Warum lebe ich?
Was trägt mich?
Wozu bin ich hier?
Wie fülle ich meine Tage?
Was kann lohnendes Ziel meines Lebens sein?
Wie gelange ich dorthin?
Du bist getauft:
Du gehörst jetzt schon
IHM.
Denn der Herr aller Zeiten
und Schöpfer aller Welten
hat dich erwählt.
So spricht der Herr, der dich geschaffen hat:
Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst;
ich habe dich bei deinem Namen gerufen;
du bist mein!
Jesaja 43,1
***
Bei einem Bibelgespräch vor vielleicht zehn Jahren ging es einmal um die Frage, welche Briefe als echte und welche als unechte Paulusbriefe eingeordnet werden können.
Ob zum Beispiel der zweite Korintherbrief überhaupt von Paulus stamme oder aus mehreren Paulusbriefen zusammengestellt wurde oder Teile von ihm aus der Feder anderer Briefeschreiber stammen. Theorien dazu gibt es in der Theologie ja ausreichend viele.
Diese Theorien haben zumindest eines gemeinsam: Dass sie auf Feststellungen beruhen, was nun wahrscheinlich sei und was weniger wahrscheinlich. Und darüber lässt sich trefflich streiten.
Irgendwer meinte dann, dass egal wie man sich positionieren würde, Paulus doch ein sehr fleißiger Schreiber gewesen sei. Das sei damals ohne PC und Drucker noch eine richtige Arbeit gewesen.
Fleißiger sei wohl nur noch Mose gewesen, der habe es immerhin auf 5 Bücher gebracht, die deutlich länger seien als die Briefe des Paulus. Und trotzdem leichter zu verstehen wären.
Und schon waren wir beim nächsten Thema. Denn während man sich bei den Paulusbriefen streiten und nie ganz sicher sein kann, von wem sie wirklich stammen, ist die Sache bei den fünf Mosebüchern ganz klar:
Sie KÖNNEN gar nicht alle von einem Mann namens Mose geschrieben worden sein. Wie hätte der denn im fünften Mosebuch seinen eigenen Tod beschreiben können?
Dieses fünfte Buch Mose, aus dem der Predigttext für heute ausgewählt ist, ist lange NACH dem Tod des Mose geschrieben worden. Es ist in großen Teilen als Abschiedsreden des Mose konzipiert. Also eine Art Testament, bestimmt für die Menschen in der Zeit nach ihm. Ein Testament, bei dem kein Geld und Gut vererbt, sondern Lebenseinstellung weitergegeben wird.
Solche Lebenseinstellung des Führers eines Volkes wird immer dann wichtig, wenn dieses Volk in einer Krise steckt. Wenn die Menschen sich und ihr Leben neu aufstellen müssen. Dann fragen sie danach, wo ihre Wurzeln sind. Was den Müttern und Vätern einmal wichtig war. Damit sie erkennen können, was ihnen selbst jetzt wichtig sein sollte. Denn der Blick zurück kann Stärke geben für den Weg in eine Zukunft, die ja immer ungewiss ist.
Sie fragen also: Wer sind wir? Was sind wir?
Und lesen in Kapitel 7 ab Vers 6:
6 Denn du bist ein heiliges Volk dem HERRN, deinem Gott. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind. 7 Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker – denn du bist das kleinste unter allen Völkern –, 8 sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat.
Darum hat der HERR euch herausgeführt mit mächtiger Hand und hat dich erlöst von der Knechtschaft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.
9 So sollst du nun wissen, dass der HERR, dein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten, 10 und vergilt ins Angesicht denen, die ihn hassen, und bringt sie um und säumt nicht, zu vergelten ins Angesicht denen, die ihn hassen. 11 So halte nun die Gebote und Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, dass du danach tust.
12 Und wenn ihr diese Rechte hört und sie haltet und danach tut, so wird der HERR, dein Gott, auch halten den Bund und die Barmherzigkeit, wie er deinen Vätern geschworen hat.
Denn du bist!
Und was jetzt folgt, ist kein Zeugnis mit einer Beurteilung und Zensuren. Auch keine Urkunde für besonders gute Leistungen. Auch keine Liste mit du sollst nicht oder du darfst nur oder Handlungsanweisungen anderer Art.
All diese Sachen, die wir aus den Schubladen kramen müssen, wenn wir uns verändern wollen, Bewerbungen schreiben oder Vorstellungsgespräche haben. Egal ob es um eine andere Schule, ein Freiwilliges Soziales Jahr oder eine neue Arbeitsstelle geht: „Wir freuen uns über ihre aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen“.
Aber „aussagekräftige Bewerbungsunterlagen“ gibt es gerade nicht.
Denn du bist!
Hier folgt die Formulierung einer Liebeserklärung Gottes an sein Volk. Denn du bist mir heilig! Lieb und teuer. Darum hat Gott Israel zu seinem Volk gemacht.
Hier hat sich niemand bei einem Vorstellungsgespräch mit gutem Zeugnis, ausgeglichener Beurteilung oder Urkunden durchgesetzt. Es wird ausdrücklich festgestellt, dass das Volk nichts vorzuweisen hat. Keine politische Größe, keine besondere kulturelle Errungenschaft, keine besondere Disziplin in der Nachfolge. Also nichts, das die Erwählung Israels nach menschlichem Ermessen hätte begründen können.
Die gemeinsame Geschichte zwischen Gott und dem Volk Israel beginnt einseitig. Gott liebt das Volk, nähert sich gerade ihm an, versucht sich gerade ihm zu offenbaren. Nur aus Liebe bindet sich Gott an die Vorväter des Volkes, nur aus Liebe schwört er ihnen diesen Eid, nur aus Liebe führt er das Volk aus der Knechtschaft Ägyptens in die Freiheit.
Denn du bist!
Alles, was sie sind, haben oder bedeuten, sind sie durch Gott. „Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind.“ (V 6b)
Eigentum verpflichtet.
Auch Eigentum zu sein verpflichtet offenbar. „So sollst du nun wissen“ (V 9):
Du sollst hören, dass Gott treu ist.
Und dann selbst auch treu sein.
Indem du so lebst und handelst, wie es Gott gefällt. Und zwar nicht, weil es IHM gefällt. Sondern weil du weißt, dass DIR das gut tut.
Das Versprechen der Treue, die Gott halten wird; das Erleben der Befreiung aus der Sklaverei Ägyptens und der Bewahrung des Volkes durch vierzig Jahre in der Wüste und gegen übermächtige Gegner überall auf der Welt: Nur Gott hat das wirken können; die eigene Macht war dafür stets zu klein.
Wer Gottes Stimme zu hören vermag, weiß, dass es die Stimme der Liebe ist. So verliert auch Vers 10 die Schärfe, die in seinen Worten steckt: Gott vergilt und wird vergelten. Denen, die ihn hassen.
Das klingt hart. Viele hören das so, als würde Gott „die Anderen“, die nicht dazugehören, strafen. Die, die nicht sagen können „ich bin“, ausgrenzt und bekämpft. Und das wäre hart.
Solche Ausgrenzung erleben Menschen durch die Jahrhunderte und leiden darunter. Egal, ob die Israeliten in Ägypten wie Sklaven gehalten wurden – oder ob es die vier Polizisten sind, die sich in der vergangenen Woche von einem offenbar in einem Ausnahmezustand befindlichen Dreißigjährigen haben entwaffnen lassen.
Jetzt müssen sie die Häme der Vielen über sich ergehen lassen, die den Täter lieber gleich erschossen hätten. Oder die sich schieflachen, weil Hundertschaften Tage brauchten, den Täter in einem Gebüsch aufzuspüren und endlich festzunehmen.
Als ob sie nicht selbst wollten, dass ihr Leben auch in Ausnahmezuständen das höchste Gut bleibt, gerade für Polizisten unter Waffen. Als ob sie nicht selbst wüssten, wie es sein kann, selbst in einer kleinen Wohnung einen Schlüssel zu suchen, den man dringend braucht…
Diese Ausgrenzung schafft Leid zu allen Zeiten der Welt. Und sie geschieht hinterrücks: Damals in Ägypten über die Peitschen der Aufseher, die auch schon einmal einen Sklaven versehentlich totschlagen, jetzt in Deutschland über das Internet, in dem man sich zusammenrotten und über die Lügenpresse herziehen darf. OHNE sein Gesicht zu zeigen und sich der Haltung und den Argumenten des Anderen zu stellen.
Gott aber tut das nicht „von hinten“, er gräbt keine Fallgruben, legt keine Netze aus, stellt keinen Hinterhalt. Er vergilt „ins Angesicht“. Der so Angegriffene weiß, wer ihn angreift. Er KENNT Gott also. Weiß um seine Liebe zu ihm. Und geht trotzdem Wege, von denen er ERKENNT, dass sie Gott schmerzen MÜSSEN.
Sehenden Auges werden Adam und Eva aus dem Garten Eden geworfen,
sehenden Auges wird Kain nach dem Brudermord ins Exil gehen,
sehenden Auges wird aus dem Tanz um das goldene Kalb ein Wettlauf mit den Schlangen in der Wüste.
Wer Gott begegnet ist, wer seine Stimme auch nur einmal in seinem Leben hören konnte, der weiß: Gottes Liebe tut dem eigenen Leben einfach nur gut. Und wer sich von dieser Liebe abwendet, läuft sehenden Auges von dieser Liebe weg. Wahrscheinlich ins Nichts.
Gott aber sieht dem nicht tatenlos zu. Das macht er NIE. Er liebt weiter. Er verteidigt seinen Bund mit seinem Volk. Er vergilt „ins ANGESICHT“.
Das WISSEN die, die gesagt bekommen haben: „Du bist ein heiliges Volk dem Herrn, deinem Gott. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind.“ Dass sie sich sehenden Auges von dem abwenden, der sie liebt. Dass das immer Ungemach brachte, ihm untreu zu sein.
Und ER wird seinen Menschen darum treu bleiben, wenn sie ihm treu sind. So steht es im letzten Vers unseres Textes. Sonst hat Treue ja auch keinen Zweck. Wer die Treue eines Anderen nicht will, braucht sie auch nicht.
Gott treu sein bedeutet nun: Seine Rechte hören, halten und tun. In genau der Reihenfolge. Gottes „Rechte“, seine Richtung für ein Menschenleben ist eben NICHT in Stein gemeißelt. Es muss zuerst GEHÖRT werden.
Gerade wenn man sich verrannt hat, auf der falschen Spur ist. Wer dann auf Gotte Stimme hört, weiß, wie er handeln und was er tun sollte. Spürt, wie Gott ihn „gerecht“ macht, wieder auf den Weg bringt. So ist dieser letzte Vers das Versprechen der Barmherzigkeit Gottes: Er wird seinen Treuschwur seinerseits nicht brechen.
Meine Schwestern, meine Brüder, „denn du bist“ –
wer aber sind wir? Was sind wir?
Es ist schon lange her, länger, als dass man aus seiner Hosentasche ein Smartphone hätte herausziehen können, um zu fotografieren, was man gerade entdeckt hat. Da bin ich über irgend einen der großen Berliner Friedhöfe gegangen, das habe ich als Student gern gemacht, weil ich die Ruhe und die vielen Geschichten genossen habe, denen ich da begegnete. Ich denke heute, es könnte auf dem Friedhof Ahrensfelde an der Ostgrenze Berlins gewesen sein.
Da stand auf einem Grabstein weiter nichts als nur der Name und dann: Getauft am und das Datum. Kein Geburtstag, kein Sterbetag, kein Geburtsname, auch kein Kreuz.
Das hat mich sehr berührt und berührt mich noch heute. Es erinnert mich daran, dass Martin Luther, wenn es ihm nicht gut ging, immer wieder einen Zettel genommen und drauf geschrieben haben soll: Ich bin getauft. Und ihn dann vor sich gelegt hat, um ihn immer wieder zu lesen.
Und er schrieb „an den christlichen Adel deutscher Nation…“: „Denn was aus der Taufe gekrochen ist, dass kann sich rühmen, dass es schon zum Priester, Bischof und Papst geweiht sei, obwohl es nicht einem jeglichen ziemt, solch Amt auszuüben“.
Gott sieht immer noch nicht tatenlos zu. Seit dem Urvater Abraham hören Menschen auf Gottes Stimme, inzwischen überall auf dieser Welt. Sie SPÜREN die Liebe, die aus seinen Worten kommt. Und bekommen von Gott die Taufe geschenkt.
Ein Geschenk aus Liebe. Geschenkte Vergebung, geschenktes neues Leben, ein geschenkter Schwur: Gott hat dich bei deinem Namen gerufen, du bist sein.
Und wir wissen nun immer, wenn es nötig ist: „Denn du bist – getauft!“
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sind Gottes Treue-Schwur.
An uns.
AMEN.