(2. Kor 5,20- 6,10)
Im Jahr 25 nach dem Fall der Mauer gibt es eine Fülle von Jubiläumsveranstaltungen. Auch unsere Gemeinden beteiligen sich daran. Von kleinen Erzähl- Cafés in gemütlicher Runde, beispielsweise (hier) in Hohenbruch, bis hin zur Aufführung eigens dafür geschriebener Oratorien, wie in meinem ehemaligen Kirchenkreis Neukölln.
Dabei geht es immer auch um die besondere Rolle, die die Kirchen im Osten bei der friedlichen Revolution spielten. Ein großer Augenblick in einer Geschichte, die sonst vor allem dadurch geprägt war, die Herrschaft von zwei Diktaturen (die eine in braun, die andere in rot) zu ertragen und zu verdauen.
Das Ergebnis dieser Verdauung ist ein nicht übersehbarer Stolz. Wir im Osten waren Kirche, die den Feind überlebt hat. Wir waren den Andersdenkenden Freiraum, den Bausoldaten gemeindliche Heimat in der feindlichen Kasernenwelt, und den bewaffneten Sicherheitskräften leuchteten wir mit Kerzen heim. Wir wurden auch ohne EOS ordentliche Menschen.
Was fühlte ich mich als Held, als ich 1987 von meiner Einberufungsüberprüfung zurückkam und sagen konnte: Ich habe mich zur Totalverweigerung entschlossen. Jetzt können sie mir im Gegenzug einen Aufenthalt im Zuchthaus schenken. Da wollt ich schon immer mal hin, an den Rand meiner Heimatstadt Brandenburg, Honecker war da während des Krieges ja auch schon im Knast. Nur: So wichtig war ich ihnen denn wohl doch nicht- sie haben mich offenbar einfach vergessen.
Kirche im Osten Deutschlands: Wie ANDERE uns erleben. Im zehnten Jahr nach der Wende besuchten Gäste aus der Ökumene einige Ostkirchen, man konnte Berichte in einer unserer Zeitschriften lesen.
Da kamen Gäste zu Wort, die meinten, sie hätten manchmal das Gefühl gehabt, einer schweigenden Christenheit zu begegnen. Gewiss: Es gäbe ein reichhaltiges Bildungsangebot der Kirche. Auch der soziale Einsatz sei beeindruckend.
Aber wo bleibe das Zeugnis des Glaubens in der Öffentlichkeit?
Außerhalb von Gottesdiensten oder anderen Gemeindeveranstaltungen habe man sicht- und hörbare Zeichen dieses Zeugnisses vermisst. Es herrsche weithin Sprachlosigkeit. Und eine irgendwie nach außen tretende gelebte Frömmigkeit sei schon gar nicht spürbar. Christsein spiele sich innerhalb der Kirchenmauern im Verborgenen ab.
Mir fällt es schwer, mich dieser Kritik zu entziehen. Denn wenn überhaupt äußern sich auch heute unsere Kirchen zu tagespolitischen und sozialen Problemen und klingen dann oft ganz ähnlich wie Parteien und Gewerkschaften.
Wie dieser Tage, als 65 Pfarrer aus dem Osten den Bundespräsidenten wegen seiner Äußerungen zur militärischen Gewalt kritisierten – und damit vor allem unter Beweis stellten, dass sie ihm nicht einmal wirklich zugehört oder gelesen haben.
Manchmal denke ich, dass es vielen Christen DOCH unangenehm ist, auch öffentlich theologisch wahrgenommen zu werden, als solche, die mit der Bibel leben und das auch sagen. Denn öffentliche Wahrnehmung bedeutet sehr oft, in der Folge angegriffen, kritisiert oder belächelt zu werden.
Und wer will schon als dumm gelten, als unaufgeklärt, über-Ich-hörig? Wer will schon zur Zielscheibe von Sticheleien und Hänseleien und in der Folge gar zur Lachnummer werden?
Auch Paulus sieht sich mit negativen Einstellungen ihm gegenüber konfrontiert. Gleichwohl schweigt er nicht. Er setzt sich zur Wehr.
Ich lese aus dem 2. Korintherbrief ab Kapitel 5 Vers 20:
20 … Wir BITTEN an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! 21 Den, der von keiner Sünde wusste, hat er für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm zur Gerechtigkeit Gottes würden.
1 Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch auch: Empfangt die Gnade Gottes nicht vergeblich! 2 … JETZT ist sie da, die ersehnte Zeit, JETZT ist er da, der Tag der Rettung!
3 Mit nichts wollen wir Anstoß erregen, damit der Dienst nicht in Verruf komme; 4 vielmehr stellen wir uns ganz und gar als Gottes Diener zur Verfügung: Mit großer Ausdauer, in Bedrängnis, in Not und in Ängsten; 5 unter Schlägen, im Gefängnis, in unruhigen Zeiten, in Mühsal, in durchwachten Nächten und beim Fasten;
… 7 im Wort der Wahrheit und in der Kraft Gottes; mit den Waffen der Gerechtigkeit in der Rechten und in der Linken,
8 ob wir anerkannt oder abgelehnt, verleumdet oder gelobt werden!
Wie Verführer sind wir, und doch wahrhaftig, 9 wie Unbekannte, und doch wohlbekannt, wie Sterbende, und seht: wir leben, wie Gezüchtigte, und doch nicht dem Tod geweiht, 10 wie Trauernde, doch stets voller Freude, wie Bettler, die dennoch viele reich machen, wie Besitzlose, die alles besitzen.
Lasst den Streit! Bleibt bei der Botschaft der Versöhnung! Darum geht es nicht erst später, sondern jetzt! Dafür arbeiten Paulus und seine Mitarbeiter, gegen alles Unverstehen und Anfeinden, selbst gegen Todesdrohung.
Warum wird Paulus hier so leidenschaftlich? Andere Missionare, die sich selbst als wirkliche Zeugen Jesu Christi sehen, bestreiten die Legitimität des Apostels. Sie versuchen, seine Autorität und die seiner Mitarbeiter zu demontieren, indem sie seine Botschaft in Frage stellen und anderes in den Vordergrund stellen.
Damit aber steht für Paulus mehr auf dem Spiel als nur das Schlechtreden seiner und anderer Personen. Es geht um mehr, es geht um ALLES. Es geht um das Wort vom Kreuz als die große Botschaft der Versöhnung. DIE wird in Frage gestellt und dadurch das Evangelium als Ganzes.
Seine Gegner meinen, wahres Christsein soll anders, vermeintlich spannender, mächtiger sein: Wunder, Zungenreden und Ekstase sollen Aufsehen erregen. Öffentlich zur Schau gestellte Freiheit von allen Bindungen der Welt sollen die neue Religion möglichst attraktiv machen.
An DIESEM Maßstab gemessen steht Paulus natürlich ärmlich und geradezu destruktiv da. Nicht nur mit seinem Auftreten, sondern auch mit dem Kern seiner Verkündigung.
Das Wort vom Kreuz aber ist für ihn nicht verhandelbar. Erst durch dieses Wort erkennt man Gott. Erst durch dieses Wort erkennt der Mensch sich selbst, findet der Mensch sein Heil.
Darum wirft Paulus seine Lebensführung zur Bewährung dieser Wahrheit in die Waagschale. Sein Lebenswandel kann begreiflich machen: Es geht nicht um Attraktivität, sondern um die Liebe Gottes, sichtbar am Kreuz.
SIE wollen Paulus verunglimpfen durch den Vorwurf mangelnder Ausstrahlungskraft und des Fehlens von sichtbaren Zeichen seiner Autorität.
PAULUS entgegnet: Es geht nicht um öffentliche Aufmerksamkeit. Es geht darum, sich in allem als Diener Gottes zu erweisen. Das Wort vom Kreuz zu bezeugen. Das kann man nur tun, indem man in Entsprechung zum Handeln Gottes lebt.
Darum führt er einzeln Leiden auf, die ihm entweder von anderen zugefügt worden sind oder die er in Ausübung seines Dienstes freiwillig auf sich genommen hat.
Wie aber hat Gott auf das Kreuz reagiert? Nicht mit Vergeltung, Gewalt oder große Umstürze, sondern mit übermenschlicher Geduld. Also setzt auch Paulus gegen das alles: Alle Geduld, die er aufzubringen vermag.
„Damit wir in ihm zur Gerechtigkeit Gottes würden“ – das bedeutet nichts anderes, als dass durch Christen Gottes Liebe in Christus in die Welt getragen werden soll. Nicht irgendwann, sondern jetzt: Jetzt ist er da, der Tag der Rettung.
Nur um diese Rettung geht es, um nichts anderes. Darum steht Paulus zu den Erfahrungen von Schwäche und Ohnmacht. Aber gerade in Schwäche und Ohnmacht hat er etwas völlig neues über den Glauben erfahren.
Das versteht man am besten, wenn man die Worte des Paulus mit den Seligpreisungen aus der Bergpredigt vergleicht, die wir vorhin hörten. Dort ging es um ein zeitliches Nacheinander von Leid und Freude, Verlust und Gewinn von Lebenschancen.
Hier aber handelt es sich um ein dialektisches Ineinander. Paulus ist nicht nach der Traurigkeit froh, sondern in ihr. Nicht der Traurigkeit zum Trotz, sondern weil alle Traurigkeit und Bedrängnis ihn spüren lässt, dass er lebt – und dass sein Leben von niemandem sonst abhängt als allein von Gott. Paulus fühlt sich nicht als Held des Schicksals, sondern er erlebt die tragende Hand Gottes.
Paulus VERKLÄRT das Leiden nicht, tut es auch nicht als bloßen Schein ab. Er beschreibt es vielmehr als wirklich bitter und zerstörend. Aber Paulus erfährt in beidem, in seinen Erfolgen und seinen Niederlagen, in allem Hochgefühl und allem Schmerz, wie nah Gott ihm ist.
Gott ist Quelle nicht nur der Freude, sondern des ganzen Lebens. Und nur das Leben als Ganzes lässt Paulus Glück, Freude Kraft erfahren.
Selbst der Moment des Leides geht ein in das Jetzt des Heils. „wie Trauernde, doch stets voller Freude, wie Bettler, die dennoch viele reich machen, wie Besitzlose, die alles besitzen.“
Meine Schwestern, meine Brüder:
Das alles ist nicht modern; die Welt um uns setzt andere Schwerpunkte. Vielen Menschen geht es anscheinend zuerst um die Ideologie von Selbstverwirklichung. Oder um eine Einstellung, die Lustgewinn und Spaß in den Lebenswerten ganz oben ansiedeln. Das Christentum gilt für die meisten dabei bestenfalls als leidenssüchtig oder spaßhemmend. Das sind die, die sonntags in die Kirchen rennen, Kirchensteuer zahlen und vor dem Essen beten müssen.
Aber wir erleben doch, dass unsere Gesellschaft ganz offenbar immer reicher, aber immer unzufriedener wird.
Auf der einen Seite begegnen wir hochtönenden Ansprüchen: Einfachheit und Ganzheit/ statt Komplexität der Welt und Widersprüchlichkeit. Das Hochhalten von Glück und Harmonie/ statt Schuldbewusstsein und Achthaben auf fremdes Leiden, / Besitzen statt Erwarten.
Und in den Kirchen: Religiöses Erleben/ statt Hören aufs Wort allein, Sichtbarkeit und Spürbarkeit des Heils/ statt dem Geheimnis seiner Verborgenheit.
Auf der anderen Seite schaffen hemmungslose Gewalt, Elend, und unermessliches Leid / Resignation, Sinnlosigkeitserfahrung und Fatalismus. Was haben wir in Afghanistan zu suchen? Wir wüssten, wie der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern zu beenden wäre?
Was aber tun wir? Natürlich müssen wir uns um unsere Strukturen kümmern. Gerade die Reformierten müssen das. Und wir haben auch wie alle anderen Christen in der ehemaligen DDR die Erfolge der Diktaturen zu überwinden.
In Günter de Bruyns Roman „Buridans Esel“, der schon 1968 erschienen ist, wird der Spaziergang einer Familie in Berlin geschildert. Der Vater zeigt die baulichen Sehenswürdigkeiten. Man kommt auch am Berliner Dom vorbei. Und nun lesen wir folgende Passage über die Tochter der Familie:
Zitat: „Beim Stichwort Dom fiel ihr was ein; dass nämlich Leute, die in die Kirche gehen, doch schrecklich dumm sein müssten (doof, sagte sie). Die reife Frucht atheistischer Erziehung“ (Zitat Ende).
Aber diese Frucht darf uns doch nicht lähmen! Luther in einer Fastenpostille zum Text: „Das ist die ergernis des glaubens, die geht yhren weg, das ist unser schuld nicht. / Aber die ergernis inn der liebe, die unserhalben geschicht an unsern wercken und früchten des glaubens,/ wilche wyr sollten lassen leuchten fur den menschen, das sie die selbigen sehen und dadurch auch zum glauben gereitzt wurden,/ die ist unser schuld, die sollten wir meyden.“
Es ist sicher so, dass uns Bedeutungsverlust und missionarische Erfolglosigkeit schmerzen. Aber niemand verlangt von uns, dass wir uns diesem Schmerz hingeben. Der momentane Zustand von Kirche KANN nie Maßstab sein, ob ihre Botschaft etwas taugt oder nicht.
Wir WISSEN doch um das Wort vom Kreuz. Wir HABEN sie doch, die Erkenntnis der Liebe Gottes. Wir FINDEN ihn doch, den Frieden Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft.
ER bewahrt unsere Leiber und unsere Seelen.
Jetzt und hier und durch alle Zeit. Amen.
Nächster Termin: 27. Juli, 10 Uhr Brandenburg, Ritterstraße 94; 18 Uhr Hohenbruch, Dorfkirche