Gottvertrauen braucht Pflege (Mk 12 41-44)

Die Vision vom Frieden Gottes
der Traum vom Zion
von dem das Licht der Welt ausgeht
Aus Jerusalem kommt, wonach wir uns sehnen.
Gottes Licht strahlt vom Berge Zion.

Lebt als Kinder des Lichts;
die Frucht des Lichts
ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.
Epheser 5,8b.9

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„Halbe-halbe: Das ist das Kürzel für eine Aktion, mit der Männer gemahnt werden sollen, ihr Scherflein zur Hausarbeit beizutragen.“ Und kürzlich habe ich im Radio gehört: „Mit rund 450.000 Tonnen Kohlendioxid jährlich wird die Anlage zur weiteren Erderwärmung und Klimaveränderung ihr Scherflein beitragen.“

Alle wissen, was mit „Scherflein“ gemeint ist: Einen Beitrag zusteuern, der zwar klein ist, aber doch erwähnenswert. „Scherflein“ ist dabei die Verkleinerungsform von Scherf oder auch scharfer Pfennig. Das war eine in Erfurt und anderen Städten vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert genutzte geringwertige Silbermünze mit dem Wert von etwa einem halben Pfennig.

Der einfache Scherf wurde nur selten als Münze geprägt, aber Luther nutzte ihn trotzdem, um unseren Predigttext zu übersetzen. Und durch diesen Text aus dem Evangelium nach Markus ist er denn fast unbemerkt in unseren Sprachgebrauch gekommen, und da ist er bis heute geblieben. Auch der Ausdruck „verscherbeln“ für „unter Wert verkaufen“ ist wohl ebenfalls auf das „Scherflein“ zurückzuführen.

Aber nun zum Predigttext. Er führt uns in die bunte Welt Jerusalems zu Jesu Lebzeiten. Rund um den prächtigen Tempel zu Jerusalem drängen sich die Menschen, der lebhafte Handel auf dem Platz davor ähnelte wahrscheinlich sehr einem großen Basar in heutigen Tagen.

Man hört überall Stimmen, die sich frohe Begrüßung zurufen und auf baldiges Wiedersehen hoffen – in Gesundheit und Wohlstand, das versteht sich. Und auf dem Gelände des Tempels selbst sind Menschen, die in ihre Gebete vertieft sind – so als ob sie die Welt um sich herum vergessen hätten.

Die Brand – Opfer und der Weihrauch steigen einem in die Nase, man riecht den Duft der weiten Welt der Pilger und meint, den die vielen Menschen verbindenden einen Gott spüren zu können. „Wohl denen, die in deinem Hause wohnen; die loben dich immerdar“. Eine Atmosphäre intensiven Glaubens-Lebens ist zu spüren. Gott und sein Segen sind mit allen Sinnen wahrzunehmen.

Da ist der Platz, an dem die Geldopfer eingelegt werden. Hohe Gaben werden durch Wächter laut ausgerufen – Großzügigkeit soll hörbar sein. Bei besonders großen Opfern wird sogar die Posaune geblasen. Die Menschen jubeln den so Geehrten freudig zu: So ist es recht – sie lassen sich eben nicht lumpen. Datenschutz gab es damals ja noch nicht.
Und auch Jesus ist da zu finden, ich lese aus de, 12. Kapitel ab Vers 41 :

Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein.
Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das macht zusammen einen Pfennig.
Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle etwas von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte. (Markus 12, 41-44)

Auch Jesus „ruft“.
Allerdings ruft er keine hohe Summe aus, sondern seine Jünger zusammen. Er stellt ihnen dann nicht einen Großspender, sondern vielmehr eine Witwe als Vorbild hin.

Wenn wir das heute so lesen, stellen sich manche Fragen und Zweifel ein. Wie konnte Jesus erkennen, dass das eine Witwe war? War sie irgendwie von außen von einer armen Frau zu unterscheiden? Woher wusste Jesus, dass die Witwe mit den beiden Scherflein „ihre ganze Habe“ in den Kollektenkasten geworfen hatte?

Und wenn das so war: Wieso wird nicht über die Unvernunft gesprochen, die das bedeuten musste? Wie soll die Frau denn WEITERLEBEN, wenn sie wirklich alles weggibt, was sie „zum Leben hatte“?

Und was hat der Empfänger davon? Sicher: Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert… Aber was wird die riesige Tempelkirche mit dem Sechzigstel eines Tagelohnes anfangen?

All diese Fragen scheinen sich allerdings den Jüngern nicht gestellt zu haben, zumindest berichtet Markus nichts davon, auch Lukas nicht, der diese Begebenheit auch erzählt. Und damit gehen beide wohl davon aus, dass auch den Menschen, die ihr Evangelium lesen oder hören, deutlich ist, worum es nicht geht.

Eine „Witwe“ ist zu Jesu Zeit eine Frau, die mit ihrem Mann auch jede finanzielle Einnahmequelle verloren hat und auf Almosen aus der Gesellschaft angewiesen ist.

Für uns dagegen ist „verwitwet“ ein Familienstand, der nicht zwangsläufig mit Armut und durchaus auch mit Reichtum verbunden sein kann.

Diese Frau, die also am äußersten Rande der Gesellschaft um ihr Überleben kämpft, gönnt sich einen Tempelbesuch. Das ist so, als würde hier die Tür aufgehen und die Frau, die jeden Morgen an der Havel in den Papierkörben nach Flaschen sucht, sich in unseren Gottesdienst setzen würde. Wann habt Ihr das zuletzt erlebt? Seit dem ich hier bin (2014), gab es das jedenfalls noch nicht. Und das, obwohl unsere Kollektenkisten so gebaut sind, dass man eigentlich nicht sehen kann, wieviel jemand hineinwirft.

Die Menschen damals haben das sicher auch nicht oft erlebt. Und manch einer wird sich auch nicht wohl gefühlt haben dabei. Warum sich nicht einmal ungestört freuen? Warum nicht einmal staunend verharren können? Warum nicht einmal des Lebens ungemischte Freude genießen dürfen? Warum kommt diese Frau ausgerechnet jetzt? Als Erinnerung an das eigene schlechte soziale Gewissen?

Die Witwe wird das wissen, dass sie auffällt. Sie wird wissen, dass viele Menschen sie da nicht gern sehen. Und trotzdem geht sie in den Tempel. Sie wird auch wissen, dass die Tempelwächter genau hinsehen bei dem, was sie in den Opferkasten hineinwirft. Und sie tut es trotzdem.

Und die Betrachter werden verblüfft, denn die Witwe wird gelobt. Der Glanz Gottes strahlt um die arme Frau. Sie leuchtet als Vorbild in Jesu Augen. Sein Herz gehört der Witwe, damit sich möglichst viele Herzen für sie öffnen. Sie ist das Beispiel, das bewegen soll, ein Beispiel eines Glaubens, der aus dem Herzen kommt.

Jesus stellt seinen Jüngern darum diese Frau vor Augen, weil sie etwas ganz tut, mit ganzer Hingabe. Sie wendet sich ganz offenbar nicht nur gelegentlich Gott zu – ihr Gottesdienst ist ganz, ihre Dankbarkeit ist ganz. Sie lebt keine halben Sachen.
Ihren Glauben lebt sie ganz.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Jesus stellt mit seiner Reaktion die Maßstäbe auch unserer Gesellschaft in einer an Grundsätzlichkeit kaum zu überbietenden Schärfe in Frage.

Eigentlich dürfte es zwar jedem klar sein: Ein guter Lehrer freut sich beim Kontrollieren der Mathearbeit mehr über die Drei des Schülers, dem das Verstehen schwer fällt und sich darum alles schwer erarbeiten muss, als über die Eins der Schülerin, der alles beinahe im Schlaf zufällt.

Ein faires Gericht wird versuchen, Verständnis aufzubringen für einen Menschen, der eine sehr schwierige Kindheit hatte. Denn bei ihm ist nie alles so glatt gelaufen wie bei einem mit liebevollen Eltern und geordneter Umgebung. Oder um biblisch zu reden: Die Freude über einen Sünder, der umkehrt, wird größer sein als über 10 Gerechte.

In der Menschen – Gesellschaft aber sind wohl schon immer die besonders geachtet, die erstklassige Leistungen vollbringen, ein blitzsauberes Leben führen und oft und reichlich spenden. Nur Menschen mit herausragenden Leistungen werden mit Orden und Ehrungen bedacht. Nur die mit den gute Zeugnissen werden öffentlich gelobt.

Es wird sicher viel darüber GEREDET, dass die Menschen vor dem Gesetz gleich seien. Dass in der Gesellschaft für Gerechtigkeit gesorgt werden müsse. Dass Menschen vom Rande der Gesellschaft in deren Mitte geholt müssten

GEDACHT, GELEBT, GEHANDELT aber wird anders: In der so genannten „Realität“ finden vor allem die Starken und Gesunden, die Leistungsfähigen und Zahlungskräftigen, die Engagierten und Aktiven Beachtung und Achtung. Über sie wird geredet und geschrieben. Sie bekommen fast alle Schlagzeilen und Auszeichnungen.

Ob diese Witwe existiert oder nicht: Das ist der Welt schon immer ziemlich egal. Auch in der Welt um uns herum. Jesus aber stellt sie in den Mittelpunkt. Jesus rüttelt an diesem Wertegerüst: Er richtet helles Scheinwerferlicht auf einen armen, von vielen verachteten, vielleicht von den meisten vergessenen Menschen.

Damit stellt er die Maßstäbe einer Welt, die sich Wirtschaftswachstum und stetig wachsenden Wohlstand auf ihre Fahnen schreibt, grundsätzlich in Frage.

Warum tut er dies? Kann sich eine Gesellschaft denn ohne die Starken denn überhaupt weiterentwickeln? Kann diese Witwe ohne die großen Gaben der Reichen überhaupt überleben?

Doch: Geht es hier wirklich wieder mal nur ums Geld? Viele meinen ja ohnehin, in der Kirche gehe es um nichts anderes als um Kirchensteuer, Klingelbeutel und Klapperbüchse.

Und das ist ja auch nicht völlig falsch beobachtet. Auch in den Kirchen wird nur mit Wasser gekocht, das liebe Geld fehlt an allen Enden. Wer sich die Dorfkirche in Gutenpaaren ansieht, wer an die Mitarbeitergehälter oder unser geringes Engagement bei umweltfreundlichen Investitionen wie Solarpanelen oder modernen Heizsystemen denkt:

Ohne ausreichend Geld läuft da eben wenig. Und das alles wird finanziert mit unserer Kirchensteuer, unserem Kirchgeld, unseren Spenden oder gottesdienstlichen Kollekten. Da will doch niemand bestreiten, dass ein 20- Euro-Schein weiterhilft als ein 20-Cent Stück! Und 20-Euro-Scheine gibt es nur wenige in unseren Kollekten.

Doch keine noch so gute Kollekte, keine noch so gute Leistung bringt uns näher zu Gott. Das zu begreifen ist schwer. Denn die meisten Menschen sehnen sich lebenslang nach Aufmerksamkeit für ihre Leistungen. Leistungssportler wollen aufs Siegerpodest, Musiker den Applaus, Kantoreien das Lob, Pfarrer ein Predigt-Feedback. Und alle wissen: Kinder, die man nicht lobt, verlieren den Spaß an der Sache und manchmal gar die Freude am Leben.

Doch Jesus will, dass wir sehen lernen: Bei Gott geht es nicht um das laute Ausrufen oder gar das „Ausposaunen“. Die arme Witwe geht in den Tempel, weil sie Gott nahe sein will. Sie legt etwas in den Opferkasten, weil sie weiß: Der Mensch sieht, was vor Augen ist, der Herr aber sieht das Herz an. Darum heißt der Opferkasten schließlich Gotteskasten: Weil nicht wichtig ist, was die Tempelwächter sehen, sondern was Gott sieht.

Daraus hat sie die Gelassenheit, selbst ihre letzte Barschaft zu opfern, auf alles Menschen-Lob zu verzichten und gar die Verachtung manch Hochnäsiger zu ertragen, weil sie tief im Herzen weiß: All das ist unwichtig.

Was ihr allein wichtig ist: Ihr Gottvertrauen. Mit Gottvertrauen lassen sich alle Probleme des Alltages, auch die schwierigsten, lösen. Wenn sie ihr Gottvertrauen bewahrt, wird sie nicht am Leben verzweifeln – auch wenn alle anderen Lebensphilosophien und Weltanschauungen versagen. Auch in ihrer letzten Stunde wird sie geborgen sein. DARUM stellt Jesus sie als Vorbild hin.

Die Witwe weiß um den Wert des Gottvertrauens, und sie weiß auch, dass sie selbst etwas dafür tun KANN und MUSS. DARUM geht sie in den Tempel: Sie will GOTT NAHE sein und bleiben. DARUM sind ihre zwei Scherflein so wertvoll. Ihre Hingabe und ihr Gottvertrauen sind der eigentliche Reichtum des Tempels. Diese Arme wäre das Schmuckstück jeder Kirche.

Und wir alle können wissen: Hier, in unserer Kirche, sind wir einzig und nur, um uns unseres Vertrauens auf Gott zu vergewissern.
Das Unsere dazu beizutragen, dass unser Gottvertrauen nicht unter die Räder des Alltages kommt, sondern am Leben gehalten und gepflegt wird.
Wir sind hier nur, um den Dienst Gottes an uns zu erleben:

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes.
Sie werden unser Leben lebendig halten und uns bewahren, nichts anderes sonst. AMEN

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