Und Gott sah aus von seiner Höh
und sah auf die Stadt Ninive
und sah die traurigen Gestalten
und sprach: Ich will die Stadt erhalten.
Da waren alle Leute froh
und ihre Tiere ebenso.
Ende gut, alles gut, könnte man denken. Aber die Jona-Geschichte ist noch nicht an ihrem Ende. In der Bibel nicht, in der Ballade von Klaus-Peter Hertzsch nicht. Der letzte, dritte Teil kommt jetzt. Euch lasse ich wieder das Bibellesen für zuhause: Jona Kapitel 4. Ich lese für euch weiter die Hertzsch- Ballade:
Nur Jona nicht. den packt’ die Wut.
Er sprach zu Gott: Du bist zu gut!
Das hab ich nun von meiner Predigt:
Die böse Stadt bleibt unbeschädigt.
Ich hatte mir das gleich gedacht,
mich deshalb aus dem Staub gemacht.
Gott aber sprach und wundert’ sich:
Mein lieber Jona, ärgert’s dich?
Da hatte Jona alles satt
und ging verdrießlich aus der Stadt.
Jona hat „alles satt“. Er ist nicht nur zornig oder sauer. Er ärgert sich nicht einfach. Obwohl das schon schlimm genug wäre: SICH ÄRGERN. Sich selbst also etwas Schlechtes tun. Das kann nichts Gutes bringen, das „sich ärgern“.
Hier aber ist mehr als das. Jona hat „alles satt“: Ninive, seinen Auftrag, die Welt, sein Leben. Gott hat er satt, ihm wirft er entgegen (Verse 2 und 3): „…ich wusste, dass du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und lässt dich des Übels gereuen. So nimm nun, HERR, meine Seele von mir; denn ich möchte lieber tot sein als leben…“
Jona zeigt sich als kaum sympathischer als die Demonstranten in Freital bei Dresden, die mit Flaschen auf Asylbewerber warfen und „Wir wollen keine Asylantenheime“ brüllen.
Jona, gerade von Gott vor dem sicher geglaubten Tod gerettet, will, dass Ninive zerstört wird. Ist er auch fremdenfeindlich? Ein Nationalist? Fühlt er sich in seiner „Ehre“ verletzt, weil er nun als falscher Prophet gelten könnte, einer, dessen Drohungen nicht eintreffen? Ist er ein radikaler Religiöser, der nicht ertragen kann, dass die Gnade Gottes keine Grenzen kennt – weder politische noch religiöse?
Das Jona-Buch schließt nichts von alldem aus, indem es das offen lässt. Schlecht für die, die sonst schnell sagen können: Ich hätte das nicht gemacht, ich kann nicht gemeint sein. Obwohl: ist das wirklich schlecht? Oder vielmehr ein Glück? Denn:
Völlig egal, welche Gründe Jona hat, um sich so daneben zu benehmen: Gott wendet sich nicht von ihm ab, wie wir jetzt hören.
Jona (Er) hat sich auf dem freien Feld
ein kleines Häuschen aufgestellt.
Dort konnt’ er sehen aus der Nähe,
was weiter mit der Stadt geschähe.
Doch als er schlief die nächste Nacht,
hat Gott ihm ein Geschenk gemacht.
Als früh er vor die Türe trat
-ein heißer Morgen war es grad-
da traut er seinen Augen kaum,
da war’s gewachsen wie ein Baum,
ein Rinzinus ein grüner Strauch
mit festem Stamm und Zweigen auch;
und weil die breite Blätter hatten,
lag seine Hütte nun im Schatten.
Da freute sich der Jona sehr
und dacht an keinen Ärger mehr.
Er streckt sich aus im Sommerwetter
und sah die Sonne durch die Blätter.
Ja, sagte er, so ist’s gemütlich!
Der ganze Tag war blau und friedlich.
Doch ach, schon in der nächsten Nacht,
noch eh der Jona aufgewacht,
da kam ein gift’ger Wurm gekrochen,
der hat den Rizinus gestochen.
Als Jona vor die Türe trat
-ein heißer Morgen war es grad-
erschrak er sehr und sah sofort:
Sein Rizinus war ganz verdorrt.
Die Blätter hingen schlapp und braun,
ganz kahl und traurig anzuschaun.
Die Sonne stach, ein Wind ging heiß.
Der arme Jona stand in Schweiß.
Da weinte er. Da sagte er:
Ach wär ich tot! Ich kann nicht mehr.
Eben noch war Jonas kleine Welt in Ordnung. Heiß und doch im Schatten. Gemütlich. Wie im Urlaub. Und plötzlich ist alles vorbei. Er wiederholt die Worte, die er gerade vergessen hatte: „Ich möchte lieber tot sein als leben.“ Und der Bibeltext wörtlich:
9Da sprach Gott zu Jona: Meinst du, dass du mit Recht zürnst um der Staude willen? Und er sprach: Mit Recht zürne ich bis an den Tod.
Jona mag nicht verstehen. Auch nicht den pädagogischen Spaß Gottes mit dem Rizinus. Über die erste Nacht einen Baum wachsen lassen, über die zweite Nacht einen bösen Wurm schicken. Gott mag ja darüber lachen können. Jona kann das nicht. Will das nicht.
Was KÖNNTE geschehen?
Jona hat es satt, zum Gespött zu werden. Zum Gespött der Leute, zum Gespött Gottes. Er wendet sich ab von Gott, und Gott lässt Jona gewähren.
Oder: Jona hat es satt, zum Gespött zu werden. Er ruft zum Heiligen Krieg und bombt mit seinen Kriegern Ninive in Schutt und Asche. Im Namen der Gerechtigkeit Gottes. Denn was Gott ankündigt, wird auch geschehen. So oder so.
Das und anderes könnte geschehen.
Aber es geschieht etwas anderes: Gott redet Jona ins Gewissen.
Gott sprach zu ihm ein gutes Wort:
Jetzt weinst du, weil dein Baum verdorrt,
den du nicht wachsen lassen kannst,
und den du nicht mal selbst gepflanzt.
Da sollte ich nicht traurig werden,
wenn meine Kinder hier auf Erden
verderben und zugrunde gehn,
weil sie mein Wort nicht gut versteh’n?
Da sollte ich die Stadt nicht schonen,
in der so viele Menschen wohnen,
so viele Eltern, viele Kinder,
so viele arme dumme Sünder,
so viele fröhliche Gesellen-
dazu die Tiere in den Ställen!
Vielleicht für dich zum guten Schluss
wächst bald ein neuer Rizinus.
Bestimmt, du wirst dich an dem neuen
genauso wie am alten freuen.
Dann denke: So in seiner Höh
freut sich der Herr an Ninive.
Ob Jona das überzeugt hat? So, wie er sich über einen neuen Rizinus freuen wird, so freut sich Gott über das neue Ninive?
Meine Schwestern, meine Brüder:
Genau das erfahren wir nicht. Denn hier endet das Jona-Buch. Kein Happy-End, sondern Open-End.
Und das bedeutet: Es geht gar nicht so sehr um Jona. Es geht um die, die diese Geschichte hören. Oder sie lesen. Also um uns.
Wie also geht es uns, gewissermaßen als „Jonas Erben“?
Habt ihr auch schon schlechte Erfahrungen gemacht mit Gott?
Hat er Euch in eurem Leben auch schon leer ausgehen lassen?
Euch ungerecht behandelt?
Den Falschen geholfen?
Euch leer ausgehen lassen?
„Gott mit uns“ war der Wahlspruch des preußischen Königshauses und der deutschen Kaiser. Er war Schlachtruf des schwedischen Heeres und der Brandenburger während des dreißigjährigen Krieges. Er stand auf deutschen Fahnen des ersten und deutschen Koppelschlössern im zweiten Weltkrieg.
Aber wenn einer gegen den anderen Krieg führt, hilft Gott immer dem Falschen.
Auch, wenn einer des anderen Feind ist.
Ihm nicht gönnt, was er hat oder ist.
Dass der Erfolg hat da, wo er anderen versagt blieb.
Gesund ist, obwohl andere Krankheit tragen müssen.
Alt wird, obwohl andere zu früh sterben müssen.
Das Leben lässt jede und jeden von uns immer wieder andere Rollen schlüpfen. Mal bin ich Jona, mal Matrose auf dem Schiff, mal bin ich Bürger von Ninive.
Heute aber, am Sonntag, können wir gemeinsam Zuschauer sein. Uns darüber freuen, dass Gott die Seeleute rettet, Menschen und Tiere in Ninive verschont, den störrischen Jona nicht aufgibt. Gnade vor Recht ergehen lässt.
Sich freuen – das kann Gutes bringen.
Anders als das „sich ärgern“.
Jona ärgert sich über Gottes Auftrag, über die Gnade für Ninive, über den verdorrten Rizinus. Warum auch immer. Genutzt hat das niemandem. Geschadet hat es vor allem einem: Jona selbst. Sein Ärger brachte ihn an den Rand des Lebens. Ob er irgendwann gelernt hat, sich wieder zu freuen?
Weil wir heute Zuschauer sein dürfen, können wir genau das. Können nach Ninive gehen, uns mit Gott und den Menschen dort an der schönen Stadt freuen. Hochachtungsvoll auf ihre Umkehr sehen. Mit den Verschonten ein Fest feiern, weil alles noch einmal gut ausgegangen ist. Wir können lernen, uns zu freuen.
Und den Grund dessen zu entdecken, der alles gut sein lässt: Dieser Grund ist die Liebe Gottes. Sie rettet die Seeleute, Mensch und Tier in Ninive und Jona selbst.
Und wenn wir jetzt in die neue Woche gehen und nicht mehr Zuschauer, sondern in der Rolle unseres Lebens sind:
Gottes Liebe kann davor bewahren, anderen die Zuwendungen Gottes nicht zu gönnen und sich über sie zu ärgern. Sich zu fühlen, als sei man zu kurz gekommen, ungerecht behandelt worden.
Denn das Jona-Buch lässt sehen:
Gottes Gnade kennt keine Grenzen, keine politischen, keine religiösen. Nicht vor den Seeleuten, nicht vor Ninive.
Gottes Geduld geht jedem nach. Auch Jona. Seine Liebe gilt also jedem seiner Kinder- schon immer, für immer.
Schließlich: Wie im Jona-Buch ist das Ende des Drehbuches unseres Lebens offen. Egal wie alt wir sind.
Und solange es offen ist, können wir daran schreiben.
AMEN.