Kurt Marti:
Auch ich kann nicht beten.
Ich glaube,
man sieht uns allen an,
dass wir nicht beten können.
Man sieht es auch denen an,
die weiterhin beten
oder zu beten meinen.
Dennoch kann ich mir
die Sprache einer besseren Zukunft
nicht vorstellen
ohne etwas
wie Gebete.
Rogate – Betet!
Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft
noch seine Güte von mir wendet!
Ps 66 20
***
GNADE SEI MIT EUCH und Friede von dem,
der da ist, der da war und der da kommt. AMEN!
Weißt du was, sagt einmal ein Soldat zu mir, mit dem Beten ist es nicht anders als mit der fünften Naturgewalt.
Fünfte Naturgewalt? Kenne ich nicht. Na die vier Naturgewalten kennst du doch: Feuer/ Wasser/ Erde/ Luft. Und die fünfte ist: Das Schweigen einer Frau. Das hält ja auch kein Mann aus. Und ich denke: Darum können Männer auch so schlecht beten. Weil Gott schweigt und wir Männer das nicht aushalten.
Da ist was dran, denke ich. Aber nach einer nachdenklichen Weile sage ich dann, was ich glaube: Gott schweigt nicht. Du verstehst ihn vielleicht nicht. Oder überhörst ihn. Und dann erzähle ich ihm, dass ich das für mich in der Schule begriffen habe. Nicht im Religionsunterricht. Den hatte der Soldat im Westen genossen, ich nicht. Aber auch der Matheunterricht ist für so eine Erkenntnis gut.
Klasse 13, mein Lehrer sagt: „Ich überlege, ob wir jetzt nicht einen Test scheiben sollten.“ Oh Gott, bete ich, lass diesen Kelch an mir vorübergehen! Aber mein Stoßgebet wird nicht erhört. Eine Begründung für diese Ablehnung bekomme ich auch nicht, dafür aber ein Genügend im Test. Zur Erinnerung: Im Osten ging es nur noch eine Note schlechter.
Die Äußerung eines Klassenkameraden ließ mich dann zum ersten Mal sehr lange über das Thema Gebet nachdenken. Er, der zwar auch keine besondere Leuchte in Mathe war, dafür aber katholisch und mein Freund, schrieb ein „Gut“. Und kommentierte das in der Schulhofpause danach unaufgefordert so:
„Es war eine Gebetserhörung! Ich hab gestern Abend gebetet, der Lehrer möge nun auch einmal eine Arbeit schreiben. Wenn ich es schon mal begriffen und geübt habe.“
Und ich dachte: Aufgefallen ist mir das ja schon früher. Doch woran mag es wohl liegen, dass ein Gebet erhört wird und eines nicht? Der eine die Stimme Gottes offenbar hört, der andere nicht? Bestimmt nicht daran, das er katholisch und ich evangelisch bin. Liegt es am Inhalt?
Schon uns BEIDEN hätte Gott es ja unmöglich recht machen können. Und womöglich gab es ja NOCH jemand Drittes in der Klasse, der vielleicht gebetet hat: „Herr, lass ihn keine Arbeit schreiben, sondern eine mündliche Kontrolle machen – das bin ich nämlich immer besser als schriftlich.“ Das hätte das Verhältnis von Erfüllung und Nichterfüllung schon auf 1:2 gedrückt. Also ist schon rein rechnerisch so etwas wie Gebetswunscherfüllung sehr unsicher.
Gott als Notnagel für mangelnden Fleiß in Mathe zu missbrauchen ist offensichtlich nichts anderes als Gebets-Missverständnis. Das folgt allein schon aus der rein rechnerisch geringen Chance auf Gebetserhörung. Das ist nicht mehr als ein „gut, dass wir mal drüber geredet haben“.
Dazu kommt, dass man wissen könnte: Wenn Gott alle Bitten auf Verschonung von Konsequenzen bei Faulheit erhören würde, wäre diese Welt ihrem Untergang nahe. Beim Beten spielt also offensichtlich der INHALT des Gebets eine große Rolle.
Dazu dann das Sprachproblem: Seit tausenden von Jahren werden Worte Gottes aufgeschrieben, von Menschen, die ihn gehört und verstanden haben. In der eigenen Mutter-Sprache aufgeschrieben. In Predigten, Zeitschriften oder in der Bibel an die Zeitgenossen weitergegeben.
Doch SELBST Gottes Sprache zu verstehen – das war nie einfach. Und wird es auch nicht. Gottes Sprache zu verstehen ist mindestens so schwer wie das Erlernen einer Fremdsprache. Oder die Sprache seiner Katze, seines Hundes, seines Vogels.
Denn er spricht zu uns durch andere Menschen – vielleicht gerade durch solche, die uns das Leben schwer machen. Und das weltweit – vielleicht gerade durch eine hübsche Chinesin, ich kann doch aber kein Mandarin.
Oder im Traum, ich kann mich aber oft an meine Träume überhaupt nicht mehr erinnern. Oder durch seine Werke in unserer Welt, egal ob wunderschön oder schrecklich, die ich doch viel zu oft übersehe oder nicht recht deuten kann.
Fazit: Beten ist nicht einfach. Niemand KANN das einfach so. Man muss es erlernen. Schon immer. Darum sagte einst schon einer seiner Jünger zu Jesus:
Herr, lehre uns beten; auch Johannes hat seine Jünger beten gelehrt. So bei Lukas 11,1. Und Jesus erfüllt den Wunsch, indem er das „Unser Vater“ lehrt (11, 2-4). Und weil Jesus weiß, dass alle Lehre besser verstanden wird, wenn sie mit Beispielen unterlegt wird, beschreibt er weiter, und jetzt lese ich den Predigttext ab Vers 5:
Wer unter euch hat einen Freund und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote; denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann, und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben.
Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf.
Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.
Wo bittet unter euch ein Sohn den Vater um einen Fisch, und der gibt ihm statt des Fisches eine Schlange? Oder gibt ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion?
Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!
EIN Ärgernis will ich GLEICH klären: „ihr, die ihr doch böse seid“ – Jesus beschimpft hier seine Jünger nicht. Es geht ihm vielmehr um die Beschreibung eines Unterschiedes, der größer nicht sein könnte.
Und im Vergleich zur Menschenfreundlichkeit Gottes kommt die Menschenfreundlichkeit der Menschen nun einmal schlecht weg. Das VERSTEHEN die Jünger auch, darum protestieren sie hier nicht. WENN es das Böse „gibt“, dann kommt es von den Menschen. Das glauben sie, das glauben auch die meisten von uns.
Zurück zum Thema. Jesus hat das Beten nicht erfunden. Es gehörte in Israel schon immer zu den wichtigsten Glaubensäußerungen. Vom Achtzehn-Bitten-Gebet, das der fromme Jude DREI MAL täglich spricht, bis zu den Psalmen.
Das Beten ist für Jesus das Grundnahrungsmittel in der Beziehung zu Gott. Darum vergleicht er es hier mit einem Freund, der für einen anderen Freund mitten in der Nacht nach dem Grundnahrungsmittel Brot sucht. Für viele von uns ist diese Situation bizarr. Hätte er nicht besser rechtzeitig einkaufen als nachts Leute belästigen sollen?
Ich weiß ja nicht, was ihr für Freunde habt. Zu Jesu Zeiten war für die Menschen gegenseitiges Helfen das Normalste auf der Welt.
Anders ging es doch gar nicht in einer Zeit, die den Laden um die
Ecke, die Tanke um Mitternacht oder Versandriesen wie Amazon mit Lieferung gleich am nächsten Tag noch nicht kannte.
Also: Einen Freund, der dir NICHT hilft, wenn du ihn bittest, den gibt es nicht. So werden die Jünger gehört haben, was Jesus das erzählte.
Und sie bekommen zu hören: Genau so ist es auch beim Beten. Seid gewiss: Wenn ihr bittet, werdet ihr nicht leer ausgehen. Wenn ihr klopft, ist es nicht vergebens. Wenn ihr Gott sucht, wird er sich finden lassen.
Der bittende Freund hier braucht das Brot genauso dringend wie die Gottesbeziehung das Gebet. Sonst wird es keine BEZIEHUNG. Wenn man sich zum Beispiel verliebt hat, nutzt es nicht, immerzu über den Anderen nachzudenken. Man wird mit ihm REDEN müssen, ihm notfalls auf den Geist gehen, herumquengeln. Denn der muss es schließlich erfahren. Anderenfalls wird es NIE eine Beziehung geben.
Und wer einen Anfang machen konnte, muss auch weitermachen. Eine Beziehung ohne Gespräch stirbt. Freunde, die nicht miteinander reden, auch über Unangenehmes – Freunde, die sich um nichts mehr bitten, werden ihre Freundschaft nicht bewahren können.
So ist es auch mit dem Gebet:
Wenn Menschen nicht mehr hören können, dass Gott sie auf verschiedenste Weise in ihrem Leben anspricht, und wenn sie darauf nicht mit ihrem Gebet REAGIEREN, wird Gott für sie zum unendlich fernen Weltbeweger, der irgendwann nichts mehr mit ihrem Alltag zu tun hat. Zum unnahbaren Nachbarn, den man nicht nur nachts in Ruhe lässt, sondern immer: Selbst wenn man seine Hilfe dringend nötig hätte.
Das Gebet ist also Beziehungspflege mit Gott. Etwas, das unsere Glaubenshygiene dringend nötig hat. Das erlernt und geübt werden muss. Nicht nur gegen Trägheit, sondern auch gegen den Zweifel: Darf ich Gott immer wieder dasselbe sagen? Vor allem, wenn Gott ohnehin alles weiß?
Ja, sagt Jesus, rede! Sei so aufdringlich wie der Freund in der Nacht. Gott IST dein Freund, müht sich gern und verzeiht. Deine Sorgen lassen auch ihm keine Ruhe. Er wird aufstehen und dir geben, was du NÖTIG hast: „geben, soviel er BEDARF“, steht da, nicht alles was er will.
Der Mensch muss sich eine Gesprächskultur schaffen, wenn er das Leben nicht schwerer machen will als es ohnehin schon ist: In seinen Beziehungen zum Lebenspartner, zum Freund, zum Nachbarn, zu Gott. Ohne Mühe geht das nicht. Bitten, Suchen und Anklopfen sind dabei Angelegenheiten, die darum Mühe machen, weil sie vor allem eines sind: Unangenehm.
Denn wer bittet, muss eingestehen, dass er nicht selbst kann, worum er bitten will. Muss sich überwinden, um nicht einfach zu sagen: Na, dann lass ich es eben, dann habe ich es eben nicht. Und mit dem Anklopfen ist es ähnlich: Hast Du jetzt für mich Zeit? Auch das kostet Überwindung. Schließlich will man ja nicht stören.
Und wer suchen muss, weiß nicht, wo etwas ist. Peinlich genug. Da hilft auch der Volksmund nur wenig: Wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum Suchen. Wer hätte sie nicht gern, die ganze Zeit als Zusatzurlaub, die er in seinem Leben mit Suchen verbracht hat.
Bitten, Suchen, Anklopfen: Das braucht regelmäßige Übung. Dann wird es auch leichter zu verstehen, was die Bitte im Unservater bedeutet: Vater, DEIN Wille geschehe. Also nicht meiner. Nicht alles, was wir uns wünschen würden, würde auch zu unserer körperlichen oder seelischen Gesundung beitragen. Genausowenig wie die Schlange anstelle des Fisches oder der Skorpion anstelle des Eis.
Dass unsere Wünsche auch zur Selbstbeschädigung führen können, weiß schon das Märchen. „Zur Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat …“, so beginnen einige Märchen. Ein häufiges Märchenmotiv sind die drei offenen Wünsche, aber nicht jeder Wunsch führt zur Erlösung.
„Hans im Glück“ zum Beispiel lässt uns erleben, dass Wünsche eben auch zur Selbstbeschädigung führen können (vom Goldklumpen bis zu den Steinen). Und doch wendet sich durch Gottes Gnade, von der das Märchen am Schluss (zumindest in der Urfassung der Gebrüder Grimm) ausdrücklich spricht, alles zum Guten.
Hans erkennt nämlich am Ende, dass er von allem, was seinem Glück hinderlich gewesen ist, befreit worden ist. Er dankt auf Knien seinem Schöpfer dankt und kann sagen: „So glücklich wie ich gibt es keinen Menschen unter der Sonne.“ Das ist keine Naivität. Das ist Weisheit!
Meine Schwestern, meine Brüder:
Natürlich hört Gott in den Gebeten seiner Menschen auch die Fragen des Schmerzes. Fragen um die eigene Existenz:
Warum werde ich nicht gesund, warum muss ich krank sein? Warum stirbt ein Mensch, der mir so wichtig ist wie keiner sonst? Warum bleibt die Welt grausam und ungerecht, warum muss ich mich an jedem Tag meines Lebens damit plagen?
Das ist noch ein neues Thema, für den Moment nur so viel: Ich glaube fest, dass Paulus eine der größten Lebensweisheiten entdeckt hat, wenn er im Römerbrief schreibt: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, ALLE Dinge zum Besten dienen“ (Röm 8, 28). ALLE, das bedeutet ALLE, auch dann, wenn ich es nicht begreifen kann.
HIER sagt Jesus nur so viel: Redet mit Gott! Rogate! Betet! Lasst nicht nach! Es lohnt sich! Eure Beziehung zu Gott wird dadurch die Beziehung zu einem Freund. Ein Freund, der euch geben wird, was ihr dringend nötig habt.
Den es glücklich macht, dass er uns geben kann, worum wir bitten. Mindestens genauso, wie es uns glücklich macht, wenn unsere Kinder haben, was sie sich wünschen: Den Fisch statt einer Schlange, das Ei statt einem Skorpion.
Sören Kierkegaard schrieb:
„Gott dringend nötig zu haben, ist des Menschen höchste Vollkommenheit.“
Lasst uns Gott begegnen als die, die Gott dringend nötig haben,
von ihm alle Hilfe erwarten und seiner Entscheidung in allem vertrauen. Dann werden wir finden, was Not tut:
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes.
Dann wird sein Wille geschehen, und das wird unser Schade nicht sein. Amen.