Schafstall, Schafe und Hirten (aus Joh 10)

Schlechte Hirten
vor ihnen wird gewarnt
schon zu Ezechiels Zeiten
wird es sie schon immer gegeben haben
bringen ihr Schäflein ins Trockene
weiden sich selbst
Wölfe im Schafspelz

Der gute Hirte
Glücksfall der Menschen
denn seine Herde ist seine Leidenschaft
sein Leben wird ihr Leben
denn er liebt sie

Der gute Hirte
wer ihn kennt, lernt sie kennen
Miserikordias Domini
die Barmherzigkeit des Herrn

Christus spricht:
Ich bin der gute Hirte.
Meine Schafe hören meine Stimme,
und ich kenne sie, und sie folgen mir;
und ich gebe ihnen das ewige Leben.
(Joh 10, 11a.27.28a)
***
Alleine! ruft das Kind. Es wehrt sich dagegen, dass Erwachsene etwas machen wollen, was es gerade selbst tun will. Marmelade auf das Brot löffeln, Schuhe anziehen, ein Buch heraussuchen, egal: Alleine! Ich will deine Hilfe nicht!//

Was mischt du dich ein? fragt der Vater sein Kind. Das „Kind“ ist allerdings schon lange erwachsen, steht mitten im Leben, wie man so sagt. Nun hat es eine Idee, wie es leichter gehen könnte. Den Einkauf nach Haus bringen, die Bankgeschäfte erledigen, ein neues Telefon kaufen.

Der Vater ist im so genannten „letzten Lebensabschnitt“, aber durchaus selbständig. Wenn er Hilfe braucht, wird er es sagen. Er hat aber nichts gesagt, weil er nichts sagen wollte. Warum also mischt du dich jetzt ein?//

Sie hatten ihre Gründe. Die, die helfen wollten, und die, die diese Hilfe nicht wollten. Ja, es ist eben sehr oft nur ein schmaler Grat zwischen den hohen Gütern Nächstenliebe und Freiheit. Und der bleibt lebenslang schmal, egal ob man jung oder alt ist. Einerseits hilft man gern, andererseits lieben alle Menschen ihre Freiheit. So ist das, so bleibt das.

Man braucht eine Menge an Fingerspitzengefühl, anderen zu helfen, ohne sie zu entmündigen. Man braucht eine Menge Fingerspitzengefühl, will man die eigene Freiheit nicht auf Kosten der anderen leben. Hat man das nicht, dann kann alles ganz plötzlich sehr aus dem Ruder laufen.

„Da hoben die Juden abermals Steine auf, um ihn zu steinigen.“ (10,31). Mit „die Juden“ bezeichnet Johannes die Gegenspieler Jesu. Womit hatte er die so gegen sich aufgebracht?

Mit seiner Rede über Schafstall, Schafe und Hirten. Passend zu unserem Sonntag, unpassend für seine Gegner. Ich lese Verse aus Johannes 10:

1 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer nicht zur Tür hineingeht in den Schafstall, sondern steigt anderswo hinein, der ist ein Dieb und ein Räuber.
2 Der aber zur Tür hineingeht, der ist der Hirte der Schafe.
3 Dem macht der Türhüter auf, und die Schafe hören seine Stimme; und er ruft seine Schafe mit Namen und führt sie hinaus.
4 Wenn er alle seine Schafe hinausgelassen hat, geht er vor ihnen her, und die Schafe folgen ihm nach; denn sie kennen seine Stimme.
5 Einem Fremden aber folgen sie nicht nach, sondern fliehen vor ihm; denn sie kennen die Stimme der Fremden nicht.
6 Dies Gleichnis sagte Jesus zu ihnen; sie verstanden aber nicht, was er ihnen damit sagte.
7 Da sprach Jesus wieder: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen.
8 Alle, die vor mir gekommen sind, die sind Diebe und Räuber; aber die Schafe haben ihnen nicht gehorcht.
9 Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich hineingeht, wird er selig werden und wird ein und aus gehen und Weide finden.
10 Ein Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu schlachten und umzubringen. Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und volle Genüge.
11 Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.
12 Der Mietling, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht – und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie -,
13 denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe.
14 Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich,
15 wie mich mein Vater kennt; und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe.
16 Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden.

24 Da umringten ihn die Juden und sprachen zu ihm: Wie lange hältst du uns im Ungewissen? Bist du der Christus, so sage es frei heraus.
25 Jesus antwortete ihnen: Ich habe es euch gesagt, und ihr glaubt nicht. Die Werke, die ich tue in meines Vaters Namen, die zeugen von mir.
26 Aber ihr glaubt nicht, denn ihr seid nicht von meinen Schafen.
27 Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir;
28 und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.
29 Was mir mein Vater gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann es aus des Vaters Hand reißen.
30 Ich und der Vater sind eins.

Und jetzt kommt der schon vorhin zitierte Vers 31:
Da hoben die Juden abermals Steine auf, um ihn zu steinigen.
Seine Gegner wollen keinen gottgleichen Hirten. Sie sind vielleicht Leithammel, aber ganz sicher keine Schafe, die diesem Jesus willenlos hinterhertrotten. Seine Schafe schon gar nicht.

Immer dieser Ärger mit den Schafen. Und es geht ja gar nicht wirklich um Schafe, sondern um Menschen. Um Menschen, die in der Rolle von Schafen sind. Und das ist nicht immer eine angenehme Rolle.

Da ist das Kind, das von den Eltern gehütet wird.

Die aber übertreiben es ganz offenbar mit ihrer Fürsorge. Oder es geht ihnen mal wieder nicht schnell genug. Oder das Kind macht es „falsch“ und die Eltern können es besser – klar doch, sie haben ja ein langes Leben voller „Übung“ hinter sich, die den Meister macht.

Aber das Kind will selbst Übung, will selbst Erfolgserlebnisse, will selbst sein Leben „meistern“. Es ärgert sich über die Einmischung, über die Bevormundung, über das mangelnde Vertrauen. Lasst mich das doch endlich mal allein machen! Ich bin doch kein blödes Schaf!

Da ist der Vater, der von seinem Kind gehütet wird.

Das aber übertreibt es ganz offenbar mit seiner Fürsorge. Weiß es wieder einmal besser. Und das war auch schon immer so, schon als das Kind noch wirklich Kind war. Und jetzt ist es so, dass etwas schon deshalb nicht gut ist, weil es einfach nur länger dauert, bis es fertig ist. Oder weil die Lösung „altmodisch“, nicht „perfekt“ oder „weichgespült“ ist. Misch dich doch nicht immer ein, ich sage dir schon, wenn ich deine Hilfe brauche.

Und da bin ich, ich mit meinem Leben, meinem Dickkopf, der sich schon etliche Beulen zugezogen hat bei den vielen Versuchen, mit demselben durch irgendwelche Wände zu wollen. Ja, es ist schon nicht so einfach: Ein Leben als Schaf ohne Schafspelz.

Immer dieser Ärger mit den Hirten. Und da geht es ja gar nicht um einen Beruf in der Landwirtschaft, der immer unwichtiger wird, weil Schafe immer unwichtiger werden. Es geht um Menschen, die in der Rolle von Hirten sind. Und davon kennen wir nicht nur jede Menge, das sind wir auch selbst, manchmal sogar gegen den eigenen Willen.

Wir kennen viele Könige, Kanzler und Chefs dieser Welt. Alle versuchen irgendwie und scheinbar ohne Pause, ihrer Herde zu zeigen, wo es gerade lang gehen soll im Leben. Wo die fetteste Weide zu finden ist. Oder wo sie gerade nicht zu finden sei. Es gibt Tage, wo sie ihre Hirtenrolle gut spielen. Wo die Herde zufrieden und satt ist. Aber es gibt auch andere Tage, wo die Herde genug Grund hat, unzufrieden zu sein und laut zu blöken, ja sogar Hunger leiden muss.

Und da bin ich selbst. Manchmal habe ich mir die Hirtenrolle selbst ausgesucht, oft aber bin ich hineingezwungen. Wie zum Beispiel in einer Konfirmandengruppe. Drei von fünfundzwanzig wurden von Großeltern in meinen Stall getrieben: Wenn Du eine Feier und Geschenke willst, dann nur Konfirmation.

Und als die drei dann in die Herde kamen, hörten sie gar nicht auf mit dem Blöken, meine Stimme kam gar nicht gegen sie an. Da konnte ich die Weide wechseln, so oft ich wollte. Futter dazukaufen, soviel ich konnte.

Da hab ich den Schafen gesagt, sie müssten doch nicht gegen ihren Willen auf meine Weide kommen, es gäbe doch auch noch andere Hirten, und die wären vielleicht viel besser als ich, und sie müssten sich da sicher nicht so viel ärgern. Aber all das nutzte nicht, sie blieben einfach und blökten weiter.

Also habe ich mir einen zweiten Hirten für diese Herde gesucht. Der hat den drei Schafen dann besser gefallen, aber dafür haben sich drei andere Schafe über den neuen Mit-Hirten geärgert. Und deren Eltern auch. Und die haben sich dann bei meinen Hirten beschwert. Ich kann euch sagen: Das Herdehüten kann einem ganz schön den Nachtschlaf verderben, weil es immer Schafe gibt, die denken:

Immer dieser Ärger mit den Hirten. Und das irgendwann laut herausblöken. Es ist nicht leicht, dieses Leben als Hirte ohne Hirtenstab…

Und dann gibt es ja noch die Sorte Hirten, denen die Schafe nur Mittel zum Zweck sind. Die sie nur halten, um sie zu schlachten. Oder den Wölfen zum Fraß vorzuwerfen.

Die gibt es nicht erst seit heute in Venezuela, Nordkorea oder Kasachstan. Schon der Prophet Hesekiel hatte allen Grund, über die Hirten seines Volkes Klage zu führen, wir haben es vorhin in der Lesung aus Hesekiel 34 gehört.

Es gibt also unzählig viele Gründe, aus denen Hirten und Schafe nicht miteinander auskommen. Wir Menschen haben es gut, wir können uns unsere Hirten selbst aussuchen. Selbst zu DDR- Zeiten konnten wir das, die meisten von euch erinnern sich noch.

Viele von uns haben den letzten Oberhirten Erich Honecker nicht sonderlich gemocht, sich aber bei dem Hirten Jesus wohl und geborgen gefühlt. Er hat sich ordentlich um uns gekümmert. Aber wir habe auch gelernt: Es hat nicht nur zu Zeiten des Johannes Schafe gegeben, die nicht in seinen Stall und sogar mit Steinen auf ihn werfen wollten.
Es hat sie gegeben, es gibt sie und es wird sie geben.

Und gibt es immer wieder Menschen, die so tun, als ob sie im Bild von Hirten, Schafen und Herden keinen Platz hätten. Dass sie keine Hirten bräuchten. Keine dummen Schafe seien. Sie selbst auch keine Hirten wären.

Aber ganz ehrlich: Ich kenne niemanden, für den das zutreffen würde. Und ich habe schon viele Schafe und Hirten getroffen in meinem Leben.

Meine Schwestern, meine Brüder,

wir haben uns überlegt, in jedem Jahr an einem Sonntag im Frühling auf unser Leben als Schafe Jesu zurückzublicken.

Für die meisten von uns begann das Leben in diesem Stall mit dem Tag, an dem sie zum frischen Wasser ihrer Taufe geführt worden sind.

Außerdem ist für viele auch der Tag der frischen Weide wichtig, auf die sie mit ihrer Konfirmation geführt worden sind.

Wir alle sitzen hier in dieser Kirche, in der kein Gottesdienst vergeht, ohne dass wir aus vollem Herzen gebetet hätten: Unser tägliches Brot gib uns heute. Wir wissen um unsere Abhängigkeit als Schafe. Wir können vieles allein. Das wichtigste aber können wir nicht. Ohne Hirten kein tägliches Brot.

Das wird uns gerade heute wieder klar. Wo wir zurückblicken und sagen können: Wie gut ist es, einen solchen Hirten zu haben.
Der mit dem eigenen Leben dafür einsteht, das Leben seiner Schafe zu schützen.
Dessen Stimme man gern zuhört, wann immer sie zu hören ist.
Der seine Herde zusammenhält, wo immer es die Schafe in ihrem Leben auch hin verschlagen haben mag.
Der nie aufhören wird, den Schafen nachzugehen, die sich verlaufen haben.

Vielleicht war es unsere Entscheidung, zu dieser Herde gehören zu wollen- vielleicht. Ganz sicher aber war es seine Stimme, die uns diese Herde hat finden lassen.

In der die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes unser tägliches Brot sind.
AMEN

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