Leben
wir können es nicht
kaufen oder schaffen
lebensWERT ist es nicht,
weil wir es LEISTEN
Leben ist Geschenk
wer denken kann
muss danken
GOTT SCHENKT ES
EINmal ganz am Anfang
und NEU an jedem Tag
Aller Augen warten auf dich,
und du gibst ihnen ihre Speise
zur rechten Zeit. Psalm 145,15***
Ein Mann hatte einen Garten. Seit Ende der 19 60ger Jahre. Er grub ihn um, er pflanzte, er bewässerte ihn. Das ganze Jahr über, bis in den Herbst hinein, wuchs und blühte es. Schöne Früchte und würzige Kräuter, Blumen aller Art und schattige Bäume- ein kleines Paradies.
Wan immer es Zeit und Beruf erlaubten, ging der Mann schon morgens früh in seinen Garten. Und wenn er dann seine Arbeit tat oder auch nur in aller Ruhe dem Gesang der Vögel zuhörte, freute er sich über das, was er sah und hörte.
Und noch mehr: Die Nachbarin von gegenüber öffnete oft ihr Fenster weit, um sich an dem schönen Garten zu erfreuen. Freundlich grüßte sie dann den Mann und fand auch immer ein paar nette Worte. Auch Kinder kamen und durften Äpfel sammeln und Kirschen von den Bäumen pflücken. Sie halfen ihm auch, trugen mal eine Kanne Wasser. Und mancher erbat sich schnell über den Zaun ein Sträußchen frischer Kräuter.
Kollegen und Bekannte des Mannes trafen sich oft in seinem Garten und saßen dann im Schatten. Sie redeten über die großen und kleinen Probleme und Freuden des Lebens. Wenn sie auch nicht immer Lösungen wussten, so gab es doch oft einen Rat, oder man hatte sich doch wenigstens mal wieder gut unterhalten.
Ein paar Jahre später, Anfang der 90ger Jahre, nicht lange nach der Wende, kam dem Mann in den Sinn: Was soll ich mich hier noch abmühen? Inzwischen kann man doch alles preiswert kaufen. Die anderen wissen schon, warum sie sich nicht die Mühe eines eigenen Gartens machen: Man spart Zeit und Rückenschmerzen. Wie viel Zeit hätte ich für mich, wenn ich ihn einfach aufgäbe? So dachte er und schloss die Gartenpforte hinter sich zu. So kam es denn, dass der Mann sein kleines Paradies verließ.
Die Monate vergingen und wurden zu Jahren. Der Garten wucherte zur Wildnis. Sogar der Brunnen fiel ein. Früchte fielen zur Erde, keiner sammelte sie auf. Der Mann selbst saß zu Hause. Ruhe war eingekehrt, jetzt, da er sich aller Mühe entledigt hatte. Die Gartenbank stand einsam in Regen und Schnee.
Doch seltsam: Das gekaufte Obst schmeckte ihm nicht halb so gut wie ein ausgeschnittener Fallapfel. Langeweile zog ein in sein Leben. Vorher kannte er so etwas nicht. Mit keinem konnte er so richtig und ohne Zwang reden, weder über die einfachen Dinge noch über die komplizierten. Dabei hatte er zu Hause Zeit und Ruhe genug, um über alles nachzudenken, was ihn bewegte.
Er vermisste seine „Gartenrunden“, die schon lange ausfielen. Und wenn er Kollegen oder Bekannte mal auf der Straße traf, dann passte es nie. Er dachte auch an die Nachbarin gegenüber und ihr offenes Fenster, an die Vögel, die irgendwie auch nicht mehr so schön sangen und die Kinder, die er auf ihrem eiligen Schulweg nur noch kurz sah.
Jetzt, da er ganz für sich lebte und wirklich viel Zeit hatte, fehlte ihm etwas. Obwohl äußerlich Ruhe war, er sich nach der Arbeit ordentlich ausruhen konnte, war es in ihm unruhig geworden. Ihm fehlte innerer Frieden. Irgendwann hielt er es nicht mehr zu Hause aus. Er zog seine Schuhe an und lief zu seinem Garten. Ach, was ist bloß aus Dir geworden? Du siehst ja so wüst aus, wie es auch in mir ist!
Die Pforte ging schwer auf, zu viele Blätter hatten sich hinter ihr gesammelt. Er sah sich alles genauer an. Da zupfte ihn jemand am Hemd: „Onkel, dürfen wir wieder Äpfel sammeln? Du warst ja schon lange nicht mehr hier!“ Der Mann sah sich um. Hinter ihm stand eines der Kinder, die immer zu ihm kamen. „Ja, natürlich darfst du, und die anderen auch.“
Drüben im Haus der Nachbarin gegenüber wackelte erst die Gardine, und dann öffnete sich auch das Fenster: „Guten Tag, Herr Nachbar. Sie haben uns alle ganz schön vernachlässigt. Uns und ihren Garten!“ Und in Gedanken, leise, fügte er hinzu: Und mich selbst habe ich vernachlässigt.
Ruhig band er eine Rose hoch, die den Kopf hängen ließ. ‚Wir haben auf dich gewartet, sie haben uns vernachlässigt’ – diese beiden Sätze klangen immerzu in seinen Ohren, als er mitten im Garten stand. Ein wenig Freude stieg in ihm auf.
Drüben standen die Apfel- und Kirschbäume, als hätten auch sie auf ihn gewartet, ebenso wie die Blumenstauden, die es noch geschafft hatten, aus dem harten Boden herauszutreiben. „Bist du krank gewesen, Onkel?“ Schon stand ein weiteres der Kinder hinter ihm. „Ja, krank, so könnte man es sagen.“ „Bist Du jetzt wieder gesund?“ Er wusste es nicht so genau.
„Herr Nachbar, es ist wirklich schön, dass sie wieder zu uns gekommen sind.“ Mit diesen Worten stand- übrigens zum ersten Mal- die Frau von gegenüber an seiner Gartenpforte. Etwas fordernd hatte sie auch gleich zwei Hacken mitgebracht.
„Na, dann wollen wir mal“, klang es fast wie aus einem Munde, und sie lachten darüber. Bei der Arbeit erzählte eines der Mädchen, die Eltern hätten bis 1990 auch einen Garten gehabt, jetzt aber keine Zeit mehr, weil man ja soviel sehen könnte in der Welt. Aber ihr fehlten die Schaukel und der Kletterbaum und das Kaffeetrinken im Freien. Der Mann konnte sie verstehen.
Irgendwann machten sie Pause. Und als die Nachbarin frisches Brot, Käse und eine Flasche selbstgemachten Safts aus ihrer Wohnung holte und servierte, und als die Kinder dazu eine Schüssel voller Äpfel auf den Tisch stellten, da kehrte ein Stück Frieden zu ihm zurück. Als hätte sich nicht nur die Pforte im Garten wieder geöffnet, sondern auch etwas in ihm.
Die Vögel sangen auch wieder schöner als noch vorgestern. Er sah den Kindern zu, die wohl bald nach Hause mussten, aber noch einmal eine Runde durch „ihren Garten“ drehten. Er aß und trank noch ein wenig und plauderte mit der Nachbarin.
Abends konnte er lange nicht einschlafen. Er musste an das Mädchen denken und an den Garten, den sie so geliebt hatte. Er dachte an die Nachbarin, die seinen Garten und auch ihn vermisst hatte. Der vergangene Tag war für ihn wie ein neuer Anfang, wie ein Morgen.
Plötzlich hörte er sich etwas sagen, woran er schon lange nicht einmal mehr gedacht hatte, er sagte nämlich: „Danke, Gott! Danke für alles!“ und weil er gerade dabei war, mit Gott zu reden, fügte er hinzu: „Ich bitte Dich auch, dass noch mehr Menschen das erleben dürfen, was ich heute erlebt habe.“
Dann schlief er ein.
Als er am nächsten Tag, es war ein Sonnabend im Oktober, weiter daranging, seinen Garten in Ordnung zu bringen, fiel ihm auf, da doch noch etwas fehlte:
Ob die alte Kollegen und Bekannten wohl nun auch öfter wiederkommen würden? Er stutzte. Kamen sie nur wegen seines Gartens? Es schien fast so, denn sie hatten sich lange nicht sehen lassen. Aber kümmerte er sich nur um seinen Garten, damit alle gern zu ihm kamen? Weil sie bei ihm etwas hatten, was sie zu Hause nicht hatten? Andererseits: Er hatte sich um die anderen ja auch nicht gekümmert, obwohl er die Gartenzeit gespart hatte.
Er sammelte gerade ein paar Blumenknollen ein, um sie vor dem Frost in den sicheren Keller nach Haus zu bringen und war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob es richtig war, wieder fast jede freie Minute im Garten zu verbringen. Gab es nicht überall viel wichtigeres zu tun?
Andererseits: Was war wichtiger, wenn es in einem Menschen traurig aussah, als irgendwie wieder froh zu werden? Was hatte er denn schon mit seiner Zeit Großes anfangen Können, als er sich selbst so unwohl fühlte? Was war nun richtig? Was falsch?
Er spürte, dass das Grübeln seine Laune nicht gerade verbesserte. Und weil er keine Antwort fand, beschloss er, dieses Problem zu vertagen und begann, mit der Sense der zugewucherten Wiese wieder einen Schnitt zu geben. Die Arbeit machte ihm dann Spaß, das Wetter war für den Oktober gut und er hatte noch einen schönen Tag.
Am nächsten Morgen, es war der Erntedanktag, weckten ihn die Glocken der nahegelegenen Kirche. Er sah auf die Uhr- es war erst das Vorläuten, eine Stunde vor dem Gottesdienst. Da beschloss er, seit langer Zeit einmal wieder in die Kirche zu gehen. Mindestens einen guten Grund hatte er: Schließlich war er sich ganz sicher, dass Gott ihm seinen Garten wiedergegeben hatte. Also hatte genug Grund zum Dank.
Er stand auf, tat das, was er jeden Morgen nach dem Aufstehen tat, saß dann irgendwann in der Kirchenbank und hörte den Predigttext aus dem Buch des Jesaja (58,7-12):
Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.
9 Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.
Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest,
10 sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag.
11 Und der HERR wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.
12 Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet ward; und du sollst heißen: “Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, dass man da wohnen könne”.
Brich dem Hungrigen dein Brot, lass den Hungrigen Dein Herz finden: Der Mann spürte plötzlich, dass damit nicht nur all die gemeint sein konnten, die überall auf der Welt zu wenig zu Essen haben. Hunger ist ja nicht nur der Hunger nach Brot. Als er seinen Garten nicht hatte, saß der Hunger viel tiefer und näher, obwohl er doch genug zu essen hatte.
Wenn nämlich die Seele hungert danach, zufrieden zu werden oder Frieden zu finden, dann ist man plötzlich selbst der Hungernde. Man selbst oder die Kinder aus seinem Garten, oder die Nachbarin von gegenüber. Viele Menschen laufen doch durch ihr Leben mit hungrigen Augen. Wissen oft nicht, WONACH sie hungrig sind. Oder sie schieben es weg. Und dabei ist das Brot, was ihren Hunger stillen könnte, oft näher als sie denken. Selbst sein kleiner Garten ist solches Brot.
Nun war er sich sicher: Auch die Freunde würden wieder öfter kommen, wenn er die Ruhe, die Sonne und die Vögel seines Gartens wieder mit ihnen teilen würde. Und ihm würde es dann noch besser gehen als gestern. Er erkannte, was er bisher übersehen hatte: Wenn es den anderen bei ihm gut ging, dann würde es auch ihm gutgehen. Geteilte Freude oder geteiltes Leid: So große, wichtige Dinge gab es in seinem Garten.
Meine Schwestern, meine Brüder,
Gott hat uns reicher beschenkt als viele andere auf der Welt, auch wenn die Obsternten in diesem Jahr durch den Frost im Frühling mehr als mager ausgefallen sind. WAS jeder von euch teilen kann, wonach andere hungern, wird euch selbst am besten einfallen, das muss ich such nicht sagen.
Denkt einfach an den Garten des Mannes. In ihm spielt sich Lebens-Zeit von vielen ab. Wie schön wäre es, könnte sich das Leben auch außerhalb dieses Gartenzaunes so einfach und freundlich abspielen.
Sicher, die Welt ist anders. Doch ein Anfang dazu sind solche Gärten und Menschen, die solche Paradiese geschenkt bekommen haben und sie bewahren wie der Mann seinen Garten bewahrt hat. Wenn Menschen miteinander teilen, was Gott ihnen schenkt, werden sie miteinander satt werden. Das ist es wohl, was der Prophet Jesaja schon vor fast dreitausend Jahren meinte:
Brich dem Hungrigen Dein Brot. Dann wird deine Heilung schnell voranschreiten. Und Du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. Und Du sollst heißen: „Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, dass man da wohnen könne“.
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes werden uns recht wohnen lassen. AMEN