Von Türen und Säulen (Off 3 7-13)

Unser kompletter Gottesdienst vom zweiten Advent zum Nachhören ist für vierzehn Tage hier zu finden.

Den Kopf nach vorn beugen
auf die eigenen Füße sehen
den nächsten Schritt sehen
aber nicht wirklich weiter
Was kann der Mensch tun
wenn der andere den Kopf hängen lässt
was kann man bieten
dass der Blick nach vorn sich wieder lohnt?

Advent: Erlösung in Sicht
Sehnsucht auf Leben
Advent ist Abenteuer
der Blick in den offenen Himmel Gottes

Seht auf und erhebt eure Häupter,
weil sich eure Erlösung naht.
WSp aus Lukas 21,28
***

Das letzte Buch unserer Bibel ist das Buch mit den sieben Siegeln. Diese „sieben Siegel“ sind sprichwörtlich geworden, und das nicht ohne Grund: Man gebraucht sie immer dann, wenn etwas nicht nur geheimnisvoll ist, sondern BLEIBT.

Beim letzten Buch unserer Bibel trifft das nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf den Buchdeckel (wenn ich das mal so sagen darf) zu: Wer das Buch nämlich geschrieben hat, darüber wissen wir eigentlich nichts. Nur den Vornamen, und der ist häufig, damals wie heute: Johannes.

Dann wissen wir noch, dass dieses letzte Buch unserer Bibel erst relativ spät als „kanonisch“, also Teil der Heiligen Schrift akzeptiert worden ist. In der orthodoxen Kirche war das noch deutlich später als in unserer westlichen Kirche.

Unser deutscher Titel „Offenbarung des Johannes“ auf dem Buchdeckel ist dabei eher irreführend. Er ist eine wörtliche Übersetzung der griechischen Überschrift „Apokalypsis Joannu“.

Doch wer dann den Buchdeckel öffnet und mit dem Lesen beginnt, merkt schon im ersten Vers, dass es sich um eine „Offenbarung FÜR Johannes“ handelt. Johannes ERFÄHRT eine Offenbarung, er BEKOMMT sie, er sagt sie dann weiter. Aber es ist eben nicht SEINE Offenbarung, sondern eine Offenbarung DURCH Jesus Christus, die er EMPFÄNGT.

Die „Offenbarung AN Johannes“, wie sie besser heißen sollte, beginnt mit sieben Briefen. Briefe in heiliger Zahl, die an die Gemeindeleiter von sieben Gemeinden in Kleinasien adressiert sind. Nur zwei der sieben Gemeinden erhalten dabei ausdrücklich Lob, die anderen eher Tadel. Daran würde sich wohl bis heute wenig geändert haben…

Der zweite, wesentlich umfangreichere Teil des Buches enthält dann Visionen vom Kampf und Sieg der Endzeit mit teilweise verstörenden Bildern von Ungeheuern bis hin zur Schilderung eines neuen Himmels und einer neuen Erde und dem himmlischen Jerusalem.

Der Bibeltext für unseren Gottesdienst heute ist dem ersten Teil entnommen und ist einer der beiden Lob-Briefe, hier an die Gemeinde in Philadelphia. Ich lese aus Kapitel 3, zunächst die Verse 7+8 (Zürcher Bibel):

7 Und dem Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe: So spricht der Heilige, der Wahrhaftige, der den Schlüssel Davids hat; der öffnet, und niemand wird schließen; der schließt, und niemand öffnet:
8 Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan, die keiner wieder schließen kann. Du hast zwar nur wenig Kraft, aber du hast mein Wort bewahrt und meinen Namen nicht verleugnet.

Türen, die niemand schließen kann;
Türen, die niemand öffnen kann,
nur der Schlüssel Davids, der sowohl das eine wie das andere vermag:
All das Bilder, zugleich vertraut und fremd. Man kann sich etwas darunter vorstellen, aber all das scheint zunächst wenig mit dem Leben auf dieser Welt zu tun zu haben.

Denn in unserer Welt sind Türen dazu da, sich öffnen UND schließen zu lassen. Dazu sind sie erfunden, dazu werden sie eingebaut: In Häuser, in Autos, in Busse und Bahnen, in Schiffe und Flugzeuge – wo immer Türen sind, werden sie auf die eine oder andere Weise geöffnet und geschlossen.

Wenn man sie mit Schlössern sichert, kann man das Öffnen oder Schließen sicherlich erschweren.
Doch wenn das Spezialkommando der Polizei vor der Tür steht und hineinwill, dann kommt es auch hinein.

Auch Tresortüren sind dazu da, dass man sie öffnen kann. Sie machen es Dieben und Einbrechern schwer sie zu öffnen. Aber die Besitzer der Tresore wissen, wie die Türen zu öffnen sind – und sie haben sicher nur selten etwas vom „Schlüssel Davids“ gehört und wenn doch, besitzen sie ihn nicht.

Selbst Gefängnistüren machen da keine Ausnahme, auch wenn sie sich meist nur von einer Seite, von außen öffnen lassen.
Sogar Sicherheitstüren im Raumschiff Enterprise nutzen nur, wenn sie vor und nach der Gefahrenlage geöffnet werden können. Türen, die man nicht öffnen kann, also niemals, die gibt es nicht mal auf der Titanic, die auf dem eiskalten Meeresboden liegt.

Will man nicht, dass Türen zu dem benutzt werden, wozu sie geschaffen sind, ist es besser, sie zu entfernen und deren Öffnungen dauerhaft zu verschließen.
In Wohnungen hat man so mehr Stellfläche für Möbel,
in Häusern muss man so weniger Heizkosten bezahlen.
Und dass einmal jedes Abteil in den Personenwagen der Eisenbahnen seine eigene Tür hatte, kennen wir nur aus dem Museum oder aus alten Filmen.

Und doch weiß wohl jeder, was gemeint ist, wenn einer sagt:
Der hat die Tür hinter sich für immer zugeschlagen.
Oder: Die hat für viele eine neue Tür geöffnet.
Oder auch: Ich habe ihm eine goldene Brücke gebaut.
Hier geht es weder um Türen noch um Brücken aus Gold.
Es geht um Wege, die man gehen kann, die einem eröffnet werden, die versperrt sind. Keine Wanderwege, sondern Lebenswege.

Dieses Bild der Offenbarung von den offenen und geschlossenen Türen erinnert mich auch an den Advent. „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“- unsere Adventsgottesdienste sind Jahr für Jahr ohne dieses Lied kaum denkbar.

Das Bild von den offenen und geschlossenen Türen erinnert mich aber auch an einen ganz typischen Adventskalender. So einer mit einem Wimmel-Bild mit wild durcheinander durchnummerierten 24 Türen, bei denen es auch dazugehört, dass man die Türen nicht so einfach finden kann.
Meine Frau muss bei ihrem Adventskalender in diesem Jahr manchmal länger suchen als sie mag, bevor sie das Tagestürchen findet.

Dann ist es offen, ein Bild dahinter, vielleicht auch Schokolade, je nach Ausführung.
Und auch hier ist der Gemeinde eine Adventstür eröffnet: Einer Gemeinde, die wenig Kraft hat – aber das Wort und den Namen dessen bewahrt hat, in dessen Namen sie sich versammelt: Jesus Christus.

Und hinter dieser Tür? Was ist da zu sehen?
Ich lese die Verse 9-13:
9 Siehe, ich will dir einige aus der Synagoge des Satans geben, einige von denen, die sagen, sie seien Juden, und es nicht sind, sondern nur lügen. Siehe, ich werde sie dazu bringen, dass sie kommen und zu deinen Füßen beten, und sie sollen erkennen, dass ich dich geliebt habe.
10 Weil du mein Wort bewahrt hast, das dir die Kraft gibt, auszuharren, werde auch ich dich bewahren in der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, die Erdenbewohner zu versuchen.
11 Ich komme bald. Halte fest, was du hast, damit niemand dir die Krone wegnimmt.
12 Wer den Sieg erringt, den werde ich zu einer Säule im Tempel meines Gottes machen, und er wird nie mehr hinausgehen müssen. Auf ihn werde ich schreiben den Namen meines Gottes und den Namen der Stadt meines Gottes, des neuen Jerusalem, das vom Himmel von meinem Gott herabkommen wird, und meinen Namen, den neuen.
13 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt.

Wer Ohren hat, der höre!
Doch es war zu viel zu hören.
Zumindest für mich: Ein Wimmel-Bild für die Ohren.

ICH HÖRE von der Synagoge des Satans, ein Bild das immer wieder in der Offenbarung auftaucht. Da sollen welche sein, „die sagen sie seien Juden, und es nicht sind, sondern nur lügen“ (V 9).

Zuerst fallen mir dabei Verschwörungstheorien ein von der geheimen Weltregierung, gesteuert durch das Weltkapital, beherrscht durch das Weltjudentum, die die offiziellen Regierungen der Welt unterwandert, um den Menschen das Blut auszusaugen. Brennende Synagogen, elektrische Stühle für die Jagd nach Kommunisten, „Erziehungslager“ für Andersdenkende.

Aber wie beim Bild von den Türen fällt mir auch eine andere Deutungsmöglichkeit ein: Von Wölfen in Schafspelzen, von Soldaten in falschen Uniformen, von Terroristen unter Ganzkörperschleiern, von Kriegern hinter menschlichen Schutzschilden. Solchen arglistigen Täuschungen gehe ich lieber weiträumig aus dem Weg, wenn ich das kann.

ICH HÖRE von dem, der den Sieg erringt, und zu einer Säule im Tempel Gottes wird und nie mehr herausgehen muss (V 12) und denke zuerst: KANN! Er kann nicht herausgehen, wenn er Säule ist! Denn wenn die Säule weggenommen wird, stürzt alles ein.

Aber Säulen tragen eben auch, was getragen werden muss, halten es hoch, halten es sicher. Solche Säulen sind Felsen in der Brandung, Sicherheit im bedrohten Leben – und Sicherheit im Sterben.

Ich weiß um die Säulen, auf denen mein Leben steht, nein, auf denen es RUHT: Für mich sind es drei, Glaube, Liebe und Hoffnung, und ohne die wäre mein Leben nicht das was es ist und würde sie nicht finden, die RUHE, die ich brauche.

ICH HÖRE vom neuen Jerusalem und denke zuerst an das alte, das jetzige, immer neu bedroht von menschlichen Fehlleistungen in Politik, Religion, im Miteinander von Menschen.

Und ich höre: Tochter Zion, freue dich,/ jauchze laut, Jerusalem!
Sieh, dein König kommt zu dir,/ ja er kommt, der Friedefürst./ Tochter Zion, freue dich,/ jauchze laut, Jerusalem!
Und ich freue mich: Es ist Advent.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Ein Wimmel-Bild voller Bilder, Eindrücke, Lebens-Erfahrungen.
Wer Ohren hat, der höre.
Wer gehört HAT, der wird sie auch SEHEN:
Die Tür, die Gott geöffnet hat, hinter der das Leben ist.
Advent – Adventure. Ankunft bedeutet Abenteuer. An jedem Lebenstag, selbst am allerletzten.
Und niemand ist da, der sie wieder schließen könnte.

Ein Mutmach-Bild für die Gemeinde Philadelphia, die zwar wenig Kraft hat, aber sich auf das Wesentliche konzentriert:
Auf die Bewahrung des Wortes Gottes,
auf die Bezeugung des Namens Jesus Christus.

Auch das ein Bild für meine Ohren:
Solche Gemeinden mit wenig Kraft, sie gibt es überall und sie werden mehr und mehr.
Die neueste KMU der EKD – das klingt doch viel freundlicher als Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung… – sagt uns: Im kommenden Jahr 2024 wird es in unserem Land erstmals mehr konfessionslose Menschen geben als Menschen mit fester Bindung an irgendeine Glaubensgemeinschaft.

Wir Reformierten in der EKBO bringen es inzwischen nur noch auf 1500 Gemeindeglieder, und wen das nicht erschrecken lässt: Allein in Brandenburg an der Havel hatten wir nach dem Krieg so viele reformierte Gemeindeglieder, vielleicht sogar noch mehr.

Und nun erlebe ich immer mehr Mitchristen, die immer aufgeregter nach Ursachen oder Auswegen suchen.
Kann man Schuldige finden, sind Lösungen in Sicht?
Von Rezepten wie mehr bezahlte MitarbeiterInnen, mehr modernere Gottesdienste, mehr Hausbesuche, mehr Kinder-und Jugendarbeit oder ganz grundlegende Strukturänderungen finden sich viele, und sie werden heiß und ausdauernd diskutiert.
Was muss hinein in die Reformagenda, was hinaus?

Johannes lässt die Gemeinde in Philadelphia sehen:
Gott hat ihr eine Tür geöffnet.
Philadelphia kann hindurchsehen und hindurchgehen.
Es kann mit seiner kleinen Kraft weiter das tun,
was das Wesentliche ist:
Die Bewahrung des Wortes Gottes
und die Bezeugung des Namens Jesus Christus.

So kann sie durch die Tür sehen und durch die Tür gehen. Und dabei spüren: Der Advent und Adventure gehören zusammen. Gottes Ankunft bei ihr wird zur Sehnsucht.
Wird zu DEM Abenteuer des Lebens auf dem Weg nach dem Jerusalem, das vom Himmel herabkommen wird,
in dem der ewige Tempel Gottes stehen wird.

Und ich fühle, dass ich ein Teil Philadelphias bin.
Dass alle Sorge vor der Zukunft klein wird neben dem,
was wirklich wichtig ist.
Dass alles Leben nicht auf das Ende auf dieser Welt zusteuert, sondern auf den Himmel Gottes.
Dass das Leben nicht im Abwarten besteht auf das, was einem zustoßen kann, sondern aus Neugier und Erwartung –
aus Adventure, aus Abenteuer.

Was die Wölfe im Schafspelz oder die zugeschlagenen Türen auf dieser Welt anrichten, erleben wir gerade in diesen Tagen in Israel-Palästina oder der Ukraine.

Die Ankunft Gottes aber ist schon zu sehen, denn die Tür zu ihm steht offen, und niemand wird sie schließen können. Und wer auf dem Weg Philadelphias bleibt, wer Gottes Wort bewahrt und den Namen Christi bezeugt, der wird durch diese offene Tür gehen können und einen Platz im himmlischen Tempel des neuen Jerusalems finden.

„Philadelphia“ – auch der Name scheint mir Programm:
Die Geschwisterliche.
Wer hier in Geschwisterlichkeit leben kann,
der kann sie im Advent sehen, denn Gottes Tür steht offen:

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes.
In „Philadelphia“ wird man sie sehen – und auch finden.
AMEN

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