Gott ist hier! (Joh 5 1-18)

Für nur drei Dinge des Tages
Gott dankbar zu sein
manchmal leicht
manchmal unmöglich
Krankheit, innere Not
werden Last der Seele

Gott aber rührt den Menschen an
und fragt
willst du gesund werden
auch wenn das bedeutet
ein ganzes Leben zu ändern

Heile du mich, HERR
so werde ich heil;
hilf du mir,
so ist mir geholfen. (Jer 17,14)
***
Wo Gott ist, da widerfährt uns „frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen“. So kann man es in der zweiten These der Barmer Theologischen Erklärung lesen (EG 810).

„Frohe Befreiung“ und „freier, dankbarer Dienst“ erklären sich für mich dabei fast von selbst. Aber was ist wohl mit den gottlosen Bindungen gemeint?

Auf den ersten Blick ist das ja eine politische Feststellung, die uns heute vor allem als geschichtliche Erinnerung betrifft. Die Barmer theologische Erklärung stammt schließlich aus der Zeit des Kirchenkampfes während des Nationalsozialismus. Es ging also zuerst um die Abwehr der Gleichschaltungsversuche der Nazis. Die wollten die evangelischen Kirche von oben nach unten regieren, sie „judenfrei“ machen und Adolf Hitler als Offenbarung Gottes neben Jesus Christus stellen.

Eine solche Nähe zwischen nationalsozialistischem Staat und evangelischer Kirche wäre somit ganz sicher eine gottlose Bindung gewesen. Aber wer die Verfasser der Barmer Erklärung ein wenig kennt ahnt, dass mit „gottlosen Bindungen“ mehr gemeint sein wird als das Offensichtliche.

Karl Barth, der den ersten Entwurf dieser Erklärung geschrieben hat, wird diese Ergänzung des Hamburger Pastors Hans Asmussen zur 2. These aus dem Herzen gesprochen haben. Von dem stammt nämlich dieser Satz: Wo Gott ist, da widerfährt uns „frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen“.

Diesen Eindruck bekommt man, wenn man Barths Römerbriefkommentar liest. Denn „gottlose Bindungen“ reichen für Barth sehr viel tiefer als offenbare politische Verstrickungen oder menschliche Fehl-Entscheidungen.

Und damit ist er ganz bei der Theologie des Johannes-Evangeliums. Denn Predigttext für heute lässt verschiedene „gottlose Bindungen“ erkennen; ich lese aus Kapitel 5 bis Vers 18:

1 Einige Zeit später war wieder ein jüdisches Fest, und Jesus ging nach Jerusalem hinauf.
2 In Jerusalem befindet sich in der Nähe des Schaftors eine Teichanlage mit fünf Säulenhallen; sie wird auf hebräisch Betzata genannt.
3 In diesen Hallen lagen überall kranke Menschen, Blinde, Gelähmte und Gebrechliche.
5 Unter ihnen war ein Mann, der seit achtunddreißig Jahren krank war.
6 Jesus sah ihn dort liegen, und er erfuhr, dass er schon lange leidend war. »Willst du gesund werden?«, fragte er ihn.
7 Der Kranke antwortete: »Herr, ich habe niemand, der mir hilft, in den Teich zu kommen, wenn das Wasser sich bewegt. Und wenn ich es allein versuche, steigt ein anderer vor mir hinein.«
8 Da sagte Jesus zu ihm: »Steh auf, nimm deine Matte und geh!«
9 Im selben Augenblick war der Mann gesund; er nahm seine Matte und ging.
Der Tag, an dem das geschah, war ein Sabbat.
10 Deshalb wiesen die führenden Männer des jüdischen Volkes den Mann, der geheilt worden war, zurecht: »Heute ist Sabbat! Da ist es dir nicht erlaubt, deine Matte zu tragen.«
11 Er entgegnete: »Der, der mich gesund gemacht hat, hat zu mir gesagt: ›Nimm deine Matte und geh!‹« –
12 »Und wer ist dieser Mann?«, fragten sie. »Wer hat zu dir gesagt: ›Nimm deine Matte und geh!‹?«
13 Aber der Geheilte wusste nicht, wer es war, denn Jesus war unbemerkt in der Menschenmenge verschwunden.
14 Später traf Jesus den Mann im Tempel wieder. »Du bist jetzt gesund«, sagte er zu ihm. »Sündige nicht mehr, damit dir nicht noch etwas Schlimmeres geschieht, ´als was du bis jetzt durchgemacht hast`.«
15 Der Geheilte ging zu den führenden Männern zurück und berichtete ihnen, dass es Jesus war, der ihn gesund gemacht hatte.
16 Von da an begannen die führenden Männer des jüdischen Volkes, Jesus zu verfolgen, weil er solche Dinge am Sabbat tat.
17 Aber Jesus sagte zu ihnen: »Mein Vater hat bis heute nie aufgehört zu wirken, und ´weil er wirkt,` wirke auch ich.«
18 Das brachte sie noch mehr gegen ihn auf; sie waren jetzt entschlossen, ihn zu töten. Denn er hatte nicht nur die Sabbatvorschriften missachtet, sondern darüber hinaus Gott seinen Vater genannt und sich damit Gott gleichgestellt.

Ein wenig ist dieser Text so aufgebaut wie eine Lexikonseite im Internet: Er hat viele Stellen, die auf etwas anderes verweisen und die man nicht sofort versteht. Im Internet bei Wikipedia zum Beispiel sind solche Stellen nicht wie der übrige Text schwarz, sondern blau. Hier kann man einfach nur mit der Maus draufklicken, schon würde man einen erklärenden Text lesen können.

Den ersten Klick in unserem Text brauche ich gleich im ersten Vers: „… wieder ein jüdisches Fest“ – Johannes ist nicht wichtig, welches Fest genau das war. Wichtig ist ihm nur, dass alles an dem Ort passiert, der Zentrum jüdischen Lebens ist. Hier findet Jesus die Gesprächspartner, die dem Gott Israels nahe sein wollen. Hier trifft er auch auf die Menschen, die zu seinen erbittertsten Gegnern werden. Hier in Jerusalem, der Hauptstadt Israels.

Nächster Klick: „Betzata“ schreibt die Neue Genfer Übersetzung Buchstabentreu aus der griechischen Umschreibung ab, die meisten anderen Übersetzungen übertragen „Bethesda“. Das ist der Name der Teichanlage, an der die fünf Hallen stehen, in denen überall kranke Menschen sitzen, stehen oder liegen.

Unter ihnen war ein Mann, der seit 38 Jahren krank war. Wieder ein Mausklick – 38 Jahre: Genau die Zeitspanne, in der das Volk Israel durch die Wüste wanderte, bevor sie das gelobte Land erreichte. Wer von euch jetzt sagt, das stimme nicht, weil es doch 40 Jahre in der Wüste waren: Lest in 5. Mose 2,14 nach – 38 Jahre Wanderung, der Rest war eine längere Rast gleich nach dem Auszug aus Ägypten.

Nächster Klick dann: „Herr, ich habe niemand, der mir hilft, in den Teich zu kommen, wenn das Wasser sich bewegt.“ Was hat es mit dieser Bewegung des Wassers auf sich? So etwas gibt es gar nicht selten in natürlichen Gewässern, wenn beispielsweise Gase im Gewässerboden frei werden und dann nach oben „blubbern“.

Das hat offenbar viele Menschen beim Lesen so beschäftigt, dass spätere Bibelabschreiber sicherheitshalber ein paar Zeilen als Erklärung dazuschrieben (3b+4): Alle Kranken „…warteten darauf, dass das Wasser in Bewegung geriet. 4 Denn von Zeit zu Zeit stieg ein Engel des Herrn in den Teich hinunter und brachte das Wasser in Bewegung. Wer als Erster in das Wasser hineinstieg, nachdem es in Bewegung geraten war, der wurde gesund, ganz gleich, an welcher Krankheit er litt.

Schließlich muss ich noch auf das überraschende „sündige nicht mehr“ klicken, das Jesus zu dem Geheilten später spricht. Und ich lese: Von Sündenvergebung ist im Moment der Heilung des Kranken zwar nicht die Rede. Aber es ist ganz offenbar vorausgesetzt, dass auch hier das Wort Jesu an den Kranken persönliche Vergebung der Sünden des Kranken voraussetzt. Und damit die Vollmacht Jesu mit der Vollmacht Gottes gleichgesetzt ist.

Nachdem der Text (wenigstens) für mich jetzt einigermaßen klar ist, treten auch „gottlose Bindungen“ ganz offen zutage. Da wäre zuerst der traurige Zustand einer Gesellschaft, die so mit ihren Kranken umgeht. Niemand fühlt sich verantwortlich, den vielen Kranken geordnet ins Wasser zu helfen, wenn es sich bewegt und jeweils nur einen Menschen heilt.

Jeder ist sich hier selbst der Nächste. Es kommt nicht nur darauf an, schnell zu sein, sondern der schnellste. Das bringt den Kranken in seine persönliche Wüste. 38 Jahre lang muss er mit ansehen, wie anderen gelingt, was ihm nicht gelingt. 38 Jahre Hoffen und Harren. Wie das Sprichwort weiter geht, wisst ihr selbst. 38 Jahre ist er nun hier, an seinem Los kann sich nichts mehr ändern. Er hat sich selbst wahrscheinlich schon aufgegeben, ihm fehl jede Perspektive für die Zukunft. Ein Tod mitten im Leben. Und die Gesellschaft sieht zu.

„Steh auf, nimm deine Matte und geh!“ Jesus ist nicht auf das Erscheinen des Wasserstrudels angewiesen. Sollten denn die recht behalten, die in diesem Strudel das Werk eines Engels des Herrn sehen? Ist ein Engel, der die Unmenschlichkeit des Lebens festigt, nicht eher ein Engel des Teufels?

Indem Jesus an diesem hoffnungslosen Fall die Macht Gottes demonstriert, wird er zum Störenfried. Und da sind wir bei einer zweiten gottlosen Bindung in dieser Geschichte. Dem traurigen Zustand einer Religionsgemeinschaft, die verbogene, menschengemachte Regeln höher hält als Wort und Macht ihres Gottes.

Soll doch der Sabbat Gottes das Leben festigen und wieder aufrichten. Die versehrte Schöpfung heilen und erneuern. Der Sabbat Gottes ist MEHR als ein gelegentlicher Wasserstrudel, der gelegentlich einen Kranken heilt und die anderen in die Wüstenwanderung zwingt.

Jesu Heilstat führt, wie so oft, eben NICHT zur allgemeinen Freude oder Zustimmung. Sondern führt die Menschen in die Krise. Die einen freuen sich, dass ein Kranker gesund wird. Die anderen machen gegen Jesus mobil. Hass ist geboren. Wie kann der einen Menschen auffordern, am Sabbat seine Matte wegzutragen? Das haben wir immer anders gehalten!

Meine Schwestern, meine Brüder:

Diese beiden „gottlosen Bindungen“ betreffen uns eben NICHT nur als geschichtliche Erinnerungen: So war das zu Jesu Zeiten! Nein, sie treffen jeden von uns persönlich, und das Tag für Tag.

Die erste: Das Unheil der Verkettung von Schuld und Krankheit prägt jede Gesellschaft, auch unsere.
Gleichgültigkeit, Ungerechtigkeit, üble Nachrede.
Pflegenotstand, Rassismus, Armut.
Maßlosigkeit, Überheblichkeit, Perspektivlosigkeit.

Viele sehen das und sagen: Das darf doch nicht wahr sein! und meinen: Das müsste doch eigentlich anders sein! und resignieren: Da kann man nichts machen, das war wohl schon immer so.

Gottlose Bindung: Gebunden an ein anonymes Schicksal. So gebunden, dass man Gott nicht zubilligt, dass er so groß ist, dass er auch das ändern kann. Die Vorsehung Gottes, von der der Heidelberger spricht (HK 27): Vergessen. So in Ketten gelegt, dass man sich SELBST IHM entzieht: Ich kann ja doch nichts machen. Und diese Ketten liegen nicht nur draußen herum. Sie liegen auch mitten in unserer Kirche.

Und die Zweite: Die Bindung an unsere Ordnungswelt. Jede Zeit formuliert ihre eigenen Gesetze. Nicht nur im Bundestag, auch in der Kirche werden die geschrieben. Egal ob Demokratie oder Sabbat: Sie müssen doch geschützt werden. Die Willkür des Menschen, seine Unberechenbarkeit und Selbstsucht sind schließlich überall. Das Leben ist bedroht von Unberechenbarkeiten und Überraschungen. Denen kann man doch schließlich nicht das Feld überlassen! Hier kann man doch nicht einfach die Zeitumstellung abschaffen! Hier kann doch nicht jeder seine Matte aufnehmen und gehen, so wie er will!

So gebunden an Regeln, dass Gottes Handeln dem Menschen unheimlich und fern wird. So in Ketten gelegt, dass DIESER Nächste nicht das Ebenbild Gottes sein KANN. Dass die Schöpfermacht Gottes den Alltag nicht mehr erreicht. DAS verschließt Menschen unserer Zeit die Augen, lässt ihnen das Herz erfrieren, bindet ihnen die Hände.

17 Aber Jesus sagte zu ihnen: »Mein Vater hat BIS HEUTE NIE aufgehört zu wirken, und ´weil ER wirkt,` wirke auch ICH.«

DAS ist „gottlose Bindung“: Dass man Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, nicht zutrauen mag, 38 Jahre Wüstenwanderung eines Kranken zu beenden. Dass man Gottes Sabbat nicht zutraut, die Schöpfung zu heilen und zu erneuern.

Aber die Heilung dieses einen Kranken an einem Sabbat ist ein Zeichen, das uns mit der Nase darauf stößt: GOTT IST DA! Und wo Gott ist, da bleibt eben NICHT alles beim Alten! Denn wo Gott ist, da widerfährt uns „frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen“. Da wird Gott selbst das Leben des Nächstbesten verändern, indem er ihn einem von UNS begegnen lässt.

Wo Gott ist, da WIRD der Sabbat die Schöpfung heilen und erneuern. Da können wir sehen: Gott HAT BIS HEUTE NIE AUFGEHÖRT HAT ZU WIRKEN.

Seine Liebe, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen, denn sie führen euch ins Leben.

AMEN

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