Svitlana (Joh 4 5-14)

Unseren Gottesdienst vom 3. Sonntag nach Epiphanias können Sie für vier Wochen hier nachhören.

Nicht nur wenige, sondern alle.
Nicht nur hier, sondern überall.
Nicht nur etwas, sondern alles.
Gottes Epiphanie – Heil für alle.

Die Weihnachtsbilder zeigen nicht
was sich außen abgespielt hat
sondern Verborgenes und Unsichtbares
ausgebreitet vor unser aller Augen.

Und es werden kommen
von Osten und von Westen,
von Norden und von Süden,
die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes.
Lk 13,29
***
„Wie eine Schnecke kam er zu einem Feldbrunnen geschlichen, wollte da ruhen und sich mit einem frischen Trunk laben. Damit er aber die Steine im Niedersitzen nicht beschädigte, legte er sie bedächtig neben sich auf den Rand des Brunnens. Darauf setzte er sich nieder und wollte sich zum trinken bücken, da versah er’s, stieß ein klein wenig an, und beide Steine plumpsten hinab.

Hans, als er sie mit seinen Augen in die Tiefe hatte versinken sehen, sprang vor Freuden auf, kniete dann nieder und dankte Gott mit Tränen in den Augen, dass er ihm diese Gnade noch erwiesen und ihn auf eine so gute Art und, ohne dass er sich einen Vorwurf zu machen brauchte, von den schweren Steinen befreit hätte, die ihm allein noch hinderlich gewesen wären.

„So glücklich wie ich“, rief er aus, „gibt es keinen Menschen unter der Sonne.“ Mit leichtem Herzen und frei von aller Last sprang er nun fort, bis er daheim bei seiner Mutter war.“

Mein absolutes Lieblingsmärchen.
Genaugenommen war das natürlich nur der Schluss davon, aber ihr habt es sicher trotzdem erkannt:
Das Märchen von Hans im Glück.

Schon als kleines Kind habe ich es geliebt,
denn so, wie der letzte Satz das sagte,
so wollte ich mein Leben haben:
Mit leichtem Herzen
und frei aller Last
davonspringen und heim kommen.

Eine Brunnenerzählung.
So wie in den Märchen „Frau Holle“, „Der Froschkönig“ oder „Der Eisenhans“.
Erzählungen über, rund um und in Brunnen, die nicht nur erfrischendes Wasser zum Trinken, sondern auch das besondere Wasser der Erkenntnis bieten, weil sie die sichtbare Welt hier oben und die unsichtbare Welt da unten miteinander auf geheimnisvolle Weise verbinden.

Brunnenerzählungen haben eine uralte Tradition.
Schon im ersten Testament der Bibel gibt es sie.
Ja, da fällt auch schon mal „ein Kind in den Brunnen“ wie in den Josephsgeschichten (Gen 37), obwohl der Brunnen da genau genommen eine leere Zisterne war.

Aber Brunnenerzählungen gibt es auch immer wieder in Brautwerbungsszenen: Ein fremder Mann und eine Frau sind allein an einem Brunnen, der Fremde wird zum Gast – und findet eine Frau:

Abrahams Diener findet Sarai (Gen 24,1–67);
Jakob trifft Rebekka am Mittag (Gen 29,1–14),
Mose findet Zippora (Ex 2,15–22).

Auch im zweiten Testament gibt es so eine Erzählung, ich lese aus dem Evangelium nach Johannes Kapitel 4 (5-14):

5 Da kam Jesus in eine Stadt Samariens, die heißt Sychar, nahe bei dem Feld, das Jakob seinem Sohn Josef gegeben hatte.
6 Es war aber dort Jakobs Brunnen.
Weil nun Jesus müde war von der Reise, setzte er sich an den Brunnen; es war um die sechste Stunde.

7 Da kommt eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen. Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken! 8 Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, um Speise zu kaufen.

9 Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du, ein Jude, erbittest etwas zu trinken von mir, einer samaritischen Frau? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern.

10 Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn, und er gäbe dir lebendiges Wasser.

11 Spricht zu ihm die Frau: Herr, du hast doch nichts, womit du schöpfen könntest, und der Brunnen ist tief; woher hast du denn lebendiges Wasser? 12 Bist du etwa mehr als unser Vater Jakob, der uns diesen Brunnen gegeben hat? Und er hat DARAUS getrunken und seine Söhne und sein Vieh.

13 Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; 14 wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.

Ein Mann und eine Frau treffen sich. Zufällig- sie haben sich noch nie zuvor gesehen. Er ist Jesus, den kennen wir; die Frau bekommt von Johannes keinen eigenen Namen.

Den bekommt sie allerdings in der Überlieferung der Ostkirche.
Wer die Geschichte zu Ende liest, erfährt nämlich, dass diese Frau die erste Apostelin in Samarien wird. Der Überlieferung nach wird sie von Jesu Jüngern auf den Namen Photina getauft; in der Orthodoxie wird sie als Heilige Photina, russisch: Swetlana, ukrainisch: Svitlana verehrt.

Ein Mann und eine Frau treffen sich. Treffpunkt: Ein Brunnen. Zeit: Die sechste Stunde, also in der Mittagshitze. Jesus bittet sie um Wasser, weil er selbst nichts hat, um zu schöpfen. Ein Gespräch entwickelt sich.

Diese Frau ist klug: Sie weiß um die Geschichte ihres Volkes; sie kennt die Regeln, nach denen Juden die Samariter meiden. Sie ist darum verwundert und will nun wissen, warum dieser Jude die Grenzen der Sitten überschreitet.

Es ist kein Alltagsgespräch. Es ist eines mit Ecken und Kanten, mit offensichtlichen Missverständnissen. Aber eines auf Augenhöhe.
Mancher Ausleger empfindet ihre Reaktionen als frech, spöttisch und unangemessen.

Doch wenn sie hätte frech sein wollen, dann hätte sie gesagt: Na, wenn du lebendiges Wasser hast, dann trink doch das! Dann brauchst du mich doch nicht! Aber – das tut sie nicht. Sie will wissen. Wissen, warum dieser Jude mit ihr, der Samariterin, spricht, SIE um etwas bittet.

Die Samariter gelten den Judäern als halbe Heiden. Das weiß sie; „unser Vater Jakob“ ist zwar ihrer beider Urahn, aber die politischen Wege der Judäer und der der Samariter hatten sich schon lange getrennt, das Tischtuch zwischen beiden Völkern war zerschnitten.

Warum also bittet er sie? Ja, dieser Mann war sichtlich müde, doch zu verdursten schien er nicht. Und seine Antwort hat dann auch nichts mit physischem Durst zu tun.

Mit einem Male geht es um „lebendiges Wasser“. Lebendiges Wasser ist im Gegensatz zu Zisternenwasser fließendes Wasser, im übertragenen Sinn aber zugleich Wasser, das im besonderen Sinne Leben ermöglicht. Nicht einfaches Überleben: Lebendiges Wasser ist ein Bild, das Gott als Quelle allen Lebens beschreibt: „Bei dir ist die Quelle des Lebens“, preist zum Beispiel Psalm 36 (1).

Wenn dieser Mann nun vom Wasser als Quelle des Lebens reden sollte: Wer ist er, dass er so etwas zu geben vermag? Er KANN doch nicht mehr sein als der Urahn Vater Jakob, dem man diesen Brunnen verdankt.

Dem war der Brunnen nicht zu schlecht, um aus ihm zu trinken, weder ihm noch seiner Familie noch seinem Vieh.
Dieser Brunnen lässt Menschen seit alters her ihren Durst stillen und so überleben.
Was also will dieser Mann von ihr?

Die Antwort Jesu lenkt wiederum den Blick vom Durst des Alltages weg. Er redet von der „Gabe Gottes“ (V 10) und so von Leben. Jesus will den Durst nach Leben stillen, und dazu braucht er kein Schöpfgerät.
Und wenn er DIESEN Durst stillt, wird in dem Menschen selbst eine Quelle aufgetan, die in „das ewige Leben quillt“ (V 14).

Wir wissen, wovon Jesus hier redet. Wir haben schließlich schon aus dem 1. Kapitel, dem Prolog des Johannesevangeliums erfahren, dass dieser Jesus das fleischgewordene Wort Gottes ist, aus dem alles ist und alles lebt.

Hier aber, bei dieser Quelle, die in einem in das ewige Leben quillt, endet der Bibeltext für heute auch schon. Endet also mit der Feststellung: Jesus kann ins ewige Leben führen.

Doch was wird aus den beiden, aus Jesus und der Samariterin am Brunnen?
Die meisten von euch wissen sicher, wie die Erzählung weitergeht. Zunächst versteht Svitlana (ich nenne sie jetzt einfach mal mit ihrem späteren Taufnamen auf ukrainisch), also zunächst versteht sie nicht wirklich, was Jesus meint.

Im weiteren Gespräch aber erkennt Svitlana, dass Jesus mehr ist als ein einfacher Jude: Er zeigt ihr, dass er weiß, dass sie sich in steter Suche nach einem Mann aufreibt. Dass ihr Leben regiert ist von der rastlosen Suche nach Geborgenheit, nach Liebe, nach finanzieller Sicherheit. Jesus zeigt ihr, dass er weiß, dass sie eine Getriebene ist: „fünf Männer hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann“ (V 18).

Ob Svitlana Witwe ist oder ob sie geschieden ist oder welche Gründe ihre stete Suche sonst haben mag, erfahren wir nicht, das ist Johannes offenbar nicht wichtig.

Wichtig ist ihm, dass Jesus den Weg Svitlanas kennt, ihre Lebenslast er-kennt, die wohl auch der Grund ist, dass sie in der großen Mittagshitze zum Brunnen gekommen ist.

Svitlana wollte offenbar den Menschen aus ihrer Stadt aus dem Weg gehen. Wollte weder Vorwürfe noch Mitleid von ihnen hören. Nun aber ist sie auf diesen Fremden getroffen, der sie kennt.

Svitlana bekennt Jesus, dass sie an das Kommen des Messias glaube, Jesus sagt ihr, dass er es sei, sie geht zurück in die Stadt und kommt mit Menschen aus der Stadt zurück. Und diese Menschen erkennen, das Svitlana die Wahrheit gesprochen hat: Sie haben den Messias gefunden.

Der Jude Nikodemus, von ihm erzählt Johannes ein Kapitel vorher (Kap.3), kam heimlich, mitten in der Nacht, und verstand nicht, mit wem er es in Jesus zu tun bekam.

Svitlana trifft Jesus in der Mitte des Tages und wird Glaubende, ja Missionarin – zur „Erleuchteten“, was „Photina“ oder „Swetlana“ bedeutet. Swetlana hat ihn verstanden, den Unterschied zwischen Wasser und lebendigem Wasser, den Unterschied zwischen einem jüdischen Mann und dem Messias.

Interessant ist auch: Frauen scheinen es leichter zu haben als Männer, Jesus zu verstehen. Svitlana redet im Nachgang zum Brunnengespräch offenbar sehr überzeugend zu den Menschen ihrer Stadt: Geht zu ihm – ist das nicht der Christus? Und sie gehen.
So weit ist der Mann Nikodemus jedenfalls nicht gekommen.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Als ich vielleicht zehn Jahre alt war, bekam ich von einer Tante eine Schallplatte zu Weihnachten. Darauf war die Geschichte von Hans im Glück zu hören. Doch ganz anders, als ich sie aus meinem alten Märchenbuch der Gebrüder Grimm kannte.
Vor allem der Schluss war ganz anders:

„Da geht er nun, der Hans.
Mit einem Klumpen Gold ist er des Morgens ausgezogen-
und was ist ihm davon geblieben?
Ja, was man hat, das muss man schätzen und bewahren,
sonst bringt man nichts nach Hause,
grad wie der Hans, der Dummrian.“ (Vinyl, Litera, 1974)

Völlig verunsichert lief ich zu meiner Mutter: „Was stimmt denn nun? War der Hans nun fromm und froh, dass Gott ihn von seinen Lasten befreit hatte, oder war er einfach nur ein Dummrian?“

Und meine Mutter antwortete:
„Viele Menschen denken heute, dass es dumm ist, Gott zu kennen.
Aber genau das glaube ich nicht.“

Brunnengeschichten:
Geschichten über Alltagsorte,
die zu Orten der Erkenntnis werden können.
Für Hans nicht minder als für Svitlana.
An einem Brunnen erkannten sie die Gabe Gottes für ihr Leben.

Svitlana erkannte im Juden Jesus den Messias.
Eine schöne Epiphanias-Geschichte,
die auch uns am Jakobs-Brunnen sehen lässt:

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

sind die Gaben Gottes,
die die Last des Lebens nehmen
und ins ewige Leben sprudeln.
AMEN

EG 66: 5.7.8
5. Jesus ist kommen, der König der Ehren;
Himmel und Erde, rühmt seine Gewalt!
Dieser Beherrscher kann Herzen bekehren;
öffnet ihm Tore und Türen fein bald!
Denkt doch, er will euch die Krone gewähren.
Jesus ist kommen, der König der Ehren.
7. Jesus ist kommen, die Quelle der Gnaden:
Komme, wen dürstet, und trinke, wer will!
Holet für euren so giftigen Schaden
Gnade aus dieser unendlichen Füll!
Hier kann das Herze sich laben und baden.
Jesus ist kommen, die Quelle der Gnaden.
8. Jesus ist kommen, die Ursach zum Leben.
Hochgelobt sei der erbarmende Gott,
der uns den Ursprung des Segens gegeben;
dieser verschlinget Fluch, Jammer und Tod.
Selig, die ihm sich beständig ergeben!
Jesus ist kommen, die Ursach zum Leben.

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