Glaube führt uns hierher
Glaube lässt uns
hoffen und zweifeln
fragen und hören
lieben und leben
Der Glaube wird unser Leben
JEDER unserer Tage auf dieser Welt
wird ein neuer Tag mit Gott
unserem Gott
der ewig ist und Leben schenkt
heute und überall
Unser Glaube ist der Sieg,
der die Welt überwunden hat.
1 Johannes 5,4c
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Man kann keine Fragen an einen Text stellen, die der nicht beantworten will. Oder besser: Man kann diese Fragen schon stellen, wird aber keine Antwort bekommen. Es sei denn, der Verfasser des Textes weilt noch unter den Lebenden. Dann kann man den nach dem fragen, was man nicht verstanden hat. Oder was der Verfasser offen gelassen hat. Oder was er über dieses oder jenes, was er im Text geschrieben hat, eigentlich noch zu sagen hätte.
Der Predigttext nach neuer Ordnung für diesen 17. Sonntag nach Trinitatis ist allerdings schon so alt, dass das nicht mehr geht. Mit dieser Predigt habt ihr es natürlich besser. Nachher könnt ihr mich alles fragen, was euch so in den Sinn kommt. Aber der Verfasser der Geschichte um die Hure Rahab oder Rachab, je nach Bibelübersetzung, ist schon so lange tot, dass niemand wer weiß, wie er hieß.
Aber was er aufgeschrieben hat, ist so spannend, dass man es bis heute liest und darüber redet. Ich lese aus dem Buch Josua, der direkten Fortsetzung der Mosebücher. Es berichtet über die Landnahme der Israeliten nach ihrem Auszug aus Ägypten, also ein sehr kriegerisches Buch. Kapitel 2, Verse 1-21:
1 Und Josua, … sandte heimlich zwei Männer von Schittim als Kundschafter aus und sprach: Geht, erkundet das Land und Jericho.
Und sie gingen und kamen in das Haus einer Hure, die Rachab hieß, und dort nächtigten sie.
2 Und dem König von Jericho wurde gesagt: Sieh, heute Nacht sind Männer hierher gekommen von den Israeliten, um das Land auszuspähen.
3 Da sandte der König von Jericho zu Rachab und ließ ihr sagen: Gib die Männer heraus, die zu dir in dein Haus gekommen sind, denn um das ganze Land auszuspähen, sind sie gekommen.
4 Die Frau aber nahm die beiden Männer und versteckte sie.
Und sie sagte: So ist es, die Männer sind zu mir gekommen, ich aber wusste nicht, von wo sie waren, 5 und als man das Tor schließen wollte, weil es dunkel wurde, gingen die Männer hinaus. Ich weiß nicht, wohin die Männer gegangen sind. Jagt ihnen nach, ihr werdet sie einholen.
6 Sie hatte sie aber auf das Dach geführt und unter den Flachsstengeln versteckt, die sie sich auf dem Dach aufgeschichtet hatte.
7 Die Männer aber verfolgten sie auf dem Weg zum Jordan bis an die Furten, und als die Verfolger draußen waren, schloss man das Tor zu.
8 Und bevor sie sich schlafen legten, stieg sie zu ihnen auf das Dach 9 und sagte zu den Männern: Ich weiß, dass der HERR euch das Land gegeben hat und dass uns der Schrecken vor euch befallen hat und alle Bewohner des Landes vor euch zittern.
10 Denn wir haben gehört, dass der HERR das Wasser des Schilfmeers vor euch ausgetrocknet hat, als ihr auszogt aus Ägypten, und was ihr den beiden Königen der Amoriter jenseits des Jordan, Sichon und Og, angetan habt, die ihr der Vernichtung geweiht habt.
11 Und wir hörten davon, und unser Herz wurde mutlos, und euretwegen regte sich kein Lebensgeist mehr, denn der HERR, euer Gott, ist Gott oben im Himmel und unten auf der Erde.
12 Nun aber schwört mir beim HERRN: Wie ich euch Barmherzigkeit erwiesen habe, so sollt auch ihr dem Haus meines Vaters Barmherzigkeit erweisen, und ihr sollt mir ein verlässliches Zeichen geben, 13 dass ihr meinen Vater, meine Mutter, meine Brüder und meine Schwestern und alle, die zu ihnen gehören, am Leben lasst und uns rettet vor dem Tod.
14 Da sprachen die Männer zu ihr: Mit unserem Leben stehen wir ein für euch, wenn ihr unsere Sache nicht verratet. Und wenn der HERR uns das Land gibt, wollen wir dir Barmherzigkeit und Treue erweisen.
15 Und sie ließ sie durch das Fenster an einem Seil hinab, denn ihr Haus lag an der Stadtmauer…
16 Und sie sprach zu ihnen: Geht ins Gebirge, damit die Verfolger nicht auf euch stoßen, und versteckt euch dort drei Tage, bis zur Rückkehr der Verfolger. Dann könnt ihr eures Weges gehen.
17 Und die Männer sprachen zu ihr: (Luther: So wollen wir den Eid einlösen, den du uns hast schwören lassen:)…
18 Sieh, wenn wir in das Land kommen, sollst du diese Schnur aus rotem Faden an das Fenster binden, durch das du uns hinabgelassen hast, und du sollst deinen Vater und deine Mutter und deine Brüder und alle, die zum Haus deines Vaters gehören, bei dir im Haus versammeln.
19 Wer immer dann durch die Tür deines Hauses nach draußen geht, dessen Blut komme über sein Haupt, und wir sind frei von Schuld.
Wenn aber Hand angelegt wird an jemanden bei dir im Haus, so komme sein Blut über unser Haupt.
20 Und wenn du unsere Sache verrätst, sind wir frei von dem Schwur, den du uns hast schwören lassen.
21 Da sprach sie: Es sei, wie ihr sagt. Und sie ließ sie ziehen, und sie gingen.
Sie aber band die rote Schnur an das Fenster.
Schon im Kindergottesdienst war das für mich eine der spannendsten Geschichten. Natürlich wollte ich auch wissen, wie das alles ausgeht. Die Kundschafter kommen zu Josua zurück und sagen: Alle haben Angst vor uns, das sollten wir ausnutzen. Und die Israeliten ziehen sieben Mal mit Kriegshörnern um die Stadt, die Stadtmauer fällt zusammen, Jericho fällt, Rahabs Familie kommt in Sicherheit.
Meine zwölf Dienstjahre als Pfarrer in der Bundeswehr lassen mich heute auch den militärischen Blick auf die Geschichte werfen. Hier geht es ja um die Geschichte eines Spähkommandos. Und sowas gibt es ja auch heute noch. Spähtrupps: Wenn sie erwischt werden, macht man meist kurzen Prozess mit ihnen. Ein Himmelfahrtskommando also.
Wie kommt so ein Spähtrupp dennoch an sichere Informationen? Damals wie heute versucht man, die Lage von Menschen am Rande der Gesellschaft auszunutzen. Denn die wünschen sich oft eher den Zusammenbruch als den Erhalt des Systems, in dem sie leben müssen.
So scheinen auch Josuas Spione ohne Umweg in das Haus einer Hure gegangen zu sein. Dort schliefen sie eine Nacht. Eher mit als neben Rahab. Denn ein Bordell ist kein Hotel, auch nicht für feindliche Soldaten.
Rahab – eine Außenseiterin in Jericho. Und sie wohnt auch so: An der Außenseite der Stadt, direkt an der Mauer. Vielleicht ist ihr Haus sogar Teil der Stadtmauer. Rahab IST für die Kundschafter ein wunder Punkt der Stadt. Denn sie wissen: Kaum eine Gesellschaft geht freundlich mit Sexarbeiterinnen um. Das rote Seil am Ende der Geschichte erinnert nicht nur zufällig an das rote Licht heute. (Damals gab es nur einfach noch keinen Strom…)
Die Erzählung lässt uns dann das Bild einer klugen und weitsichtigen Frau sehen. Es scheint so, dass sie sich verantwortlich weiß für eine große Familie. Sie wäre nicht die erste Frau, die eine Dirne wurde, um das Überleben ihrer Sippe zu sichern. Und ganz sicher nicht die letzte.
Prostitution ist von jeher ein Reizthema in der Gesellschaft. Man redet zwar gern vom ältesten Gewerbe der Welt. Also von einer Sache, die es immer gab und gibt. Und doch gelten Prostituierte als Personen, über die man die moralische Nase rümpft. Genau wie über Männer, die Bordelle besuchen. Beides gehört sich einfach nicht. Das sei eine Sünde, meinen viele.
Merkwürdig: Für die meisten Menschen auf der Welt ist es aber völlig in Ordnung, dass Männer in den Krieg ziehen. Und da für ihr Land tapfer Männer, Frauen und Kinder töten. Man muss sich doch wehren. Ruhm und Ehre unseren Helden.
Wer sich hier die Mühe macht, sich in die Rolle der Rahab hinein zu denken, wird an der Widersprüchlichkeit solcher Moral nicht vorbeikommen. Es soll eine SÜNDE sein, für ein paar Stunden die Körper der Männer zu streicheln und ihrer Lust zu dienen? Und es soll KEINE Sünde sein, dieselben Körper im Krieg zu verletzen, zu quälen, zu töten? Tausendfach Tod und Leid über ein Volk zu bringen? Vielleicht gar noch im Namen der Gerechtigkeit oder eines Gottes?
Soll sie alle doch der Teufel holen, wird Rahab gedacht haben. Diese Heuchelei habe ich schon lange satt. Schließlich geht es für Rahab ums nackte Überleben. Schon immer, aber jetzt besonders. Sie hat gelernt, nach unten zu treten, um selbst nicht untergehen zu müssen. Das tut sie auch jetzt, auch wenn sie zur Verräterin an der Stadt wird, in der sie lebt. Leben muss.
Aber dabei bleibt sie Frau. Warmherzig, besorgt und clever. Sie sorgt nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Familie und die beiden Spione. Sie bleibt auch ihrer Berufsehre treu: Diskretion für Kunden selbstverständlich.
Geistesgegenwärtig und abgebrüht schickt sie die Soldaten, die nach den Spionen suchen, auf eine falsche Fährte. Und dass die dann auch noch auf falscher Fährte losziehen, wäre die Stelle im Film, wo die meisten von uns lächelnd den Kopf schütteln.
Und Rahab wittert den Handel ihres Lebens. Es geht ja um die Rettung aus Lebensgefahr. So schätzt Rahab die Lage klug und nüchtern ein. Sie HAT keine „Ehre“, die sie zu verlieren hätte. Und den Durchhalteparolen glaubt sie schon längst nicht mehr.
Sie sieht vielmehr die Angst vor den Israeliten, die schon seit langem in der Stadt umgeht und sie lähmt. „Ich weiß, dass der HERR euch das Land gegeben hat und dass uns der Schrecken vor euch befallen hat und alle Bewohner des Landes vor euch zittern.“
Und dann zählt sie all das Unglaubliche auf, das man sich in Jericho zuflüstert, vom Durchzug durchs Schilfmeer angefangen bis zur Vernichtung der Amoriter. Vernichtung macht keine Gefangene. Zumindest das für sie der schreckliche Beweis dafür, dass der Gott Israels derjenige ist, der herrscht: Oben im Himmel, unten auf der Erde.
Mag dieser Gott mit Jericho doch machen, was er will. Rahab aber hat sich für das Leben entschieden. Nicht nur ihr ÜBERleben, auch die FREUDE am Leben. Geistesgegenwart und Humor, Lüge und Lust, Gewalt und Verrat. All das gehört zum Leben und zum Überleben dazu.
Mitten in der Lebens-Angst zeigt Rahab ein ganz menschliches Gesicht. In einer Welt voll fragwürdiger Moral, Hinterhältigkeit, Betrug und Brutalität sehen wir hier Menschen, die miteinander einen Treue-Pakt schließen. Am Ende schwören die Spione einer Hure, dass sie sie und ihre Familie schonen werden.
Meine Schwestern, meine Brüder,
warum Gott Kriege zulässt, Grausamkeit, Verrat, Hinterhalt- all diese Fragen und noch viele andere mehr beantwortet dieser Text nicht. Und den Verfasser können wir auch nicht mehr danach fragen.
Eine Frage, die wir aber an diesen Text stellen und irgendwie auch beantworten MÜSSEN, ist die: Wie hat es die Hure Rahab geschafft, in den Stammbaum Jesu beim Evangelisten Matthäus zu kommen? Gewissermaßen als eine Art Urgroßmutter Jesu? In den Stammbaum dessen, der Gottesliebe, Nächstenliebe und Selbstliebe in den Mittelpunkt seines Redens und Handelns stellt?
Der Jakobusbrief hebt das Handeln der Rahab als Tun des Gerechten hervor (2,25), und auch der Hebräerbrief lässt keinen Zweifel (11,31): Ihr Glaube an den für sie fremden Gott ist es, der sie gerettet hat und es ihr möglich machte, den Kundschaftern zu helfen.
Nun könnte man sagen: Ein schöner Glaube ist das. Hat sie nicht nur aus Angst davor gehandelt, sterben zu müssen? Mit Jericho, wie zuvor schon die Amoriter?
Aber unsere Geschichte ist doch vor allem ein Beleg dafür, wie ÜBERALL Vertrauen und Glauben wachsen können. Im feindlichen Jericho, unter Huren und Lust, Verrat und Spionen. Da, wo die meisten Menschen damals nie und heute nur im Film hinkommen. Sogar HIER entsteht Vertrauen, das wirklich etwas wagt. Sogar hier wächst Gottvertrauen, das größer ist als Lebensangst.
Hier fallen alte Mauern zusammen: Die Mauern der geltenden Moral ebenso wie die Mauern Jerichos. Stattdessen wächst Vertrauen: Vertrauen auch und gerade in den Nächsten, den Gott einem anderen gerade zur Seite gestellt hat. Völlig neue Möglichkeiten, bis eben noch undenkbar, moralisch fragwürdig, jetzt aber von Gott geschenkt.
Selbst auf diesem Himmelfahrtskommando lässt Gott sich finden. Und ich denke: Genau darum wird die sagenhafte Hure Rahab aus Jericho nicht aus dem Gedächtnis des Gottesvolkes verschwinden. Darum ist sie uns in den Stammbaum geschrieben.
Bei aller Angst, die uns Menschen im Leben umtreibt, sei es die kleine Angst um Beziehung, Beruf oder Wohlstand, sei es die große um das nackte Überleben: Rahab erinnert, dass sich Gott ÜBERALL finden lässt. Er lässt alte Mauern zusammenfallen. Er schafft Vertrauen in den Nächsten, das neues Leben stiftet.
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
kennen jeden Ort. Und jeden Menschen.
AMEN