Unseren Gottesdienst vom 2. Sonntag nach Trinitatis zum Nachhören finden Sie für vierzehn Tage hier.
Unterwegs sein
ein ganzes Leben
Neugier
man will sehen
man will gesehen werden
man sehnt sich
nach leichtem Gepäck
Aber wohin wenn man müde wird
wo Station machen
Ankommen
wohlfühlen
zuhause sein
man sehnt sich
nach Heimat
Und Christus spricht:
Kommt her zu mir alle,
die ihr mühselig und beladen seid;
ich will euch erquicken.
Matthäus 11,28
***
Vor ein paar Jahren haben uns Freunde mit Kindern und Hund im Urlaub besucht. Wir drei haben uns gefreut, sie mal ein paar Tage bei uns zu haben, und Platz genug gab es im schwedischen Ferienhaus.
Als es dann ans Abschiednehmen ging, fanden die Kinder das ganz und gar nicht in Ordnung. Sie wollten weiterspielen, nicht ins Auto steigen und wieder nach Deutschland zurück. Die Mutter beendete die Diskussion irgendwann mit dem Satz: Wer nicht Abschied nimmt, kann auch nicht wiederkommen.
Ihre Kinder fügten sich endlich. Ich glaube nicht, dass sie sich des Satzes wegen fügten, wohl aber des Tones wegen, in dem die Mutter ihn ausgesprochen hatte. Der bedeutete: Schluss jetzt! Mir allerdings blieb dieser Satz noch lange im Ohr. Denn er passte zu dem, was ich schon länger dachte:
Unser Leben spielt sich irgendwie immer zwischen zwei entgegengesetzten Polen ab. Wenn es nicht dunkel wird, wissen wir nicht, wie es hell ist. Wenn es nicht traurig wird, wissen wir nicht, wie es fröhlich ist. Wenn es nicht krank wird, wissen wir nicht, wie es gesund ist. Wenn es den Tod nicht gäbe, wüssten wir nicht, wie das Leben ist.
Und jetzt: Wer nicht Abschied nimmt, kann auch nicht wiederkommen. Das ist ja nicht einfach nur ein Urlaubsspruch, denke ich. Auch zwischen DIESEN beiden Polen spielt sich mein Leben ab: Zwischen dem Unterwegs sein und dem Wiederkommen, zwischen Fremdsein und Zuhausesein.
Eines geht für mich nicht ohne das andere, und eines allein wäre ohne das andere nichts. Wenn ich NICHT irgendwie unterwegs wäre, denke ich, würde ich das Leben verpassen.
Unterwegssein ist aber keine einfache Sache. Dazu muss man aufbrechen wie einst Abraham, vieles hinter sich lassen. Man muss zum Fremden werden, um dem Anderen, dem Neuen begegnen zu können. Das ist ein Risiko, ein Wagnis. Man wird für sich stets abwägen müssen, wie hoch das Risiko sein darf, wie mutig man selbst ist, wie weit man gehen kann.
Wie weit man gehen kann: Da bin ich bei dem zweiten Pol. Am Ende jedes Weges wird es so gewesen sein, dass dieser Weg auch einen Anfang hatte. Dieser Anfang bin ich selbst, der ich bin wie ich bin, was ich bin.
Dieser Anfang ist mein Zuhause, also das, was man „Heimat“ nennt. Wer keine Heimat hat, denke ich, muss irgendwie haltlos sein, dessen Wurzeln können nicht genug Nahrung aufnehmen, um Unterwegs sein zu können.
Wenn Unterwegssein an sich schon ein Risiko ist, denke ich, muss Unterwegssein ohne Heimat geradezu lebensgefährlich sein. Man würde, um im Bild zu bleiben, ohne Heimat beim Unterwegssein verhungern oder verdursten. So, stelle ich mir vor, so muss sich ein Mensch fühlen, der aus seiner Heimat vertrieben worden ist. Also der unfreiwillig unterwegs sein muss.
Vertrieben, auf der Suche nach Heimat. Dazu ist mir dieses Lied von Heinz Rudolf Kunze eingefallen (vorhin gehört), in dem heißt es
„Ich bin nicht aus Bochum und nicht aus Berlin,
nicht aus Frankfurt und erst recht nicht aus Köln.
Ich bin nicht aus Hamburg (wie viele Leute glauben),
nicht aus München und auch nicht aus Mölln.
Ich wurde geboren in einer Baracke
im Flüchtlingslager Espelkamp.
Ich wurde gezeugt an der Oder-Neiße-Grenze,
ich hab nie kapiert, woher ich stamm…
Ich bin auch ein Vertriebener.
Schlesien war nie mein.
Ich bin auch ein Vertriebener.
Ich werd überall begraben sein.
Ich bin auch ein Vertriebener.
Ich will keine Revanche, nur Glück….
Und ich denke:
Wie findet man Frieden – Frieden zwischen Sehnsucht nach Leben und dem Bedürfnis nach Sicherheit?
Wie findet man es, dieses Glück?
Dazu sagt der Bibeltext für heute aus dem Epheserbrief, Kapitel 2 ab Vers 17 in der “Neue Genfer Übersetzung” das Folgende:
17 (Christus) ist ´in diese Welt` gekommen und hat Frieden verkündet – Frieden für euch, die ihr fern von Gott wart, und Frieden für die, die das Vorrecht hatten, in seiner Nähe zu sein.
18 Denn dank Jesus Christus haben wir alle – Juden wie Nichtjuden – durch ein und denselben Geist freien Zutritt zum Vater.
19 Ihr seid jetzt also nicht länger Fremde ohne Bürgerrecht, sondern seid – zusammen mit allen anderen, die zu seinem heiligem Volk gehören – Bürger des Himmels; ihr gehört zu Gottes Haus, zu Gottes Familie.
20 Das Fundament des Hauses, in das ihr eingefügt seid, sind die Apostel und Propheten, und der Eckstein dieses Gebäudes ist Jesus Christus selbst.
21 Er hält den ganzen Bau zusammen; durch ihn wächst er und wird ein heiliger, dem Herrn geweihter Tempel.
22 Durch Christus seid auch ihr in dieses Bauwerk eingefügt, in dem Gott durch seinen Geist wohnt.
Wenn ich dieser Tage durch unsere Stadt gehe und dabei die vielen Menschen sehe, die nach ihrer Flucht nun hier bei uns leben, spüre ich noch deutlicher als zuvor, wie wichtig es ist, Heimat zu haben oder zu finden.
Heimat ist nicht einfach der Ort, an dem man geboren worden ist. Das war für mich Zehdenick, eine kleine Stadt an der Havel zwischen Oranienburg und Templin. Dort habe ich so lange gewohnt wie bisher sonst nirgends, nämlich knapp 14 Jahre. Mehr als meine Kinder-Heimat aber ist Zehdenick nicht geworden.
Seither bin ich 9 Mal umgezogen, und nicht jeder meiner Lebens-Orte ist mir zur Heimat geworden.
Ich habe zwar überall Menschen gefunden, die mir lieb und teuer geworden sind oder waren.
Aber ich kann mich gut daran erinnern, dass es immer einen Moment gab, ab dem mir klar war, dass dieser Ort mir Heimat geworden war.
Es ist wie bei einem Schalter, den man umlegt. Das gute Gefühl, das mich sagen lässt: Hier IST Heimat für mich. Daheim zu sein ist etwas Großartiges. Einen Platz zu haben, wo man hingehört. Zu wissen, hier bin ich geborgen. Hier bin ich mit mir im Reinen. Hier kann ich bleiben.
Und wenn ich von hier weg muss, dann werde ich Sehnsucht nach diesem Ort haben. Es muss nicht nur ein einziger Ort sein, an dem ich das so fühle. Aber wenn, dann ist DAS für mich Heimat.
Dietrich Bonhoeffer schrieb in einer Predigt:
„Es gibt ein Wort, das bei dem Katholiken, der es hört,
Gefühle der Liebe entzündet, das in ihm
ALLE Tiefen des religiösen Empfindens
von Schauer und Schrecken des Gerichts /bis zur Süßigkeit der Gottesnähe fühlt,/
das in ihm gewiss Heimatgefühle wachruft,
Gefühle, die ein Kind der Mutter gegenüber in Dankbarkeit, Ehrfurcht und hingegebener Liebe empfindet,
Gefühle, wie sie einen überkommen, wenn man nach langer Zeit einmal wieder sein Elternhaus, seine Kinderheimat betritt.
Und es gibt ein Wort, das bei den Evangelischen den Klang von etwas unendlich Banalem hat, etwas mehr oder weniger Gleichgültigem und Überflüssigem, das einem das Herz nicht höher schlagen lässt, mit dem sich so oft Gefühle der Langeweile verbinden, das zumindest unserem religiösen Gefühl keine Flügel verleiht –
und doch ist unser Schicksal besiegelt, wenn wir nicht diesem Wort einen neuen – oder vielleicht den uralten Sinn wieder abzugewinnen vermögen. Weh uns, wenn uns das Wort – das Wort von der Kirche – nicht in Bälde wieder wichtig, ja, ein Anliegen unseres Lebens wird.
Ja „Kirche“ heißt das Wort, dessen Sinn wir vergessen haben und von seiner Herrlichkeit und Größe wir heute etwas schauen wollen“.
Diese Predigt Bonhoeffers war zwar keine zu unserer Stelle, aber doch zu unserem Thema – und das ist unschwer zu überlesen, auch ohne dass das Wort genannt ist: KIRCHE ist hier das Thema.
Das wichtigste, dass Paulus hier zur Kirche sagt, ist für mich: „Ihr seid jetzt also nicht länger Fremde ohne Bürgerrecht, sondern seid – zusammen mit allen anderen, die zu seinem heiligem Volk gehören – Bürger des Himmels; ihr gehört zu Gottes Haus, zu Gottes Familie.“
Zu Gottes Haus gehören, in seine Familie: Hier ist nichts, aber auch gar nichts Banales. Denn das hat nichts mit der Anonymität eines Mietshauses zu tun, wo man die Tür hinter sich zuzieht und für den Nachbarn ein Fremder bleiben kann, dem man guten Tag und guten Weg wünscht und von dem man nicht viel mehr weiß als den Namen auf dem Klingelschild.
Es ist mehr als die eigenen vier Wände. Es ist noch viel mehr, als dass man als Flüchtender in Deutschland den Asylstatus zugesprochen bekommt, der einem das Recht zum Bleiben einräumt.
Hier hat man vom ersten Moment an Bürgerrecht. In Gottes Reich Bürgerrecht zu haben – das ist das größte, was ich mir unter Heimat vorstellen kann. Dass ich einen Anteil habe an der Grenzenlosigkeit des Lebens, das Gott für uns bereithält. Dass ich Teil einer Gemeinschaft von Menschen werden kann, die dieses Bürgerrecht für das wichtigste hält, was das Leben einem bietet.
Dass ich Teil einer Familie werde, die mich von der Geburt bis zum Tod begleitet. Von der auch gilt, das „Blut dicker als Wasser“ ist. Heimat für die Seele: Das ist Kirche, die „Gemeinschaft der Heiligen“.
Hier ist man herzlich willkommen. Denn der Geist Gottes vereint alle, und er ist allen geschenkt. ER gewährt freien Zutritt – niemand muss sich einkaufen wie in eine Eigentumswohnung oder Miete zahlen, um nicht wieder hinausgeworfen zu werden. Und in der Taufe lässt Gott das sehen.
Dass Kirche ein schönes Haus ist, dafür steht Gott mit seinem Wort. Und es ist sicher: Im Fundament seines Tempels sind die Worte der Propheten und Apostel verbaut. Und jeder aus der Gemeinschaft der Heiligen gehört IN dieses Bauwerk wie ein Stein, auf dem der nächste liegt. Und dass Gott uns durch Christus seine Nähe erfahren lässt, ist der Schlussstein dieses Hauses, der Eckstein, der alles zusammenhält.
Hier finden sie Frieden, die Nahen und die Fernen. Und hier bleibt das Leben nicht stehen, denn das ganze Gebäude besteht aus lebendigen Bau-Steinen, also aus Bewegung. Kirche ist der Ort, an dem beides zusammenkommt: Unterwegs sein und wiederkommen.
Meine Schwestern, meine Brüder,
„Mit deinem Lebenswandel ist hier kein Platz für dich – halte dich an die Gemeinde-Ordnung oder geh!“ oder: „Homosexuell sein, schön und gut. Aber wer so lebt, lebt in Sünde, für den kann kein Platz bei Gott sein.“ Mit solchen oder ganz ähnlichen Sätzen im Mund bauen manche an ihrer Privat-Kirche, pochen auf ihre Hausordnung, stellen Bedingungen für den Einlass.
Aber GOTTES Kirche, die „Gemeinschaft der Heiligen“, ist größer als jede Privat-Kirche. Sie ist der Luft- und Weltschutz-Raum Heimat für jeden, der ihn sucht. Hier sagt Gott durch Christus: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid.“
Gottes offene Arme und sein offenes Herz sind in seiner Kirche zu finden. Seine Liebe teilt sich hier aus auf alle. Seine Liebe ändert alles: Sie hält seine Mitbewohner in ständiger Bewegung, schafft täglich Neues. Macht Fremde zu Mitbürgern.
Doch seine Liebe lässt mich zugleich auch der sein und bleiben, der ich nun einmal bin. Ein Ebenbild Gottes – ein kleines Körnchen in seiner Unendlichkeit. In seiner Kirche findet mich Gott, hier lässt er mich unterwegs sein und ankommen. Hier lässt er mich mein Glück finden – seinen Frieden.
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes SIND es:
Heimat, Glück und Frieden.
Für jede und jeden von uns. AMEN
LIED EG 245, 1-3
1. Preis, Lob und Dank sei Gott dem Herren,
der seiner Menschen Jammer wehrt
und sammelt draus zu seinen Ehren
sich eine ewge Kirch auf Erd,
die er von Anfang schön erbauet
als seine auserwählte Stadt,
die allezeit auf ihn vertrauet
und tröst’ sich solcher großen Gnad.
2. Der Heilig Geist darin regieret,
hat seine Hüter eingesetzt;
die wachen stets, wie sich’s gebühret,
dass Gottes Haus sei unverletzt;
die führn das Predigtamt darinnen
und zeigen an das ewig Licht;
darin wir Bürgerrecht gewinnen
durch Glauben, Lieb und Zuversicht.
3. Die recht in dieser Kirche wohnen,
die werden in Gott selig sein;
des Todes Flut wird sie verschonen,
denn Gottes Arche schließt sie ein.
Für sie ist Christi Blut vergossen,
das sie im Glauben nehmen an,
und werden Gottes Hausgenossen,
sind ihm auch willig untertan.