Was nötig ist (Mt 9 9-13)

Der komplette Gottesdienst kann hier für vierzehn Tage nachgehört werden:

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Gefangen in den Armen der Liebe
befreit von der Zwängen der Welt
Wer Gott glaubt, ist frei
nicht abhängig von eigener Lebensleistung
sondern einzig vom dreieinen Gott
der in Christus Jesus
die Barmherzigkeit in Person ist

Von seinem Geist gefangen
bedeutet frei zu sein
schon jetzt
und auf ewig

Wir liegen vor dir mit unserm Gebet
und vertrauen nicht auf unsre Gerechtigkeit,
sondern auf deine große Barmherzigkeit.
Daniel 9,18
***Mt 9 9-13
9 Und als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm.
10 Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern.
11 Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern?
12 Als das Jesus hörte, sprach er: Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken.
13 Geht aber hin und lernt, was das heißt (Hosea 6,6): “Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer.” Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder.

Vice Questore Guiseppe Patta hat schlechte Laune. Sein ihm untergebener Comissario Brunetti ist mal wieder einem Mörder auf der Spur, und diese Spur gefällt Patta ganz und gar nicht.

Der eitle Polizeichef von Venedig ist Sizilianer und hat neben seiner eigenen Karriere im Moment nur noch eine Sorge: Dass die Ermittlungen seines Comissario die „Stützen der Gesellschaft“ Venedigs nicht beschädigen mögen.

Aber Brunetti weiß, dass einer der Hintermänner des Mordes eben eine dieser „Stützen der Gesellschaft“ sein muss. Und Patta fürchtet um „seine“ Stadt, die offenbar nicht nur vom häufigen Hochwasser bedroht, sondern nun auch in ihren Fundamenten erschüttert ist.

Er verbietet Brunetti, den Honoratioren der Stadt zu nahe zu treten. Brunetti aber macht es trotzdem und kann den Mörder überführen – trotz mangelnder Unterstützung aus der Bevölkerung. Bei der steht die Polizei nämlich gar nicht hoch im Kurs. Die Kleinen hängen sie, die Großen lassen sie laufen.

Auch hier läuft es wieder so:
Brunetti kann trotz großer Mühen die Hintermänner nicht dingfest machen. Zu eng ist ihr Unterstützernetz geknüpft, zu viel Filz ist in der Stadt.

Am Ende ist Patta dann überglücklich, zwei Fliegen mit einer Klappe erschlagen zu haben: Den Mord hat seine Polizei aufgeklärt, das ist gut für die Statistik, und Venedigs Große bleiben unbehelligt, das ist gut für den Tourismus in der Stadt – und nicht zuletzt für seine, des Pattas Karriere.

Und der kleine Polizei-Beamte Brunetti?
Der sitzt wieder mal des Abends zuhause und denkt mit seiner klugen und schönen Frau über die Ungerechtigkeit des Lebens nach.

Sie ist Dozentin für englische Literatur und beseelt von den 68er Ideen. Beiden aber fällt kein Ausweg ein, beide bleiben an diesem Abend wieder einmal desillusioniert zurück: Bemisst sich der Wert eines Menschen tatsächlich nur an gesellschaftlicher Position und Größe des Bankkontos? In Venedig ist das offenbar so, schon immer und wohl für immer…

Da hilft letztendlich ein gutes Essen mit einem guten Wein auf der Terrasse über den Dächern der Lagunenstadt. Kleine Dozentinnen und kleine Beamte ändern die Welt in dieser Stadt eben nicht. Hier wird wohl auch weiterhin der Wert des Menschen an seiner gesellschaftlichen Position und seinem Vermögen gemessen.

Als ich den Bibeltext für heute las, dachte ich: Dem kleinen Beamten am Zoll in Kapernaum ist es sicher ganz ähnlich gegangen. Er hatte das Amt vom römischen Staat übertragen bekommen, an einer Zollstelle der Stadt Steuern einzunehmen.

Das lief zwar damals über die private Pacht von Zollstationen, ändert aber nichts daran, dass er den Zoll nach strengen Regeln DES Staates FÜR den Staat einzutreiben hatte.

Kapernaum liegt am Rande von Galiläa, dicht an der Grenze. Und wo Grenzen sind, wurden schon damals Zölle fällig:
Zölle auf Keramik, Zölle auf Obst, Zölle auf Stoffe, Zölle auf Sklaven.

Also sitzt er nun Tag für Tag in seiner Zollstation.
Begutachtet die Waren der Händler und das Gepäck der Reisenden. Er misst, er wiegt, er überprüft. Dann legt er die Zahlungen fest und kassiert. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Am Sabbat hatte er frei. Wahrscheinlich.

Der kleine Beamte am Zoll musste zwar keine Mörder jagen und Hintermänner finden. Doch wer zahlt schon gerne Zoll? Das schmälert schließlich den Gewinn, beschneidet Eigentum. Also versuchen die Leute zu verstecken, zu schummeln, zu schwindeln.

Natürlich kannte er die „1000 ganz legale Tricks zum Zollsparen“. Auch die illegalen. Doch allem auf die Spur zu kommen – ein Ding der Unmöglichkeit. Und die ganz großen Fische wussten sehr gut, wie sie um ihn herumschwimmen konnten, ohne dass er sie zur Kasse bitten konnte.

Und die Leute mochten auch IHN nicht, genauso wenig wie die Leute die Polizei in Venedig mochten. Seine Mitbürger neideten ihm, dass er von seinen Einnahmen mit seiner ganzen Familie leben konnte, ohne einer „ordentlichen Arbeit“ nachzugehen.

Für nicht wenige Nachbarn lebte er sogar VIEL ZU gut. Viele hielten ihn für käuflich, Andere für einen Halsabschneider, Dritte für einen Dieb.

Und dass er für die Staatsmacht arbeitete, war ja wohl das Letzte. Die gesellschaftlichen Größen mieden ihn, wo sie nur konnten. Und die Menschen, die zu ihm an die Zollschranke kamen, waren froh, wenn sie ihn endlich los waren.

Der Wert des Menschen:
Im Ranking seiner Stadt stand er mit Huren und Soldaten ganz unten auf der Achtungsliste. Unrein war er auch noch, schon weil er beruflich auch mit Nichtjuden zu tun hatte.
Zöllner – diesen Job musste man schon sehr mögen, um ihn zu machen.

Unser kleiner Beamter mochte ihn ganz offenbar nicht so sehr, vielleicht saß er darum genauso wie Brunetti mit seiner Frau desillusioniert am Abendbrots-Tisch mit einem guten Glas Wein: Kleine Beamte ändern diese Welt nicht.
War das das Leben, was er sich vorgestellt hatte?

Von Jesus hatte er sicher schon gehört. Der war ja aus Nazareth hierher in seine Stadt gezogen (Mt 4,13). Hier hatte er seine ersten Jünger gefunden, die waren Fischer am großen See. Ein begnadeter Prediger war er (Mt 5-7). Und ein Heiler (Mt 8). Sogar dem Sturm neulich soll er Einhalt geboten haben, mit Erfolg (8, 23ff).

Und als Jesus dann an seiner Zollschranke vorbei kam, ihn ansah und sagte: Komm mit mir! überlegte er nicht lange. Dieser Mann – Jude, Prediger, Heiler – dieser Mann wollte IHN! Konnte seine Chance größer werden?

Und was er dann BEI ihm erlebte, war wie ein Traum. Jesus gab sich nicht nur unter vier Augen mit ihm ab, er tat das öffentlich. Die Mahlzeiten im Hause Jesu waren legendär: Sie waren nicht nur für Zöllner wie ihn offen, sondern auch für solche, um die er selbst früher lieber einen Bogen gemacht hätte.

Niemand, der im Ranking Kapernaums ganz unten auf der Achtungsliste stand, wurde hier abgewiesen. Jeder bekam einen Platz an derselben Tafel, an der auch Jesus und seine Jünger aßen. So frei und froh hatte er sich selten gefühlt.

Doch die, die auf der Rankingliste oben standen, besahen das mit offener Ablehnung. Dass ein frommer Jude sich mit Unreinen und Sündern an einen Tisch setzte, war gegen alle Regeln. Also machten sie ihrem Unmut Luft. Das mussten sie nicht einmal heimlich tun, denn das Haus stand ja allen offen.

Sie traten auf wie die Sittenpolizei und nahmen sich die Jünger vor: Wie kommt euer Meister dazu, sich mit diesen Leuten an EINEN Tisch zu setzen und mit ihnen zu essen? Kennt er die Regeln nicht?

Dem kleinen Beamten vom Zoll muss das Essen im Hals steckengeblieben sein. Das roch nach großem Ärger. Sollte das, was so gut begonnen hatte, schon wieder zu Ende sein? Sollte die frohe Stimmung, die in diesem Haus herrschte, jetzt den Regeln der Honoratioren der Stadt zum Opfer fallen?

Doch Jesus setzt sich zur Wehr. Er lässt sich nicht „die Butter vom Brot“ nehmen. Er mischt sich ein, stellt sich vor seine Jünger und sagt: Ihr habt meine Gastfreundschaft nicht nötig, diese da aber schon.

Und wer hier die Regeln nicht kennt, dass muss erst noch ausdiskutiert werden:
Kennt ihr den Propheten Hosea nicht?
Lest mal in seinem Buch die Stelle, die mit dem Vers endet: „Denn ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer, an der Erkenntnis Gottes und nicht am Brandopfer.“ (Kap 6, 1ff, vorhin als Lesung gehört)

Was sind nun wirklich die Regeln Gottes? Menschen zu Unreinen zu machen, sie auf der Achtungsliste ganz unten anzusiedeln und vor die Tür der Gesellschaft zu setzen – oder aber ihnen zukommen zu lassen, was sie nötig haben?

Geht nach Hause und denkt darüber nach! Was soll es denn für einen Sinn haben, mit denen zu feiern, deren Leben jeden Tag ein Fest ist? Was soll es denn für einen Sinn haben, denen zu geben, die nichts nötig haben?

Seit wann brauchen die Gesunden einen Arzt? Nein, die Kranken brauchen ihn. Und ich werde tun, was ich kann, damit sie Gott und ein Leben finden, das zu leben sich lohnt. Also, geht nach Hause und denkt nach!

Ihr habt es sicher vorhin schon mitbekommen: Der kleine Beamte hat auch einen Namen: Matthäus heißt er hier. Offenbar war dieser Name PROGRAMM für den ersten Evangelisten, denn Markus und Lukas, die diese Geschichte ganz ähnlich erzählen, nennen ihn einfach mit dem Stammesnamen „Levi“.

Matthäus nun kommt vom Hebräischen „Mattit Jahu“, das bedeutet „Geschenk JHWHs“, „Matthaios“ ist die altgriechische, Matthäus die lateinische Form des Namens. Bedeutet also Gottesgeschenk, ähnlich wie das griechische „Dorothea“.

Matthäus: Offenbar ein Geschenk Gottes, das Jesus gar nicht „links liegen“ hatte lassen KÖNNEN. Ein Geschenk auch für den Jüngerkreis, so dass Matthäus noch lange nach Jesu Tod jemand war, der Eindruck in der Gemeinde hinterließ.

Wenn Ihr mich fragen würdet, würde ich sagen:
Sogar so tiefen Eindruck, dass sie unser erstes biblisches Evangelium nach ihm benannten. Ich finde, eine gut nachvollziehbare Theorie zur Frage, warum unser Erstes Evangelium „Evangelium nach Matthäus“ heißt, OBWOHL nirgendwo im Text etwas darüber steht.

Meine Schwestern, meine Brüder,

wie Matthäus jetzt wohl seinen Lebensunterhalt verdient hat? Irgend wovon musste er ja leben. Auch Jesus und die Jünger mussten das. Wie füllte sich der Geldbeutel der Jüngergemeinschaft, den man schon auf alten Bildern oft am Gürtel des Jüngers Judas sehen könnte?

Eigentlich wissen wir nichts darüber. Die Bibel erzählt dazu eigentlich nichts, und selbst wenn man heute die allwissenden Internet-Suchmaschinen fragt, gibt es nur Vermutungen.

Aber wenn ich so darüber nachdenke: Matthäus hätte jetzt fast jeder Arbeit nachgehen können, zu der er körperlich in der Lage gewesen wäre. Eine Zollstation hätte er vielleicht nicht noch einmal bekommen. Wer stellt schon einen Zöllner ein, der einfach alles stehen und liegen lässt?

Doch Jesus hatte sich ihm zugewendet. Das änderte alles für Matthäus. Nicht zuletzt ein gutes Essen mit einem guten Wein hatten ihm die Augen für die Wahrheit geöffnet:

Gottes Zuwendung zu den Menschen orientiert sich NICHT an gesellschaftlicher Stellung und Kontostand. Gottes Zuwendung orientiert sich an dem, was sein Mensch nötig hat. Matthäus hatte es nötig, in eine Gemeinschaft aufgenommen zu werden, in der Gottes Wille eine Rolle spielt, eine Gemeinschaft, in der man sich mit Liebe und Freundlichkeit begegnete.

Es ist wohl auch dieses Mahl mit Jesus gewesen, das Matthäus zu einem Jünger mit Herz und Seele machte und ihn schließlich in den Zwölferkreis bringt. Er hat bei Jesus gefunden, was sein Leben zu einem Leben machte, was sich lohnt.

Mein Vater sagte immer mal wieder zu mir: Du kriegst ohnehin mehr, als du verdienst. Oder anders: Gott schenkt dir mehr, als du zum Leben brauchst. Und wenn ich auf die Geschichte des Matthäus sehe, weiß ich: Das macht Gott schon immer und für immer.

Darum gibt es Menschen, denen die Beziehung zu Gott das Wichtigste ist im Leben. Die es dann ernst werden lassen damit, anderen Menschen das zukommen zu lassen, was sie nötig haben. Die den Maßstab „gesellschaftliche Stellung“ und „Kontostand“ für ungültig erklären, weil er vor Gott ungültig ist.

Und wenn man wieder mal desillusioniert auf die Maßstäbe dieser Welt sieht, weil sich irgendwie nichts zum Guten ändern will, dann hilft vielleicht auch dann ein gutes Essen mit einem guten Wein in zugewandter Gemeinschaft, bei dem Jesus UNSER Gast sein möge. Denn es kann die Augen öffnen für die Wahrheit:

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes ALLEIN
vermögen es, uns zu schenken,
was wir nötig haben. AMEN

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