Mein Stein, der hat acht Ecken… (Apg 8, 26-39)

Unseren Gottesdienst am 6. Sonntag nach Trinitatis zum Nachhören finden Sie für vierzehn  Tage hier.

Warum lebe ich?
Was trägt mich?
Wozu bin ich hier?
Wie fülle ich meine Tage?
Was kann lohnendes Ziel meines Lebens sein?
Wie gelange ich dorthin?

Du bist getauft:
Du gehörst jetzt schon
IHM.
Denn der Herr aller Zeiten
und Schöpfer aller Welten
hat dich erwählt.

So spricht der Herr, der dich geschaffen hat:
Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst;
ich habe dich bei deinem Namen gerufen;
du bist mein!
Jesaja 43,1
***

Geschichten um die Taufe.
Unsere Ehrenpresbyterin Irene Kluth, die wir am Mittwoch begraben mussten, konnte sich ihr Leben lang gut an ihren Tauftag erinnern. Das lag aber weniger daran, dass sie bis ins hohe Alter von fast 93 Jahren das Geschenk eines brillanten Gedächtnisses hatte, sondern vor allem daran, dass dieser Tag im Leben ihrer Eltern eine besondere Rolle spielte.

Sie wurde nämlich am ersten Hochzeitstag ihrer Eltern getauft, am Sonntag, dem 30. August 1931 war das, hier in der Johanniskirche. Da war Irene gerade 61 Tage alt.

Wenn ich den Tag meiner Taufe nennen müsste, würde ich nicht darum herumkommen, meine Taufurkunde herauszukramen. Ich weiß nur, dass auch ich bei meiner Taufe noch Säugling war. Ich weiß allerdings, WER mich getauft hat: Pfarrer Werner Scheidacker in Oranienburg.

Der war nicht nur Vikariatsleiter meines Vaters und Freund der Familie, den ich noch gut in Erinnerung habe, weil er oft bei uns zu Besuch war. Er war auch der einzige Ostdeutsche, der Mitglied der Mitglied der Kommission zur Überarbeitung des Luthertextes im Neuen Testament 1984 war (trotzdem war die Mutter meines Vaters besser in Bibelkunde als er…)

Vorgestern am Freitag, als wir beim Bibelgespräch saßen, konnten die anderen in der kleinen Runde sich noch an ihre Taufe erinnern, weil sie erwachsen getauft worden waren. Da waren die Geschichten um die eigene Taufe persönliche Erinnerung.

Taufen von Erwachsenen waren ja auch zur Zeit des Neuen Testaments die Regel. Doch das ist ja kein Wunder. Da gab es ja keine Jahrhunderte alte Kirchengebäude, keine Kirchenverfassungen oder Grundordnungen, auch keinen Papst in Rom. So gab es auch keine Tradition, Säuglinge bald nach ihrer Geburt in die Kirche zu tragen und taufen zu lassen.

Das hatte eben auch vieles für sich; es ist eben etwas anderes, ob einem die Paten von der Taufe erzählen oder ob man sich selbst erinnern kann, vielleicht sogar an den Moment im Leben, wo einem klar wurde: Die will ich, die will ich für mich!

Einen solchen Blick auf eine Erwachsenentaufe überliefert uns Lukas in seiner Apostelgeschichte, ich lese aus Kapitel 8 ab Vers 26 (Neue Genfer Übersetzung):

26 Philippus aber bekam von einem Engel des Herrn folgenden Auftrag: »Mach dich auf den Weg in Richtung Süden! Benutze die einsame Wüstenstraße, die von Jerusalem nach Gaza hinunterführt.«
27 Philippus machte sich auf den Weg; und als er diese Straße entlangging, kam dort in seinem Reisewagen ein Äthiopier gefahren, ein Eunuch. Es handelte sich um einen hohen Würdenträger, den Finanzminister der Kandake, der äthiopischen Königin. Der Mann war in Jerusalem gewesen, um ´den Gott Israels` anzubeten,
28 und befand sich jetzt auf der Rückreise. Er saß in seinem Wagen und las im Buch des Propheten Jesaja.
29 Der ´Heilige` Geist sagte zu Philippus: »Geh zu dem Wagen dort und halte dich dicht neben ihm!«
30 Philippus lief hin, und als er neben dem Wagen herging, hörte er den Mann laut aus dem Buch des Propheten Jesaja lesen. »Verstehst du denn, was du da liest?«, fragte er ihn.
31 »Wie kann ich es verstehen, wenn niemand es mir erklärt?«, erwiderte der Mann. Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen.
32 Der Abschnitt der Schrift, den er eben gelesen hatte, lautete:
»Man hat ihn weggeführt wie ein Schaf, das geschlachtet werden soll.
Und wie ein Lamm beim Scheren keinen Laut von sich gibt,
so kam auch über seine Lippen kein Laut ´der Klage`.
33 Er wurde erniedrigt und all seiner Rechte beraubt.
Niemand wird über Nachkommen von ihm berichten können,
denn sein Leben auf der Erde wurde ihm genommen.
34 Der Äthiopier wandte sich an Philippus: »Bitte sag mir, von wem ist hier die Rede? Spricht der Prophet von sich selbst, oder spricht er von jemand anders?«
35 Da ergriff Philippus die Gelegenheit und erklärte ihm, von dieser Schriftstelle ausgehend, das Evangelium von Jesus.
36 Als sie nun, ´ins Gespräch vertieft,` die Straße entlangfuhren, kamen sie an einer Wasserstelle vorbei. »Hier ist Wasser!«, rief der Äthiopier. »Spricht etwas dagegen, dass ich getauft werde?«
38 Und er befahl, den Wagen anzuhalten. Beide, Philippus und der Äthiopier, stiegen ins Wasser, und Philippus taufte den Mann.
39 Als sie wieder aus dem Wasser stiegen, wurde Philippus plötzlich vom Geist des Herrn ergriffen und an einen anderen Ort versetzt, und der Äthiopier sah ihn nicht mehr. Trotzdem erfüllte ihn eine tiefe Freude, als er nun seine Reise fortsetzte.

Dieser Wallfahrer aus Äthiopien gehört zum großen Kreis der „Gottesfürchtigen“, zu einer Gruppe Gebildeter, die sich vom Glauben Israels angesprochen fühlten.

Da war der jüdische Wortgottesdienst mit seiner Verehrung des einen, universalen und allmächtigen Gottes, dem Schöpfer der Welt und Lenker ihrer Geschichte, dem Herr aller Menschen und doch besonders seines erwählten Volkes.

Da war ein Gott, der klare Gebote gab, der eine ethische Lebensführung forderte und förderte, zu dem man ein ganz persönliches Verhältnis haben konnte und der allen Gerechten und Frommen eine heilvolle Zukunft und ewiges Leben eröffnete. Das alles konnte der Kämmerer – so bezeichnet ihn Luther in seiner Übersetzung – in keiner anderen antiken Religion finden.

Doch es BLEIBT auch eine andere Seite:
Als Eunuch wird der Mann in Jerusalem auf besondere Schwierigkeiten gestoßen sein. Schließlich steht in 5. Mose 23,2: Kein Entmannter oder Verschnittener soll in die Gemeinde des HERRN kommen.

So durfte er nicht am Tempel beten; mit weit offenen Armen wird man ihn nicht empfangen haben. Und es wird nicht einfach oder gar billig für ihn gewesen sein, eine Textrolle mit einem Bibeltext zu erwerben.

Andererseits: Geld hatte er sicher genug. Denn er war ganz offenbar für diese Pilgerreise von seiner Herrin freigestellt, und er musste den weiten Weg auch nicht zu Fuß oder auf einem Kamel zurücklegen, sondern fuhr standesgemäß in einem Wagen.

Wie wir seit den Funden von Textrollen in den Höhlen von Qumran wissen, hatten gerade die Texte Jesajas damals eine große Bedeutung. Sie waren wohl ungefähr so wichtig wie heute für uns die Paulusbriefe.

Und so beschäftigt sich der Finanzminister nun auf seinem Rückweg mit Jesajatexten. Er liest laut aus Jes 53, einer für die christliche Deutung des Todes Jesu stets wichtigen Stelle.

Im Bild des geschächteten Schafes wird von einem Leben geredet, das alle Grenzen menschlicher Urteile, Erfahrungen und irdischer Wirklichkeit überwindet.

Sehr begreiflich ist, dass sich der Kämmerer mit dem Unbegreiflichen schwer tut.
Philippus erschließt es für ihn,
indem er die Stelle auf Christi Tod und Auferstehung bezieht.
Und beschriebt, dass ein Leben mit dem Auferstandenen alle Grenzen dieser Welt hinter sich lässt.

Ich hätte in diesem Gespräch sicher Jesaja 56 zur Sprache gekommen, wo für den Äthiopier sehr Erfreuliches zu lesen ist:

4 Denn so spricht der HERR:
Den Verschnittenen, die meine Sabbate halten und erwählen, was mir wohlgefällt,
und an meinem Bund festhalten,
5 denen will ich in meinem Hause und in meinen Mauern
ein Denkmal und einen Namen geben;
das ist besser als Söhne und Töchter.
Einen ewigen Namen will ich ihnen geben,
der nicht vergehen soll.

Vielleicht hat Philippus genau das ja auch getan.
Denn dann fällt dieser faszinierende Satz des Äthiopiers, der in der Lutherübersetzung lautet:
„Was hindert’s, dass ich mich taufen lasse?“
Erfrischend unbekümmert, unkompliziert, direkt.
Genauso unkompliziert das, was folgt.

Keine Einwände des Philippus:
Da musst Du erst mal zwei Jahre zum Konfirmandenunterricht gehen.
Oder Erwachsenenunterricht beim Pfarrer nehmen.
Das Unservater und das Glaubensbekenntnis und den Heidelberger auswendig können, wenigstens die wichtigsten Stücke.
Die Zustimmung des Presbyteriums einholen.
Bis zum nächsten Gottesdienst warten, damit die Gemeinde Zeuge deiner Taufe sein kann.

Nichts von all dem.
Der Wagen wird angehalten,
sie gehen zum Wasser, Philippus tauft ihn.

In all dem aber beschreibt Lukas GOTT als den,
der das Entscheidende bewirkt.
Gottes Wort beschäftigt den Kämmerer.
Gottes Engel schickt Philippus zu dem Kämmerer.
Gottes Geist leitet ihn zum Wagen
und lässt ihn gleich nach der Taufe verschwinden.
Deutlicher kann das nicht erzählt sein:
Der Kämmerer begegnet Gott,
und Gott will diese Taufe ganz offenbar geschehen lassen.

Und diese Taufe stellt das Leben des Äthiopiers in eine völlig neue Dimension, sie ist genau das, wonach der sich gesehnt hat:
Einen Namen HAT er nun, ein Denkmal IST er nun.
Gott sagt zu ihm: Du bist für mich
besser als Söhne und Töchter.
DEIN Name wird bei mir NIE vergehen.

In der Gewissheit eines großen Geschenk Gottes,
in der Gewissheit um diese Taufgeschehen, in der Gewissheit, dass Gott ihm einen ewigen Namen gegeben hat, in der Gewissheit zieht der Kämmerer froh nach Hause. Darum spielt es weiter keine Rolle, dass er Philippus nicht mehr sieht.
Und die Tradition weiß, er sei nicht nur ein neuer Mensch, sondern auch zum ersten Missionar in Afrika geworden.

Meine Schwestern, meine Brüder,

Irene Kluth wurde, da bin ich sicher, am Taufstein unserer Johanniskirche getauft. Der, der dort auf dem Foto von 1895 zu sehen ist. An diesem Taufstein, der wahrscheinlich Mitte des 19. Jahrhunderts anlässlich der letzten großen Renovierung der Kirche vor ihrer Zerstörung Ende des zweiten Weltkrieges gestiftet worden ist und der acht Ecken hat.

Die Zahl Acht hat dabei nämlich eine besondere Bedeutung:
Sie soll daran erinnern, dass die Welt zwar in sieben Tagen geschaffen wurde, aber noch nicht vollendet ist. Taufbecken weisen durch die Achtzahl ihrer Ecken über die sieben Tage dieser Welt hinaus. Sie verweisen auf das große Osterfest, den achten, den jüngsten Tag als dem Tag der Vollendung des neuen Himmels und der neuen Erde hin.

Wenn der Mensch also aus dem Taufwasser des achteckigen Taufsteins heraus gehoben wird, dann kommt der neue Mensch, der PERSÖNLICH an Jesu Auferstehung Anteil hat und damit auch Anteil an der Vollendung hat, zum Vorschein.

Das ist das Geheimnis der Taufe:
Sie richtet das Leben völlig neu aus, gibt ihm eine neue, GOTTES Dimension.
Sie gibt dem Menschenleben einen Namen,
der bei Gott NIE VERGEHEN wird.
Sie lässt den Menschen Anteil an der Vollendung von Himmel und Erde haben, macht ihn gerecht.

Das gilt für Irene Kluth ebenso
wie für jede und jeden von uns.
Wir sind getauft:

Die Liebe Gottes,
die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sind Gottes Taufgaben.

Er VERSCHENKT sie an die Menschen
und lässt sie so zu seiner Kirche werden,
wo immer und wann immer sie auch leben.
AMEN

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