Ganz bei Trost (Ez 37 1-14)

Unseren Pfingstgottesdienst zum Nachhören finden Sie für vierzehn Tage hier.

PFINGSTEN:
Am Geist Gottes „SCHEIDEN sich die Geister“.
Er lässt erkennen, „wes Geistes Kind“ WIR sind,
er bestärkt, er ermutigt, er befestigt uns.

PFINGSTEN:
Die große Gemeinschaft der Heiligen feiert
sie ist begeistert
vom Wort Gottes, dass Herzen entzündet
und das Leben wandelt
in ewiges Leben

Es soll nicht durch Heer oder Kraft,
sondern durch meinen Geist geschehen,
spricht der HERR Zebaoth.
Sacharja 4 Vers 6
***
Du bist wohl nicht ganz bei Trost! rief sie.
Und das kam so:

Ihr Zehnjähriger, nennen wir ihn der Einfachheit halber Malte, war in den Ferien für ein paar Tage bei ihrer Studienfreundin in Berlin-Treptow zu Gast. Nun kam sie, um mit der Freundin und deren Familie zu frühstücken und ihren Malte wieder mit nach Hause zu nehmen. Schließlich waren am kommenden Montag die Sommerferien zu Ende.

Der Maltesohn, den es noch nie lange im Bett gehalten hatte, war nun schon früh auf der Straße gewesen, um auf der Elsenbrücke den Verkehr zu bestaunen. So schön hatte er den zuhause in der Kleinstadt nämlich nicht beieinander:

Unter der Brücke auf der Spree die Boote der Grenzer und ein paar größere Schiffe, auf der Brücke daneben fuhren Güterzüge und S-Bahnen über den Fluss, und auf der mehrspurigen Straße gab es nicht nur Trabanten und Wartburgs, sondern auch Westautos.

In der letzten Stunde hatte er sogar zwei Motorräder gesehen. Also keine Knatter-MZs oder UraltAWOs. Richtige Motorräder eben. Diese Elsenbrücke war ein Malteparadies.

Doch nun musste er sich leider auf den Weg zu Frühstück machen, sonst würde es Ärger geben. Also machte er sich misslaunig wegen dieser unbarmherzigen Ruhla-Schüleruhr an seinem Arm auf den Rückweg Richtung Elsenstraße – und erblickte auf der anderen Straßenseite seine Mutter, die in dieselbe Richtung ging.
Die würde Augen machen, wenn sie ihn sah!

Also machte er sich auf – auf direktem Wege über die Straße. Überquerte Fahrspur um Fahrspur, den Verkehr von links fest im Blick, machte auf dem Mittelstreifen kurz halt und ging weiter, wieder Spur für Spur, diesmal den Verkehr von rechts im Blick.
So ein Mist: Da hupte einer, und schon hatte sie ihn entdeckt. Wurde also nichts mit der Überraschung.

Stattdessen wurde sie laut: Du bist wohl nicht ganz bei Trost!
Malte verstand die Welt nicht mehr. Eben hatte er sich noch gefreut, seine Mutter wiederzuhaben – aber die stand da und schimpfte ihn aus.
Nicht ganz bei Trost.
Warum sollte er Trost brauchen?
Er war doch überhaupt nicht traurig, gar kein bisschen.

Er fand sich eher frohgelaunt und mutig. Sollten doch die anderen die fünfzig Meter bis zur Fußgängerampel am Park laufen und da dumm rumstehen, bis die endlich mal wieder auf Grün schaltete. Wozu hatte Gott dem Malte schließlich Augen im Kopf wachsen lassen?

Weißt du eigentlich, was da hätte alles passieren können?! Drang die Stimme der Mutter in seine Grübeleien. Sie hatte seine forsche Straßenüberquerung offenbar nicht für mutig, sondern gefährlich gehalten.

Was aber um alles in der Welt sollte das mit dem Trost zu tun haben, bei dem er nicht „ganz bei“ sei?

Du bist wirklich verrückt!
Da war sie wieder, die Stimme seiner Mutter.
Ah, jetzt kam sie also zur Sache.
Lektion 1 für heute: Ist einer „nicht bei Trost“, ist er verrückt.
Das kann ja schließlich keiner wissen.

Vor ein paar Wochen war Malte in drei Pfingstgottesdiensten hintereinander, das war nicht zu verhindern. Vater war Pfarrer und Mutter musste auch arbeiten, und Malte und sein kleiner Bruder konnten nicht allein zu Haus bleiben – also eben drei Gottesdienste hintereinander.

Und drei Mal dieses traurige Lied „Heilger Geist du Tröster mein“. Wirklich kein Song zum Fröhlichwerden. Und jetzt sollte er gleich verrückt sein, nur weil er nicht bei Trost war?
Bei diesem Trost aus dem traurigen Lied oder wo sonst?

Malte schien es langsam so, als ob man diesen Trost auch dann brauchte, wenn man nicht traurig war, es sei denn, man wollte verrückt sein.
Das aber wollte er gar nicht.
Naja, vielleicht manchmal. In jedem Fall:
Schwierig, dieses Erwachsenen-Ding
mit dem „nicht ganz bei Trost“.

Diese Geschichte ist mir eingefallen, als ich über Pfingsten nachgedacht habe, das ja auch das Fest des Geistes Gottes ist, den Jesus seiner Jüngerschaft als TRÖSTER versprochen hatte. Ich gehöre nämlich zu den Menschen, die eher eine Frohnatur sind. Ja, ich habe auch mal schlechte Laune und kann mich dann auch lautstark ärgern. Doch wirklich traurig bin ich selten.

Als sie mir zum Beispiel in der Nacht zum letzten Sonntag mein Motorrad gestohlen hatten und ich am Morgen den leeren Fleck auf dem Parkplatz anstarrte, dachte ich eigentlich nur: Son Mist, wie komme ich heute wieder aus Karpacz nach Hause?

Ja, ich wurde irgendwann auch ärgerlich, weil in einem persönlichen Motorrad ja immer viel mehr Bastelstunden stecken als in einem Auto. Aber traurig, wirklich traurig war ich zuletzt beim Tod meiner Eltern oder Schwiegereltern. Und das ist schon ein paar Jahre her.

Also brauche ich Pfingsten gar nicht so dringend, das Fest für diesen Tröstergeist, könnte man meinen. Ich bin ja nicht einmal traurig, dass Jesus seit Himmelfahrt für mich nicht mehr zu sehen ist. Ja, seine Jünger hatten ihn lange persönlich gekannt, haben mit ihm gelebt, mit ihm gelitten. Das schweißt zusammen.

Aber ich kenne das ja nicht anders, und darum hat der Tröster bei mir nur außerordentlich selten etwas zu tun. Vielleicht geht das vielen von euch ja ähnlich.

Wenn da nun nicht die Sache mit dem „nicht ganz bei Trost“ wäre – wer will denn schon echt verrückt sein…
Nur: KANN er das, dieser Geist Gottes? Uns „ganz BEI Trost“ sein lassen?

Denn diese Welt ist doch schon immer zum Verrücktwerden.
Kriege, Krankheiten, Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Verfolgung, Tod – Hölle für Pflanzen, Tiere und Menschen, wohin man auch sieht.

Und nicht nur dann und wann, sondern an jedem, jedem Tag. Es gibt Tage, da ertrage ich das alles kaum und wünschte mir, dass der Plan Gottes irgendwie eine freundlichere Welt für uns gehabt hätte. Und die Frage nach dem „Warum“ brauche ich ja gar nicht zu stellen – eine Antwort darauf bekomme ich sowieso nicht. Und der Geist Gottes, der am Pfingstfest gefeiert wird, der soll mich, der soll uns wirklich TRÖSTEN können?

Im Bibeltext für heute steht, ich lese aus der „Gute Nachricht“-Bibel aus Ez 37:

1 Ich spürte, wie der HERR seine Hand auf mich legte. Er führte mich im Geist durch die Luft und setzte mich mitten in der Ebene nieder. Der ganze Boden war mit Totengebeinen bedeckt.
2 Der HERR führte mich überall herum und zeigte mir die Gebeine. Es waren unzählige und sie waren völlig ausgetrocknet.
3 Dann fragte er mich: »Du Mensch, können diese Knochen wieder zu lebenden Menschen werden?«
Ich antwortete: »HERR, das weißt nur du!«
4 Und er fuhr fort: »Rede als Prophet zu diesen Gebeinen! Ruf ihnen zu: ‘Ihr vertrockneten Knochen, hört das Wort des HERRN!
5 So spricht der HERR, der mächtige Gott, zu euch: Gebt Acht, ich bringe Lebensgeist in euch und ihr werdet wieder lebendig!
6 Ich lasse Sehnen und Fleisch auf euch wachsen und überziehe euch mit Haut. Und dann hauche ich euch meinen Lebensgeist ein, damit wieder Leben in euch kommt. Ihr sollt erkennen, dass ich der HERR bin!’«
7 Ich tat, was der HERR mir befohlen hatte. Während ich noch redete, hörte ich es rauschen. Die Knochen rückten zueinander, so wie sie zusammengehörten.
8 Ich sah, wie Sehnen und Fleisch darauf wuchsen und sich eine Haut bildete. Aber es war noch kein Lebensgeist in ihnen.
9 Da sagte der HERR zu mir: »Du Mensch, sprich als Prophet zum Lebensgeist, sag zu ihm: ‘So spricht der HERR, der mächtige Gott: Komm aus allen vier Himmelsrichtungen und hauche diese Toten an, damit wieder Leben in sie kommt!’«
10 Ich tat, was der HERR mir befohlen hatte. Da kam der Lebensgeist in sie und sie wurden lebendig und standen auf. Es war eine riesige Menschenmenge.
11 Dann sagte der HERR zu mir: »Du Mensch, diese Totengebeine sind das Volk Israel. Du hörst doch, wie sie sagen: ‘Unsere Gebeine sind vertrocknet, unsere Hoffnung ist dahin; wir haben keine Zukunft mehr!’
12 Darum rede als Prophet zu ihnen und sage: ‘So spricht der HERR, der mächtige Gott: Gebt Acht, ich öffne eure Gräber und hole euch, mein Volk, heraus; ich führe euch heim ins Land Israel.
13 Ihr werdet erkennen, dass ich der HERR bin, wenn ich das tue – wenn ich eure Gräber öffne und euch, mein Volk, aus ihnen heraushole.
14 Ich gebe meinen Geist in euch, damit wieder Leben in euch kommt, und bringe euch in euer Land zurück. Ihr sollt erkennen, dass ich das angekündigt habe und dass ich tue, was ich sage, ich, der HERR.’«

Große Bilder sind es, die der Prophet Ezechiel (in der Lutherbibel heißt er Hesekiel) hier beschreibt. Große Bilder aus ferner Vergangenheit, die das Denken und Fühlen von Menschen bis heute prägen.

Da ist dieses Totenfeld als Symbol für den Tod schlechthin, der das Leben und Überleben auf dieser Welt tagtäglich bedroht und belastet.
Was vom Leben bleibt, sind ausgemergelte Gebeine, kahl und funktionslos ohne Zusammenhalt und in heillosem Durcheinander. Ohne Sinn, der Lebensgeist ist ausgehaucht. Ohne jede Zukunft, und doch ist jedes Skelett einmal ein geistvoller Mensch gewesen.

Die Auferstehung der Toten ist hier gedacht AUCH als Auferstehung des Fleisches. Auch wenn diese plastischen Bilder von neu wachsenden Sehnen, Fleisch und Haut und die damit verbundenen Geräusche erschrecken mögen: Es ist noch nicht so lange her, dass in unserem Glaubensbekenntnis von der „Auferstehung des Fleisches“ anstatt der „Auferstehung der Toten“ die Rede war. Die Älteren unter uns werden sich an die Neufassung des Textes Anfang der 70er Jahre erinnern.

Hier wird alles neu: Der Mensch, sein Körper. Das Geräusch ist für den Propheten deutlich wahrnehmbar (auch das eher unheimlich), als sich das Durcheinander der Knochen ordnet, jeder wieder an seinen Platz kommt und schließlich menschliches Aussehen bekommt. Welche Labsal, wenn alle Schmerzen und Unfunktionalitäten aus dem eigenen Körper verschwinden!

Und zu guter Letzt kommt auch wieder Leben in die Körper. Aus allen Himmelsrichtungen lässt Gott es heranwehen. So werden aus geistlosen, schlaffen Toten geisterfüllte, starke Menschen.

All das geschieht nicht ohne Sinn. Die Israeliten um Ezechiel, verbannt aus ihrem Zuhause, fühlen sich nämlich von allen guten Geistern verlassen. Kollektive Niedergeschlagenheit hat sich breit gemacht. Trauer um die vielen Toten, Trauer um den Verlust der geliebten Heimat und des heiligen Tempels – tiefe Hoffnungslosigkeit hat das Volk ergriffen.

Doch hier, in der Vision des Ezechiel, ist Trost sogar bei kollektiver Niedergeschlagenheit.
Das Geschenk der Ewigkeit für Menschen in jeder Zeit:
Gott wird selbst die Toten aus ihren Gräbern holen,
sein Geist wird die Menschen mit neuem Leben erfüllen.

Was dem Propheten selbst, der nur ein Mensch ist, ja was ALLEN Menschen unmöglich ist:
Gott BEGEISTERT sie von neuem.
Er wird ALLE neu begeistern.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Pfingsten ist unser Fest, mit dem wir diesen Geistes Gottes feiern.
Sein Heiliger Geist schafft alles und erfüllt alles mit Leben.

Bei der Erschaffung der Welt schwebte der Geist Gottes über den Wassern und lässt entstehen, worin wir leben. Aus geistloser Materie werden Pflanzen, Tiere und Menschen – geistvoll und voller Leben. So erzählen es uns die Schöpfungsgeschichten.

Und in der Vision des Ezechiel schafft dieser Geist erneut das, was kein Mensch vermag: Eine neue, geisterfüllte Welt, in der die alte Welt all ihre Schrecken verliert und neues Leben möglich wird – selbst nach der eigenen Verwesung.

Dieser Geist ist es,
der der traumatisierten Jüngerschaft Jesu fünfzig Tage nach Ostern neue Kraft in die Körper fahren lässt und sie mit neuem Leben erfüllt.

Dieser Geist ist es,
der die Menschen seit jeher davor bewahrt, an dem Sosein des Lebens und dieser Welt zu verzweifeln, verrückt zu werden.

Dieser Geist IST
der „Trost der ganzen Welt, worauf sie all ihr Hoffen stellt“, wie es in unserem Adventslied „Oh Heiland, reiß die Himmel auf“ heißt.

Also lasst uns Pfingsten feiern, denn:

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die GEMEINSCHAFT des Heiligen Geistes

sind es,
die uns alle „ganz bei Trost“ sein lassen.
AMEN

LIED 130 1.3.5
1. O Heilger Geist, kehr bei uns ein
und lass uns deine Wohnung sein,
o komm, du Herzenssonne.
Du Himmelslicht, lass deinen Schein
bei uns und in uns kräftig sein
zu steter Freud und Wonne.
Sonne, Wonne,
himmlisch Leben willst du geben, wenn wir beten;
zu dir kommen wir getreten.

3. Steh uns stets bei mit deinem Rat
und führ uns selbst auf rechtem Pfad,
die wir den Weg nicht wissen.
Gib uns Beständigkeit, dass wir
getreu dir bleiben für und für,
auch wenn wir leiden müssen.
Schaue, baue,
was zerrissen und beflissen, dich zu schauen
und auf deinen Trost zu bauen.

5. O starker Fels und Lebenshort,
lass uns dein himmelsüßes Wort
in unsern Herzen brennen,
dass wir uns mögen nimmermehr
von deiner weisheitsreichen Lehr
und treuen Liebe trennen.
Fließe, gieße
deine Güte ins Gemüte, dass wir können
Christus unsern Heiland nennen.

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