Morgenröte (Jes 58 1-9)

Sybille Fritsch:
Einer/ macht Licht,
wenn ich/ STOLPRE,
nimmt meine Hand im Dunkeln
und –
ich komme an.

Einer/ schließt Frieden,
wenn ich/ HASSE,
lächelt meinen Zorn in den Wind
und –
ich komme an.

Einer/ gibt Trost,
wenn ich/ LEIDE,
nimmt mein Herz … in die Hand
und –
ich komme an.

Einer/ kommt an,
wenn ich FEHLE,
nimmt sein Kreuz auf die Schulter
und –
ER kommt an!

Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem,
und es wird alles vollendet werden,
was geschrieben ist durch die Propheten
von dem Menschensohn.
Lukas 18,31
***

1 Rufe laut, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden!
2 Sie suchen mich täglich und wollen gerne meine Wege wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie wollen, dass Gott ihnen nahe sei.
3 „Warum fasten wir und du siehst es nicht an?
Warum kasteien wir unseren Leib und du willst’s nicht wissen?“
Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter.
4 Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll.
5 Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit oder seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat?
6 Ist nicht das ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg!
7 Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.
9 Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. (aus Jesaja 58)

Der Morgen am ersten Advent, auf einer Rüstzeit in Herrnhut.
Feuerrot steigt der Sonnenball über den Horizont.
Wolken beginnen in Schichten dabei bunt zu leuchten: Blau, orange, türkis, grün, feuerrot.
Felder, Wälder und Hügel sehe ich in diesem Licht wie zum ersten Mal. Der Bus auf dem Parkplatz, der gestern Abend noch hell-grau war, nimmt die Himmelsfarben auf und ist nicht mehr wiederzuerkennen.

Der Blick ist frei – bis zum Horizont und weiter. Ich kann mich kaum losreißen von diesem Schauspiel der Natur, nicht wenige Fotos entstehen. Mit einem der Fotos von diesem Morgen – man muss mehrfach hinsehen, um den Bus überhaupt erkennen zu können – habe ich sogar einmal einen ersten Platz bei einer Fotoausstellung gewonnen. Könner könnten das sogar malen…
Kann irgendein neuer Tag des Lebens schöner beginnen?

Und: Egal, ob dieses Morgenrot nun Gut – Wetter – Bot’ oder das Gegenteil war – ich krame die Fotos von diesem Morgen oft hervor, weil ich an ihnen erkenne, wie schön diese Welt sein kann. Sie erinnern mich an dieses Trostpflaster für meine Seele, das Gott mir schenkte.

„ … Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte…“ konnten wir von Jesaja hören. Der Prophet spricht hier nicht von der Sonne, sondern von Menschen. SIE leben so strahlend, dass die Welt um sie herum sich verändert – ähnlich wie Herrnhut an diesem Adventsmorgen, stell ich mir vor:

„ …Gerechtigkeit wird vor dir hergehen und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen…“

Kann es Leben geben, das mehr Schönheit sieht? Meine Sehnsucht: So möchte ich leben. Und die meisten Menschen um mich herum wohl auch, wenn ich richtig verstehe, was sie mir sagen.

Was hindert es?
Warum schaffen es nur wenige Menschen, so zu leben wie ein aufstrahlendes Morgenrot? Warum erleben viele Menschen diese Welt so anders, grau in grau? Ihre Mitmenschen als Konkurrenten, gar als Gegner?

Ihr solltet weniger fasten und mehr für die Gerechtigkeit kämpfen! So könnte man die Argumente des Propheten nach einem ersten Blick zusammenfassen. Und wäre dann in Versuchung, so zu aktualisieren:

Wenn am Aschermittwoch die Passionszeit beginnt, lass die anderen ihre „7 Wochen ohne“ – Fasten -Aktion starten. Denn die, die diese 40 Fastentage, teils mit säuerlicher Mine, teils mit aufgeklärten Bewusstseinsgesichtern herumlaufen: All die machen diese Welt auch nicht besser.

Dann lieber gleich zum politischen Aschermittwoch, irgendeine Super- Aktion per Zoom-Konferenz. Auf solchen Versammlungen kann man darüber reden, was verändert werden muss – und dann weiß man am Ende für sich, was man anpacken sollte.

Und wer sich nicht traut, offen Missstände anzusprechen und gegen sie anzutreten, der kann ja wenigstens ordentlich Fasching feiern: Sich verkleiden, wenigstens äußerlich ein anderer Mensch werden, und die schlechten Seiten dieser Welt mit Humor durch den Kakao ziehen – so erträgt man das Elend vielleicht leichter.

Auch so aber würde man Jesaja kaum gerecht werden.
Sicher: Die Närrinnen und Narren lassen einen mal wieder so richtig lachen – neue Witze hört man immer gern, wenn sie gut sind. Aber setzen sie die Kappe und die rote Nase ab, werden sie meist wieder ganz normale Zeitgenossen – bis zur nächsten Karnevalszeit.

Und gesellschaftliche Probleme am politischen Aschermittwoch zu benennen, Missstände anzugreifen und Verbesserungen anzustreben ist sicher löblich und letztlich unverzichtbar – will Politik die Bodenhaftung nicht verlieren.

Aber gerade die Politik ist oft in Gefahr, in Stammtischparolen zu verflachen oder den Don Quichotte – Eindruck des Dauerkampfes gegen Windmühlenflügel zu vermitteln.

Es ist doch so: Weder die, die Fasten, noch die, die meinen, dass Fasten bedeutet, auch mal auf ein Opfer verzichten zu müssen, werden dadurch besseren Menschen.

Selbst wenn einem die Kunst gelänge, alles in einer Person zu vereinen: Die Narrenkappe zu tragen, ohne nur lächerlich zu wirken, ernsthaft politisch Aschermittwoch zu argumentieren und gegen das Unrecht in der Welt zu kämpfen, ohne das Leben als Dauerstress auf dem Gesicht umherzutragen, ohne Leidensmine 40 Tage zu fasten und danach fröhlich das Leben zu feiern:

SELBST DANN gäbe es keine Garantie, dass einen die Menschen so strahlend erleben, dass für sie die graue Welt in ein neues Licht getaucht würde. Dass Gerechtigkeit vor ihnen hergeht.
Dass die Herrlichkeit des Herrn ihren Zug beschließt.

Was steckt wirklich hinter Jesajas Fastenkritik und seiner Ungerechtigkeitsschelte?

Ich lese diesen Text zuerst als Kritik der Motivation. WARUM tut man etwas? An der Motivation scheiden sich Lebenswege: Sucht man eigenen Vorteil oder den Vorteil aller?

Sie „begehren meine Wege zu wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan“ hätte – man fühlt sie sich auf dem richtigen politischen Gutmenschenweg.

Was hast du, Gott, ernsthaft daran auszusetzen? Wie würdest du, Gott, es denn praktisch besser machen wollen? Selbstgefällige Scheinsicherheit nach dem Motto: Jeder macht mal Fehler, aber im Grunde sind wir die Guten. Nicht die zur Linken, denen am letzten Tag gesagt wird: Ab in das Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!

Jesaja fragt: Steht euch das zu?
Fastet ihr nicht alle Jahre wieder – und findet Gott dennoch nicht?
Geht es euch bei alldem nicht eher Selbstfindung und Selbsterfahrung, um den ultimativen religiösen Kick?

Mancher mag nun geneigt sein, das als ein Problem längst vergangener Zeiten zu sehen. Selbst unter Christen ist die Tatsache, dass das Kirchenjahr eine kleine Adventsfastenzeit
und die größere Passionsfastenzeit hat, nur noch vereinzelt im Bewusstsein – geschweige denn, dass man sich selbst daran beteiligt.

Außerdem leben wir in einem Rechtsstaat, der sich wirklich redlich müht, eine lebenswerte Gesellschaft für alle zu formen.
Monarchie, Diktatur von rechts oder links – alles hat unser Volk erlebt, alles war wirklich schlechter als die Freiheit der Demokratie heute. Und wo – bei allen Fehlern, die diese Demokratie zweifelsohne hat – wäre sie denn:
Die bessere, erreichbare Alternative?

Doch die Morgenröte stellt sich auch in der Demokratie nicht ohne Weiteres ein. Das spüren sicher auch viele Menschen, die „der Kirche“ lieber aus dem Weg gehen. Vielleicht suchen darum heute auch viele Menschen ihr Heil in sehr fastenähnlichen Kasteiungen wie Bodybuilding oder Arbeitssucht oder Extremsportarten?

Die Mahnung Jesajas bleibt aktuell. Hier sind die gleichen Mechanismen wirksam wie vor knapp dreitausend Jahren. Entbehrungen werden gezielt in Kauf genommen, um am eigenen Leibe Veränderungen zu erzeugen: Muskulöse Schönkörper, Arbeitserfolge, die andere blass aussehen lassen, Adrenalinausschüttungen, nach denen man sich
wie neugeboren fühlt.

Auch 7-Wochen-Ohne kann ähnliche Wirkungen zeugen! Wenn man im Großen schon nichts ändern kann – dann wenigstens an sich selbst!? Wenn ich dann „Sieben Wochen ohne Blockaden“ auf der Suche war und an so mancher Stelle mit Erkenntnisgewinn punkte, kann ich mir dann nicht sagen: Bin ich nicht gut!?

Jesaja erinnert, und das ist ein noch wichtigerer Punkt als die Kritik der Motivation: Diese oder ähnliche Taten „zwingen“ Gott nicht herbei. So überwindet man Resignation nicht, und für andere strahlen wird man so eben auch nicht.

Gottes Lebensbotschaft ist eine andere: Lass los, lass ledig, gib frei! Reiß jedes Joch weg, …entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Wende dich dem anderen zu, lass ihn nicht stehen, sprich ihn an, höre ihm zu, steh ihm bei. Erkenne, ob und wo du ihn bedrängst, gib ihn wirklich frei! Stell dein Leben um – auf wirkliche Liebenswürdigkeit! „DANN wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte… DANN wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du (dann) schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.“

Meine Schwestern, meine Brüder:

Das Fasten kann einen am eigenen Leibe erfahren lassen, worauf man verzichten kann und was man selbst –Ich selbst! – in der Morgenröte gesehen haben sollte.

Verzichten kann man getrost auf Überfluss, Wohlstand, Bequemlichkeit, Alkohol, Nikotin, Fernsehen, Fern- Reisen, Arbeitssucht … – die Liste ist ohne Schwierigkeiten erweiterbar, auch wenn es einem zu Corona-Zeiten vielleicht schwerer fällt, weil einem zumindest das Fernreisen schon länger als sieben Wochen ausgetrieben wurde.

Aber in der Morgenröte GESHEN haben sollte man einen, der einen von Herzen liebt. Der sich müht, einem jedes Joch, das einen quält, leichter zu machen oder ganz von den Schultern zu nehmen. Einen, der sich wirklich nicht abwendet, der sich seinem Fleisch und Blut nicht entzieht- selbst dann nicht, wenn jeder Ausweg in der Begrenztheit dieser Welt zu fehlen scheint.

In Jesus, dem Christus, der mit uns geht bis in den Tod, HAT Gott uns diese Morgenröte sehen lassen.
Seine Liebenswürdigkeit öffnet uns den Blick in den Himmel,
so dass wir Gottes Herrlichkeit folgen können.

Um uns die Möglichkeit zu geben, das zu entdecken und selbst zu leben, hat Gott uns zu Weihnachten besucht und wird uns bis in den Tod begleiten.
Morgenröte ist sein Friede, der unsere Herzen und Sinne bewahrt durch Jesus Christus, unseren Bruder und Herrn. AMEN

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