Gottes Bescherung (Hiob 42 1-6): Raus aus der Glaubenskrise

Unser Gottesdienst vom 1. Sonntag nach dem Christfest zum Nachhören
ist für vier Wochen hier zu finden.

Die Weihnachtsbilder zeigen nicht,
was sich außen abgespielt hat, sondern
Verborgenes und Unsichtbares
ausgebreitet vor unser aller Augen.

Wir sahen
seine Herrlichkeit,
eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater,
voller Gnade und Wahrheit.
Johannes 1,14b
***
Der Glaube und die Glaubenskrise gehören untrennbar zusammen. Doch richtig bewusst geworden ist mir das erst zu Beginn meines Berufslebens als Pfarrer. Und das nicht in einer Kirche, sondern irgendwie nebenbei beim Fernsehn.

Am 1. Januar 1984 ging die „Programmgesellschaft für Kabel und Satellitenrundfunk“ und damit der erste Privatsender im Fernsehen an den Start. Ihr erinnert euch nicht? Naja, vielleicht kein Wunder, denn schon ein Jahr später änderte der Sender seinen Namen in Sat 1.

„Guten Morgen mit Sat 1“ – damit war Sat 1 fast zeitgleich mit RTL plus der Pionier für das „Frühstücksfernsehen“ in Deutschland. Sowas gab es damals nur in den USA.

So saßen wir Ende der 80er Jahre im Predigerseminar hier in Brandenburg morgens oft vor der Kiste und unterhielten uns über das Für und Wider des Privatfernsehens im Westen. Die meisten fanden das überflüssig; ich allerdings freute mich, dass ich jetzt schon vor der ersten Lehrveranstaltung im Fernsehen Nachrichten sehen konnte.

Für die morgendlichen Nachrichten hatte Sat 1 außerdem einen Trumpf im Ärmel: Die Kultblondine Nina Ruge moderierte sie. Und das tat sie wirklich gut.
Schnell wurde sie zu groß für dieses Format, und das ZDF warb sie ab. Über zehn Jahre moderierte sie dort „Leute heute“ und beendete dort über zehn Jahre lang jede ihrer Sendungen mit dem Satz: „Alles wird gut!“

Ich fand das immer wohltuend optimistisch, bis mein Vater einmal konterte: „Quatsch. Alles IST gut. Seit 2000 Jahren.“ Mir war sofort klar, dass er damit auf Weihnachten anspielte. Und seitdem denke ich immer wieder darüber nach, ob er wirklich Recht hatte.

Gegen „alles IST gut“ spricht doch fast alles:
Das Jesuskind in der Krippe hat diese Welt so grausam kennenlernen müssen, wie sie ist. Und dabei rede ich nicht vom Kindermord des Herodes und der Flucht nach Ägypten; die hat es wahrscheinlich nicht gegeben – auch wenn Matthäus sehr gute Gründe hatte, die in sein Evangelium aufzunehmen.

Historische Tatsache aber ist, dass der leidenschaftliche Prediger und begnadete Heiler Jesus aus Nazareth, dem weder juristisch noch moralisch irgendwelche haltbaren Vorwürfe gemacht werden konnten, einem Justizmord der Römer durch Kreuzigung zum Opfer fiel, und da war er gerade Anfang 30.

Dass das der Heilsplan Gottes sein sollte – daran arbeitet sich die Christenheit mühsam ab, und das ebenfalls seit 2000 Jahren. Mit mal mehr, oft aber weniger Erfolg.

Und auch NACH dem Kreuz Jesu änderte sich die Welt nicht zum Besseren, vielleicht sogar zum Schlechteren.

Gestern vor neunzig Jahren wurde Regina Jonas als erste Frau der Welt zur Rabbinerin ordiniert. Ihre Gemeindearbeit in Berlin aber hat sie nicht lange machen können: Knapp acht Jahre später wird sie von den Nazis ins Ghetto Theresienstadt deportiert und im Oktober 1944 in Auschwitz vergast.

Gestern (in diesem Jahr!) war im Tagesspiegel zu lesen, dass der ehemalige Präsident unseres Bundesverfassungsgerichtes Andreas Voßkuhle wieder einmal Alarm schlägt: Deutschland sei kein gallisches Dorf in Europa und stehe genauso wie Frankreich, Polen, Ungarn oder auch die USA oder Israel in Gefahr, die Demokratie abzuwählen und nach rechts abzurutschen.

Ganz ehrlich: Wem würde der Zustand der Welt da nicht die Sorgenfalten ins Gesicht treiben? Alles IST gut? Seit 2000, genauer inzwischen: 2025 Jahren: Alles auf Kurs beim Heilsplan Gottes für die Menschen?

Ich kann natürlich nicht wissen, ob es unserer Welt heute wirklich schlechter geht als vor 2000 Jahren.
Vielleicht denkt das jeder Mensch von seiner Zeit.
Unumstritten ist aber zum Beispiel, dass die Hinrichtung am Kreuz eine der grausamsten Hinrichtungsmethoden war, die Menschen sich je haben einfallen lassen. Die Hölle auf Erden ist immer da.

Wie auch immer: Glaubenszweifel haben sich auch in mir tief eingenistet. Damit sie mir nicht die Weihnachtsstimmung verhageln, greife ich immer wieder neu auf Stepan Sulke zurück (Du lieber Gott, komm doch mal runter, zu Beginn gehört). Gerade die zweite Strophe lässt mich jedes Mal schmunzeln:

„Doch schick uns bitte diesmal nicht den Junior her, das ging beim letzten Mal schon schief. Du solltest’s machen so wie vorher, als Moses durch die Wüste lief…“

Doch Galgenhumor rettet nicht wirklich vor Glaubenszweifeln. Ich will ja, dass seit Weihnachten alles gut IST. Ich will glauben, dass das stimmt. Dass ich nicht umsonst seit 1989 – Weihnachten um Weihnachten- Weihnachten predige. Dass alles auf Kurs IST beim Heilsplan Gottes für uns Menschen.

Da beißt die Maus keinen Faden ab: Ohne Perspektivwechsel wird das nicht gehen.
Ja, werdet ihr sagen, da ist er wieder bei seinem Lieblingsthema. Aber ich bin eben Theologe und kein Historiker. Auch wenn ich gern mal historisiere: Ich muss die Perspektive der Menschengeschichte verlassen und die Perspektive der Gottesgeschichte annehmen, will ich meinen Glauben nicht an meinen Zweifeln zerbrechen lassen.

Schon die alten Weisen zeigen mir da einen Weg, wie das gehen kann. Unser Bibeltext für heute hilft mir auf diesen Weg. Ich lese aus dem Buch Hiob Kapitel 42, es sind die Verse 1-6 in eigener Übersetzung:

1 Da antwortete Hiob JHWH und sagte:
2 Jetzt weiß ich, dass alles in deiner Macht steht
und dir nichts zu schwer ist, was du vorhast.
3 Du hast gefragt: »Wer ist es,
der meinen Plan verdunkelt ‚mit Worten‘ (38,2) ohne Verstand?«
Ich war’s! Ich habe ohne Einsicht geredet,
von wunderbaren Dingen, die ich nicht kannte.
4 Du hast mich aufgefordert: »Hör zu und lass mich reden!
Ich will DICH fragen, DANN sollst du mich belehren!«
5 Bis dahin kannte ich dich nur vom Hörensagen.
Doch jetzt hat mein Auge dich wirklich gesehen.
6 Darum bereue ich meine Worte
und lasse mich trösten, so wie ich bin
– Staub und Asche.

Das sind die Schlussverse der zentralen Hiobdichtung,
vielleicht sogar des ursprünglichen Hiobbuches.
JHWH hatte zuletzt Hiob, der alles verloren hatte und mit Gott hadert, an den Beispielen der Schönheit und Stärke von Nilpferd und Krokodil die Größe der Schöpfung beschrieben (40,15–24 und 40,25–41,26).

Und Hiob, an Leib, Seele und Besitz geschlagen und gemartert von der Welt, erkennt nun, dass er mit seinem Hadern in einer Sackgasse steckt. Hiob erkennt sich in den beiden Fragen Gottes als der Mensch wieder, der die Schöpfungsordnung durch seine Halbwahrheiten verdunkelt hat.

„Ja, ich wars!“ erkennt, bekennt er. Weil er begreift:

In Gottes Plan stehen offenbar Dinge, die ein Mensch für ganz und gar unmöglich hält.
Sogar dem Nilpferd und dem Krokodil, den für die damals lebenden Menschen furchtbarsten Tieren, gewissermaßen den urzeitlichen Monstern, hat Gott Schönheit und Raum in seiner Schöpfung bestimmt. Nilpferd und Krokodil, denen jeder vernünftige Mensch in großem Bogen aus dem Weg ging.

So merkt er: Hier liegt mein Irrtum. Und begründet, wie es dazu kam:
„Bis dahin kannte ich dich nur vom Hörensagen“, habe ich vorhin übersetzt;
wörtlich steht da das schöne Wortspiel:
‚Ein Hören des Ohrs habe ich von dir gehört‘.

Das drückt noch viel deutlicher die Distanz aus, die Hiob jetzt vor seinem eigenen Ohr empfindet, indem er von seinem Ohr so redet, als würde es gar nicht wirklich zu ihm gehören:
‚Ein Hören des Ohrs habe ich von dir gehört‘.

Jetzt will Hiob die Haltung eines frommen Menschen annehmen.
Er will sich jetzt die Grenzen menschlicher Erkenntnis eingestehen und demütig sein.
„Darum bereue ich meine Worte und lasse mich trösten,
so wie ich bin – Staub und Asche.“
Aber aus welchem Grund?
„Doch jetzt hat mein Auge dich wirklich gesehen“, sagt er.

Das überrascht. Was hat Hiob denn „gesehen“? „Gesehen“ hat Hiob nach dem, was wir im Buch nachlesen können, genau genommen nichts.
Doch „neu gesehen“ hat er etwas. Er ist von seiner Sicht der Dinge einen Schritt zurück getreten und hat mit einem Male mit seinen Augen durch die Augen Gottes sehen können. Nilpferd und Krokodil wurden von Monstern zu unüberbietbaren Schönheiten der Schöpfung Gottes.

Das hat Hiob gesehen: Selbst die Urmonster Nilpferd und Krokodil gehören in den Plan Gottes für diese Welt. Das war einfach zu unglaublich, als dass Hiobs Verstand das hätte erfassen könnte.

WAS Nilpferd und Krokodil in Gottes guter Schöpfung zu suchen haben, kann er immer noch nicht begreifen, aber er „sieht“ plötzlich, dass er das auch gar nicht muss. Weil er nicht Gott ist. Geschöpf, nicht Schöpfer.

Was er gerad noch begreift ist, DASS sie da etwas zu suchen haben.
DAS ändert seine Perspektive. Die scheinbare Ohnmacht Gottes angesichts des Bösen wird zur Allmacht Gottes, der ALLES beherrscht.
„Ich war’s! Ich habe ohne Einsicht geredet,
von wunderbaren Dingen, die ich nicht kannte.“

Indem also Hiob einen Schritt zurücktritt, ändert sich seine Weltsicht, und damit ändert sich sein Leben. Er bereut seine Worte; sie sind ihm peinlich. Er sieht neu, er sieht ANDERS hin.
„Ich war’s! Ich habe ohne Einsicht geredet,
von wunderbaren Dingen, die ich nicht kannte.“

Er macht seinen Frieden mit Gott.
Er will sich trösten lassen und wird getröstet, weil er jetzt sehen kann, dass er selbst an diesem Tiefpunkt seines Lebens NICHT aus Gottes Plan herausfällt.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Seit Weihnachten könnten wir Menschen es leichter haben als Hiob. Wir könnten mehr von Gott „sehen“ als es Hiob konnte. Wir könnten nicht nur die unvorstellbare Größe der Schöpfermacht Gottes sehen, sondern Weihnachten.

Wir könnten sehen, dass es in Gottes Macht stand, Mensch zu werden und damit nicht nur die Höhen, sondern auch die Tiefen menschlicher Existenz zu teilen, damit wir „sehen“, wie sehr er uns liebt.

Wir könnten sehen, dass es sein Wille ist, dass wir Menschen unsere Göttlichkeit entdecken und Liebe leben: Zu Gott, zum Nächsten, zu uns selbst. Weil ER uns liebt.

Wir könnten sehen, dass in der tiefen Niederlage des Kreuzes und damit in ALLEN menschlichen Katastrophen dieser Weltzeit NICHTS aus Gottes Hand genommen werden kann, weil ALLES in Gottes Händen liegt: Jeder Tod scheitert an Ostern. Jeder kleine, auch der letzte.

Kurz: Der Glauben an Gottes Liebe könnte uns durch Leben und Tod tragen und Glaubenszweifel zerstreuen. Wenn uns der Perspektivwechsel des Hiob gelänge, würde Weihnachten unser Leben ändern.

Mich hat Hiob sehen lassen, dass unheilvolle und heilvolle Mächte in dieser Welt herrschen – und dass ich einen Schritt zurücktreten kann und darüber nachdenken, was ich in meinem Leben in die eigen Hand nehmen kann und was ich in Gottes Hand lasse.

Mich hat Hiob sehen lassen, dass ich mir die Grenzen meines Wissens immer neu klar machen muss. Nicht nur, was Gott betrifft, sondern auch, was diese Welt betrifft. Denn komplexen Zusammenhänge von Klimawandel, Asyl, sozialer Gerechtigkeit oder Krieg kann ich nicht mit Halbwissen  begegnen, sondern nur, wenn ich einen Schritt zurück trete und Respekt, Demut und Barmherzigkeit lebe.

Mich hat Hiob sehen lassen, wie heilsam es ist, den Unterschied zwischen Mensch als Geschöpf und Gott als Schöpfer „sehen“ zu können. Ich kann so eher erahnen, was es heißt, Mensch zu sein. Wenn ich aber Mensch sein darf, wird Gott mich trösten können. So wie ich bin. Staub und Asche.

Einen Schritt zurücktreten, dann kann man durch Gottes Augen die Bescherung sehen:
Da liegen

die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

offen
vor aller Augen
in einer Krippe.
Der Himmel ist nicht mehr verschlossen.
Alles IST gut.
AMEN

EG 27: 1-4
1. Lobt Gott, ihr Christen alle gleich,
in seinem höchsten Thron,
der heut schließt auf sein Himmelreich
und schenkt uns seinen Sohn,
und schenkt uns seinen Sohn.
2. Er kommt aus seines Vaters Schoß
und wird ein Kindlein klein,
er liegt dort elend, nackt und bloß
in einem Krippelein,
in einem Krippelein.
3. Er äußert sich all seiner G’walt,
wird niedrig und gering
und nimmt an eines Knechts Gestalt,
der Schöpfer aller Ding,
der Schöpfer aller Ding.
4. Er wechselt mit uns wunderlich:
Fleisch und Blut nimmt er an
und gibt uns in seins Vaters Reich
die klare Gottheit dran,
die klare Gottheit dran.

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