Warten, warten, warten (Lk 21 25-28)

Den Kopf nach vorn beugen
auf die eigenen Füße sehen
den nächsten Schritt sehen
aber nicht wirklich weiter

Was kann der Mensch tun
wenn der andere den Kopf hängen lässt
was kann man bieten
dass der Blick nach vorn sich wieder lohnt?

Advent: Erlösung in Sicht
Bewahrung dieser Sehnsucht
ist Blick in den offenen Himmel Gottes

Seht auf und erhebt eure Häupter,
weil sich eure Erlösung naht.
Lukas 21,28
***
Alle Jahre wieder: Advent. Nur noch gute zwei Wochen, dann ist Weihnachten. Auch das alle Jahre wieder. Und wir feiern das, weil uns erzählt wurde, dass da mal etwas sehr Schönes war. Aber auch, weil wir hoffen, dass da irgendwann einmal etwas sehr Schönes kommen wird. Wir leben im Advent zwischen den Adventen.

Es war einmal: Der Advent Gottes. Gott hatte offenbar Lust, die Fernbeziehung zwischen ihm und seinen Menschen zu unterbrechen. So ließ er seinen Sohn in einer Krippe Mensch werden.

Dieses Kind verzaubert die Menschen bis heute. Denn die Begegnungen, die Jesus und die Menschen miteinander hatten und haben, verändern diese Welt bis heute; das werden die Menschen diesem Weihnachts-Kind nie vergessen.

Selbst das Ende dieser Geschichte, die Hinrichtung eines Unschuldigen, ist für viele Menschen bis heute positiv bedeutsam. Denn der Tod Jesu verändert ihre Haltung zu Gott. Zu Leben, Tod und Leid. Und so auch zu den Menschen auf der Welt. Nach diesem Kreuzestod war nichts mehr so, wie es zuvor war. Und dann kam da ja auch noch der Ostertag… Grund genug also, den Advent Gottes auch in diesem Jahr zu feiern.

Aber was WIRD kommen?
Der letzte Advent, die letzte Ankunft Gottes bei den Menschen, die wird kommen. Wenn jeder Raum und alle Zeit ihr Ende finden, wird Gottes Ewigkeit unseren Raum und alle Zeit in sich aufnehmen. Und damit auch uns selbst.

Aber was genau kommt dann?
Das möchte ich auch wissen, sagt mein Vater. Der ist deutlich älter als ich, zwar nicht mehr doppelt so alt (die Zeiten sind vorbei), aber knapp 27 Jahre älter ist er denn doch noch.
Und wenn er es immer noch nicht weiß, was da kommt:
Wie sollte ich das denn wissen?

Und mit der Frage nach dem „Was“ ist es nicht leichter als mit der Frage nach dem „Wann“. Daran versuchen sich ja viele Weltuntergangsprediger. Sie arbeiten sich ab daran, Terminprognosen abzugeben und zeitgerechte Beschreibungen darüber, was uns dort erwarten soll. In einem „Wachturm“ Ende der 40er soll zeitgemäß zu lesen gewesen sein: „Da kann sich jeder Hühner halten!“.
Zum Glück wissen die auch nicht mehr als mein Vater und ich (Hühnereier besorge ich mir lieber in Hohenbruch)

Was kommt, und wann kommt das?
Eine eher ängstliche Frage.
Das Unbekannte, das Fremde macht uns meist Angst.
Weil wir nicht wissen, wie uns das bekommen wird.

Auch die Jünger Jesu fragen das eher ängstlich. Sie sehen den schönen Tempel in Jerusalem, aber hören von ihrem Meister, dass hier kein Stein mehr auf dem anderen bleiben wird. Die Schönheit selbst dieses monumentalen Baus: Vergänglich. (Gute 30 Jahre nach Jesu Tod wird der Tempel zerstört sein.)

Und was kommt dann? Kommt nach dem Ende des Tempels auch das Ende Israels, auch das Ende von allem? Und an welchen Zeichen werden sie das erkennen können?

Und Jesus sagt ihnen: Lasst euch nicht aus der Lebens-Ruhe bringen. Es WIRD Kriege geben und Unruhen, Naturkatastrophen und schwere Krankheiten, sogar kosmische Katastrophen. Ihr werdet verfolgt werden um meinetwillen, und viele werden das Ende heraufbeschwören oder herbeizureden versuchen – aber all das darf und soll euch nicht vom Leben abhalten.

Denn am wirklichen Ende der Welt, und jetzt der Predigttext für heute aus Lukas 21, 25-28, am wirklichen Ende werden

25 … Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres, 26 und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen.
27 Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit.
28 Wenn aber DIESES anfängt zu geschehen, DANN seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.

Am Ende steht nicht eine kosmische Katastrophe, sondern die Katastrophe des Kosmos. „Die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen“. Alle werden wissen, dass es jetzt mit der Erde vorbei ist. Sie werden „vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge“.

Das ist kein Zeichen mehr, also etwas, was man vielleicht auch übersehen könnte, wenn man nur fest genug Augen und Ohren verschließt. Alles wird aus den Fugen geraten. Und kein Mensch auf der Welt wird das verpassen können. Auch die nicht, die zeitlebens zu spät gekommen sind.

Wenn es also zum Schlimmsten des Schlimmsten kommt, was Menschen sich vorstellen können, nämlich zum Untergang der Welt und all dem, was für Menschen „das Leben“ bedeutet: Selbst dann sind die Menschen nämlich nicht verloren. Denn damit ist nicht der Untergang allen Lebens angebrochen, sondern Kraft und Herrlichkeit Gottes werden alles regieren.

Dann müssen die Menschen nicht mehr nach unten sehen, auf den Boden, um keinen falschen Schritt zu machen. Sie können aufsehen, sich aufrichten, jegliche Lebens-Last abschütteln.
Denn was da auf sie zukommt, ist gerade keine Katastrophe.

Jesus, der Menschensohn kommt „in einer Wolke“, dem alten Bild für den nahen, gegenwärtigen Gott. Und der kommt nicht einfach mit einer Lösung, sondern er ist die Er-Lösung.

Erlösung von allem, was je das Leben bedroht, klein gemacht oder geängstigt hat. Selbst das Schlimmste vom Schlimmsten verliert so jegliche Bedrohlichkeit. Jede Angst, wirklich jede, ist untergegangen. Hier ist nur noch Gott, der uns in Christus nahe ist. Da ist kein Zorn mehr, keine Rache, keine Abrechnung, keine Krankheit, keine Hölle.
Nur noch Gott, die Liebe in der Person Jesu Christi.

Habt Mut!
Was das Leben auch bringen mag an Vorzeichen des Untergangs, sogar der Untergang selbst wird euch nicht zerstören. Der letzte Advent Gottes ist nichts, das ihr fürchten müsstet.
Er ist Erlösung.

So gesehen, meine Lieben, wäre nicht nur die Menschwerdung Gottes vor 2019 Jahren ein Grund, in diesem Jahr wieder Weihnachten zu feiern. Auch die zukünftige Ankunft Gottes bei den Menschen wäre Grund dazu.

Doch die Zeichen ihrer Zeit lassen viele Menschen in Furcht und Ratlosigkeit zurück. Wie viele junge Leute sind auch heute verzagt, möchten nicht heiraten, wollen keine eigenen Kinder haben. Diese Welt scheint ihnen dem Untergang geweiht, nicht erst irgendwann, sondern schon bald.

Nicht nur, weil immer Menschen andere Menschen töten, weil vor und nach dem Tempel in Jerusalem immer sinnlos Denkmäler zerstört wurden oder immer wieder Kriminelle und Diktatoren den Sieg davonzutragen scheinen.

Sondern auch, weil die Welt so kompliziert ist.
Nur ein Beispiel, das allein schon ausufert:

Wahrscheinlich noch nie in der Menschheitsgeschichte war es leichter, etwas in Erfahrung zu bringen, was man selbst im Moment nicht weiß. Irgendein Speicher irgendwo auf der Welt hat etwas, was einem weiter helfen kann. Nie haben die Menschen so schnellen Zugriff auf eine so große Menge Wissen gehabt wie heute.

Und doch wissen die Menschen nicht, was sie tun sollen, wenn es um die großen Probleme der Menschheit geht.

Die Menschen wissen nicht, was sie tun sollen, um den Klimawandel zu mildern. Die einen beraten dieser Tage gemeinsam auf der Weltklimakonferenz in Madrid, auf welche nächsten Schritte sie sich einigen könnten. Die anderen gehen auf die Straße und werfen ihnen vor, dass ihre Tagung sinnlos sei, weil sie ohnehin nichts und nicht schnell genug unternehmen würden.

Menschen bauen moderne Waffen, um sich zu schützen, und müssen mit ansehen, wie diejenigen, vor denen sie sich schützen wollten, ebenfalls moderne Waffen bauen oder einfach einkaufen. Oft wissen sie nicht, woher, aber manchmal verkaufen sie sie ihnen sogar selbst.

Dann behaupten die einen, das könne man verhindern, indem man selbst keine Waffen mehr verkauft. Und die anderen, dass das nichts nützt, weil dann eben der nächste Waffenhändler um die Ecke verkaufen würde. Über das Problem der Verbreitung von Atomwaffen haben wir dabei noch gar nicht gesprochen.

In der Folge schaffen Armut, Kriege, Überbevölkerung oder Klimawandel riesige Flüchtlingsströme auf unserer Erde. Niemand scheint wirklich zu wissen, wie man effektiv etwas tun kann, dass es diese Fluchtursachen nicht mehr gibt. Allein, wenn man nur auf den Krieg in Syrien sieht, bleibt man in tiefer Ratlosigkeit zurück.

Und wenn sich einmal eine Lösung anzubieten scheint, egal bei welchem der großen Probleme, wird man sich nicht einig, ist es einem zu teuer, fürchtet man die unerwünschten Nebenwirkungen, will man sein Gesicht oder sein Vermögen nicht verlieren…

Kann es eigentlich noch schlimmer kommen? Wenn man Lukas 21 liest, dann spürt man: Ja, der Mensch hat im Laufe seines Lebens immer erlebt, dass es für ihn immer noch schlimmer werden kann.

Und wenn wir heute auf die Geschichte zurückblicken, wissen wir, dass sich daran nichts geändert hat. Waren zu Jesu Zeiten die Kreuze der Römer an Grausamkeit kaum zu übertreffen, sind die doch fast harmlos gegen das, was Menschen kürzlich in den Gaskammern zustande brachten. Gleiches gilt für die Grausamkeit der Kriege oder die Fähigkeit der Menschen, immer mehr Menschen mit immer weniger Waffen umzubringen.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Ja, es kann immer noch schlimmer werden. Und all das in der Zeit zwischen dem ersten und dem letzten Advent Gottes. Aber die gleiche Ermutigung, die Jesus damals seinen Jüngern zuspricht, die gilt auch uns: Der letzte Advent Gottes wird unsere Erlösung sein. Viel mehr wissen wir nicht, ab der DAS wissen wir.

Und so kann die Adventszeit zu unseren Lebzeiten uns vor allem das Warten lehren.
Das Warten im Vollsinn des Wortes.

Zuerst: Warten als Abwarten, das Ausharren, das Erwarten.
Das bedeutet auch eine Übung in der Tugend der Geduld. Das fällt vielen schwer, vor allem denen, die etwas erreichen, fertig bekommen oder klären wollen. Sie müssen sich selbst zurücknehmen, sich selbst weniger wichtig nehmen. Sie müssen begreifen, dass auch andere Wege zu einem guten Ergebnis führen können- Wege, die man selbst nicht gegangen wäre.

Neben Geduld fordert das Ausharren aber auch Klugheit: Man muss, um im Bild der 10 Jungfrauen zu denken, genug Öl dabeihaben, damit die Fackeln nicht erlöschen, wenn man sie doch noch braucht.

Denn wir erwarten ja nicht irgendwen, sondern die Ankunft Gottes. Und hat er nicht schon bei seiner Ankunft zu Weihnachten gezeigt, dass er Herr der Weltgeschichte ist- wenn auch auf ganz andere Weise, als die Herren dieser Welt es gerne wären?

Dann zweitens: Warten als „Ausschau halten“, als „aufpassen“.
Man sagt doch immer wieder mal: Von „meiner Warte aus“ sieht das so oder so aus. Und meint: Von meinem Standpunkt aus. Auch einzeln stehende Wachtürme heißen „Warte“. Sie sind der erhöhte Standpunkt, die erhöhte Warte des Wächters, der so als erster die Feinde sehen kann, die gegen seine Stadt ziehen. Auch der Hauswart ist doch der, der als erster den Überblick behalten soll über das, wie es dem Haus geht und was ihm fehlt.

In diesem Sinn bedeutet Warten: Wachsam sein. Aufpassen darauf, wie es unserer Welt und unseren Mitmenschen geht, was ihnen fehlt.

Schließlich drittens: Warten als Wartung und Pflege.
Gewartet und gepflegt werden Maschinen, Fahrzeuge, Anlagen. Den Abschnitt „Wartung und Pflege“ findet man in fast jeder Bedienungsanleitung. „Warten“ bedeutet dabei prüfen, ob alles funktioniert, neu ausrichten, wenn etwas schlecht funktioniert, und pflegen, damit es auch weiter funktioniert.

Auf unser Leben übertragen: In sich gehen, Lebensausrichtung prüfen und gegebenenfalls ändern, aktiv dafür sorgen, dass es dem Nächsten, aber auch uns selbst gut gehen kann. “Buße tun” sagen die Alten dazu.

Erwarten, Ausschau halten, neu ausrichten und pflegen:
Mehr als genug zu tun für unser Leben.
Dann werden auch wir am Ende aufsehen können, den Kopf erheben und aufrecht stehen:
Weil sich unsere Erlösung naht.

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes-
im Advent Gottes bringen sie unsere Erlösung.
AMEN

Dieser Beitrag wurde unter Predigten abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.