Ein Jahr geht zu Ende
Wir schauen zurück – dankbar, auch schuldbewusst
Wir schauen voraus – in Hoffnung, aber nicht ohne Sorge
Wir suchen das Wort, das uns entlastet
dass Mut macht, das Wort Gottes
Unsere Zeit liegt allein in SEINER Hand
Nichts Böses kann uns geschehen
Barmherzig und gnädig ist der HERR,
geduldig und von großer Güte.
Psalm 103,8
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Bevor wir alle nach Hause gehen, um fröhlich zu sein und Silvester zu feiern, gibt es hier erst mal einen Dämpfer als Predigttext. Man hat uns eine Bußpredigt des Propheten Jesaja aufgetragen, knapp 3000 Jahre alt. Ich lese aus Jesaja 30 die Verse 15-17:
15 Denn so spricht Gott der HERR, der Heilige Israels:
Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Vertrauen würdet ihr stark sein.
Aber ihr wollt nicht
16 und sprecht: »Nein, sondern auf Rossen wollen wir dahinfliehen«, – darum werdet ihr dahinfliehen, »und auf Rennern wollen wir reiten«, – darum werden euch eure Verfolger überrennen.
17 Denn euer tausend werden fliehen vor eines Einzigen Drohen; ja vor fünfen werdet ihr alle fliehen, bis ihr übrig bleibt wie ein Mast oben auf einem Berge und wie ein Banner auf einem Hügel.
Wie wenig die Zeiten sich doch geändert haben! Lässt man die etwas altertümliche Sprache mal außen vor, liest er sich wie Fernsehwerbungen heutiger Tage. Die zum Beispiel, in der sich zwei Männer nach langer Zeit in der Kneipe wiedertreffen und ihre Lebensleistung anhand von Fotos aus ihrer Brieftasche vorstellen: Mein Haus, mein Auto, meine Yacht.
Haus, Auto, Yacht: Inbegriff dessen, was man erreicht haben sollte, wenn man „dazugehören“ will. Zu den „Erfolg“- „Reichen“. Zu denen, die etwas geleistet haben und darum sich etwas leisten können. Das Haus ist natürlich kein Reihenhaus, sondern eine Villa mitten im eigenen Park. Die Yacht ist natürlich kein Ruderboot und das Auto kein Passat, vor allem kein Zwei- oder Dreiliter TDI, sondern mindestens ein 1965er Ford Mustang mit 306 PS starkem 4,7-Liter-V8. Natürlich in Originallackierung. Und wenn dann noch ein eigenes Reitpferd samt Tierpfleger in irgendeiner Box zu finden sind, dann ist man da, wohin viele andere lebenslang hinmöchten. Dann gilt man etwas, ist bedeutend. Keiner kommt so einfach an einem vorbei. Man ist mächtiger als andere.
„Auf Rennern wollen wir reiten!“ „Auf Rossen dahinjagen!“ Hören sich die Träume aus den Zeiten Jesajas wirklich so anders an? Was aber hat Jesaja gegen ein wenig Luxus? Muss denn jeder in Trainingsanzug und Turnschuhen rumlaufen?
Es geht hier nur scheinbar um Luxus. Jesaja wendet sich viemehr vehement gegen bestimmte Pläne der führenden politischen Kräfte in Jerusalem. Die spielen mit ihren Muskeln. Wollen mächtiger werden. Wollen den Aufstand organisieren.
Durch den Thronwechsel in Assur von Sargon II. zu Sanherib im Jahre 705 meint Hiskia, Oberwasser zu bekommen. Jetzt will er selbst eine tragfähige antiassyrische Koalition zustande bringen. Nicht nur bei den Philistern und Phöniziern, auch in Ägypten sucht er nach Rückendeckung.
Jesaja aber fragt ihn: Was willst du denn damit erreichen? Dein Ziel ist doch nur, deine eigene Macht zu vergrößern. Selbst mehr darstellen zu wollen. Doch will Gott das? Zu wessen Wohl wird diese Unternehmung denn laufen? Zum Wohle der Gerechtigkeit? Wer wird denn letztlich darunter leiden, wenn es letztendlich zum Krieg kommt? Du? Oder die vielen Familien, die ihre Toten beklagen?
Wozu das alles? Um in die Annalen der Geschichte einzugehen? Zur Selbstdarstellung persönlicher Macht? Für die sogenannte Unabhängigkeit? Unabhängigkeit von wem? Gibt es überhaupt einen einzigen unabhängigen Menschen auf der Welt? Sollen Muskelspiele, „Rösser“ und „Renner“ das frühe Lebensende vieler Menschen wert sein?
„Bis ihr übrig bleibt wie ein Mast oben auf einem Berge und wie ein Banner auf einem Hügel.“ Das Bild von dem Banner auf der Bergspitze, der am Ende einsam wehend steht, ist kein Zeichen der Hoffnung für erneute Sammlung und Vorbereitung zum Angriff. „Denn euer tausend werden fliehen vor eines Einzigen Drohen; ja vor fünfen werdet ihr alle fliehen“. Die einsame Fahne auf dem Berg ist Symbol einer radikalen militärischen Niederlage. Und die wird es tatsächlich geben, wie ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt.
Das Ende dieses Jahres: SILVESTER.
Wie in jedem Jahr ein Tag voller Partystimmung. Da treffen sich viele mit Freunden zum Fondue und schmücken die Wohnungen mit Luftschlangen. Die Stimmung ist ausgelassen, und ab 24 Uhr wird das neue Jahr mit Glockenläuten, Feuerwerk, Sekt und viel Lärm begrüßt. Die meisten amüsieren sich königlich und lassen es mal so richtig krachen.
Man hat es sich schließlich verdient. Die Wirtschaft wächst langsam, aber doch stetig; das Konsumverhalten ist ungebrochen gut, die Beschäftigungslage ist so gut wie seit langem nicht mehr. Mein Haus, mein Auto, meine Yacht.
Und doch hat mancher schon ausgelassener Silvester gefeiert als in diesem Jahr.
Vom Front National über die Kräfte beim Brexit bis hin zur Wahl Trumps: Die Ideologen sind scheinbar ÜBERALL auf der Welt auf dem Vormarsch. Die, die hochkomplizierte Lagen durch einfachste Stammtisch- Ideen auflösen wollen. Überall, auch bei uns in Deutschland, wachsen politische Kräfte, die so tun, als wären alle Probleme gelöst, wenn man sich auf die eigene Kraft und Stärke besinnen würde.
Die Russen nehmen sich die Krim und lassen die Ukraine im Krieg versinken. Assad wird von Russen und Türken gemeinsam gerettet. Man führt seine Kriege lieber im Ausland. Noch nie sind so viele Flüchtlinge über das Mittelmehr nach Europa geflohen, und noch nie sind dort so viele ertrunken wie in diesem Jahr. Und die Zahlen derer, die auf der Flucht die EU erreichen, sinkt dennoch.
Fast eine Milliarde Menschen auf der Welt hungert. 24.000 Hungertote pro Tag, davon 18.000 Kinder unter fünf Jahren. Aber fast alle Staaten in Europa scheinen damit beschäftigt, ihren Wohlstand vor den Hungernden in Sicherheit zu bringen. Stolz verweisen die einen auf sinkende Flüchtlingszahlen, während andere ihre Staaten gleich ganz dicht machen. Wie beispiesweise in Schweden- doch die rechtslastigen „Schwedendemokraten“ dort sind genauso laut und erfolgreich wie während des Flüchtlingsansturms.
Mit der Bedrohung durch Terroranschläge schließlich (die gab es schon zu Jesu Zeiten!) kann man dazu Freiheiten einschränken, Ressentiments gegen Fremde wachhalten und Grenzen schließen. Europas Glück auf Kosten des Unglücks Anderer. Wohin das führt? Ein Blick in die Türkei lehrt da vieles.
All das und noch viel mehr sorgt für ein flaues Silvestergefühl, nicht zuletzt auch in MEINEM Magen. Endet auch das „wie ein Mast oben auf einem Berge und wie ein Banner auf einem Hügel“? Sollte ich das Feiern heute lieber bleiben lassen?
Zwei Dinge sprechen dagegen.
Das Erste: An der grundsätzlichen Lage der Welt ändert sich nichts. Auf der einen Seite ist da die Erkenntnis der Menschen, dass der Mensch des Menschen größter Feind ist und bleibt. Das Einzige, was sich daran von Jahr zu Jahr ändert, sind Zahlenverhältnisse.
Aber Neues geschieht dabei nicht: Tiere töten, um zu überleben, und Menschen morden, um eigene Überlegenheit sicht- und fühlbar zu demonstrieren und auf Kosten anderer Menschen durchzusetzen. Menschen glauben immer wieder, ihr höchstes Gut, ihre eigene persönliche Freiheit, auf Kosten der Freiheit anderer durchsetzen zu können.
Das Zweite: All das ist nicht „zwangsläufig“ so. Es ist kein einfaches Naturgesetz, das nicht auszuhebeln wäre. Vielmehr ist es so, wie schon Gustav Heinemann sagte: „Von Zwangsläufigkeit kann nur derjenige sprechen, für den Gott nicht mehr im Weltregimente sitzt.“ Für uns aber SITZT Gott im Weltregimente.
Gottes Weltregimente wird uns EINES nie und nimmer nehmen: Unsere Freiheit, so zu leben und zu handeln, wie wir es für richtig halten. Das ist so, seit diese Welt sich dreht. Dafür hat Gott uns geschaffen.
Dafür wird Gottes Weltregimente uns andererseits alles an die Hand geben, was wir brauchen, um auch das kommende Jahr als JAHR DES HERRN zu leben.
Dazu konnte schon Jesaja als Gottesrat weitergeben: „Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Vertrauen würdet ihr stark sein.“
STILLE.
Stillebleiben und Stillesein sind ärgerliche Zumutungen für die meisten von uns. Von Kindesbeinen an. Viele wissen darum nicht mehr, wie Stille funktioniert. Sie können es kaum mehr aushalten, nur mit sich selbst in einem Raum. Joggen ohne Kopfhörer. Straßenbahnhaltestelle ohne Smartphone.
Und doch wird die Sehnsucht nach Stille immer größer. Menschen fühlen sich zerrissen, leben mit ständigem Blick auf die Uhr oder einen Bildschirm, süchtig nach Bildern, Geräuschen und Spielen.
Wohin sie dann auch gehen, ans Meer, in ein Kloster, auf einen Berg: Sie nehmen den inneren Lärm mit. Sie haben noch so viele Geschäfte zu erledigen, der Kommunikationsdruck ist riesig gewachsen, seitdem kaum einer mehr mit nur EINEM „Telefon“ leben muss. Von Twitter, Facebook oder Whatsapp ist hier noch gar nicht gesprochen.
Menschen spüren, dass Stille heilen würde, treffen aber in der Stille auf ihre unaufgeräumten Innenräume, auf die unerledigten Geschäfte und halten der Wucht der Stille nicht stand.
Und machen wir es besser? Unser Kirchenjahr begann mit einer stillen Zeit „der Buße und des Fastens“, wie die Alten es nannten: Advent. War Stille in unserem Advent?
Stille hieße ja: EMPFANGEN. Passive Hände, aktive Ohren. Sich zu öffnen für eine ANDERE Wirklichkeit. Stillwerden, verstehen und tun gehören doch zusammen.
Denn Stille ist VORAUSSETZUNG jeder Umkehr. Nur wer still wird, kann erkennen, wo Umkehr nötig ist. Beide sind aufeinander bezogen. Umkehr gelingt dort, wo der Mensch still geworden ist. Und wirklich still wird der Mensch erst dort, wo ihn eine wache Aufmerksamkeit erfasst. Und Jesus begegnet.
Meine Schwestern, meine Brüder:
STILLE ist Voraussetzung jeder erfolgreichen Umkehr. Auch unsere Reformationsgeschichte kennt Beispiele dafür. Innerhalb der hussitischen Bewegung entstand in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts eine stille Gegenströmung, die Brüderunität. Sie setzte sich ein für die Abkehr von Krieg und Gewalt, vor allem in Glaubensfragen. Sie betonte den geistlichen Kampf und ein Leben im Dienst des Evangeliums. Sie kehrte um.
Damit war zwar ihr Leiden nicht ausgeschlossen. Aber mit ihrer Botschaft überstand die Brüderunität als einzige hussitische Gruppierung die Wirren der folgenden Jahrhunderte.
STILLE ist Voraussetzung jeder Umkehr.
Stillwerden hieße heute vielleicht, nicht feuerzuwerkeln. Aber es geht hier nicht darum, anderen den Spaß an diesem Abend zu verderben.
Stillwerden ist das Gegenstück zum Aktionismus, der den meisten jede Zeit nimmt, auf die Stimme Jesu Christi zu hören, die „andere Wirklichkeit“.
In solchem Stillewerden endete nämlich der Kleinglauben, WIR könnten die Welt verbessern.
Im solchem Stillewerden wüchse die Erkenntnis unserer wahren Abhängigkeit. NIEMAND ist nämlich abhängig von Haus, Auto und Yacht. JEDER aber ist abhängig von Liebe, Geborgenheit und Zuwendung. Von einer Haltung, die das Gegenüber mit der gleichen Liebe und Empathie betrachtet wie sich selbst. Diese Haltung ist das Ende aller Feindschaft gegen Menschen. Diese Haltung ist MENSCHLICHKEIT, also genau so zu sein, wie Gott uns gedacht hat und wie er es uns in Christus gezeigt hat. DAVON sind wir abhängig.
Durch Stillesein und Vertrauen werden wir stark sein.
Stillesein lässt Vertrauen auf die Liebe Gottes wachsen,
die uns die Menschlichkeit ‚im Stall zu Bethlehem in eine Krippe gelegt hat.
Als Weihnachtsgeschenk.
DARAUS lebt unsere stärkste Hoffnung:
Gott sitzt im Weltregimente.
Auch im Jahr des Herrn 2017.
Amen.