Das Geheimnis Gottes feiern
ohne es zu zerreden
das Geheimnis seiner Macht
das Geheimnis seiner Nähe
das Geheimnis seines Lebens
Trinitatis – Geheimnis des Glaubens:
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit euch allen.
2. Kor 13, 13
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1 Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, ein Oberster der Juden.
2 Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Rabbi, wir wissen, dass du ein Lehrer bist, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm.
3 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von Neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.
4 Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden?
5 Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht geboren wird aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. 6 Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was aus dem Geist geboren ist, das ist Geist. 7 Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von Neuem geboren werden.
8 Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt.
So ist ein jeder, der aus dem Geist geboren ist.
9 Nikodemus antwortete und sprach zu ihm: Wie mag das zugehen?
10 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Du bist Israels Lehrer und weißt das nicht? 11 Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wir reden, was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen haben, und ihr nehmt unser Zeugnis nicht an.
12 Glaubt ihr nicht, wenn ich euch von irdischen Dingen sage, wie werdet ihr glauben, wenn ich euch von himmlischen Dingen sage? 13 Und niemand ist gen Himmel aufgefahren außer dem, der vom Himmel herabgekommen ist, nämlich der Menschensohn. 14 Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, 15 auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. 16 Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
17 Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.
18 Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er hat nicht geglaubt an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.
19 Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. 20 Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. 21 Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind. (aus Joh 3)
Wieder einmal ein typischer Johannes. Vielleicht erinnert ihr euch: Das Johannesevangelium lebt einen prägnanten meditativen Stil, der viele Menschen begeistert, bis zum heutigen Tag.
Wenn man Johannes liest, ist es so, als ginge man durch eine Drehtür in eine Galerie. Dort sieht man sich die Ausstellungsstücke an, eines nach dem anderen, und geht durch die Drehtür wieder heraus – nur um gleich in der Drehtür zu bleiben und wieder hineinzugehen und sich die Ausstellungsstücke noch einmal neu anzusehen. Anderer Blickwinkel, andere Perspektive, neue Entdeckungen…
Gefällt mir diese Ausstellung?
Da gibt es bei diesem Mal viele, sehr berühmte Bilder, die mir im Laufe meines Lebens wichtig geworden sind.
Wichtig für mein Verständnis der Taufe:
„Wenn jemand nicht von Neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen“ (V 3). „Wenn jemand nicht geboren wird aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen“ (V 5).
Wichtig für mein Verständnis des Heiligen Geistes:
„Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist ein jeder, der aus dem Geist geboren ist“ (V 8): Ein Wunder eben, und das ist, wie es das Wort schon sagt, einfach wunderbar.
Wichtig für mein Verständnis des Gerichtes Gottes:
„Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet“ (V 17f).
Wichtig für mein Verständnis der Passion Jesu:
„Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, 15 auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. 16 Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“ (V 14 ff).
Wichtige, wunderbare und schöne Bilder sind in dieser Johannesgalerie, und ich weiß, dass sie nicht nur mir wichtig geworden sind, sondern dass das auch für viele andere Menschen so ist.
Aber ich bin eben durch die Drehtür noch einmal hineingegangen, weil ich irgendwie meinen Ohren nicht ganz getraut habe.
Nikodemus. Er wird noch zwei weitere Male im Johannesevangelium erwähnt. In Kap. 7 (50 f) z.B tritt er mit Hinweis auf das jüdische Gesetz als eine Art Fürsprecher für Jesus auf. Er erinnert in aufgeheizter Stimmung daran, dass das jüdische Gesetz niemanden verurteile, den man nicht angehört habe und von dem man darum nicht genau wissen könne, was er wirklich tut.
Ein Gelehrter, der beobachtend und vorsichtig am Rande des Geschehens bleibt. Er sucht die Nähe Jesu, jedoch bei Nacht und damit heimlich.
Er kommt und versucht, Jesus ein Kompliment zu machen: „Rabbi, wir wissen, dass du ein Lehrer bist, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm“ (V 2).
Das ist ihm wahrscheinlich nicht gerade leicht gefallen. Nikodemus, unter den Pharisäern ein „Oberster der Juden“, ist sehr wahrscheinlich ein älterer Mann. Und er geht jetzt zu jemandem, den die Mächtigen in Staat und Kirche schon unter Beobachtung gestellt hatten. Aber er ist trotzdem gekommen, denn er will sich ein eigenes Bild von Jesus machen.
Aber Johannes lässt Jesus hier hart reagieren, er führt Nikodemus vor. Nicht etwa, weil er Jesus in seiner Nachtruhe gestört hat. Vielmehr greift er ihn in seiner Position als Lehrer an. Du hast nichts begriffen: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von Neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen“ (V 3)
Ein Wunder, das Nikodemus nicht auf dem Absatz kehrt macht und wieder geht. Er fragt vielmehr nach, weil er nicht richtig verstanden hat. Freilich verrät seine Rückfrage auch, wie sehr Nikodemus altem, sehr irdischem Denken verhaftet ist. Neu- oder Wiedergeburt tauchen in seinem Denken offenbar nicht auf. „Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden?“ (V 4)
Aber von solchem rein irdischen Neugeborenwerden redet Jesus ja gar nicht. Aus „Wasser und Geist“ wird der Mensch (in der Taufe!) neu geboren, weil GOTT ihn neu ins Leben ruft. Neu in ein neues Leben. Das hat nichts oder nur sehr wenig damit zu tun, wieder zum Säugling zu werden und das Erdenleben von vorn zu beginnen.
Nikodemus kann dann nur bestätigen, dass er nichts versteht: „Wie mag das zugehen?“ (V 9) Und Johannes lässt Jesus antworten:
„Du bist Israels Lehrer und weißt das nicht?“ (V 10) Gerade hier ist die gereizte Stimmung in diesem Gespräch zu spüren. Redet man so mit einem Lehrer, wenn man nicht gerade selbst erregt, sauer, aufgeregt ist?
Warum lässt Johannes hier kein seelsorgerlich-freundliches, zugewandtes Gespräch entstehen, sondern beschreibt eine solche unfreundliche Atmosphäre? Und lässt die sogar noch von Jesus ausgehen, von ihm verursacht sein?
Sehe ich ans Ende dieser Begegnung Jesu mit Nikodemus, lese ich: „Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht“ (V 19). Das erinnert mich an den Satz aus dem Prolog des Johannesevangeliums: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (Kap 1, 11).
Johannes schreibt sich seinen Frust von der Leber. Über einhundert Jahre nach Christi Geburt haben es die Menschen immer noch nicht erkannt. Die Menschen sehen das Licht Gottes nicht, das in Christus in die Welt kam. Stattdessen lieben sie die Finsternis. Kommen wie Nikodemus „in der Nacht“.
Darum lässt Johannes Jesus scheinbar die Haltung verlieren. Gerade die Schriftgelehrten, gerade die Pharisäer, also gerade Israels Gelehrte müssten es doch wissen: „Die Erde ist des HERRN und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen.“ (Psalm 24,1) Diese Erde ist nicht von dieser Welt. Sie ist GOTTES Erde.
Wenn ihr nun nicht einmal das Wehen des Windes wirklich begreifen könnt: Wie könnt ihr dann die Wunder des Himmels verstehen? Wie könnt ihr dann vorgeben, von zu Gott wissen?
Sie haben das Licht Gottes vor Augen – und sehen es nicht. Sie lieben die Dunkelheit mehr als das Licht. Sie kommen bei Nacht.
So muss Nikodemus herhalten für die Kurzsichtigkeit der Menschen, die nur sehen wollen, was vor Augen ist. Für die eine Geburt außerhalb des Säuglingseins nicht denkbar ist. Für die die Welt weltlich ist. Für die Gott ein Gesetz ist.
Interessant finde ich allerdings, dass Johannes mich damit in eine verzwickte Lage bringt. Ich erinnere mich an den fiktiven Brief von Heinz Zahrnt, der 1987 an Nikodemus schrieb:
„Für mich sind Sie jedenfalls seit dem Beginn meines theologischen Studiums das Vorbild eines redlichen, aber auch typischen Theologen. … Auf die heutigen Verhältnisse übertragen, wären Sie wahrscheinlich ein Oberkirchenrat, der mit dem Glauben Ernst macht, zudem die Theologie achtet und Mitglied der Kirchenleitung ist … In ihrer Position hätten Sie leicht sagen können: Ich hab’s geschafft, ich habe Karriere gemacht, ich weiß über Gott und die Welt Bescheid; mir kann niemand etwas vormachen, auch ein neuer Prophet nicht.
Aber das tun Sie nicht. Für Sie ist mit der Karriere die Schranke des Lebens noch nicht geschlossen. Trotz langer Praxis sind Sie noch kein Routinier geworden. Sie fragen noch. Und wer fragt, ist noch lebendig – gleichgültig, wie alt er ist; wer nicht mehr fragt, der ist schon tot, derweil er noch lebt.“
Zahrnt schriebt mir aus dem Herzen. Meine Sympathien hängen in dieser Szene also offenbar an dem irdisch denkenden Nikodemus und gar nicht so sehr an dem zweifellos Recht habenden Jesus. Sicher auch, weil mir das Denken des Nikodemus nicht fremd ist. Irdisches Denken liegt mir als Mensch einfach näher als himmlisches Denken. Und ich verstehe auch oft nicht besser als Nikodemus. Sehr oft.
Und genau darauf scheint es Johannes ganz offenbar anzulegen. Denn er lässt Nikodemus nicht geschlagen oder genervt das Feld räumen. Im Gegenteil, Nikodemus ist für ihn nicht verloren.
Er ist ja schließlich noch ein drittes Mal im Evangelium erwähnt: In Kap. 19 richtet er gemeinsam mit Josef von Arimathäa das Begräbnis Jesu aus und lässt sich das einiges kosten. Das hätte er sicher nicht tun müssen: Damit erweist er sich als Freund. Als Freund Jesu.
Sollte er bis zu diesem Augenblick begriffen haben, was Jesus ihm in der Nacht sagen wollte? Oder hat er vielleicht nur verstanden, dass das für ihn alles zu hoch und zu weit weg ist? Wie auch immer: Er zeigt sich als Freund. Zahrnt: „Sie fragen noch. Und wer fragt, ist noch lebendig – gleichgültig, wie alt er ist: wer nicht mehr fragt, der ist schon tot, derweil er noch lebt.“
Meine Schwestern, meine Brüder:
Johannes öffnet mit diesem Text das menschliche Denken für den Blick in den Himmel. Und damit kann man ihn durchaus als Vorbereiter der Trinitätstheologie bezeichnen. Die ist ja so als Lehre von der Einheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist nirgends in der Bibel zu finden.
Aber diese Theologie ist in im Denken des Johannes angelegt. In diesem Moment, wo der bedauernswerte irdisch gefangene Nikodemus auf den wahrlich himmlischen, für ihn im Augenblick unerreichbaren Jesus trifft. In diesem Moment, wo der Lehrer die Lektion seines Lebens bekommt. Wo er zu ahnen beginnt, dass unsere Erde nicht von dieser Welt ist. Dass der Rabbi Jesus keiner von dieser Welt ist. Dass Gott nicht von dieser Welt ist.
Solange wir noch von dieser Welt sind, wird es uns ähnlich gehen wie Nikodemus zu Beginn des Gespräches mit Jesus: Wir verstehen „im Fleisch“ nur „Bahnhof“. Aber die Begegnung mit Jesus öffnet den Blick in den Himmel.
Wir können erkennen: Wenn wir Gott mit irdischen Maßstäben, nach irdischen Gesetzen oder irdischen Erkenntnissen zu beschreiben suchen, können wir ihm nie gerecht werden, können wir ihn nie finden. Dann werden wir weder Gott, seiner Welt noch uns selbst gerecht werden können.
Wenn wir wie Nikodemus dem himmlischen Jesus begegnen, begegnen wir keinem „Lehrer,… von Gott gekommen“. Wir begegnen dem Christus, vom Himmel herabgekommen und in den Himmel aufgefahren.
Wir begegnen uns selbst, die Gott durch Wasser und Geist zu einem Leben in neuer Qualität ruft. Zu einem Leben in Glauben.
Glaube IST neue Geburt. Und Glaube, der alles Leben trägt, KANN nur auf Gott hoffen:
Auf Gott, der ist nicht von dieser Welt ist, sondern den Kosmos schafft und erhält.
Auf Jesus Christus, der nicht von dieser Welt ist, sondern in dem uns Gott so quer in unser Leben von dieser Welt getreten ist, dass selbst wir plötzlich den Himmel sehen.
Auf Gottes Geistkraft, die nicht von dieser Welt ist, sondern möglich macht, was KEINE Kraft der Welt schaffen kann:
Die Geburt neuer Menschen aus Wasser und Geist. Dieses neue Leben, das hier entsteht, ist nicht von dieser Welt. Denn es bleibt auch dann, wenn unser Leben, „aus dem Fleisch geboren“, zu Ende gegangen sein wird.
Und doch ist dieses Leben schon heute für uns gemacht, denn es ändert das Gesicht dieser Welt, in der wir leben. Heute.
Heute wird der Friede Gottes spürbar, der größer ist, als wir je denken können. Er wird unsere Leiber und Seelen bewahren
und uns Freunde Gottes bleiben lassen.
Durch Jesus Christus. AMEN.