erhalten will.

Die Seligpreisungen sind Sätze der Ermutigung, der Hoffnung. Sie treffen ins Innere meines Denkens und Fühlens. Sie sagen: Das, was das Leben zu sein scheint, kann das Leben nicht sein. Das, was hier als Glücksversprechen verkauft wird, wird eben genau das: Verkauft. Indem ich diesen Seligpreisungen begegne, begegne ich dem Widerspruch Gottes. Dem Widerspruch der Liebe gegen all den Hass auf dieser Welt.

Jesu Seligpreisungen wecken in mir Zweifel an den Heilsversprechungen der Welt und ihrer Mächtigen.
Sie wecken Zweifel und halten sie in mir wach.
Ich spüre, dass diese Zweifel berechtigt sind.
Und ich spüre, dass sich mich und meine Sicht auf diese Welt ändern.

Weil Gottes Sicht auf diese Welt eben NICHT die Sicht der Mächtigen dieser Welt ist. Weil bei Gott nicht wahr ist, was auf dieser Welt wahr scheint.
Wahrheit bei Gott: Barmherzigkeit, Trost, Gottesgegenwart, Gotteskindschaft, Erben des Landes, Erben des Himmelreiches, kurz: Gottes Liebe ist Wahrheit.

Und diese Wahrheit bestreitet die Wahrheit dieser Welt:

Die deutschen Eltern, deren Kind in Israel durch die Hamas verschleppt und getötet wurde und die es nie wiedersehen werden – Gottes Liebe wird sie das Heil finden lassen.

Die vielen Menschen, die durch den Terror und den Krieg ihren Platz in dieser Welt verloren haben und verlieren – Gottes Liebe wird sie das Heil finden lassen.

Die Kirchenmusikerin, die mir bitter sagt, das Gefühl zu haben, in einer Kirche zu arbeiten, die stirbt, weil sie sich selbst aufgibt – Gottes Liebe wird sie das Heil finden lassen.

Meine Schwestern, meine Brüder,

Natürlich höre ich die Zweifel, und diese Zweifel wiegen schwer. Reden denn diese Heilsrufe nicht einfach nur das Leben schön? Sind sie nicht nur billige Vertröstung auf die EWIGKEIT, die niemand von uns kennen kann, weil wir ja in der ZEIT leben?

Doch die den Seligpreisungen begegnen,
in denen werden Lebenszweifel wach.
Die in den Seligpreisungen Gottes Versprechen auf das Heil finden, bei denen werden diese Zweifel am Leben zu Zweifeln an der sichtbaren Welt.
Sie werden gar nicht anders können, als sich zu fragen, wo sie ihr Leben hinterfragen und ändern müssen.

Sie werden es erleben: Was wirklich gilt, ist nicht das, was sie Lebenserfahrung nennen. Was wirklich gilt, lernen sie nicht durch noch so viele Bildung und Untersuchungen und Gutachten, sondern durch die Begegnung mit der Gott, der sagt:
Ich ändere dein Leben. Schon heute. Denn ich liebe dich.

Was bedeutet das für unsere Kirche?
Was bedeutet das für uns selbst?

Ganz ehrlich – ich weiß es nicht.
Ich kann es nicht wissen, denn ich kann nicht in die Zukunft sehen.
Ich kann nicht wissen, ob die Welt begreift, dass ihr Heil NICHT in Hass und Krieg liegen kann.
Ich kann nicht wissen, ob die Kirche ihren Schatz bewahren und an die nächste Generation weitergeben kann.
Ich kann nicht wissen, ob ich selbst die nächsten richtigen Schritte auf dem Weg zu meinem Heil erkennen und auch gehen kann.

Martin Luther hat in These 62 geschrieben: „Der wahre Schatz der Kirche ist das allerheiligste Evangelium der Herrlichkeit und Gnade Gottes.“
Doch wie bekommen wir das in die Wirklichkeit unserer Gemeinde hineingetragen?
Wie bekomme ich das IN MEIN LEBEN hineingetragen?

Sicher scheint mir nur das:
Wenn wir den Seligpreisungen begegnen, begegnet uns der Widerspruch der Liebe Gottes.
Wenn wir die Größe der Liebe Gottes durch Jesu Worte spüren, spüren wir, dass wir nicht wollen KÖNNEN,
dass diese Welt so bleibt wie sie ist.
Dass unsere Gemeinde so bleibt wie sie ist.
Dass wir selbst so bleiben wie wir sind.

Und sicher scheint mir:

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
und NUR sie
werden dieser Welt, unserer Gemeinde und uns selbst
das Heil Gottes bringen.

AMEN

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