Vorbild (Eph 5 1-9)

Entscheidungen des Lebens
kosten
Kraft, Energie
Geld, Geduld
oft auch Tränen
Leben wird Last, bleischwer
Es ist genug

Aber Gottes Engel sagt
Nein
Denn was du brauchst, ist hier
Sieh nach vorn

Wer seine Hand an den Pflug legt
und sieht zurück,
der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.
Lukas 9,62
***
Aus dem Brief des Paulus an die Gemeinde in Ephesus, Kapitel 5:

1 So ahmt nun Gott nach als geliebte Kinder
2 und wandelt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch.
3 Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit oder Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein, wie es sich für die Heiligen gehört,
4 auch nicht von schändlichem Tun und von närrischem oder losem Reden, was sich nicht ziemt, sondern vielmehr von Danksagung.
5 Denn das sollt ihr wissen, dass kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Habsüchtiger – das ist ein Götzendiener – ein Erbteil hat im Reich Christi und Gottes.
6 Lasst euch von niemandem verführen mit leeren Worten; denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams.
7 Darum seid nicht ihre Mitgenossen.
8 Denn ihr wart früher
Finsternis;
nun aber seid ihr Licht in dem Herrn.
Wandelt als Kinder des Lichts;
9 die Frucht des Lichts
ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.

„Der Pfarrer verlas den Bibeltext und leierte mit eintöniger Stimme seine Predigt herunter, die so langweilig war, dass nach und nach so mancher Kopf zu nicken begann –
dabei handelte die Predigt vom ewigen Feuer und Schwefel
und lichtete die Reihen der vorher bestimmten Auserwählten bis auf eine so kleine Schar, dass sich die Erlösung kaum lohnte…“
Ein humorvoller Verriss einer Moralpredigt, nachzulesen in Mark Twains gesammelten Werken.

Wer immer schon mal einen guten Grund suchte, um nie wieder eine Kirche zu betreten:
Moralpredigten könnten dieser gute Grund sein. Sie sind zum Etikett geworden für eine altmodische und verstaubte Kirche, die nicht mehr ganz auf der Höhe ihrer Zeit ist.
Wer hat sowas nötig? Wer sollte sich das antun?

3 Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit oder Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein, wie es sich für die Heiligen gehört, 4 auch nicht von schändlichem Tun und von närrischem oder losem Reden…

Versucht sich Paulus im Brief an die Gemeinde in Ephesus tatsächlich an der Urform einer Moralpredigt?

Dann aber hätte er der Christenheit und die Christenheit sich selbst keinen Gefallen damit getan, als sie diesen Brief schließlich in ihre Bibel aufnahm und ihn damit an Kinder, Kindeskinder und Kindeskindeskinder weiterzureichen.

Apropos Kinder:
Auch die tauchen in unserem Predigtabschnitt auf, und zwar gleich zwei mal. Zu Beginn, da ist die Rede von „geliebten Kindern“, und dann mittendrin, wo von „Kindern des Ungehorsams“ die Rede ist. Das muss also etwas zu bedeuten haben.

Von Kindern ist in der Bibel ja öfters mal die Rede, an herausgehobenen Stellen gerade in den Evangelien. „Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht“ – Jesus hört ihn gern, den Lob Gottes aus den Mündern der Kinder und Unmündigen. Er lässt es darum seinen Jüngern nicht durchgehen, als sie Kinder von ihm fernhalten wollen, nur um ihm mehr Ruhe zu verschaffen. So gibt es heute viele Taufsteine in alten und neuen Kirchen, an denen gerade dieses Jesuswort zu lesen ist.

Jesus geht bekanntlich noch weiter. Er stellt Kinder als Vorbild vor die Jünger. „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder“, soll er gesagt haben, werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.
Was aber meint er nun DAMIT?

Kurz nachdem ich 2014 in meiner ehemaligen Heimatstadt Brandenburg diese reformierte Pfarrstelle angetreten habe, erreichte mich die Einladung zu einem Klassentreffen meiner alten zehnten Klasse. Für mich das erste, seit ich diese Schule 1978 verlassen habe.

Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, außer zwei guten Freunden wahrscheinlich niemanden wiederzuerkennen. Aber ich ging trotzdem hin. Die anderen, die sich zwischenzeitlich öfter mal getroffen hatten, wussten: Der Neue, der heute dabei ist, ist Malte. Ich aber erkannte wirklich kaum jemanden wieder.

Unsere Mathelehrerin, mit der ich immer gut ausgekommen war, war auch dabei. Sie war richtig alt geworden, aber auch viel kleiner, als ich sie in Erinnerung hatte. Und sie sagte zur Begrüßung: Malte, bist du aber groß geworden! Und ich, frech wie immer: Ja, sollte ich denn kleiner werden?

Sie lachte mit. Und dann erinnerte sie mich: Als du aus der zehnten Klasse gingst, warst du einer der Kleinen in der Klasse. Jetzt bist du wirklich einer der größten.
Das stimmte, denn final gewachsen bin ich erst, als ich 18 war.

Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder:
Wieder jung und wieder so klein werden wie damals – das kann kein Mensch. Aber kindlicher werden, auf irgend eine Art und Weise, das würde ich gern. Das fiel mir bei dieser Gelegenheit auf.

Zur Mathelehrerin habe ich in der Schulzeit irgendwie aufgesehen. Sie war immer gut gelaunt, konnte gut erklären, der Unterricht machte meist Spaß. Niemand kam auf die Idee, sie wegen ihrer Körperfülle auszulachen oder hinter ihrem Rücken darüber zu lästern – anders als bei mir, der ich immer „der Dicke“ war. Für mich hatte sie damals eine Art Vorbildfunktion. Wie hatte ich das vergessen können?

Andererseits kein allzu großes Wunder: ALLE Vorbilder aus Kinderzeiten haben für mich ihre Bedeutung verloren. Zuerst musste wohl mein Vater Federn lassen. Er hatte, da war ich vielleicht acht, von meiner Mutter eine Schürze zum Geburtstag bekommen. Die trug er beim Kochen, meistens sonnabends. Da stand drauf: Vati kann alles. Und darunter Piktogramme für das Heimwerken, das Autofahren, das Kochen, auch ein Doktorhut.

Und ja, damals war der Vater der größte, stärkste und klügste Mann, den ich kannte. Aber schon, als ich zehn war, wurde er entthront. Ich erklärte ihm, als er wieder mit seiner Schürze kochte: Du kannst gar nicht alles. Onkel Hartmut kann alles. Der kann nicht nur Auto fahren, sondern sogar Autos bauen. Der Bruder meiner Mutter entwickelte LKWs bei Mercedes in Stuttgart. Ihn wollte ich nachahmen.

Und was soll ich sagen: Auch der Onkel aus dem Westen blieb nicht lange größtes Vorbild. Je älter ich wurde, desto mehr fand ich an meinen Vorbildern auszusetzen.
Und irgendwann wusste ich besser als sie, wie die Welt funktioniert. Und war eigentlich der Meinung, nun erwachsen genug zu sein, dass sich andere Menschen auch mal an mir orientieren könnten. Weil ich schließlich wusste, wo es langgeht.

Ja, es gab zwar immer wieder in meinem Leben Menschen, die mir auf die eine oder andere Weise imponierten. Durch ihre politischen Klarheit, ihre menschliche Wärme oder ihren theologischen Scharfsinn.

Aber niemand von ihnen wurde je wieder zu einer solchen Vorbildfigur wie früher der Vater oder der Onkel. Denn an allen imponierenden Menschen fand ich ziemlich schnell etwas, was mir nicht gefiel oder behagte, also etwas, was ich sicher NICHT hätte nachahmen wollen. Und so kamen mir die großen Vorbilder ganz abhanden.

Bei dem Klassentreffen wurde mir deutlich, das mir das eigentlich fehlt:
Vorbilder, die wissen, wie die Welt funktioniert.
Denn das weiß ich inzwischen schon lange NICHT mehr.
Da war die Position als Kind doch wesentlich komfortabler: Man MUSSTE das ja gar nicht wissen, denn die Vorbilder wussten ja Bescheid, und auf die war damals noch Verlass.
Ich hoffe, ihr versteht, wie ich das meine.

Ich habe in diesem Predigttext entdeckt, dass Paulus mich gerade an diese komfortable Situation erinnert: Als ich Kind war. Als ich ganz sicher wusste, dass ich nicht weiß, wie die Welt funktioniert. Aber jemanden kannte, der wirklich Ahnung hatte. An dem ich mich orientieren konnte.

Paulus zeigt mir dann zwei Orientierungspunkte, die im Leben an völlig entgegengesetzten Orten stehen. Ähnlich wie nach ihm der Evangelist Johannes nutzt er das Gegensatzpaar Licht und Finsternis.

Wer sich an der Finsternis orientiert, orientiert sich für Paulus an „leeren Worten“, und die führen für ihn auch ins Leere: In Habsucht, Schande oder närrische lose Rede, und was er da sonst noch auflistet.

Ganz sicher ist das keine Fundamental-Ablehnung des Karnevals, bei dem Närr*innen mit roten Nasen und schrillen Kostümen ihren Spaß bei närrischen Reden mit nicht selten losen Witzen haben.

Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass es in der Gemeinde Ephesus damals größtenteils Menschen gab, die NICHT mit für alle deutlich sichtbarem Heiligenschein durch ihr Leben gingen, die also öfter Anstoß zu Ärger oder Klage gaben.
Und das ZIEL des Paulus war ganz sicher nicht, diese Leute ohne Heiligenschein aus der Gemeinde zu vergraulen. Das Gegenteil war der Fall.

Darum wirbt er hier mit klaren, freundlichen Worten für dem anderen Orientierungspunkt: Das Licht. Das ist für ihn das wirklich Erstrebenswerte. Denn wer sich am Licht orientiert, weiß, wie er leben soll.

Gott nachahmen heißt es hier. Versuchen, wie Gott zu sehen, zu denken und zu handeln.
Denn es bedeutet, wie es im letzten Vers unsers Textes heißt:
Güte auszustrahlen.
Gerechtigkeit zu leben, also vor allem zu wissen, worauf man selbst ausge-„richtet“ ist, in Gott Ursprung und Ziel zu kennen.
Wahrheit zu kennen, den lieblichen Geruch in der Nase Gottes.
Ein Erbteil am Reich Gottes zu haben.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Dieses Erbteil bekommt man, wie Paulus schreibt, als Kind.
Das bedeutet für uns zweierlei.

Erstens: Die Vaterschaft Gottes zu erkennen. Gerade für „Erwachsene“ ist das nicht leicht, weil sie damit auch einräumen müssen, nicht genau zu wissen, wie die Welt funktioniert.

Aber es bedeutet auch: Meine eigene Position in der Welt als Geschöpf zu begreifen. Geschöpf, das der Schöpfer dieser Welt nicht nur wollte, sondern auch voller Liebe erhalten will. Dann lebe ich nicht „leere Worte“.
Dann lebe ich durch/ und in/ und mit Liebe.

Dann kann ich in Jesus tatsächlich den Sohn Gottes entdecken, der mir durch sein Leben, aber gerade auch durch sein Sterben klar gemacht hat, wie nahe Gottes Liebe uns Menschen ist. Ich kann entdecken, dass wir darum ein Teil von ihm sind, die MIT ihm sehen, MIT ihm denken, MIT ihm handeln – in Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit für die Menschen und diese Erde.

Zweitens aber:
Selbst wieder kindlich sein zu wollen. Also darauf zu verzichten, „erwachsen“ sein zu wollen. Erwachsen ist bekanntlich ja, wenn oben nichts mehr dazu kommt. Wenn man glaubt zu wissen, wie „die Welt funktioniert“. Wenn man keine Vorbilder mehr braucht, weil sie einem nichts Neues mehr zu sagen vermögen. Wenn man selbst weiß, wohin der Weg uns führt: Auch unser Weg als reformierte Gemeinde in die kirchliche Weite.

Selbst wieder kindlich sein zu wollen bedeutet, kindliche Neugier auf die großen Taten Gottes zu erleben. Es würde auch bedeuten, in Jesus den Weg sehen zu können, den Gott mit uns gehen will. Gerade in der Passionszeit ist das nicht leicht. Mancher braucht mehr Zeit, als er im Leben hat, um für sich eine Antwort auf die Frage zu bekommen, warum Jesus für die Sünde der Menschen am Kreuz zu Tode kommen musste.

Aber gerade das macht Vorbilder doch aus: Das sie tun können, was wir selbst nie tun könnten. Das sie schaffen, was wir gern schaffen würden. Dass sie denken und handeln, wie wir gern denken und handeln würden.

Wer also Gott in Christus als sein Vorbild sehen kann, wer mit seinem Leben den nachzuahmen versucht, dessen Leidenschaft und Liebe für seine Menschen nicht einmal vor dem Kreuz zurückschreckt:

Der wird das größte Licht der Welt sehen können.
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes.
Sie sind lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.
AMEN

Dieser Beitrag wurde unter Predigten abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.