Wir dürfen glauben.
Glauben, dass unsere Grenzen
nicht durch den Tod,
sondern durch Gott gesetzt sind.
Wir dürfen selig sein:
Protestleute gegen den Tod.
Uns bestimmt nicht die Angst vor dem Ende,
sondern die Freiheit des Ewigen Lebens.
Denn so steht es geschrieben:
Christus Jesus hat dem Tode die Macht genommen
und das Leben
und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht
durch das Evangelium.
(2 Timotheus 1,10b)
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Heute geht es hier um eine spannende Begebenheit aus der Apostelgeschichte des Lukas, die wohl um das Jahr 44 n.Chr in Jerusalem spielt. Es ahnen nur Eingeweihte, sicher aber niemand von den vielen fremden Besuchern des Passahfestes, dass ihnen nach den „Tagen der ungesäuerten Brote“, so heißt die Woche nach dem Passahfest, noch ein besonderes Spektakel zugedacht war.
Der König Agrippa I., auch kurz „Herodes“ genannt, war erst vor drei Jahren von seinem Schulfreund, dem Kaiser Caligula in Rom, in sein Amt eingesetzt worden. Herodes war historisch eine schillernde Persönlichkeit: Von den einen als Playboy, Schuldenmacher und Glücksritter beschrieben, von den anderen als Thora-treuer Makkabäer.
Herodes hatte nun herausgefunden, dass er sich mit durchgreifenden Maßnahmen gegen die junge christliche Gemeinde bei den traditionsbewussten Kräften des jüdischen Volkes beliebt machen und seine Macht ausbauen konnte.
Wodurch genau die Christen so gründlich in Ungnade gefallen waren, bleibt allerdings unklar. Vielleicht genau so wie sich heute nicht erklärt, dass die kleine Gruppe der Migranten heute in Deutschland Schuld an allen politischen Problemen sein soll.
Klar ist allerdings schon immer: Wer sich profilieren will, macht das am besten auf Kosten einer Minderheit, die nicht in Gefahr steht, plötzlich als Mehrheit politische Macht zu bekommen. Die können sich nämlich kaum wehren. Denn ist der Volkszorn erst einmal geweckt, werden schwerwiegende politische Probleme wie politische Bevormundung, Meinungsdiktat und Unfreiheit zum „Fliegenschiss in der Weltgeschichte“…
Für die Römer jedenfalls waren „Altgläubige“ genau wie „Neugläubige“ nur verschiedene Gruppen von Juden, beide verehrten denselben Gott. Vielleicht gewannen die Neuen zu viel Boden? Vielleicht machten sie auch nur „alles anders“?
In jedem Falle waren die Neugläubigen den Traditionalisten im Wege, weil sie deren gesellschaftliche Position antasteten. Und der König konnte so mit der Zustimmung der Massen rechnen, wenn er gegen diese Minderheit vorging. So funktioniert das schon immer, bis heute.
Gerade hatte der König den Zebedaiden Jakobus hinrichten lassen und prompt großen Beifall bekommen- auch wenn diese Hinrichtung gegen jüdisches Recht vorgenommenen worden war. So lässt den König gleich den nächsten Gemeindeleiter festsetzen. Er wollte ihn nach dem Fest vorführen und aburteilen lassen.
Weltgeschichte mit bizarrem Witz: Justizmorde bitte nur unter Beachtung der Feiertagsruhe, die Regeln müssen eingehalten werden! Die Ähnlichkeiten mit der Hinrichtung des Jesus von Nazareth 12 Jahre vorher sind kein Zufall.
Der nun Verhaftete, Simon Petrus, ist ein uns wohlbekannter „Serienheld“ der Evangelien. Als Vertrauter Jesu und Sprecher seiner Jüngerschaft ist er weder Mitläufer noch ein langweiliger Jasager. Aber auch als strahlender Heiliger geht er nicht durch: Er hat schon richtig Angst, wenn er in einer Falle sitzt.
Ihr erinnert euch sicher an seine Wandelversuche auf dem See. Oder dass er einschläft, als Jesus im Garten Gethsemane sein Gebet nötig gehabt hätte. Oder dass er cholerisch aufbrausen kann und dem Knecht des Hohenpriesters mit dem Schwert ein Ohr abtrennt. Oder Jesus drei Mal verleugnet… Dennoch hat Jesus ihm einen Ehrentitel verliehen. Er hat ihn „Felsen“ genannt und über ihn gesagt: „Auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen“.
Und genau so war es denn auch geschehen. Simon Petrus wurde einer der ersten Zeugen der Auferstehung, ein wirklich erfolgreicher Prediger der jungen Jesusgemeinden. Kaum jemand, der ihn vor Jahren seine Fischer-Netze hatte auswerfen sehen, hätte diese Entwicklung je für möglich gehalten.
Jetzt wird Simon Petrus im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses in Verfahrung genommen. Die Bewachung ist streng: 16 Männer lösen sich, jeweils zu viert, alle drei Stunden rund um die Uhr ab. Die Wachen sind präzise geordnet: Zwei Männer sind innerhalb der Zelle an den Gefangenen gekettet, die beiden anderen stehen vor der Zellentür. Nichts soll schief gehen nach den Feiertagen.
Vor wem hatte man solche Angst hatte? Vor den Gebeten der Frauen und Männer aus der Anhängerschaft des Petrus sicher nicht. Oder fürchteten die Soldaten selbst ein ähnliches Schicksal wie das der Wache am Grabe Jesu am Ostertag, die sicher teuer dafür bezahlen mussten, dass ihnen der tote Jesus abhanden kam? Davon erzählten sich die Menschen in den Gemeinden jedenfalls oft und nicht ohne Genugtuung.
Aber plötzlich passiert die Erscheinung eines Engels in der Gefängniszelle, mit ganz ähnlichen Attributen wie der aus der Weihnachtsgeschichte des Lukas. Der Engel kommt, begleitet vom Licht, durch verschlossene Türen, weckt den schlafenden Petrus mit einem Schlag auf die Hüfte, die Ketten zerreißen und fallen ab.
Völlig ohne Hast passiert das Folgende: Alltägliche Verrichtungen wie Gürtel umtun, Schuhe anziehen und Mantel überwerfen.
Die Wächter indes schlafen weiter.
Petrus selbst ist während seiner Befreiung völlig passiv, ja geradezu lethargisch. Er glaubt nämlich zu träumen. Erst nachdem sich ihnen das verschlossene eiserne Tor des Gefängnishofes von selbst geöffnet hat, erst nachdem beide eine Straße weiter gegangen sind, erst nachdem der Engel ihn schließlich einfach verlässt, kommt Petrus zu sich.
Begreift, dass er wach ist.
Wach und frei.
Jetzt endlich begreift er die Existenz des Engels Gottes, und dass sich ihm tatsächlich ein neuer Weg des Lebens auftut. Was tun als freier Mann? Er beschließt, auf direktem Wege in das Haus zu gehen, in dem die Gemeinde zusammen ist und für betet.
Dort lässt man ihn zunächst nicht ein, obwohl man sehr wohl erkannt hat, dass Petrus persönlich vor der Tür steht. Es ist ja unmöglich, dass er dort steht.
Gebetserhörung? Die gibt’s doch nur in der Bibel…
Aber Petrus gibt nicht auf und klopft weiter, bis sie ihn endlich einlassen.
Er erzählt von dem Engel, weiß, dass er nicht bleiben sollte. Man soll auch sein Engel- Glück nicht versuchen. Darum begibt er sich an einen ungenannten Ort. Später taucht er in der Apostelgeschichte nur noch einmal im Zusammenhang mit dem Apostelkonzil in Jerusalem auf, dann verliert sich seine Spur.
All das könnt ihr in der Apostelgeschichte des Lukas ab Kapitel 12 nachlesen. Hier kann man auch erfahren, was Herodes mit den gescheiterten Wächtern macht, aber auch wie das Leben des Königs selbst nur kurze Zeit später zu Ende geht.
Aber zurück zur Geschichte. Was ist die gute Nachricht, das Evangelium? Gott befreit seine Menschen aus schier auswegloser Lagen? Zwei wichtige Gründe sprechen dagegen. Erstens wissen wir aus verschiedenen Berichten, dass Simon Petrus sein Engelglück auch irgendwann verlassen hat und er später den Märtyrertod starb. Zweitens wissen wir aus der Apostelgeschichte selbst, dass der Zebedaide Jakobus, einer der treuesten Jünger Jesu, schon vor der Gefangennahme des Petrus den Tod des Märtyrers gefunden hatte.
Also: Kein Garantieversprechen für Christusjünger auf Happy-End. WENN uns diese aufregende Geschichte des Petrus dennoch zu einem Beispiel des Glaubens werden, dann nur deshalb, weil wir offenbar von Gott erwarten dürfen, dass ER nicht am Ende ist, wenn WIR am Ende sind. Es geht wieder einmal um den anderen Blickwinkel, den anderen Standort, den Perspektivwechsel, die Öffnung unseres Horizontes: Gott kann den Menschen mitten im November die Sommer-Sonne scheinen lassen, wenn sie das denn nötig haben.
In die vielen Fallen von Gefangenschaften gehen wir Menschen oft. Angebunden, gefesselt, in der Freiheit eingeengt und in den Möglichkeiten begrenzt. Manchmal bringen einen andere, manchmal begibt man sich selbst in Situationen, aus denen es keinen Ausweg gibt.
Da sind nicht nur die vielen Gefangenen-Lager oder Gefängnisse mit ihren Gittern und den Stacheldrahtrollen. Da sind auch durch alle Zeiten der Welt goldene Käfige. Da saßen und sitzen viele gefangen in Vorschriften, Regeln, gesellschaftlichen Zwängen, Erfolgsdruck. Und das Entfliehen ist hier kaum leichter als aus dem Gefängnis.
Oder da sind dunkle Gefangenschaften der Seele. Trauer, Depression, Psychosen. Oder Gefangenschaften durch körperliche Gebrechen, die jede Freude und Ausgelassenheit des Lebens zu verhindern wissen.
Die vielen Gefangenschaften, in die ein Leben geraten kann, führen einen gnadenlos an die Grenzen der eigenen Wehrhaftigkeit. Zeigen einem die eigene Machtlosigkeit. Und nicht erst seit der Hinrichtung des Jakobus ist klar, dass wunderbare Errettungen keine Selbstverständlichkeit darstellen. Es gab und gibt keinen Anspruch auf ein Wunder nach Wunsch. Auf ein einfaches, leichtes Leben. Auch nicht für die Menschen, die Gott kennen und mit ihm zu leben versuchen.
Lukas beschriebt in dieser Geschichte, wie die Befreiung von außen kommt. Der Besuch des Engels, ER bringt dieses Licht von außen in das Gefängnis. Ein Besuch, ein Wort, ein Blick, eine Geste. SEIN Erscheinen bringt neue Hoffnung, Geborgenheit, Zuversicht.
Wahre Befreiung geschieht nie aus uns selbst heraus, sondern immer von außen. DAS ist die Lektion, die hier nicht nur Petrus lernt, sondern auch die für ihn betende Gemeinde. Für sie wird der draußen vor der Tür stehende Petrus zu ihrem Engel des Augenblicks.
Einer, der sein Gefängnis nicht lebend verließ, Dietrich Bonhoeffer, schrieb Ende 1943: „So eine Gefängniszelle ist übrigens ein guter Vergleich für die Adventssituation; man wartet, hofft, tut dies und jenes – letzten Endes Nebensächliches – die Tür aber ist verschlossen und kann nur von außen geöffnet werden“.
Von außen! Bonhoeffer aber wird es körperlich so gehen wie Jakobus und später auch Petrus. Aber auch Bonhoeffer wird als freier Mensch sterben.
Noch wunderbarer als die Befreiung des Petrus ist daher genau besehen das Ende der „Geschichte“. Trotz der vielfältigen Bedrohung der Christenheit, trotz des Kleinglaubens der Christen, trotz der unendlich vielen Rückschläge bis hin zum Martyrium heißt es am Ende der Geschichte der Apostel bei Lukas: „Und das Wort Gottes wuchs und breitete sich aus.“
Meine Schwestern, meine Brüder:
O Freedom, o Freiheit! heißt es in einem der bekanntesten Spirituals. „O Freiheit! Möglichst bald frei sein! Ich will kein Sklave mehr sein, lieber möchte ich begraben sein, damit ich heimkehre zu meinem Gott und frei bin. Ich möchte nicht mehr jammern, nicht mehr weinen, nicht mehr in die Knie gezwungen werden, ich möchte nur noch singen, damit ich heimkehre zu meinem Gott und frei bin“.
Die schwarzen Sklaven in Amerika lebten entwurzelt, unterdrückt und fast ohne Hoffnung wie in einem Gefängnis. Der letzte Zufluchtsort, der ihnen blieb, war für viele ihr Glaube an Gott. Gott, der Wunder tun und Menschen aus schier aussichtsloser Lage befreien kann.
So entstanden ihre Gesänge, und mit ihnen gewannen die Sklaven ihre Hoffnung zurück, dass Gott seine geliebten Kinder nicht im Stich lassen werde. Sie sangen sich gegenseitig Mut zu, gewannen durch die Stimmen der Mitsänger ihre Menschenwürde und so die Freiheit Gottes.
Auch die ganze Geschichte Israels ließe sich als Geschichte der Befreiung durch Gott lesen, und ich meine die Geschichte im ersten UND zweiten Teil der Bibel. Von der Befreiung aus der Sklaverei Ägyptens bis zur Befreiung von der Macht des Todes. Durch die vielen Engel Gottes von Gabriel bis Johannes.
Sicher ist: Engel werden kommen, für jeden von uns. Gott lässt seine Menschen nicht in Gefangenschaft. Seine Boten befreien aus allen Menschenfallen. Aus denen, die schon waren, noch sind oder kommen.
Ob wir unsere Engel wahrnehmen werden?
Wird unsere Perspektive stimmen?
Werden wir sie einlassen, wenn sie uns besuchen?
Werden wir mit ihnen reden, wenn sie mit uns sprechen?
Werden wir uns ärgern, wenn sie uns in die Seite stoßen?
Werden wir uns trösten lassen, wenn wir untröstlich sind?
Werden wir ihnen folgen, wenn sie vorangehen?
Also: Augen, Ohren und Herzen auf.
Das Wort Gottes wächst und breitet sich aus.
Es birgt die Liebe Gottes,
die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes.
Seine Engel tragen es zu uns: Das Wort unserer Befreiung.
AMEN